Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitrittsgebiet: Wechsel der Gewinnermittlungsart; Akkumulationsrücklage; Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (NV)
1. Die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist wirkt nur für denjenigen, der sie beantragt hat.
2. Geht ein Steuerpflichtiger im Beitrittsgebiet zum 1. Juli 1990 von der sog. qualifizierten Einnahme-Überschußrechnung zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG DDR 1970/1990 über, so ist zur Vermeidung einer Mehrfachbesteuerung sein Materialbestand zum 30. Juni 1990 bei Ermittlung seines Gewinns für das 1. Halbjahr 1990 abzusetzen.
3. Wurde ein Steuerpflichtiger zum 1. Juli 1990 gewerbesteuerpflichtig, so scheidet eine Korrektur nach Leitsatz 2 mangels mehrfacher gewerbesteuerlicher Belastung aus.
4. Die sog. Akkumulationsrücklage (§ 3 Abs. 2 StÄndG DDR) ist auch bei Ermittlung des Gewerbeertrags zu berücksichtigen (Anschluß an BFH-Urteil vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813; Bestätigung des BFH- Urteils vom 16. März 1994 I R 146/93, BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941).
5. Macht der Steuerpflichtige eine Akkumulationsrücklage bei der Ermittlung seines gewerblichen Gewinns geltend, so ist Bemessungsgrundlage für die Rücklage der Gewinn. Verluste aus Vermietung und Verpachtung können nicht rücklagemindernd berücksichtigt werden.
Normenkette
Hdw BestG-DDR § 4; EStG DDR 1970/1990 § 4 Abs. 3; DMBilG §§ 51, 53; StÄndG DDR § 3 Abs. 2; FGO § 120 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb im Streitjahr 1990 einen Handwerksbetrieb in Thüringen. Seinen Gewinn für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 1990 ermittelte er anhand einer sog. qualifizierten Einnahme- Überschuß-Rechnung als Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben unter Berücksichtigung von Änderungen im Bestand an Material, Halbfertig- und Fertigerzeugnissen sowie Forderungen in Höhe von insgesamt 14 428 M (§ 4 des Gesetzes über die Besteuerung der Handwerker vom 16. März 1966 -- HandwStG --, Gesetzblatt -- GBl -- DDR I 1966, 71). Den Gewinn für das zweite Halbjahr 1990 ermittelte er gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes 1970 i. d. F. des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Rechtsvorschriften bei Einführung der Währungsunion mit der Bundesrepublik Deutschland -- Steueranpassungsgesetz -- (EStG DDR 1970/1990) und minderte den danach errechneten Gewinn um seinen am 1. Juli 1990 vorhandenen Materialbestand, den er gemäß § 7 des D-Markbilanzgesetzes (DMBilG) mit 18 865 DM neu bewertete. Ferner bildete er eine Akkumulationsrücklage gemäß § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschafts- und Vermögensteuer (Steueränderungsgesetz -- StÄndG DDR --) vom 6. März 1990 (GBl DDR I 1990, 136) in Höhe von 2 610 M/DM, was 20 % des erklärten Jahresgewinnes 1990 entsprach.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) korrigierte diese Gewinnermittlung unter Berücksichtigung der Rdnr. 6 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 17. Juni 1991 IV B 2 -- S 1901 -- 96/91 (BStBl I 1991, 598) dergestalt, daß er ausschließlich den Gewinn des ersten Halbjahres 1990 um den hinzugerechneten Materialbestand in Höhe von 14 428 M kürzte und für das zweite Halbjahr 1990 den unkorrigierten Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben der Besteuerung zugrunde legte. Daraus ergab sich für das erste Halbjahr 1990 ein Verlust in Höhe von ./. 3 047 M und für das zweite Halbjahr ein Gewinn in Höhe von 20 536 DM. Das FA berücksichtigte ferner bei Ermittlung der Einkommensteuer, nicht aber der Gewerbesteuer, eine Akkumulationsrücklage in Höhe von 3 124 DM.
Gegen den Steuerbescheid wurde nur namens des Klägers Einspruch eingelegt, der keinen Erfolg hatte. Die Einspruchsentscheidung war gerichtet an den Kläger und dessen Ehefrau (Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte -- Klägerin --).
