Leitsatz (amtlich)
1. Die Wertfortschreibung des Einheitswerts eines bebauten Grundstücks wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse setzt nicht voraus, daß sich die Bausubstanz verändert hat.
2. Ordnet das FG an, daß der Sachverständige ein schriftlich erstattetes Gutachten in der mündlichen Verhandlung erläutere, so müssen die Beteiligten hiervon benachrichtigt werden.
Normenkette
AO i.d.F. des ÄndG-BewG 1965 § 225 a; BewG 1965/1974 § 22; FGO §§ 82-83; ZPO § 411
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Grundstücks, das 1906 mit einem Gebäude bebaut wurde. Das Grundstück wird teils für Wohnzwecke und teils für gewerbliche Zwecke genutzt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte für dieses Grundstück durch Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 auf der Grundlage der Jahresrohmiete einen Einheitswert und die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück (mit einem gewerblichen Anteil an der Jahresrohmiete von mehr als 50 v. H.) fest. Dabei hat das FA das Vielfache der Jahresrohmiete wegen behebbarer Baumängel um 21 v. H. ermäßigt.
In den Jahren 1965 bis 1967 ließ der Kläger das dritte und vierte Obergeschoß, die zum Teil zerstört waren, ausbauen und umgestalten. Dadurch entstanden an Stelle der bisher vorhandenen beiden Großwohnungen je Geschoß fünf Einzimmerwohnungen und Gewerberäume. Außerdem ließ der Kläger die Läden im Erdgeschoß des Gebäudes so verändern, daß an Stelle der bisher vorhandenen sieben Läden nur noch fünf Läden bestanden. Bei dieser Gelegenheit wurden die Läden renoviert und die Schaufenster verändert.
Auf Grund der vorgenannten baulichen Veränderungen führte das FA zum 1. Januar 1974 eine Fortschreibung des Einheitswerts durch. Dabei setzte es für die Einzimmerwohnungen und für die gewerblichen Räume im dritten und vierten Obergeschoß eine Miete von monatlich 3 DM und für die Läden im Erdgeschoß eine Miete von monatlich 7,50 DM je qm an. Der bisherige Abschlag wegen behebbarer Baumängel entfiel. So ergab sich ein Einheitswert von ... DM.
Auf die Klage ermäßigte das Finanzgericht (FG) diesen Einheitswert auf ... DM; im übrigen wies es die Klage ab. Es war der Auffassung, daß die Jahresrohmiete entgegen der Meinung des Klägers vom FA zutreffend angesetzt sei. Auf Grund eines Sachverständigengutachtens kam das FG jedoch zu der Überzeugung, daß die Lebensdauer des Gebäudes wegen nicht behebbarer Dauerschäden in Form von Mauer- und Deckenrissen infolge des U-Bahnbaues um wenigstens 12 Jahre verkürzt sei. Es wandte deshalb an Stelle des dem Baujahr 1906 entsprechenden Vervielfältigers 7,0 den Vervielfältiger 6,4 an.
Mit der Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einheitswert für sein Grundstück zum 1. Januar 1974 auf ... DM festzustellen. Außerdem beantragt er, den Streitwert des finanzgerichtlichen Verfahrens auf 11 850 DM festzusetzen; das FG hat den Streitwert auf 970 DM festgesetzt.
Der Kläger macht zunächst geltend, die baulichen Veränderungen an den Läden im Erdgeschoß hätten entgegen der Auffassung des FG keine Substanzveränderungen bewirkt, so daß hierwegen eine Fortschreibung des Einheitswerts nicht gerechtfertigt sei. Des weiteren rügt der Kläger, das FA und das FG hätten für die angesetzten Mieten keine Vergleichsobjekte benannt, obwohl er die Berechtigung der Mietansätze bestritten habe. Das FG habe außerdem den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung geladen, ohne daß der Kläger dies gewußt habe. Dies sei ein Verfahrensfehler, denn der Kläger habe keine Gelegenheit erhalten, zu dem in der mündlichen Verhandlung erstatteten "völlig neuen Gutachten" des Sachverständigen Stellung zu nehmen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben; es greifen allerdings die Rügen des Klägers wegen der Berechtigung zur Fortschreibung und der Ermittlung der Vergleichsmieten nicht durch.
1. Nach § 225 a Abs. 1 des Reichsabgabenordnung (AO) in der Fassung des Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (ÄndG-BewG 1965) i. V. m. § 22 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes - BewG - 1965/1974 ist eine Wertfortschreibung durchzuführen, wenn sich der für den Beginn des Kalenderjahres 1974 ergebende Einheitswert von dem durch Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswert nach oben um den zehnten Teil, mindestens aber um 5 000 DM, abweicht. Der Fortschreibung werden die tatsächlichen Verhältnisse vom Fortschreibungszeitpunkt (§ 22 Abs. 4 BewG) - hier dem 1. Januar 1974 - und die Wertverhältnisse vom Hauptfeststellungszeitpunkt (§§ 27, 79 Abs. 5 BewG) zugrunde gelegt. Die Wiederherstellung eines teilzerstörten Geschosses, die Umwandlung von Großwohnungen in Einzimmerwohnungen und die bauliche Umgestaltung von sieben Läden in nunmehr fünf Läden führten zu einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die eine Fortschreibung gebieten kann. Ob dabei die Bausubstanz verändert (vermehrt oder verringert) wurde, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes entgegen der Auffassung des Klägers ohne Bedeutng. Das FG kann deshalb im Gegensatz zur Auffassung des Klägers nicht gegen Verfahrensvorschriften verstoßen haben, weil es keinen Sachverständigen gehört hat, um festzustellen, ob durch die Baumaßnahmen des Klägers die Bausubstanz verändert worden sei.
2. Verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse eines Grundstücks, so ist bei einer Wertfeststellung auf einen Stichtag nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt für die Bewertung im Ertragswertverfahren entsprechend der zutreffenden Rechtserkenntnis des FG die Miete anzusetzen, die nach den Wertverhältnissen vom Hauptfeststellungszeitpunkt unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustandes des Grundstücks im Fortschreibungszeitpunkt zu erzielen gewesen wäre (§ 22 Abs. 4, §§ 27, 79 Abs. 5 BewG). Diese Miete ist erforderlichenfalls zu schätzen. Heranzuziehen für diese Schätzung sind in erster Linie die Mieten von Objekten gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung (vgl. § 79 Abs. 2 BewG). Die Miete kann aber auch anhand eines Mietspiegels geschätzt werden (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. September 1976 III B 12/76, BFHE 120, 270, BStBl II 1977, 196). Die Schätzung der Miete schließt es auch nicht aus, daß die Miete vom Fortschreibungszeitpunkt anhand des mietpreisrechtlichen sog. Mehrbelastungszuschlags unter Berücksichtigung der Indexentwicklung für Bauleistungen ermittelt wird. Zwar können die Mieten eines bestimmten Feststellungszeitpunkts grundsätzlich nicht in der Weise auf einen früheren Stichtag zurückgerechnet werden, daß ein Index angewendet wird, weil es einen solchen Index, der die Verhältnisse des einzelnen Grundstücks hinreichend berücksichtigen würde, nicht gibt. Mieterhöhungen nach § 11 der Altbaumietenverordnung Berlin - AMVOB - (BGBl I 1961, 230) beruhen jedoch auf baulichen Verbesserungen, so daß diese Mieterhöhungen über den Index für Bauleistungen auf einen anderen Stichtag umgerechnet werden können als den Zeitpunkt, zu dem diese Bauleistungen erbracht wurden.
Das FG hat gegen diese vorstehend dargelegten Grundsätze der Schätzung der Miete vom Hauptfeststellungszeitpunkt unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse vom Fortschreibungszeitpunkt nicht verstoßen. Im übrigen trifft es nicht zu, daß das FG die vom FA angesetzten Mieten "ohne Prüfung übernommen" habe. Es hat vielmehr, wie es § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorschreibt, den Sachverhalt von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten erforscht, hier insbesondere des FA, das seinen Mietansatz darzulegen hatte. Die Entscheidung des FG verletzt deshalb den Kläger auch insoweit nicht in seinen Rechten.
3. Dagegen ist die Rüge des Klägers begründet, daß das FG bei der Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten das vorgeschriebene Verfahren nicht beachtet habe.
a) Das FG hat durch schriftliches Sachverständigengutachten Beweis erhoben (§ 82 FGO, § 411 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Dies ergibt sich aus dem Beweisbeschluß i. V. m. der Beauftragung des Sachverständigen. Die Beteiligten haben das schriftliche Gutachten zur Stellungnahme erhalten. Ihre Einwendungen führten zu einem schriftlichen Ergänzungsgutachten des Sachverständigen. Auch zu diesem Ergänzungsgutachten konnten sich die Beteiligten äußern. Während der Sachverständige der Meinung war und auch in seinem Ergänzungsgutachten bei dieser Meinung verblieb, daß die Schäden am Gebäude des Klägers (wirtschaftlich) nicht behebbar seien, begehrte der Kläger (auch) eine Ermäßigung des Gebäudewerts wegen behebbarer Bauschäden.
b) Das FG ordnete an, daß der Sachverständige sein schriftlich erstattetes Gutachten in der mündlichen Verhandlung erläutere (§ 82 FGO, § 411 Abs. 3 ZPO). Der Senat stimmt dem Kläger zu, daß damit die mündliche Verhandlung zu einem Beweistermin i. S. des § 83 FGO wurde. Nach dieser Vorschrift müssen die Beteiligten von allen Beweisterminen benachrichtigt werden. Das FG hat jedoch die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung lediglich mit der Belehrung geladen, daß bei ihrem Ausbleiben ohne sie verhandelt werden könne (§ 91 Abs. 2 FGO). Dagegen hat es sie nicht benachrichtigt, daß der Sachverständige in dieser mündlichen Verhandlung sein schriftlich erstattetes Gutachten erläutern werde. Dadurch hat das FG gegen § 83 FGO verstoßen. Seine Entscheidung war deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
4. Der Senat stimmt dem Kläger auch zu, daß das FG den Streitwert des finanzgerichtlichen Verfahrens unrichtig festgesetzt hat. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Streitwert bei Anfechtung eines zum 1. Januar 1974 festgestellten Einheitswerts grundsätzlich mit 60 v. T. des streitigen Wertunterschieds zu bemessen (vgl. Entscheidung des BFH vom 11. Februar 1977 III B 28/75, BFHE 121, 300, BStBl II 1977, 352).
Fundstellen
Haufe-Index 73044 |
BStBl II 1979, 254 |
BFHE 1979, 569 |