Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswahlermessen des FA bei der Heranziehung von Gesamtschuldnern
Leitsatz (NV)
1. Die Inanspruchnahme desjenigen der Gesamtschuldner von Grunderwerbsteuer, der nach den Vereinbarungen der Vertragspartner nicht verpflichtet ist, die Grunderwerbsteuer zu tragen, ist als Ermessensentscheidung regelmäßig zu begründen; fehlt die Begründung, so ist der Steuerbescheid rechtswidrig.
2. Ist die Steuer, z. B. wegen Verjährung, von demjenigen der Gesamtschuldner, der zunächst in Anspruch zu nehmen wäre, nicht mehr zu erlangen, so entfällt -- mangels einer Auswahlmöglichkeit -- eine Ausübung des Ermessens bei der Auswahl des in Anspruch zu Nehmenden. In diesem Fall führt das Fehlen der Begründung für die Heranziehung zur Steuer nicht zur Aufhebung des Steuerbescheides.
3. Eine Begründung des Auswahlermessens kann auch dann nicht erforderlich sein, wenn infolge der wirtschaftlichen Situation eines der beiden Gesamtschuldner nur mehr die Festsetzung der Steuer gegenüber dem anderen in Frage kommt und diesem der hierfür maßgebende Grund bekannt oder ohne weiteres erkennbar ist.
Normenkette
AO 1977 §§ 5, 44, 121 Abs. 2 Nr. 2, § 127
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom ... 1975 erwarb die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine KG, von der X-KG näher bezeichnete Grundstücke zu einem Preis von ... DM. Es war vereinbart, daß eine etwaige Grunderwerbsteuer von der Verkäuferin zu tragen war. Durch Bescheid vom 10. März 1976 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) für diesen Kaufvertrag Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin fest. Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend, daß für den Übergang der Grundstücke gemäß § 21 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes Baden-Württemberg (GrEStG BW) Grunderwerbsteuer nicht zu erheben sei, weil die Verkäuferin an der Klägerin als Kommanditistin beteiligt sei. Nach dem gleichzeitig vorgelegten Gesellschaftsvertrag waren an der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt beteiligt die N-GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin ohne Einlage sowie die X-KG, die Verkäuferin, als Kommanditistin mit einer Einlage von ... DM.
Mit Schreiben vom 5. Mai 1976 wurde der Klägerin ein Grunderwerbsteuerbescheid mit dem folgenden Inhalt bekanntgegeben:
"Den Grunderwerbsteuerbescheid vom 10. März 1976 über ... DM hebe ich hiermit auf (§ 94 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung).
Der oben angeführte Erwerbsvorgang wird nach § 21 Nr. 2 Grunderwerbsteuergesetz von der Grunderwerbsteuer befreit.
Dieser Bescheid tritt an die Stelle des Bescheides vom 10. 3. 1976, damit ist der Einspruch erledigt. Kosten fallen Ihnen nicht zur Last."
Mit notariell beurkundeter Vereinbarung vom ... 1976 zwischen der Klägerin und der X-KG wurde der im Kaufvertrag vom ... 1975 vereinbarte Kaufpreis auf ... DM herabgesetzt. Am ... 1976 ist die X-KG aus der Klägerin ausgeschieden; ihre Gesellschaftsanteile wurden von der persönlich haftenden Gesellschafterin sowie einer weiteren GmbH zum Nominalwert übernommen.
Nach einer bei der Klägerin in der Zeit vom 30. Juli 1980 bis 27. Juli 1982 zur Überprüfung der Grunderwerbsteuer durchgeführten Außenprüfung erließ das FA am 8. Dezember 1983 gegen die Klägerin einen Grunderwerbsteuerbescheid, durch den die Grunderwerbsteuer für den Erwerbsvorgang vom ... 1975 in Verbindung mit dem Nachtrag vom ... 1976 nach einer Bemessungsgrundlage von ... DM auf ... DM festgesetzt wurde. Durch diesen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Bescheid wurde der Bescheid vom 5. Mai 1976 geändert, weil, wie das FA ausführte, die Veräußerin der Grundstücke nur formelle Gesellschafterin der Erwerberin gewesen und bereits zum ... 1976 wieder ausgeschieden sei.