Die hiergegen von den Klägern erhobene Klage hatte insoweit Erfolg, als die Einspruchsentscheidung, soweit sie sich an die Klägerin richtete, aufgehoben wurde und das FA angewiesen wurde, bei der Gewinnermittlung für das erste Halbjahr 1990 den Materialbestand in Mark hinzuzurechnen und bei der Gewinnermittlung für das zweite Halbjahr 1990 einen Betrag in gleicher Höhe in DM abzuziehen.
Die Kläger und das FA haben Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist gemäß § 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lief für alle Beteiligten regulär am 28. April 1994 ab. Das FA beantragte mit Schriftsatz vom 14. März 1994 Fristverlängerung zur Abgabe der Revisionsbegründung bis zum 30. Mai 1994. Dem Antrag wurde stattgegegeben. Alle Beteiligten wurden über die Fristverlängerung informiert. Die Kläger beantragten mit Schriftsatz vom 11. April 1994, die Begründungsfrist "um weitere zwei Wochen bis zum 14. Juni 1994 zu verlängern". Dieser Schriftsatz wurde dem FA mit dem Hinweis zugestellt: "Die Frist ist bis 14. Juni 1994 verlängert worden." Die Revisionsbegründung der Kläger ging am 9. Juni 1994, die des FA am 10. Juni 1994 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Mit Schreiben vom 13. Juni 1994 wurde das FA auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung hingewiesen. Das FA beantragt mit Schriftsatz vom 23. Juni 1994 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es habe ohne Verschulden die von den Klägern beantragte und gewährte Fristverlängerung bis zum 14. Juni 1994 auch auf sich beziehen können. Die vom FA beantragte Fristverlängerung habe ebenfalls für die Kläger gegolten. Die Kläger hätten dies jedenfalls so gesehen, weil sie im Schriftsatz vom 11. April 1994 um eine "weitere" Fristverlängerung gebeten hätten, ohne selbst vorher einen Fristverlängerungsantrag gestellt zu haben. Dem Schreiben der Geschäftsstelle des I. Senats sei nicht eindeutig zu entnehmen, wessen Revisionsbegründungsfrist verlängert worden sei. Für den Fall der Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags schließe sich das FA der Revision der Kläger an.
Die Kläger beantragen, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und "die Einkommen- und Gewerbesteuer des Jahres 1990 unter Berücksichtigung folgender Punkte festzusetzen:
1. Die wegen des Wechsels der Gewinnermittlung nach § 4 HandwStG zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG DDR 1970/1990 notwendigen Korrekturen bzgl. des Materialbestandes seien zum 1. 7. 1990 und nicht zum 30. 6. 1990 durchzuführen.
2. Der Materialbestand sei mit 18 865 DM zu bewerten.
3. Hilfsweise wird beantragt; den Gewerbeertrag um den Wert des Materialbestandes gemäß Erlaß des FinMin Thüringen vom 11. 1. 1993 -- G 1351 A -- 03-- 2.06 zu mindern.
4. Die Akkumulationsrücklage sei bei der Ermittlung der Gewerbesteuerbemessungsgrundlage abzuziehen."
Das FA beantragt, die Revision der Kläger zurückzuweisen, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision der Klägerin ist mangels Beschwer unzulässig. Das FG hat der Klage der Klägerin in vollem Umfang durch Aufhebung der Einspruchsentscheidung stattgegeben. Damit ist für die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis für die Revision entfallen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 3. Juni 1976 IV R 236/71, BFHE 120, 348, BStBl II 1977, 62).
B. 1. Die Revision des FA ist unzulässig, weil die Revisionsbegründung nach Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Frist beim BFH eingegangen ist.
a) Gemäß § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Frist für die Revisionsbegründung kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats verlängert werden.
