Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuerzerlegung
Leitsatz (NV)
Unterhält ein Gewerbebetrieb mehrere, der Art nach verschiedene Betriebszweige (hier: Hafenbetrieb, Busunternehmen, Elektrizitäts-, Fernwärme-, Gas- und Wasserversorgung) so genügt der allein durch einen dieser Betriebszweige zu mehreren Gemeinden hergestellte räumliche Zusammenhang noch nicht, sämtliche Betriebszweige als mehrgemeindliche i. S. des § 30 GewStG zu beurteilen.
Normenkette
GewStG § 30
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Stadt A (Beigeladene zu 2 und Revisionsklägerin) unterhielt einen Eigenbetrieb mit den Betriebszweigen Verkehrs- und Hafenbetrieb, Elektrizitäts-, Fernwärme-, Industriegas- und Wasserversorgung (Stadtwerke). Sitz der Geschäftsleitung war in A. Der Eigenbetrieb wurde 1983 in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Beigeladene zu 1) umgewandet.
Die im Betrieb der Stadtwerke beschäftigten Arbeitnehmer wohnten in A, B und C und anderen Umlandgemeinden. Der - defizitäre - Bereich Verkehrs- und Hafenbetrieb erstreckte sich allein auf das Stadtgebiet der A, die übrigen Leistungen wurden in unterschiedlichem Umfang u. a. in A, B und C angeboten. Das für die Bereiche Elektrizität, Fernwärme und Wasser vorhandene Leitungsnetz mit den bei den Abnehmern installierten Zählern erstreckte sich in unterschiedlichem Umfang auf die genannten Gemeinden. Die Elektrizität, die Fernwärme und das Gas wurden im allgemeinen in A erzeugt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zerlegte die jeweils für die Streitjahre 1976 bis 1983 festgesetzten Gewerbesteuermeßbeträge auf A, B und C, und zwar zuletzt in der Einspruchsentscheidung wie folgt: A erhielt vorweg einen Betrag für die Bereiche Gas, Wasser, Verkehr, Hafen und Energieerzeugung auf der Grundlage der hierauf jeweils entfallenden Arbeitslöhne. Im übrigen verteilte das FA den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag zu 50 % nach den für den Strom und die Fernwärme erzielten Umsätzen, zu 25 % nach dem Verhältnis der in den Gemeinden wohnenden Arbeitnehmern und zu 25 % nach dem Wiederbeschaffungswert der für die Elektrizität und die Fernwärme genutzten Betriebsanlagen.
Die gegen die Einspruchsentscheidung von B und C erhobenen und vom Finanzgericht (FG) verbundenen Klagen hatten im wesentlichen Erfolg. Das FG zerlegte den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag gemäß § 30 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG).
Die im finanzgerichtlichen Verfahren beigeladene Stadt A hat Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben, hilfsweise unter Aufhebung des Urteils, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Sie rügt Verletzung der §§ 28, 29 und 31 GewStG. Im Rahmen ihrer Begründung weist sie u. a. darauf hin, daß die einzelnen Betriebsteile der Steuerpflichtigen selbständig seien.
B und C widersprechen der Revisionsbegründung. C beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die aus steuerlichen Gründen von der Steuerpflichtigen durchgeführte Zusammenfassung des defizitären Hafen- und Verkehrsbetriebes mit dem ertragsreichen Versorgungsunternehmen müsse auch für die Zerlegung gelten. Anderenfalls könnte C bei der Zerlegung die Eliminierung der Verluste aus dem Hafen- und Verkehrsbetrieb verlangen.
Die Beigeladene zu 1 bestätigt die Auffassung der Revisionsklägerin, wonach von der Zweckbestimmung her gesehen fünf Betriebsstätten vorlägen. Das gelte auch, wenn aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gründen die allgemeinen Verwaltungsaufgaben zentral wahrgenommen würden. Auch sie ist der Auffassung, daß die ungleich höhere Belastung der Revisionsklägerin durch die Energieerzeugung berücksichtigt werden müsse.
