Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Betriebsübernehmers
Leitsatz (NV)
1. Für die Anwendbarkeit der Haftungsvorschrift des § 116 AO reicht es aus, wenn die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens nur im wirtschaftlichen Sinn übereignet werden, also ein eigentümerähnliches Herrschaftsverhältnis an den sachlichen Grundlagen des Unternehmens auf einen Erwerber übergeht.
2. Es genügt, wenn der Veräußerer dem Erwerber die Möglichkeit verschafft, über die dem Betrieb des Unternehmens dienenden Mieträume einen neuen Mietvertrag abzuschließen.
3. Auch wenn der übertragene Maschinenpark im Sicherungseigentum des Lieferanten steht, bleibt das wirtschaftliche Eigentum in der Hand des Besitzers.
Normenkette
AO § 116
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Einzelfirma L betrieb bis zum 31. März 1976 ein Tiefbauunternehmen. Am 22. März 1976 wurde die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, gegründet. Komplementärin dieser KG ist die L-GmbH. KG und GmbH haben ihren Geschäftsbetrieb am 1. April 1976 aufgenommen. Geschäftsführer der GmbH war L. Die KG führte die von der Einzelfirma vor der Einstellung angenommenen Aufträge aus bzw. fort. Die von der Firma A-Maschinengroßhandel an die Einzelfirma gelieferten, aber noch nicht bezahlten Maschinen wurden im März 1976 wegen der Betriebsaufgabe der Einzelfirma zum Preis der noch nicht eingelösten Wechsel zurückgenommen und im gleichen Zuge zum Rücknahmepreis an die KG geliefert. Wegen der bei der Einzelfirma bestehenden Steuerrückstände (Umsatzsteuer 1-3/75, 7/75, 9/75 bis 3/76, Lohn- und Lohnkirchensteuer 12/74, 2-6/75, 11/75 bis 2/76, Ergänzungsabgabe 12/74) in einer Gesamthöhe von 227 520,89 DM nahm das FA die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 18. August 1976 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 5. Januar 1978 als Haftende nach § 116 der Reichsabgabenordnung (AO) in Anspruch. Die Klage hatte keinen Erfolg.
Im Falle der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Klägerin wäre das Verfahren unterbrochen worden (§ 155 FGO i.V.m. § 240 ZPO). Nach Mitteilung der Klägerin ist es jedoch zu einer Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse nicht gekommen. Eine Unterbrechung des Verfahrens ist daher nicht eingetreten. Auch der Umstand, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nach Einlegung und Begründung der Revision das Mandat niedergelegt hat und ein neuer Prozeßbevollmächtigter bisher nicht bestellt worden ist, hindert den Fortgang des Verfahrens nicht (vgl. § 244 ZPO). Der Senat ist daher gehalten, in der Sache zu entscheiden. Da auf mündliche Verhandlung verzichtet worden ist, kann der Senat ohne eine solche entscheiden (§ 121 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Tatbestand, auf den der angefochtene Haftungsbescheid gestützt ist, ist 1976 verwirklicht worden. Die Frage, ob die Klägerin zu Recht als Haftende in Anspruch genommen worden ist, ist somit noch nach den Vorschriften der AO zu entscheiden (Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -).
Für den Fall, daß ein Unternehmen im ganzen übereignet wird, schreibt § 116 AO vor, daß der Erwerber neben dem Unternehmer für Steuern haftet, bei denen - in bestimmtem zeitlichen Rahmen - die Steuerpflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bedeutet die Übereignung eines Unternehmens im ganzen im Sinne des § 116 Abs. 1 AO den Übergang des gesamten lebenden Unternehmens, d. h. der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so daß der Übernehmer das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann. § 116 AO verwendet dabei den Begriff ,,übereignet" in einer gegenüber dem bürgerlichen Recht erweiterten Bedeutung. Es genügt daher, wenn die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens nur im wirtschaftlichen Sinn übereignet werden, wenn also ein eigentümerähnliches Herrschaftsverhältnis an den sachlichen Grundlagen des Unternehmens auf einen Erwerber übergegangen ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27. November 1979 VII R 12/79, BFHE 129, 293, BStBl II 1980, 258, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift im vorliegenden Fall erfüllt sind. Dem FG sind in der Rechtsanwendung keine Fehler unterlaufen. Seine tatsächlichen Feststellungen sind für den erkennenden Senat bindend, da in bezug auf sie keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgetragen worden sind (§ 118 Abs. 2 FGO).