Die Revisionsbegründungsfrist ist für das FA am 30. Mai 1994 abgelaufen. Der Revisionsbegründungsschriftsatz ist am 10. Juni 1994 und damit verspätet beim BFH eingegangen. Die Tatsache, daß auf Antrag der Kläger die Revisionsbegründungsfrist bis zum 14. Juni 1994 verlängert worden ist, wirkt nicht zugunsten des FA. Die Verlängerung wirkt bei mehreren Revisionsklägern jeweils nur für den, der sie beantragt hat (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 28. März 1956 II C 63.55, BVerwGE 3, 233; Beschluß des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 15. März 1990 VII ZB 4/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1990, 523; Urteil des Bundessozialgerichts -- BSG -- vom 16. Dezember 1970 2 RU 239/68, BSGE 32, 169; BFH-Urteil vom 11. November 1987 I R 179/82, nicht veröffentlicht -- NV --; BFH-Urteil vom 17. März 1982 II R 224/81, NV; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Rdnr. 26; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 120 FGO Tz. 43).
b) Eine Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist gemäß § 56 FGO scheidet aus.
Kläger und Beklagter sind Gegner des gerichtlichen Verfahrens und insbesondere keine notwendige Streitgenossenschaft (§ 155 FGO i. V. m. § 62 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --), so daß das FA nicht ungeprüft davon ausgehen durfte, daß der von den Klägern gestellte Fristverlängerungsantrag auch ihm gegenüber gelte. Eine schuldlose Fristversäumnis läßt sich auch nicht mit dem Hinweis begründen, daß die Geschäftsstelle des Senats das FA von der Fristverlängerung in Kenntnis gesetzt habe. Das einschlägige Schreiben hat folgenden Wortlaut: "Beiliegende Abschrift übersende ich mit der Bitte um Kenntnisnahme. Die Frist ist bis zum 14. Juni 1994 verlängert worden." Die beiliegende Abschrift war der Fristverlängerungsantrag der Kläger, so daß das FA aus dem Zusammenhang erkennen mußte, daß die Fristverlängerung im Zusammenhang mit dem von den Klägern gestellten Antrag stand. Unerheblich ist, daß die Kläger selbst möglicherweise ebenfalls davon ausgingen, daß die auf Antrag des FA verlängerte Frist auch ihnen gegenüber gegolten habe.
2. Das FA hat jedoch mit Schriftsatz vom 23. Juni 1994, eingegangen beim BFH am 29. Juni 1994, wirksam Anschlußrevision gemäß § 155 FGO i. V. m. § 556 ZPO eingelegt (vgl. Gräber/Ruban, a. a. O., § 120 Rdnr. 45 m. w. N.).
C. Die Revision des Klägers ist nur zu einem geringen Teil begründet.
1. a) Mit dem Urteil vom 30. März 1994 I R 124/93 (BFHE 175, 46, BStBl II 1994, 852) hat der Senat entschieden, daß nach den von der Rechtsprechung zum Wechsel der Gewinnermittlungsart entwickelten Grundsätzen zwar eine doppelte Erfassung steuerrelevanter Geschäftsvorfälle zu korrigieren ist, die Korrektur aber nur insoweit reicht, als eine doppelte Besteuerung eintritt. Da im Streitfall ohne Gewinnkorrektur nur in Höhe des Materialbestandes zum 30. Juni 1990 (14 428 M) eine zweifache Besteuerung vorläge, kann der der Einkommensteuer zugrundeliegende Gesamtgewinn 1990 nur in dieser Höhe und nicht in Höhe des neubewerteten Materialbestandes (18 865 DM) korrigiert werden.
Der Senat verkennt nicht, wie dem Urteil vom 30. März 1994 zu entnehmen ist, daß durch den begrenzten Anwendungsbereich des § 51 DMBilG bilanzierende und nichtbilanzierende Steuerpflichtige ungleich behandelt werden, weil sich der Totalgewinn ab dem 1. Juli 1990 jeweils durch die Differenz zwischen Altwert zum 30. Juni 1990 und Neuwert zum 1. Juli 1990 unterscheidet. Das Gesetz sieht insoweit keine Totalgewinngleichheit vor. Im übrigen bleibt ergänzend darauf hinzuweisen, daß sich einerseits auch nach bundesdeutschem Recht eine Totalgewinngleichheit noch nicht in vollem Umfang durchgesetzt hat (vgl. z. B. kein gewillkürtes Betriebsvermögen beim Nichtbilanzierenden; z. B. BFH- Urteil vom 21. Mai 1987 IV R 80/85, BFHE 150, 342, BStBl II 1987, 710; vgl. auch BFH-Urteil vom 22. September 1993 X R 37/91, BFHE 172, 354, BStBl II 1994, 172, m. w. N.) und andererseits auch das DDR-Recht eine solche nicht kannte (vgl. z. B. § 4 Abs. 3 EStG DDR).
