Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die allgemeinen Bewertungsvorschriften des Reichsbewertungsgesetzes sind grundsätzlich auch auf die Bewertung von Betriebsvermögen anzuwenden. Dies gilt auch für die Behandlung aufschiebend oder auflösend bedingter oder unbestimmt befristeter Erwerbe oder Lasten.
Die Anwendung des Begriffs des Teilwerts auf Grund des § 12 RBewG bedeutet nicht die Einführung des dynamischen Prinzips in die Bewertung nach dem Reichsbewertungsgesetz.
Bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens eines Bergwerkunternehmens ist ein Abzug für solche zukünftigen Bergschäden zuzulassen, die auf Abbauarbeiten zurückzuführen sind, die vor dem Bewertungsstichtage stattgefunden haben.
Normenkette
BewG §§ 6, 8, 18/3, § 17/3, § 62/1, § 103/1, § 66/4, § 109/4
Tatbestand
Streitig ist für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Beschwerdeführerin (Bfin.) auf den 1. Januar 1939 die Zulässigkeit des Abzugs für die Verpflichtungen aus denjenigen Bergschäden, die am Bewertungsstichtage als weitere Auswirkung des in der Vergangenheit betriebenen Kohlenabbaues zu erwarten gewesen sind, ohne bereits erkennbar aufgetreten zu sein.
Die Bfin. begründet ihren Antrag, den Abzug zuzulassen, mit der naturgesetzlichen Zwangsläufigkeit, mit der Bergschäden den schadenstiftenden Abbauarbeiten folgen.
Die Vorentscheidung hat den Abzug abgelehnt, weil die streitigen Bergschäden Lasten seien, die nach § 6 Absatz I des Reichsbewertungsgesetzes (RBewG) nicht berücksichtigt werden dürften, weil ihre Entstehung vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhänge.
Der im Verfahren über die Rechtsbeschwerde (Rb.) wegen der Bedeutung der streitigen Frage für die Bewertung nach dem Reichsbewertungsgesetz um Beteiligung ersuchte Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren gemäß § 287 Ziffer 2 der Reichsabgabenordnung (AO) beigetreten.
In seinen Ausführungen hebt er unter Bezug auf Wortlaut und Aufbau des Reichsbewertungsgesetzes den statischen Charakter der Vermögensaufstellung im Sinne des Reichsbewertungsgesetzes, im Gegensatz zu dem dynamischen Prinzip der Erfolgsbilanz, hervor und will die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bei der Bewertung von Betriebsvermögen nach dem Reichsbewertungsgesetz ausgeschaltet wissen. Den Vorschriften über den Teilwert gibt er auf dem Gebiete der Einheitsbewertung lediglich für die Frage Bedeutung, wie hoch ein Gegenstand anzusetzen ist, erkennt jedoch für die Vorfrage, ob ein Gegenstand überhaupt in die Vermögensaufstellung aufzunehmen ist, lediglich die Bestimmungen des Reichsbewertungsgesetzes, insbesondere auch dessen allgemeine Bewertungsvorschriften, als maßgebend an. Auf Grund der §§ 4 und 6 RBewG lehnt der Bundesminister der Finanzen deshalb die Berücksichtigung aufschiebend bedingter Erwerbe oder Lasten vor Eintritt der Bedingung auf dem Gebiete des Reichsbewertungsgesetzes ab. Nur am Stichtage vorhandene Schulden eines Betriebes hält der Bundesminister der Finanzen nach § 66 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit § 62 RBewG für abzugsfähig. Die streitigen Verpflichtungen aus Bergschäden hält er, sofern der Abbau am Bewertungsstichtage bereits stattgefunden hat, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise für gegenwärtige Schulden und die Zulassung ihres Abzugs vom Betriebsvermögen angesichts der besonderen Umstände für unbedenklich. Der Bundesminister der Finanzen verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß bewertungsrechtlich schon vor dem Abbau bei der Bewertung der anstehenden Kohle die mit dem künftigen Abbau verknüpften Bergschäden berücksichtigt werden, und folgert hieraus, daß die Berücksichtigung der Bergschäden um so eher dann geboten ist, wenn die Kohle bereits abgebaut worden ist.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
In der angefochtenen Entscheidung ist der streitige Abzug für Bergschäden auf Grund des § 6 RBewG (Nichtberücksichtigung von Lasten, deren Entstehung vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängt) abgelehnt worden. Was die grundsätzliche Anwendbarkeit der allgemeinen Bewertungsvorschriften, z. B. über die Behandlung aufschiebend oder auflösend bedingter oder unbestimmt befristeter Erwerbe oder Lasten, auf die Bewertung von Betriebsvermögen betrifft, so ist (z. B. von Veiel in Steuer und Wirtschaft 1940 Spalte 675 und 1941 Spalte 1 ff.) die Meinung vertreten worden, die Bewertung von Betriebsvermögen nach dem Reichsbewertungsgesetz unterliege - wie die Bewertung für die Erfolgsbilanz - dem dynamischen Prinzip und schließe grundsätzlich die Anwendung der §§ 4 ff. RBewG aus. Diese Auffassung ist abzulehnen. Die §§ 4 ff. a. a. O. gelten nach § 18 Absatz 3 RBewG grundsätzlich für alle Vermögensarten, also auch für Betriebsvermögen, es sei denn, daß für die Bewertung einzelner Vermögensarten etwas Abweichendes bestimmt ist.