Die wesentlichen Grundlagen des Tiefbauunternehmens der Einzelfirma bestanden in seinem Maschinenpark, dem Geschäftslokal, von dem aus das Unternehmen betrieben worden ist, sowie aus seinen Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern. Nach den Feststellungen des FG sind diese sachlichen Grundlagen des Unternehmens im wesentlichen auf die Klägerin übertragen worden.
Das Herrschaftsverhältnis am Maschinenpark der Einzelfirma ist nach den Feststellungen des FG unter Mitwirkung des Inhabers dieser Firma, der auch Geschäftsführer der Klägerin ist, auf die Klägerin übergegangen. Daran ändert nichts, daß der Maschinenpark im Sicherungseigentum der Lieferanten stand; denn das wirtschaftliche Eigentum bleibt auch in einem solchen Fall in der Hand des Besitzers (vgl. BFH-Urteile vom 25. August 1960 V 190/58, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961, 256; vom 11. Juli 1963 V 208/60, HFR 1963, 414, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 21, und vom 20. Juli 1967 V 240/64, BFHE 89, 466, BStBl III 1967, 684).
Dem Umstand, daß die Lieferanten die Maschinen zunächst zurückgenommen und dann an die Klägerin veräußert haben, hat das FG zu Recht keine Bedeutung beigemessen. Es kommt, wie oben ausgeführt, darauf an, ob das Herrschaftsverhältnis an den Maschinen im wirtschaftlichen Sinn von der Einzelfirma auf die Klägerin übergegangen ist. Von dieser Rechtsauffassung ist auch das FG ausgegangen. An seine tatsächlichen Feststellungen in diesem Zusammenhang ist der erkennende Senat gebunden. Soweit die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung die Tatsachen anders würdigt bzw. eine andere Sachverhaltsdarstellung gibt, kann sie damit in der Revisionsinstanz nicht gehört werden.
Der Betrieb der Klägerin wird nach den Feststellungen des FG von den gleichen Räumen aus geführt, die im Besitz der Einzelfirma waren. Der Inhaber der Einzelfirma hat nach den Feststellungen des FG das Erforderliche getan, um der Klägerin die Fortführung des Tiefbauunternehmens zu ermöglichen. Es ist daher auch insoweit von einem Übergang einer der sachlichen Grundlagen der Einzelfirma auf die Klägerin auszugehen. Im Gegensatz zur Auffassung der Revision ist es ohne Bedeutung, daß diese Räume von der Klägerin nur gemietet worden sind. Für die Anwendbarkeit des § 116 AO genügt es, wenn der Veräußerer dem Erwerber die Möglichkeit verschafft, über die dem Betriebe des Unternehmens dienenden Mieträume einen neuen Mietvertrag abzuschließen (vgl. BFH-Urteile in HFR 1961, 256, und vom 6. September 1962 V 198/59, HFR 1963, 87).
Auch die restlichen sachlichen Grundlagen des Unternehmens der Einzelfirma sind im wesentlichen auf die Klägerin übergegangen. Diese hat nach den Feststellungen des FG die Aufträge aus- bzw. fortgeführt, die die Einzelfirma angenommen hatte. Sie hat auch einen Teil der Arbeitnehmer der Einzelfirma nach den Feststellungen des FG wieder eingestellt. Damit sind auch insoweit die wesentlichen sachlichen Grundlagen der Einzelfirma als auf die Klägerin übereignet anzusehen. Daß die Klägerin nicht sämtliche Aufträge und auch nicht sämtliche Arbeitnehmer der Einzelfirma übernommen hat, hat das FG zu Recht außer acht gelassen. Es kommt lediglich darauf an, daß die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens der Einzelfirma auf die Klägerin übergegangen sind. Das aber war hier nach den Feststellungen des FG der Fall.
Fundstellen
Haufe-Index 413890 |
BFH/NV 1986, 64 |