Leitsatz (amtlich)
Einem jederzeit zu berichtigenden Rechenfehler gleichzuachten ist es, wenn der zuständige Veranlagungsbeamte zur Vermeidung von Rechenarbeit die Kraftfahrzeugsteuer aus nichtamtlichen Kraftfahrzeugsteuertabellen abliest und hierbei versehentlich in die falsche Tabelle gerät.
Normenkette
AO a.F. § 92 Abs. 2; AO 1977 § 129 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin betreibt Sand-, Kies- und Fertigbetonwerke. Im Jahre 1972 wurde für sie ein Lastkraftwagen mit drei Achsen und einem verkehrsrechtlich höchstzulässigen Gesamtgewicht von 22 000 kg (Betonmischer) zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen. Für das Halten dieses Fahrzeuges setzte das Finanzamt die Kraftfahrzeugsteuer zunächst durch Bescheid vom 17. Mai 1972 auf 402,10 DM fest. Bei der Berechnung der Steuer hatte sich der Veranlagungsbeamte zur Vermeidung umständlicher Rechenarbeit eines dem Finanzamt zugewiesenen Arbeitsmittels bedient, nämlich eines 64 Seiten (DIN A 4) umfassenden Heftes mit acht "Kraftfahrzeugsteuer-Tabellen auf Grund des Verkehrsfinanzgesetzes 1971, gültig ab 1. April 1972". Aus der für die jeweilige Fahrzeugart maßgebenden Tabelle war für ein Fahrzeug mit bestimmtem Gesamtgewicht die entsprechende Steuer abzulesen. Für das bezeichnete Fahrzeug der Klägerin hatte der Veranlagungsbeamte die Steuer aus der entsprechenden Zeile der Tabelle IV ("Anhänger zur Durchführung von Schwer- und Großraumtransporten - mit mehr als 2 Achsen") anstatt aus der Tabelle II ("Lastkraftwagen, Anhänger, Zugmaschinen, Omnibusse und Fahrzeuge mit Wankelmotor - mit mehr als 2 Achsen -") entnommen. Die Unrichtigkeit wurde rund 4 1/2 Jahre später, bei der Umstellung auf das automatisierte Besteuerungsveriahren, entdeckt. Durch Berichtigungsbescheid vom 16. November 1976 setzte das Finanzamt die Kraftfahrzeugsteuer auf 536,10 DM (bei monatlicher Entrichtung der Steuer) fest und forderte den Unterschiedsbetrag (6 566 DM) nach; den Einspruch wies es zurück.
Mit der Klage hat die Klägerin begehrt, den Berichtigungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Diese Verwaltungsakte seien rechtswidrig. Wenn der Sachbearbeiter des Finanzamts bei der Errechnung der Kraftfahrzeugsteuer "eine falsche Tabelle" zugrunde gelegt habe, so sei dies nicht eine "offenbare Unrichtigkeit" im Sinne des § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) a. F., die jederzeit berichtigt werden könne, sondern ein Fehler, der bei der Bildung des Entscheidungswillens unterlaufen sei und nicht berichtigt werden dürfe, zumal sie (die Klägerin) "im Vertrauen auf die vom Finanzamt vorgenommene Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung ihre geschäftlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen getroffen und sich nicht auf die Zahlung einer höheren Steuer eingestellt" habe. In ihrer Steueranmeldung habe sie alle Angaben gemacht, die zu einer fehlerfreien Errechnung der Kraftfahrzeugsteuer notwendig gewesen seien.
Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen. Der ursprüngliche Bescheid habe berichtigt werden dürfen. Das folge aus § 92 Abs. 2 AO a. F., wonach "Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" berichtigt werden konnten. Als eine offenbare Unrichtigkeit in diesem Sinne sei es zu beurteilen, wenn der Sachbearbeiter des Finanzamts die Kraftfahrzeugsteuer aus der entsprechenden Zeile der Tabelle IV anstatt aus der Tabelle II abgelesen habe. Diese Tabellen, die dem Finanzamt zur Anwendung der neuen Kraftfahrzeugsteuertarife ab 1. April 1972 zugewiesen worden seien, dienten dazu, die an sich nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz erforderliche Rechenarbeit zur Steuerfestsetzung zu vermeiden. Ihre Verwendung als Arbeitsmittel sei unbedenklich. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei das Recht nicht fehlerhaft angewendet oder der Sachverhalt unzureichend ermittelt worden. Die Rechtslage sei eindeutig gewesen. Aus der Steueranmeldung sei mühelos zu erkennen gewesen, daß es sich bei dem Fahrzeug um einen Lastkraftwagen, nicht um einen Anhänger handele. Treu und Glauben hinderten die Berichtigung nicht. Der Klägerin habe es auffallen müssen, daß die Steuerfestsetzung - verglichen mit den zahlreichen anderen von ihr gehaltenen Kraftfahrzeugen ähnlicher Größe - zu niedrig war. Das Finanzgericht hat die Revision zugelassen "im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 92" AO a. F. (Urteile vom 1. April 1977 VI R 153/76, BFHE 123, 1, BStBl II 1977, 853, und vom 24. Mai 1977 IV R 44/74, BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853).
Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 92 Abs. 2 AO a. F. Sie beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Berichtigungsbescheid aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das Finanzgericht hat den angefochtenen Berichtigungsbescheid zutreffend für rechtmäßig erachtet. Das Finanzamt durfte den ursprünglichen Bescheid vom 17. Mai 1972 berichtigen, weil er eine Unrichtigkeit enthielt, die einem Rechenfehler gleichzuachten ist (§ 92 Abs. 2 AO a. F., vgl. jetzt § 129 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Ohne Rechtsirrtum hat das Finanzgericht dargelegt, daß der Fehler nicht etwa auf mangelnde Sachaufklärung oder fehlerhafte Rechtserwägungen zurückzuführen ist, die eine Berichtigung nach § 92 Abs. 2 AO a. F. ausschlössen.
Es kann für die Entscheidung dahingestellt bleiben, ob und ggf. inwiefern sich die beiden vom Finanzgericht angeführten Urteile des Bundesfinanzhofs in ihrer rechtlichen Aussage voneinander unterscheiden. Denn sie stimmen jedenfalls darin überein, daß Rechenfehler jederzeit berichtigt werden können. In den Fällen des § 92 Abs. 2 AO a. F. muß das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf den Bestand der ursprünglichen Steuerfestsetzung zurücktreten hinter den Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung.
Fundstellen
Haufe-Index 73024 |
BStBl II 1979, 196 |
BFHE 1979, 268 |