Nach § 66 Absatz 1 RBewG sind die zu einem gewerblichen Betrieb gehörigen Wirtschaftsgüter vorbehaltlich der in § 66 Absätze 2 und 3 RBewG aufgeführten Gegenstände in der Regel mit dem Teilwert (ß 12 RBewG) anzusetzen, wobei die Ausnahme von der Regel insbesondere den Fall der Liquidation betrifft (vgl. Begründung zum Reichsbewertungsgesetz, Reichssteuerblatt 1935 S. 162).
Die Anwendung des Begriffs des Teilwerts bedeutet indessen für sich allein keineswegs die Einführung des dynamischen Prinzips für die Vermögensbewertung, sondern fügt sich auch in das System des statischen Prinzips ein, das der Vermögensbewertung deshalb eigentümlich ist, weil sie auf einen bestimmten Zeitpunkt abgestellt ist, während die Erfolgsrechnung ganze Entwicklungsabschnitte betrifft, die sich einander anschließen und nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung aufeinander abgestimmt sein sollen. In der Tat ist bei der Vermögensbewertung kein Raum für das dynamische Prinzip.
Sind hiernach die allgemeinen Bewertungsvorschriften des Reichsbewertungsgesetzes grundsätzlich auch auf die Bewertung von Betriebsvermögen anzuwenden, so ist doch § 6 a. a. O. auf den vorliegenden Fall zu Unrecht angewandt worden, weil der Tatbestand dieser Vorschrift hier nicht erfüllt ist. Es fehlt an einer "bedingten" Verbindlichkeit. § 6 a. a. O. behandelt Lasten, deren Entstehung vom Eintritt einer aufschiebenden "Bedingung" abhängt. Eine Bedingung ist etwas durch Rechtsgeschäft Vereinbartes, etwas "Ausbedungenes". Die Schadenersatzansprüche aus § 148 des Allgemeinen Berggesetzes (ABG) für die preußischen Staaten wegen Bergschäden bestehen jedoch kraft Gesetzes; ist in solchen Fällen der gesetzliche Tatbestand erfüllt, so entstehen die Ansprüche ohne weiteres; eine "Bedingung" kommt hierbei nicht in Betracht. Nach § 148 Absatz 1 a. a. O. hat der Bergwerksbesitzer vielmehr ohne weiteres für allen Schaden, der dem Grundeigentum oder dessen Zubehörungen durch den unterirdisch oder mittels Tagebaues geführten Betrieb des Bergwerks zugefügt wird, vollständige Entschädigung zu leisten, gleichviel ob der Betrieb unter dem geschädigten Grundstück stattgefunden hat, ob den Bergwerksbesitzer ein Verschulden trifft, und ob der Schaden hat vorausgesehen werden können. Der Anspruch auf Entschädigung entsteht also "unbedingt", sobald dem Grundeigentum oder dessen Zubehörungen Schaden durch den Abbau seitens des Bergwerkbesitzers zugefügt wird.
Aber auch die Vorschrift des § 8 RBewG scheidet für die Anwendung auf Schadensersatzansprüche aus Bergschäden aus. § 8 a. a. O. behandelt Fälle, in denen die Entstehung einer Last von dem Eintritt eines Ereignisses abhängt, bei dem nur der Zeitpunkt ungewiß ist (Befristung auf einen unbestimmten Zeitpunkt).
Der Anspruch des Geschädigten auf Schadenersatz entsteht mit dem Eintritt des Bergschadens. Es liegt wie in anderen Fällen, in denen auf Grund einer Handlung ein Schaden eintritt und sich hieraus ein Schadenersatzanspruch für den Geschädigten ergibt. Die Besonderheit von Bergschäden zeigt sich lediglich darin, daß der ursächliche Verlauf zwischen Handlung und Schaden eine Zeitlang in Anspruch zu nehmen pflegt. Außerhalb dieses ursächlichen Verlaufs zwischen Bergwerksabbau und Bergschaden gibt es kein Ereignis, von dessen Eintritt die Entstehung des Anspruchs abhinge, wie z. B. die Erreichung eines bestimmten Alters (bei der Lebensversicherung auf den Erlebensfall) oder den Eintritt des Todes einer Person (bei der Lebensversicherung auf den Todesfall).
