Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzug von Schulden bei Vermögenslosigkeit des Schuldners
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BewG sind Schulden mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Der Umstand der Vermögenslosigkeit des Schuldners rechtfertigt es im Allgemeinen nicht, die Schulden nicht oder nur mit einem geringeren Wert anzusetzen.
2. Die Schulden sind unabhängig davon abzuziehen, dass sie uneinbringlichen und damit nach § 12 Abs. 2 BewG nicht anzusetzenden Forderungen der Gläubiger entsprechen. § 12 Abs. 2 BewG gilt ausdrücklich nur für Forderungen, nicht jedoch für die entsprechenden Schulden.
Normenkette
BewG § 12 Abs. 1-2, § 118 Abs. 1 Nr. 1, § 119 Abs. 1; VStG § 14 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten und wurden zu den maßgeblichen Stichtagen zusammen zur Vermögensteuer veranlagt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) setzte gegen die Kläger
auf den 1. Januar 1991 nach einem Gesamtvermögen der Kläger von 3 646 561 DM Vermögensteuer in Höhe von 17 530 DM (Änderungsbescheid vom 10. Oktober 1996),
auf den 1. Januar 1992 nach einem Gesamtvermögen der Kläger von 5 037 103 DM Vermögensteuer in Höhe von 24 485 DM (Bescheid vom 14. Februar 1996),
auf den 1. Januar 1994 nach einem Gesamtvermögen der Kläger von 4 117 026 DM Vermögensteuer in Höhe von 19 385 DM (Bescheid vom 21. Mai 1996)
und auf den 1. Januar 1995 nach einem Gesamtvermögen der Kläger von 961 179 DM Vermögensteuer in Höhe von 3 355 DM (Bescheid vom 13. Juni 1996)
fest. Hierbei berücksichtigte es nur das (insgesamt positive) Vermögen des Klägers zu 1, nicht jedoch Schulden der im Übrigen vermögenslosen, im Jahre 1924 geborenen Klägerin zu 2. Diese Schulden stammen aus einem Konkurs der A-OHG im Jahre 1987, an der die Klägerin zu 2 als Gesellschafterin zu 50 v.H. beteiligt war. Die Gläubiger der OHG haben Forderungen in einer Gesamthöhe von 14 919 894 DM zur Konkurstabelle angemeldet. In der Zeit nach dem Konkurs der OHG haben eine Vielzahl von Gläubigern die Klägerin zur Zahlung von insgesamt 714 033,99 DM aufgefordert. Der Kläger zu 1 hat diese Forderungen teils bezahlt, teils gelang es ihm, die Forderungen im Vergleichswege zum Erlöschen zu bringen. Die unmittelbar bei der Klägerin zu 2 geltend gemachten Forderungen betrugen
zum 1. Januar 1991 714 033,99 DM
zum 1. Januar 1992 714 033,99 DM
zum 1. Januar 1994 630 501,38 DM und
zum 1. Januar 1995 625 701,38 DM.
Mit ihren Einsprüchen und ihrer Klage gegen die Vermögensteuerbescheide beantragten die Kläger zunächst, bei der Ermittlung des Gesamtvermögens 50 v.H. aller von den Gläubigern der OHG zur Konkurstabelle angemeldeten Forderungen (7 452 439 DM) als Schulden der Klägerin zu 2 abzuziehen und die Vermögensteuer zu allen Stichtagen auf 0 DM festzusetzen. Im Laufe des Klageverfahrens ermäßigten die Kläger ihr Klagebegehren und beantragten nur noch, bei der Vermögensteuerveranlagung auf den 1. Januar 1991 und 1992 Schulden der Klägerin zu 2 in Höhe von jeweils 1 014 034 DM und auf den 1. Januar 1994 in Höhe von 930 502 DM zu berücksichtigen sowie die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1995 auf 0 DM festzusetzen. Zur Begründung verwiesen die Kläger auf die seitens der Konkursgläubiger unmittelbar bei der Klägerin geltend gemachten Forderungen und vertraten die Auffassung, es sei an den streitigen Stichtagen damit zu rechnen gewesen, dass von verschiedenen Gläubigern noch weitere Forderungen in Höhe von mindestens 300 000 DM ―möglicherweise mit Erfolg― geltend gemacht würden.
