Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nach § 15 VwZG
Leitsatz (NV)
1. Der Prüfungspflicht des Gerichts ist i. d. Regel genügt, wenn es versucht, die Anschrift des Adressaten durch Polizei oder Einwohnermeldeamt zu ermitteln.
2. Eine öffentliche Zustellung ist nur dann wirksam, wenn der Vermerk über die Zeitpunkte des Aushängens und der Abnahme auf dem zuzustellenden Schriftstück selbst oder der Benachrichtigung i. S. des § 15 Abs. 2 Satz 2 VwZG mit dem vollen Namen des zuständigen Beamten unterzeichnet ist (Anschluß an das BFH-Urteil vom 5. März 1985 VII R 156/82, BFHE 143, 220, BStBl II 1985, 597).
Normenkette
FGO § 119 Nr. 4; VwZG § 15
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Streitsache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren als Rechtsanwalt und Steuerberater freiberuflich und nichtselbständig tätig. Er gab keine Steuererklärungen ab. Deshalb wurde bei ihm für die Jahre 1969 bis 1975 eine Außenprüfung durchgeführt. Da der Prüfer keine Aufzeichnungen vorfand, schätzte er die Besteuerungsgrundlagen unter Berücksichtigung der Belege, die ihm zur Verfügung standen. Das damals zuständige Finanzamt (FA) folgte der Schätzung des Prüfers, schätzte zusätzlich die Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 1976 und erteilte dementsprechende Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide. Während des Einspruchsverfahrens übernahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) die Besteuerung und wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage blieb im ersten Rechtsgang ebenfalls erfolglos. Auf die Revision des Klägers hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 18. März 1982 IV R 48/81 das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufgehoben, weil er festgestellt hatte, daß der Kläger zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen war. Er hat die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Zur Begründung seiner Klage reichte der Kläger die Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre ein. In der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 1983 gab der Kläger hierzu die Erläuterung, er habe die Besteuerungsgrundlagen geschätzt, weil ihm Unterlagen über die Streitjahre nicht zur Verfügung gestanden hätten. Das FG hat ihm antragsgemäß Gelegenheit gegeben, die Unterlagen und weitere Informationen über die Höhe seiner Einkünfte zu beschaffen.
Da der Kläger in der Folgezeit nichts von sich hören ließ, wurde er mit Schreiben vom 28. Dezember 1983 zur mündlichen Verhandlung geladen. Das Schreiben kam als unzustellbar zurück. Nachforschungen des FG beim Einwohnermeldeamt und bei dem für die bisherige Wohnung des Klägers zuständigen Zustellpostamt ergaben, daß der Kläger noch unter seiner bisherigen Anschrift gemeldet, inzwischen aber verzogen sei und sich die Post ,,postlagernd" nachsenden lasse. Das FG schrieb den Kläger daraufhin ,,postlagernd" an und bat ihn, seine neue Anschrift bis zum 10. Februar 1984 mitzuteilen. Anderenfalls werde es ihm die Sendungen öffentlich zustellen. Auch dieses Schreiben ging an das FG zurück, weil es vom Kläger nicht abgeholt wurde.
Mit Beschluß vom 13. Februar 1984 ordnete das FG die öffentliche Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 12. April 1984 gemäß § 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) an. Die Zustellung wurde in der Weise bewirkt, daß es eine Benachrichtigung im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 2 VwZG aushängte, wonach die Ladung in der zuständigen Geschäftsstelle des FG von 8.30 Uhr bis 13 Uhr eingesehen und abgeholt werden könne. Auf dieser Benachrichtigung sind als Tag des Aushängens der 15. Februar 1984 und als Tag der Abnahme der 19. März 1984 angegeben und mit einem Namenszeichen (Anfangsbuchstabe) versehen.
Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. April 1984, die in Abwesenheit des Klägers stattfand, wurde die Klage erneut abgewiesen. Das FG hielt die Einnahmeschätzungen des FA der Höhe nach für zutreffend und lehnte den Ansatz der geltend gemachten Betriebsausgaben ab, da der Kläger sie trotz Aufforderung nicht glaubhaft gemacht habe.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Insbesondere macht er geltend, daß die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nach § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG nicht vorgelegen hätten, weil sein Aufenthalt nicht ,,unbekannt" gewesen sei. Er sei daher zur Hauptverhandlung am 12. April 1984 nicht ordnungsgemäß geladen worden. Das FG hätte beim Einwohnermeldeamt und bei der Polizei Nachforschungen anstellen müssen. Hätte es auch bei der Polizei angefragt, wäre ihm mitgeteilt worden, daß er sich vom Dezember 1983 bis Anfang Februar 1984 in Westdeutschland in Untersuchungshaft befunden und sodann eine Ersatzfreiheitsstrafe in A verbüßt hätte.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Einspruchsentscheidung des FA die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1969 bis 1976 dahingehend zu ändern, daß die Steuern entsprechend den von ihm vorgelegten Steuererklärungen festgesetzt werden; hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Da der Kläger zur mündlichen Verhandlung am 12. April 1984 nicht wirksam geladen wurde, war er in dem Verfahren vor dem FG nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten (§ 119 Nr. 4 FGO).