Eine Totalgewinngleichheit ist für Fälle der vorliegenden Art aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten. Auf die Ausführungen des Senats in BFHE 175, 46, BStBl II 1994, 852 wird Bezug genommen. Hinzu kommt, daß es sich hier um ein einmaliges, durch die Wiedervereinigung eingetretenes Übergangsproblem handelt, sich ein Absehen von einer zwangsweisen Neubewertung zum 1. Juli 1990 kostengünstig für die in der Regel kleineren Betriebe auswirkt, und die vom Senat bestätigte Verwaltungshandhabung bei einem niedrigeren Zeitwert zum 1. Juli 1990 auch steuerlich günstigere Folgen für den Steuerpflichtigen haben kann.
b) Etwas anderes kann sich auch nicht nach Einlagegrundsätzen ergeben, die das FG im Grundsatz angewendet wissen möchte.
Zwar können auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG DDR 1970/1990 mit dem Teilwert anzusetzende Einlagen (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG DDR 1970/1990) den Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben mindern (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 22. Januar 1980 VIII R 74/77, BFHE 129, 485, BStBl II 1980, 244 m. w. N.; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 4 Anm. 56a; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 4 D 194 m. w. N.). Der Kläger hat jedoch zum 1. Juli 1990 den Materialbestand nicht in seinen Betrieb eingelegt. Einlagen sind nur solche Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige dem Betrieb im Laufe des Wirtschaftsjahres zugeführt hat (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG DDR 1970/1990). Zugeführt in diesem Sinn werden Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige ursprünglich in seinem Privatvermögen, gegebenenfalls auch in einem anderen Betriebsvermögen hatte. Die Anschaffung durch den Betrieb selbst ist jedenfalls keine Zuführung i. S. des § 4 Abs. 3 Satz 5 EStG DDR 1970/1990. Wertsteigerungen, die im Betriebsvermögen des Betriebs eintreten, sind betrieblich veranlaßt, der Gewinn bedarf insoweit keiner Korrektur (vgl. zum Sinn und Zweck der Einlage insbesondere auch Beschluß des Großen Senats des BFH vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348). Unabhängig hiervon wäre der "eingelegte" Materialbestand gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG DDR 1970/1990 nicht mit dem Teilwert, sondern mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen, so daß auch aus diesem Grund eine Gewinnkorrektur in Höhe von 18 865 DM ausscheidet.
Der Einlagenbegriff des Einkommensteuergesetzes gilt gemäß § 7 des Gewerbesteuergesetzes vom 18. September 1970 -- GewStG DDR -- (GBl DDR Sonderdruck, 672) grundsätzlich auch für die Gewerbesteuer. Der Senat kann dahingestellt lassen, ob bei Strukturwandel eines freiberuflichen in einen gewerblichen Betrieb beschränkt auf die Gewerbesteuer Wirtschaftsgüter des freiberuflichen Betriebs mit dem Teilwert in den gewerblichen Betrieb eingelegt werden können (so BFH-Urteil vom 21. Oktober 1988 III R 15/87, BFH/NV 1990, 58). Im Streitfall jedenfalls liegt kein Strukturwandel vor. Der Handwerksbetrieb des Klägers erfüllte von Anbeginn die Kriterien eines Gewerbebetriebs i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG DDR. Daran änderte auch der klarstellende Hinweis in der Fußnote 1 zu § 2 GewStG DDR nichts, wonach das GewStG u. a. auf private Handwerker keine Anwendung finden sollte. Der Handwerksbetrieb unterlag als Gewerbebetrieb u. a. nur insoweit einer besonderen gewerbesteuerlichen Behandlung, als die Gewerbesteuer nicht an den Gewerbeertrag und das Gewerbekapital, sondern an die Lohnsumme anknüpfte (vgl. §§ 3, 8 HandwStG; vgl. auch z. B. § 6 Abs. 2 GewStG 1974; § 6 Abs. 2 GewStG vom 1. Dezember 1936, RStBl 1936, 1149).