Das Finanzgericht (FG) hat dem ermäßigten Klageantrag der Kläger stattgegeben und die Steuerfestsetzungen entsprechend geändert. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1003 veröffentlichten Urteil führt das FG aus, die Schulden stellten für die Klägerin zu 2 zumindest in der nunmehr geltend gemachten Höhe eine tatsächliche und wirtschaftliche Belastung dar. Die Klägerin zu 2 habe mit einer Inanspruchnahme durch die Gläubiger rechnen müssen.
Mit der Revision rügt das FA die unzutreffende Anwendung von § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) sowie des § 118 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG). Die Schulden seien nur dann vermögensmindernd zu berücksichtigen, wenn der Schuldner bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise mit der Geltendmachung der Forderung am Stichtag ernsthaft zu rechnen habe. Könne der Schuldner jedoch am Stichtag davon ausgehen, die Verbindlichkeit nicht mehr erfüllen zu müssen, so stelle diese ungeachtet ihrer rechtlichen Existenz für ihn keine wirtschaftliche Belastung dar. Die Konkursforderungen der Gläubiger belasteten die vermögenslose Klägerin zu 2 wirtschaftlich nicht, weil angesichts ihres fortgeschrittenen Alters und ihrer angegriffenen Gesundheit nicht damit zu rechnen gewesen sei, dass sie jemals wieder in der Lage sein werde, aus eigener Kraft die Verbindlichkeiten zu tilgen.
Das FA beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 12. Dezember 2000 1 K 889/97 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Das FG hat ohne Rechtsverstoß erkannt, dass die Konkursschulden der Klägerin zu 2 in der im Urteil berücksichtigten Höhe bei den Vermögensteuersteuerveranlagungen für die Streitjahre vom Rohvermögen der Kläger abzuziehen sind.
Nach dem früheren § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG sind zur Ermittlung des Werts des Gesamtvermögens von dem Rohvermögen u.a. solche Schulden abzuziehen, die nicht bereits bei der Ermittlung des Rohvermögens, also im Rahmen der Feststellung des Werts des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens, des Grundvermögens oder des Betriebsvermögens berücksichtigt wurden. Abzuziehen sind danach insbesondere Schulden, die ―was vorliegend der Fall ist― dem sonstigen Vermögen zuzurechnen sind.
Voraussetzung für den Abzug ist, dass die Schuld am jeweiligen Stichtag zivil- oder öffentlich-rechtlich entstanden und noch nicht erloschen war (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. Mai 1971 III R 52/68, BFHE 102, 292, BStBl II 1971, 583). Auch dieses Merkmal liegt im Streitfall vor. Nach den Feststellungen des FG haftet die Klägerin für die Hälfte der Konkursschulden der früheren OHG, an der sie ―persönlich haftend― zu 50 v.H. beteiligt war.
Ferner wird in ständiger Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteile vom 7. Mai 1971 III R 53/70, BFHE 102, 553, BStBl II 1971, 681; vom 10. Mai 1972 III R 83/71, BFHE 106, 96, BStBl II 1972, 688; vom 18. September 1975 III R 76/74, BFHE 117, 263, BStBl II 1976, 87, und vom 8. Dezember 1993 II R 118/89, BFHE 173, 82, BStBl II 1994, 216; vgl. Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 118 BewG Anm. 12) der Schuldabzug auch davon abhängig gemacht, dass die Schuld für den Steuerpflichtigen eine wirtschaftliche Belastung darstellt (zuletzt zu § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes ―ErbStG― BFH-Urteil vom 24. März 1999 II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339 und die dortigen umfangreichen Nachweise). An einer wirtschaftlichen Belastung fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse angenommen werden kann, dass der Gläubiger seine Forderung nicht geltend machen wird (BFHE 102, 553, BStBl II 1971, 681, sowie BFH-Urteil vom 12. Dezember 1975 III R 32/74, BFHE 117, 497, BStBl II 1976, 209, sowie Gürsching/Stenger, a.a.O., § 118 BewG Anm. 12).
Die Annahme, die Konkursgläubiger würden ihre Forderungen gegenüber der Klägerin zu 2 nicht geltend machen, ist zumindest in Höhe der vom FG berücksichtigten Schulden nicht zu rechtfertigen. Der Annahme des FA widerspricht schon allein der Umstand, dass eine Vielzahl von Gläubigern tatsächlich ihre Forderungen unmittelbar gegenüber der Klägerin geltend gemacht hat. Zumindest in Höhe der tatsächlich geltend gemachten Forderungen gibt es keinen Ansatzpunkt dafür, unter dem Gesichtspunkt der "wirtschaftlichen Belastung" den Schuldenabzug zu versagen. Das FG hat ferner auch bezüglich der darüber hinaus berücksichtigten Schulden in Höhe von 300 000 DM rechtsfehlerfrei die Gesamtumstände gewürdigt und auch insoweit eine tatsächliche und wirtschaftliche Belastung der Klägerin angenommen. Die Klägerin konnte an den streitigen Stichtagen nicht davon ausgehen, alle übrigen Konkursgläubiger würden ihre Forderungen nicht mehr geltend machen.