Nach erfolglosem Einspruch hob das Finanzgericht (FG) auf die Klage der Klägerin den Änderungsbescheid vom 8. Dezember 1983 sowie die Einspruchsentscheidung vom 24. August 1987 durch Urteil vom 13. Januar 1993 auf, weil das FA es versäumt habe, die Inanspruchnahme der Klägerin als einen der beiden Gesamtschuldner der Grunderwerbsteuer (§ 44 AO 1977, § 31 GrEStG BW) zu begründen. Zwar bedürfe es in der Regel keiner Begründung, wenn das FA denjenigen der Gesamtschuldner zur Grunderwerbsteuer heranziehe, der im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien verpflichtet sei, die Grunderwerbsteuer zu tragen, weil das FA damit letztlich einem gemeinsamen Antrag der Vertragsparteien folge (§ 121 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Weiche das FA von der Vereinbarung der Vertragsparteien ab, so habe es die hierfür maß gebenden Ermessenserwägungen im Steuerbescheid schriftlich niederzulegen (§ 121 Abs. 1 AO 1977); fehle es hieran und werde die Begründung nicht bis zum Abschluß des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nachgeholt (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977), sei der Bescheid rechtswidrig. So liege aber der Streitfall, denn das FA habe nicht die nach dem Kaufvertrag vom ... 1975 zur Zahlung der Grunderwerbsteuer verpflichtete Verkäuferin, sondern die Klägerin, also die Erwerberin, zur Grund erwerbsteuer herangezogen; eine Begründung für diese Ermessensentscheidung enthalte weder der Steuerbescheid noch die Einspruchsentscheidung.
Mit der gegen das Urteil des FG eingelegten Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des FA wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das FG zu Recht davon ausgegangen, daß der Bescheid vom 5. Mai 1976 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 unter den dort genannten Voraussetzungen geändert werden konnte. Dieser Bescheid ist ein Steuer bescheid im Sinne dieser Vorschrift, weil durch ihn der Erwerbsvorgang vom ... 1975 von der Grunderwerbsteuer freigestellt worden ist (§ 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Zutreffend hat das FG auch ausgeführt, daß die Inanspruchnahme desjenigen der Gesamtschuldner, der nach den Vereinbarungen der Vertragsparteien nicht verpflichtet ist, die Grunderwerbsteuer zu tragen, als Ermessensentscheidung (§ 5 AO 1977) regelmäßig zu begründen ist und daß der Steuerbescheid rechtswidrig ist, wenn diese Begründung fehlt (§ 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 AO 1977).
Die Vorentscheidung ist jedoch aufzuheben, weil das FG weder geprüft hat, ob die Inanspruchnahme der Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides noch im Ermessen des FA stand, so daß, sollte dies zu verneinen sein, der Mangel der Begründung nicht zur Aufhebung des Änderungsbescheides führen würde (§ 127 AO 1977), noch -- sollte eine Ermessensentscheidung in Betracht kommen -- der Frage nachgegangen ist, ob eine Begründung gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 unterbleiben konnte. Zur Nachholung der erforder lichen Feststellungen und zur erneuten Entscheidung wird die Sache an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
2. Schuldner der -- vorbehaltlich des § 31 Abs. 2 GrEStG BW zu erhebenden -- Grunderwerbsteuer waren, wie das FG dem seiner Auslegung vorbehaltenen GrEStG BW (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. April 1994 II R 93/90, BFHE 174, 380, BStBl II 1994, 817, und vom 6. März 1996 II R 102/93, BFHE 180, 178; Sack, Deutsche Steuer-Rundschau -- DStR -- 1995, 1615) entnommen hat, gemäß § 31 GrEStG BW die an dem Erwerbsvorgang vom ... 1975 beteiligten Vertragsteile als Gesamtschuldner. Sowohl die X-KG als Verkäuferin als auch die Klägerin als Käuferin schuldeten nach § 44 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 demgemäß die ganze Leistung; bis zum Eintritt der Verjährung konnte das FA grundsätzlich jeden der Gesamtschuldner als Schuldner in Anspruch nehmen. Dabei entspricht es, wovon auch das FG ausgegangen ist, pflichtgemäßem Ermessensgebrauch, daß das FA zunächst denjenigen zur Grunderwerbsteuer heranzieht, der im Kaufvertrag die Grunderwerbsteuer übernommen hat, und den anderen Vertragsteil erst dann, wenn die Steuer von jenem nicht zu erlangen ist (BFH-Urteil vom 12. Mai 1976 II R 187/72, BFHE 119, 188, BStBl II 1976, 579).