Somit sind die §§ 6 und 8 a. a. O. auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Es bleibt hiernach die Frage zu prüfen, ob es sich bei dem von der Bfin. begehrten Abzug für Bergschäden um eine nach §§ 62 Absatz 1, 66 Absatz 4 Satz 1 RBewG abzugsfähige Schuld handelt. Von einer Schuld im bürgerlich-rechtlichen Sinne könnte man nur sprechen, wenn ein Schaden im Sinne des § 148 ABG am Bewertungsstichtage erkennbar eingetreten wäre; denn erst dann entsteht der Schadensersatzanspruch. Im vorliegenden Falle sind indessen die Bergschäden noch nicht erkennbar eingetreten. Bürgerlich-rechtlich sind deshalb die hier streitigen Schadensersatzansprüche am Bewertungsstichtage noch nicht entstanden. Der Begriff der Schulden in § 62 und § 66 Absatz 4 Satz 1 RBewG ist jedoch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu verstehen. Wie das Reichsbewertungsgesetz in § 66 ausdrücklich den Ansatz von Wirtschaftsgütern für gewerbliches Rohvermögen behandelt, so gelten als Schulden im Sinne des § 62 und des § 66 Absatz 4 Satz 1 a. a. O. wirtschaftliche Schulden, wirtschaftliche Lasten. Der Gesetzgeber kann nicht eine verschiedene Betrachtungsweise haben zulassen wollen, je nachdem es sich um Gegenstände des Rohvermögens oder um Schulden handelt; für beide Gruppen gilt einheitlich die wirtschaftliche Betrachtungsweise.
So betrachtet besteht bei der Bfin. am Bewertungsstichtage wegen der aus dem damals schon stattgehabten Abbau zwangsläufig erwachsenden, d. h. durch keinerlei menschliche Maßnahmen abwendbaren, wenngleich noch nicht zutage getretenen Bergschäden nach der Verkehrsanschauung eine wirtschaftlich bereits vorhandene Schuld oder Last, die bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens unter den Gesichtspunkt der Einzelbewertung der aktiven und passiven Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen ist.
Die Zulassung des Abzugs für verursachte, aber noch nicht erkennbare Bergschäden liegt auch im Zuge der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Berücksichtigung von Bergschäden im Bewertungsrecht. Betrachtet man nämlich systematisch rücksichtlich der Bergschäden die drei möglichen Entwicklungsstufen im Kohlenabbau,
die Kohle ist noch nicht abgebaut; Bergschaden ist nicht verursacht, geschweige denn erkennbar,
nach Abbau der Kohle: Bergschaden ist verursacht, jedoch noch nicht erkennbar,
nach Abbau der Kohle: Bergschaden ist verursacht und bereits erkennbar, so würde sich im Fall zu 3. der Abzug ohne weiteres aus dem Vorliegen einer bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzverbindlichkeit nach § 148 ABG ergeben. Darüber hinaus hat der Reichsfinanzhof für den Fall zu 1. in seinem Urteil III 5/38 vom 20. Oktober 1938 (Slg. Bd. 45 S. 121 ff., Reichssteuerblatt 1938 S. 1158, Steuer und Wirtschaft 1938 Nr. 704) bei der Bewertung eines Kohlenabbaurechts bereits die Berücksichtigung unabwendbarer Bergschäden hinsichtlich der noch anstehenden Kohle zugelassen. Es ist also folgerichtig, die Bergschäden auch bei der zu 2. bezeichneten Zwischenstufe in der Bewertung zu berücksichtigen.
Sonach rechtfertigt sich der Abzug für Schadensersatzansprüche wegen solcher Bergschäden, die durch Abbauarbeiten vor dem Bewertungsstichtage verursacht, jedoch noch nicht erkennbar geworden sind.
Die in der angefochtenen Entscheidung in Betracht gezogene Tatsache, daß sich am Bewertungsstichtage und vielleicht auch späterhin nicht eindeutig feststellen läßt, inwieweit Bergschäden auf Abbauarbeiten zurückzuführen sind, die schon vor dem Bewertungsstichtage stattgefunden haben, steht dem Abzug nicht entgegen. Auf der Grundlage von Erfahrungssätzen ist Schätzung geboten. Solche Erfahrungssätze werden auch tatsächlich für die Zwecke der Berechnung der entsprechenden Rückstellungen auf dem Gebiete der Körperschaftsteuer angewandt.
Unbedenklich ist es ferner, wenn am Bewertungsstichtage noch nicht feststeht, wem die Entschädigungsansprüche für solche Bergschäden zustehen, für die die Ursache vor dem Bewertungsstichtage gesetzt worden ist. Auch ein Delkredereposten kann abgezogen werden, ohne daß die einzelnen Forderungen, auf die er sich bezieht, festgestellt werden müssen.
Die angefochtene Entscheidung war deshalb aufzuheben. Da der für den Abzug geforderte Betrag von 3.178.723 RM der Höhe nach nicht bestritten ist, hat der Senat in der Sache selbst entschieden. Der Einheitswert für das Betriebsvermögen der Bfin. auf den 1. Januar 1939 wird deshalb von -------------- 204.112.365 RM ---------------------------------- um 3.178.723 RM ---------------------------------auf 200.933.642 RM --------------------- abgerundet --- 200.934.000 RM, herabgesetzt.
Die Bfin. hat mündliche Verhandlung beantragt. Nach Lage der Sache erscheint es dem Senat zweckmäßig, gemäß § 294 Absatz 2 AO vorerst ohne eine solche zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 309 AO.
Fundstellen
Haufe-Index 407298 |
BStBl III 1952, 37 |
BFHE 1953, 91 |
BFHE 56, 91 |