1. Nach § 119 Nr. 4 FGO ist ein FG-Urteil stets auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen und unterliegt der Aufhebung, wenn ein Beteiligter in dem Verfahren vor dem FG nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war. Bei einem Beteiligten, der, wie der Kläger, keinen Prozeßbevollmächtigten bestellt hat, trifft dies zu, wenn das FG ohne den Beteiligten verhandelt und den Beteiligten zur Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen hat (BFH-Urteil vom 15. November 1974 VI R 107/74, BFHE 114, 457, BStBl II 1975, 335).
Das FG entscheidet grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung (§ 90 Abs. 1 FGO). Bei Ausbleiben eines Beteiligten kann ohne ihn verhandelt und entschieden werden, sofern er in dem Ladungsschreiben darauf hingewiesen worden ist (§ 91 Abs. 1 und 2 FGO). Das Ladungsschreiben ist nach den Vorschriften des VwZG zuzustellen (§ 53 Abs. 1 und 2 FGO). Nach § 15 VwZG kann die Zustellung auch durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen.
Im Streitfall haben die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung zwar vorgelegen, jedoch war die Zustellung wegen Verstoßes gegen § 15 Abs. 3 Sätze 1 und 3 VwZG unwirksam.
a) Ein Schriftstück kann durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthalt des Empfängers unbekannt ist (§ 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG). Unbekannt im Sinne dieser Vorschrift bedeutet allgemein unbekannt und nicht nur der betreffenden Behörde oder dem Gericht unbekannt (siehe BFH-Urteile vom 13. November 1964 VI 77/63 U, BFHE 81, 215, BStBl III 1965, 76, und vom 18. März 1971 V R 25/67, BFHE 102, 20, BStBl II 1971, 555). Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen (BFHE 102, 20, BStBl II 1971, 555). Das Gericht muß sich, bevor es den Weg der öffentlichen Zustellung einschlägt, durch die nach Sachlage gebotenen Ermittlungen Gewißheit darüber verschaffen, daß der Aufenthaltsort des Empfängers nicht nur ihm, sondern allgemein unbekannt ist. Andererseits dürfen die Anforderungen an die Prüfungspflicht auch nicht überspannt werden. Ihr ist vielmehr in der Regel genügt, wenn das Gericht versucht, die Anschrift des Adressaten durch die Polizei oder durch das Einwohnermeldeamt zu ermitteln (BFH-Beschluß vom 17. Oktober 1985 IV B 67/85, BFH/NV 1986, 576 . . .). Entgegen der Revision ergibt sich aus dem Urteil in BFHE 102, 20, BStBl II 1971, 555 nicht, daß die Behörde oder das Gericht sowohl beim Einwohnermeldeamt als auch bei der Polizei Nachforschungen anstellen muß.
Im Streitfall hat das FG nach einem erfolglosen Zustellungsversuch den Aufenthaltsort des Klägers sowohl über das Einwohnermeldeamt als auch über das zuständige Zustellpostamt zu ermitteln versucht. Dies war nach den gegebenen Umständen ausreichend, zumal eine Anfrage beim Polizeipräsidenten im Zeitpunkt der Bewirkung der öffentlichen Zustellung nicht zum Ziel geführt hätte, wie das FA in seiner Revisionserwiderung vom 16. Oktober 1984 glaubhaft und vom Kläger unwidersprochen dargelegt hat.
b) Die öffentliche Zustellung der Ladung war jedoch insofern fehlerhaft und entsprach nicht den Anforderungen des § 15 Abs. 3 Satz 1 VwZG, als der Vermerk auf der Benachrichtigung über den Tag des Aushängens und der Abnahme nicht die volle Unterschrift des zuständigen Beamten trug (§ 15 Abs. 3 Satz 3 VwZG).
Nach dem BFH-Urteil vom 5. März 1985 VII R 156/82 (BFHE 143, 220, BStBl II 1985, 597) ist die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung nur dann gegeben, wenn der Vermerk über die Zeitpunkte des Aushängens und der Abnahme auf dem zuzustellenden Schriftstück selbst oder der Benachrichtigung im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 2 VwZG mit dem vollen Namen des zuständigen Beamten unterzeichnet ist. Daran hat es hier gefehlt, weil die Vermerke über den Tag des Aushängens und der Abnahme lediglich mit Namenszeichen (Anfangsbuchstabe) versehen sind.
Die fehlerhafte öffentliche Zustellung konnte auch nicht durch den tatsächlichen Zugang der Ladung gemäß § 9 Abs. 1 VwZG geheilt werden, denn der Kläger ist zur öffentlichen Verhandlung am 12. April 1984 nicht erschienen und hat von der Ladung erst aus den Gründen der angefochtenen Vorentscheidung erfahren.
Bei dieser Sachlage braucht nicht entschieden zu werden, ob das FG gemäß § 15 Abs. 5 VwZG gehalten war, auch nach Bewirkung der öffentlichen Zustellung weitere Ermittlungen - erneute Anfrage an das Einwohnermeldeamt, Niederlegung eines Suchvermerks im Bundeszentralregister, Anfrage beim Prozeßvertreter des FA in der mündlichen Verhandlung - nach dem damaligen Aufenthaltsort des Klägers anzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 414614 |
BFH/NV 1987, 98 |