Das FA teilt die von der Revisionsklägerin vorgetragene Auffassung. Zwischen den verschiedenen Betriebsstätten bestehe kein enger organisatorischer, wirtschaftlicher und technischer Zusammenhang. Lägen aber mehrere Betriebsstätten vor, von denen einzelne mehrgemeindlich seien, so erfolge die Zerlegung zunächst nach § 29 GewStG und anschließend, soweit sachlich eingreifend, nach § 30 GewStG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Nach § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG sind einheitliche Gewerbesteuermeßbeträge zu zerlegen, wenn zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden Betriebsstätten unterhalten werden oder wenn sich eine Betriebsstätte über mehrere Gemeinden erstreckt hat oder eine Betriebsstätte innerhalb eines Erhebungszeitraums von einer Gemeinde in eine andere Gemeinde verlegt worden ist. Die Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrages ist bei mehreren Betriebsstätten grundsätzlich anhand des Zerlegungsmaßstabs des § 29 GewStG durchzuführen. Besteht zwischen den in verschiedenen Gemeinden liegenden Betriebsanlagen, Geschäftseinrichtungen oder Teilen von ihnen allerdings ein räumlicher und betrieblicher, d. h. organisatorischer, technischer und wirtschaftlicher Zusammenhang, hat der Senat in ständiger Rechtsprechung eine einheitliche mehrgemeindliche Betriebsstätte angenommen, deren Gewerbesteuermeßbetrag nach den in § 30 GewStG vorgeschriebenen Kriterien zu zerlegen ist (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Februar 1974 I R 179/72, BFHE 112, 183, BStBl II 1974, 427; vom 10. Juli 1974 I R 54/72, BFHE 113, 123, BStBl II 1975, 42; vom 12. Oktober 1977 I R 227/75, BFHE 124, 65, BStBl II 1978, 160; BFH-Beschluß vom 25. September 1968 I B 118/65, BFHE 93, 476, BStBl II 1968, 827; vgl. auch Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 30 Rdnrn. 3, 4, m. w. N.; Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 30 GewStG Rdnr. 4 m. w. N.). Die für die Annahme einer einheitlichen Betriebsstätte notwendigen Merkmale müssen nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich kumulativ erfüllt sein (a. A. Glanegger / Güroff, Gewerbesteuergesetz, 2. Aufl., § 30 Rdnr. 2). Allerdings kann nach der Rechtsprechung des BFH für Unternehmen der Elektrizitätsversorgung und der Mineralölwirtschaft der räumliche Zusammenhang bei einer besonders engen, wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Verbindung in den Hintergrund treten (BFH in BFHE 124, 65, BStBl II 1978, 160, m. w. N.). Die Feststellung, ob und ggf. welche einzelnen Betriebsteile auf Grund der genannten Kriterien ein einheitliches Ganzes darstellen, obliegt dem FG. Da das Gesetz bei Vorhandensein mehrerer Betriebsstätten grundsätzlich den Zerlegungsmaßstab nach § 29 GewStG vorschreibt, bedarf es eingehender Untersuchung und Würdigung, ob sämtliche Betriebsanlagen eine einheitliche (mehrgemeindliche) Betriebsstätte bilden oder ob einzelne selbständige Betriebsstätten vorliegen, von denen ggf. nur einzelne mehrgemeindliche Betriebsstätten darstellen (vgl. auch BFH-Urteil vom 28. Oktober 1987 I R 275/83, BFHE 152, 138, BStBl II 1988, 292 II. Nr. 3 b, m. w. N.).
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht für die Zeit des Bestehens eines Eigenbetriebes aus der einheitlichen Gewinnermittlung für den ganzen Betrieb. Zwar hat der Senat in seiner Entscheidung vom 8. November 1989 I R 187/85 (BFHE 159, 52, BStBl II 1990, 242) die Zussammenfassung von Betrieben, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme dienen, mit Verkehrsbetrieben zu einem einheitlichen Betrieb gewerblicher Art zugelassen. Davon zu unterscheiden ist aber die andersartige Frage, ob dieser Betrieb gewerblicher Art eine einheitliche Betriebsstätte i. S. des § 28 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 30 GewStG ist oder mehrere selbständige Betriebsstätten i. S. des § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 29 GewStG hat.
Von der Prüfung der tatsächlichen räumlichen und betrieblichen Verhältnisse kann auch nicht auf Grund einer einvernehmlichen Verständigung der Beteiligten nach § 33 Abs. 2 GewStG oder auf Grund der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur ,,tatsächlichen Verständigung" abgesehen werden (vgl. BFH-Urteile vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354; vom 5. Oktober 1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl II 1991, 86; vom 6. Februar 1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673). Feststellungen des FG über eine solche Einigung liegen nicht vor.
Da das FG keine Feststellungen zur räumlichen und betrieblichen Verflechtung der einzelnen Betriebsanlagen untereinander getroffen hat, ist die Entscheidung aufzuheben.
Das FG wird feststellen müssen, welche Betriebsstätten i. S. des § 16 des Steueranpassungsgesetzes bzw. des § 12 der Abgabenordnung 1977 die Steuerpflichtige in den Streitjahren unterhalten hat und welche dieser Betriebsstätten untereinander in einem räumlichen, organisatorischen, technischen und wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, daß ein beispielsweise durch Stromleitungen hergestellter räumlicher Zusammenhang zunächst nur die entsprechenden Betriebsstätten der Elektrizitätsunternehmen räumlich verbindet. Entsprechendes gilt für die durch Gas-, Wasser- oder Fernwärmeleitungen hergestellten räumlichen Zusammenhänge. Auf den Beschluß des Senats vom 2. November 1960 I B 31/59 U (BFHE 72, 17, BStBl III 1961, 8) wird insoweit hingewiesen. Sollte aufgrund der noch zu treffenden Feststellungen eine alle Betriebszweige der Steuerpflichtigen umfassende einheitliche Betriebsstätte anzunehmen sein, so bestehen gegen die vom FG in seinem Urteil angewandten Zerlegungsmaßstäbe keine Bedenken.
Fundstellen
Haufe-Index 418314 |
BFH/NV 1992, 766 |