c) Der Zeitpunkt für die Korrektur hat für die im Rahmen des angefochtenen Bescheides festgesetzte Einkommensteuer keine Relevanz, weil der Einkommensteuer der Gesamtgewinn der beiden Wirtschaftsjahre 1990 (vgl. § 53 DMBilG) zugrunde zu legen ist. Zwar kann sich der Zeitpunkt der Korrektur innerhalb der sog. "Zusammenfassung und Abrechnung für 1990" auswirken. Die Abrechnung ist jedoch dem Erhebungsverfahren zuzurechnen und ist -- schon mangels einschlägigen Vorverfahrens (vgl. § 349 der Abgabenordnung -- AO 1977 --; BFH-Urteil vom 14. November 1984 I R 232/80, BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216 m. w. N.) -- nicht Gegenstand des Rechtsstreits. So haben auch die Kläger im Revisionsverfahren nur die Änderung der Einkünfte bzw. der Einkommen- und Gewerbesteuerfestsetzung begehrt.
2. a) Im Rahmen des Revisionsantrags ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, daß der Kläger bei seiner Gewinnermittlung eine Akkumulationsrücklage gemäß § 3 Abs. 2 StÄndG DDR ansetzte. Diese ist nicht nur bei der Ermittlung des Einkommens, sondern auch bei Ermittlung des Gewerbeertrags zu berücksichtigen.
Mit Urteil vom 15. März 1994 XI R 10/93 (BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813) hat der XI. Senat des BFH entschieden, daß die sog. Akkumulationsrücklage nach § 3 Abs. 2 StÄndG DDR in die Gewinnermittlung eingeht und daher gemäß § 7 GewStG DDR i. d. F. vom 18. September 1970 GBl DDR, Sonderdruck Nr. 672) auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags zu berücksichtigen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Entscheidung Bezug genommen. Der XI. Senat hat in mehreren Parallelverfahren an dieser Rechtsprechung festgehalten. Der I. Senat hat sich mit Urteil vom 16. März 1994 I R 146/93 (BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941) dieser Rechtsprechung angeschlossen. Er hält hieran fest. Er verkennt dabei nicht, daß das Gesetz möglicherweise eine andere Auslegung zuläßt. Zwingend ist ein anderes Auslegungsergebnis aber keineswegs. Kernpunkt der Problematik ist die unsystematische Anknüpfung der Rücklage an "Einkommen bzw. Gewinn". Schließlich ist der Gewinn, auch nach dem System der Einkommensermittlung des EStG DDR i. d. F. vom 18. September 1970 (GBl DDR, Sonderdruck Nr. 670) Teil des Einkommens (vgl. § 2 Abs. 2 EStG DDR). Wäre eine ausschließlich einkommensbezogene Rücklage gewollt gewesen, so wäre aber der Zusatz "bzw. Gewinn" oder die Formulierung "gewinnerhöhende" Auflösung in § 8 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen des Steueränderungsgesetzes (DBStÄndG) vom 16. März 1990 (GBl DDR 1990, 195) verfehlt. Es liegt daher nahe, bei Gewinneinkünften von einer "Gewinnrücklage" auszugehen, die als steuerliche Sondernorm über § 7 GewStG DDR auch für den Gewerbeertrag gilt. Auch die Vertragsparteien des Einigungsvertrages -- EinigVtr -- haben § 3 Abs. 2 StÄndG DDR im Sinne einer gewinn- oder einkünftemindernden Vorschrift verstanden, wenn sie in § 58 Abs. 2 EStG DDR eine "gewinn- oder sonst einkünfteerhöhende" Auflösung vorsehen. § 58 Abs. 2 EStG DDR ist Bestandteil des EinigVtr (vgl. BGBl II 1990, 885, Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 16 k) und enthält insoweit, selbst wenn er erst ab 1. Januar 1991 gilt, ein Indiz dafür, wie der Vertragspartner DDR diese Vorschrift verstanden hat.