Nach der gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 VStG zwingend vorgeschriebenen Zusammenveranlagung von Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben, sind grundsätzlich die gesamten Schulden beider Ehegatten vom gesamten Rohvermögen abzuziehen (so schon Urteil des Reichsfinanzhofs ―RFH― vom 30. Oktober 1941 III 44/41, RStBl 1942, 87) und ist ―wie es dem Prinzip der Veranlagungsgemeinschaft entspricht― ein gemeinsames Gesamtvermögen zu bilden (vgl. den früheren § 119 Abs. 1 BewG).
Die Bewertung der danach dem Grunde nach bei der Ermittlung des gemeinsamen Gesamtvermögens zu berücksichtigenden Schulden der Klägerin zu 2 richtet sich nach § 12 BewG. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 sind Schulden mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Derartige besondere Umstände liegen im Streitfall nicht vor. Insbesondere der Umstand der Vermögenslosigkeit der Klägerin zu 2 rechtfertigt es nicht, die Schulden ―soweit sie vom FG zum Abzug zugelassen wurden― nicht oder nur mit einem geringeren Wert anzusetzen. Denn auch solchen Schulden, denen am jeweiligen Stichtag keine Vermögenswerte des Schuldners gegenüberstehen, "liegen regelmäßig als eine Last auf seinem wirtschaftlichen Dasein, hemmen seine Entschließungen und zerstören ihm sich sonst bietende Möglichkeiten für eine wirtschaftliche Besserung, solange sie nicht durch einen Verzicht des Gläubigers auch rechtlich völlig beseitigt sind" (RFH-Urteil in RStBl 1942, 87).
Ob möglicherweise etwas anderes gilt, wenn "der Schuldner nach seiner und seiner Gläubiger Überzeugung niemals wieder Vermögen erlangen wird und sein Leben bis ans Ende in größter Einschränkung führen muss", wie der RFH in seinem o.g. Urteil in RStBl 1942, 87 ausführt, kann im Streitfall offen bleiben. Denn ein solcher Fall liegt hier erkennbar nicht vor. Es mag sein, dass die Klägerin zu 2 objektiv nicht in der Lage sein wird, alle Schulden zurückzuzahlen. Der Umstand jedoch, dass die Gläubiger Forderungen bei der Klägerin zu 2 geltend gemacht haben und die Klägerin zu 2 mit Hilfe des Klägers zu 1 Schulden zurückbezahlt bzw. im Vergleichswege zum Erlöschen gebracht hat, spricht hier gegen die Annahme, die Gläubiger hätten sich mit der Vermögenslosigkeit der Klägerin zu 2 abgefunden.
Die Schulden sind auch unabhängig davon abzuziehen, dass sie uneinbringlichen und damit nach § 12 Abs. 2 BewG nicht anzusetzenden Forderungen der Konkursgläubiger entsprechen (bereits RFH-Urteil in RStBl 1942, 87); denn Forderung und Schuld müssen sich bei der Bewertung nicht unbedingt decken. § 12 Abs. 2 BewG gilt ausdrücklich nur für Forderungen, nicht jedoch für die entsprechenden Schulden. Ein Schuldner ist berechtigt, seine Schuld auch dann mit dem vollen Betrag anzusetzen, wenn der Gläubiger seine Forderung als uneinbringlich oder nur teilweise einbringlich ansieht und sie deshalb ganz außer Ansatz lässt oder unter dem Nennwert ansetzt (Gürsching/Stenger, a.a.O., § 12 BewG Anm. 100; Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Stand 2/2002, § 12 BewG Anm. 19).
Fundstellen
Haufe-Index 937948 |
BFH/NV 2003, 966 |
BStBl II 2003, 561 |
BFHE 2003, 531 |
BFHE 201, 531 |
BB 2003, 1271 |
DB 2003, 1995 |
DStRE 2003, 871 |
HFR 2003, 763 |