Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit eines Zwischenurteils über den Grund des Steueranspruchs
Leitsatz (NV)
1. Durch Grundurteil kann keine Vorabentscheidung über ein einzelnes Besteuerungsmerkmal getroffen werden.
2. Hebt das Revisionsgericht ein Zwischenurteil auf, so wird damit auch ein zwischenzeitlich ergangenes Endurteil hinfällig.
Normenkette
FGO § 99
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die durch Beschluß des Ministers für Wiederaufbau des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29. Juli 1949 als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen nach dem Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen vom 29. Februar 1940 - WGG - (BGBl III, Gliederungsnr. 2330-8, veröffentl. bereinigte Fassung) anerkannt worden ist.
Die Klägerin errichtete in den Jahren 1956 und 1957 ein Verwaltungsgebäude, das von ihr zunächst in Höhe von 6,3 v. H. der Nutzfläche selbst genutzt und im übrigen vermietet wurde. Mit Bescheid vom 2. März 1960 erteilte die Anerkennungsbehörde im Einvernehmen mit dem Landesfinanzminister nachträglich eine Ausnahmebewilligung für die Errichtung des Verwaltungsgebäudes mit der ausdrücklichen Auflage, daß, soweit das Gebäude den Eigenbedarf der Klägerin übersteigt, die darauf entfallenden Steuern zu entrichten sind.
Mit Vertrag vom 26. März 1973 verkaufte die Klägerin das Verwaltungsgebäude, das seit Mai 1970 in vollem Umfang vermietet war, zu einem Kaufpreis von 15 Mio. DM an den Mieter. In Höhe des sich hierbei ergebenden Veräußerungsgewinns von 9 542 000 DM bildete die Klägerin, die vorrangig die Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinns geltend machte, eine Reinvestitionsrücklage nach § 6 b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte für das Streitjahr (1975) die voraussichtlichen Aufwendungen für das Reinvestitionsobjekt auf 6 800 000 DM und löste die Rücklage in Höhe des überschießenden Betrags gewinnerhöhend auf.
Nach erfolglosem Einspruch gegen den nach einer Betriebsprüfung geänderten Steuerbescheid, bei der eine Kürzung des Reinvestitionsvolumens auf 6 Mio. DM festgestellt worden war, erhob die Klägerin gegen die steuerliche Erfassung des Veräußerungsgewinns Klage, da sie als nach dem WGG steuerbefreite Körperschaft durch die Vermietung des Verwaltungsgebäudes keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten habe, der über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgegangen sei. Die Steuerpflicht ergebe sich auch nicht aus den Auflagen abgabenrechtlicher Art vom 2. März 1960, da für diese Auflagen keine Rechtsgrundlage im WGG vorhanden sei.
Nachdem die Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung beantragt hatte, bei der Überprüfung der Körperschaftsteuer der Höhe nach zu berücksichtigen, daß der bis zum Jahre 1970 selbstgenutzte Anteil in Höhe von 6,3 v. H. mit dem höheren Einlagewert angesetzt werden müsse, stellte das Finanzgericht (FG) durch Zwischenurteil gemäß § 99 der Finanzgerichtsordnung (FGO) fest, daß der Veräußerungsgewinn zu den steuerpflichtigen Einkünften gehöre. Die Entscheidung des FG ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 573 veröffentlicht.
Die Klägerin hat gegen das Zwischenurteil Revision eingelegt. Nach Einlegung der Revision hat das FG die Klage durch rechtskräftiges Endurteil abgewiesen, nachdem die Klägerin gegen die Steuerberechnung der Höhe nach keine Einwendungen mehr erhoben hat.Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 4 Abs. 1 Nr. 6 des Körperschaftsteuergesetzes in der vor dem 1. Januar 1977 geltenden Fassung (KStG a. F.), des § 6 WGG und des § 10 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen i. d. F. vom 24. November 1969 - WGGDV - (BGBl I, 2142).