Der Kläger ist auch "Steuerpflichtiger" i. S. des § 3 Abs. 2 StÄndG DDR. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) betreibt der Kläger seinen Handwerksbetrieb allein. Die Klägerin half als Ehefrau nur mit. Der Senat verkennt nicht, daß eine Personengesellschaft nach dem strengen Wortlaut des § 3 Abs. 2 StÄndG DDR eine Akkumulationsrücklage nicht bilden kann, weil sie einkommensteuerrechtlich nicht steuerpflichtig ist. Der Senat kann für den Streitfall dahingestellt sein lassen, ob nicht gleichwohl § 3 Abs. 2 StÄndG DDR die Bildung einer Akkumulationsrücklage für den einzelnen Mitunternehmeranteil (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG DDR) erlaubt und diese Rücklage den Gewinn der Mitunternehmerschaft mindert. Offenbleiben kann auch, ob nicht nur ein solches Gesetzesverständnis dem Grundsatz einer an nähernden Gleichbesteuerung von Einzelunternehmer und Mitunternehmer entspräche (vgl. hierzu z. B. BFH-Urteil vom 8. Februar 1995 I R 108/94, BFH/NV 1995, 874. Keinesfalls kann aus der für die Personengesellschaft einkommensteuerrechtlich bestehenden Problematik geschlossen werden, daß die vom zweifelsfrei steuerpflichtigen Einzelunternehmer gebildete Akkumulationsrücklage entgegen § 7 GewStG DDR keine Auswirkung auf den Gewerbeertrag hat. Das weitere vom FA in diesem Zusammenhang angesprochene Problem, daß die Höhe der Gewinnrücklage bei einer Personengesellschaft durch eine Rücklage eines Gesellschafters bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung beeinflußt werden könnte, besteht nicht, weil nach Auffassung des Senats die Rücklage vom Gewinn durch Vorgänge im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unberührt bleibt (vgl. dazu unten c).
b) Das FA ermittelte eine Akkumulationsrücklage, die höher ist als vom Kläger in der Anlage R zur Jahreserklärung für Steuern im Beitrittsgebiet beantragt. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gemäß § 3 Abs. 2 StÄndG DDR können Steuerpflichtige, die Einkommen bzw. Gewinn aus den in § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 genannten Betrieben bzw. Tätigkeiten erzielen, für Zwecke der Akkumulation eine steuerfreie Rücklage in Höhe von 20 % des jährlichen Einkommens bzw. Gewinns, höchstens 50 000 M/DM (vgl. Art. 2 der Anlage 1 zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990, BGBl II 1990, 537) bilden. Unter Berücksichtigung des Wörtchens "kann" und der Tatsache, daß die Akkumulationsrücklage gegebenenfalls wieder gewinnwirksam aufzulösen ist (vgl. § 8 Abs. 1 DBStÄndG), bestimmt grundsätzlich der Steuerpflichtige im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten die Höhe der Rücklage. Der Kläger bildete zwar nur eine Rücklage in Höhe von insgesamt 2 610 M/DM. Seinen Berechnungen läßt sich jedoch entnehmen, daß er eine Rücklage in Höhe von 20 % des -- von ihm mit 13 051 M/DM ermittelten -- Gesamtgewinns berücksichtigt wissen wollte.
c) Rechtlich zu beanstanden ist aber, daß das FA bei der Ermittlung der Akkumulationsrücklage nicht 20 % des gewerblichen Gewinns, sondern rücklagemindernd negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte.
Nach § 3 Abs. 2 StÄndG DDR kann eine Rücklage in Höhe von 20 % des "Einkommens bzw. Gewinns" gebildet werden. Berechnungsgrundlage ist daher alternativ das Einkommen oder der Gewinn. Es kann dahingestellt bleiben, ob der in § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 2 StÄndG DDR verwendete Begriff des Einkommens im Sinne von Einkünften zu verstehen ist. Der Begriff "Gewinn" ist jedenfalls im Zeitpunkt des Erlasses des StÄndG DDR i. S. des § 4 Abs. 1 und 3 EStG DDR i. d. F. vom 18. September 1970 noch als Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen bzw. als Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben zu verstehen. Der Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten war auch nach damaligem Begriffsverständnis nicht "Gewinn", wie der Differenzierung in § 2 Abs. 4 EStG DDR 1970 zu entnehmen ist. Bei der Bildung der Akkumulationsrücklage für Gewinneinkünfte kann daher ein negativer Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung begrifflich nicht berücksichtigt werden. Diese Überlegungen stehen auch im Einklang mit den Ausführungen des XI. Senats in BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813, wonach es sich bei der Akkumulationsrücklage ungeachtet der einzelnen Bemessungsgrundlagen nur um eine Rücklage handelt. Grundlage der Entscheidung des XI. Senats war der Gedanke, daß der Begriff "Rücklage" ein bilanzieller sei und sich die Akkumulationsrücklage aus diesem Grund unmittelbar auf die Gewinnermittlung, nicht erst auf die Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte oder das Einkommen auswirke. Gewinnbezogene Rücklagen können aber durch außerbetriebliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung weder erhöht noch gemindert werden. Dementsprechend beträgt die gewinnmindernde Akkumulationsrücklage im Streitfall 20 % des vom FA ermittelten Gewinns ohne Berücksichtigung der Verluste aus Vermietung und Verpachtung.
d) Die Akkumulationsrücklage beträgt gemäß § 3 Abs. 2 StÄndG DDR 20 % des Gewinns des Veranlagungszeitraums 1990, im Streitfall damit 3 498 DM. Dieser Betrag ist auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags nach § 7 GewStG DDR anzusetzen, obgleich der Kläger erst ab 1. Juli 1990 gewerbesteuerpflichtig war und der Gewinn des zweiten Halbjahres 1990 wegen Verlustes im ersten Halbjahr 1990 höher war als der Gesamtgewinn.
D. Die Anschlußrevision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist insoweit aufzuheben, als es das FA verpflichtet hat, bei der Gewinnermittlung für das erste Halbjahr 1990 einen Betrag in Höhe von 14 428,97 M hinzuzurechnen und bei der Gewinnermittlung für das zweite Halbjahr 1990 einen Betrag in gleicher Höhe in DM abzuziehen.
Die Frage, ob die zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung gebotene Gewinnkorrektur im ersten oder zweiten Halbjahr 1990 vorzunehmen ist, hat -- wie oben unter C 1. c ausgeführt -- für die Frage der im Rahmen des angefochtenen Bescheides festgesetzten Einkommensteuer keine Relevanz. Bezüglich der Gewerbesteuer liegt die Rechtslage insoweit anders, als nur der Gewerbeertrag des zweiten Halbjahres 1990, nicht aber des ersten Halbjahres 1990, der Gewerbesteuerermittlung zugrunde gelegt wurde. Eine Gewinnkorrektur im zweiten Halbjahr 1990 hätte daher unmittelbare gewerbesteuerliche Auswirkung. Da der Gewerbeertrag nach der Systematik der bis einschließlich 30. Juni 1990 geltenden Handwerkerbesteuerung keiner Gewerbesteuer unterlag, wird der Materialbestand gewerbesteuerlich nur im Gewerbeertrag des zweiten Halbjahres 1990 erfaßt. Es fehlt an der für die Gewinnkorrektur notwendigen gewerbesteuerlichen Doppelerfassung. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Kläger eine Lohnsummensteuer in Höhe von 605 M für das erste Halbjahr 1990 ermittelte (die im übrigen in die Steuerrate nicht einging), weil der Lohnsummensteuer kein Gewerbeertrag zugrunde liegt. Die Frage, ob die Gewinnkorrektur entsprechend der bisher zum bundesdeutschen Recht vorliegenden Rechtsprechung im Jahr der Gewinnänderung (hier zweites Halbjahr 1990) vorzunehmen wäre (vgl. BFH-Urteile vom 15. Mai 1974 I R 255/71, BFHE 112, 381, BStBl II 1974, 518; vom 1. Februar 1990 IV R 39/89, BFHE 159, 502, BStBl II 1990, 495), ist daher nicht entscheidungserheblich.
Soweit die Finanzverwaltung hiervon abweichende Regelungen in Härtefällen vorsieht, handelt es sich um Billigkeitsmaßnahmen. Solche auszusprechen ist dem Senat im Streitfall verwehrt.
E. Die Berechnung der Steuer wird entsprechend § 100 Abs. 2 FGO dem FA übertragen, das den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich mitzuteilen hat (vgl. § 100 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 420717 |
BFH/NV 1996, 130 |