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
a) Die Revision ist statthaft. Zu den Urteilen i. S. des § 115 Abs. 1 FGO, gegen welche die Revision gegeben ist, gehören auch Zwischenurteile nach § 99 FGO (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Mai 1980 I R 135/77, BFHE 131, 194, BStBl II 1980, 695, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
b) Die Klägerin hat Streitwertrevision gemäß § 115 Abs. 1 FGO eingelegt. Eine Streitwertrevision findet ohne Zulassung nur statt, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt (Art. 1 Nr. 5 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861 i. d. F. des Gesetzes vom 4. August 1980, BGBl I 1980, 1147). Der Wert des Streitgegenstandes übersteigt im Streitfall 10 000 DM. Der Streitwert des Zwischenurteils, das über den Steueranspruch im ganzen befindet, entspricht dem Streitwert des Endurteils (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 97 FGO Tz. 1 c, 5, § 115 FGO Tz. 34). Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Aufhebung des Körperschaftsteuerbescheides 1975, in dem die Steuer auf 1 520 864 DM festgesetzt worden ist.
2. Die Revision der Klägerin führt zur ersatzlosen Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Erlaß eines Zwischenurteils über die Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns war unzulässig. Der Mangel der Zulässigkeit ist ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 1969 IV R 209/67, BFHE 97, 407, BStBl II 1970, 188).
Nach § 99 FGO kann das Gericht durch Zwischenurteil über den Grund vorab entscheiden, wenn bei einer Leistungsklage oder Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt der in § 348 der Abgabenordnung (AO 1977) bezeichneten Art ein Anspruch nach Grund und Betrag strittig ist. § 99 FGO ist dem § 304 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nachgebildet. Anspruch im Sinne beider Vorschriften ist der materiell-rechtliche Anspruch, im Falle des § 99 FGO der Steueranspruch (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1979 I R 157/76, BFHE 129, 443, BStBl II 1980, 252, m.w.N.).
Das Zwischenurteil über die Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns enthält keine Entscheidung über den Grund des Körperschaftsteueranspruchs des Streitjahres. Abgesehen davon, daß der vom FA der Veranlagung zugrunde gelegte Gewinn dieses Jahres nicht aus der Veräußerung des Grundstücks, sondern aus der Auflösung der nach § 6 b EStG gebildeten Reinvestitionsrücklage herrührt, hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob sich die Tätigkeit der Klägerin außerhalb des von der Steuerbefreiung nach dem WGG erfaßten Bereichs in dem streitigen Veräußerungsvorgang erschöpft hat.
Der vom FA geltend gemachte Steueranspruch beruht dem Grunde nach im übrigen nicht allein auf der Annahme, daß die Klägerin im Hinblick auf die Auflagen abgabenrechtlicher Art vom 2. März 1960 der Steuerpflicht unterliegt, sondern auf einer Anzahl weiterer Besteuerungsmerkmale. Es läßt sich nicht ausschließen, daß nach der Vorabentscheidung über ein einzelnes Besteuerungsmerkmal in einem möglichen anschließenden Verfahren Streitpunkte auftreten, die zur Folge haben könnten, daß der durch Zwischenurteil entschiedenen Frage die Entscheidungserheblichkeit entzogen würde (Urteil in BFHE 131, 194, BStBl II 1980, 695). Zwar hat das FG bereits durch Endurteil entschieden; wird jedoch das Zwischenurteil aufgehoben, so wird auch das Endurteil hinfällig (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 97 Anm. 1 D; Tipke/Kruse, a.a.O., § 97 FGO Tz. 5).
3. Mit der Aufhebung des Zwischenurteils befindet sich das Klageverfahren wieder in dem Stadium, das vor Erlaß des Zwischenurteils bestanden hat. Einer förmlichen Zurückverweisung bedarf es insoweit nicht (Urteil in BFHE 131, 194, BStBl II 1980, 695).
Fundstellen
Haufe-Index 415468 |
BFH/NV 1988, 786 |