Ist die Steuer von demjenigen der Gesamtschuldner, der danach zunächst in Anspruch zu nehmen wäre, nicht mehr zu erlangen, so entfällt -- mangels einer Auswahlmöglichkeit -- eine Ausübung des Ermessens (§ 5 AO 1977) bei der Auswahl des in Anspruch zu Nehmenden (BFH-Urteile vom 28. Februar 1973 II R 57/71, BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573, und in BFHE 119, 188, BStBl II 1976, 579); dies entspricht der Verpflichtung der Finanzbehörde zur Geltendmachung des nach dem Gesetz entstandenen Steueranspruchs (§ 85 AO 1977). Da eine andere Entscheidung als den anderen Gesamtschuldner zur Steuer heranzuziehen, nicht (mehr) in Betracht kommt, führt der Mangel der Begründung nicht zur Aufhebung des Steuerbescheides (§ 127 AO 1977). Es kann dann nur mehr um die Frage gehen, ob die Inanspruchnahme des anderen Gesamtschuldners noch zulässig ist, weil das FA die Geltendmachung des Steueranspruchs ihm gegenüber nicht verwirkt hat (BFH-Urteile in BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573, und in BFHE 119, 188, BStBl II 1976, 579).
3. Im Streitfall kommt der Wegfall einer Auswahlmöglichkeit insbesondere deshalb in Betracht, weil im Zeitpunkt des Ergehens des Änderungsbescheides vom 8. Dezember 1983 der Anspruch auf die Grunderwerbsteuer nach den Feststellungen des FG zwar nicht gegenüber der Klägerin, möglicherweise aber gegenüber der X-KG verjährt war. Gegenüber der Klägerin war die Verjährung noch nicht eingetreten. Gemäß Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) i. V. m. § 146 a Abs. 3 der Reichs abgabenordnung (AO) war der Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 144 Abs. 1 AO), die frühestens mit Ablauf des Jahres 1975 zu laufen begonnen und frühestens am 31. Dezember 1980 geendet hatte, durch die am 30. Juli 1980 begonnene Außen prüfung bis zum Erlaß des aufgrund der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheides gehemmt gewesen. Diese Wirkung ist jedoch nur gegenüber der Klägerin eingetreten (§ 44 Abs. 2 Satz 3 AO 1977). Gegenüber der X-KG ergibt sich, soweit ersichtlich, der Eintritt der Verjährung aus Art. 97 § 10 EGAO 1977 i. V. m. § 144 AO nach Maßgabe der Vorschriften des GrEStG BW über den Beginn der Verjährung.
Dies hat das FG nunmehr zu prüfen.
Sollte sich ergeben, daß der Grunderwerbsteueranspruch gegenüber der X-KG im Zeitpunkt des Ergehens des Änderungsbescheides vom 8. Dezember 1983 erloschen war, so hätte das FG lediglich zu prüfen, ob das FA den Steueranspruch gegenüber der Klägerin verwirkt hat. Hierfür ist allerdings nach den bisher getroffenen Feststellungen kein Anhaltspunkt ersichtlich, zumal das FA den Steueranspruch von Anfang an gegenüber der Klägerin geltend gemacht hat. Aus der Freistellung von der Grunderwerbsteuer durch den Bescheid vom 5. Mai 1976 ergibt sich kein Verhalten des FA, aufgrund dessen sich die Klägerin darauf hätte einrichten können, daß sie mit einer Geltendmachung des Steueranspruchs nicht mehr zu rechnen brauchte.
Ergibt sich, daß gegenüber der X-KG keine Verjährung eingetreten war, so besteht Anlaß, die vom FG in seiner Entscheidung ausdrücklich offengelassene Auswirkung der wirtschaftlichen Situation der X-KG zu würdigen. Dabei kommt sowohl in Betracht, daß durch das vom FG erwähnte, aber nicht näher dargestellte Vergleichsverfahren eine Situation eingetreten war, durch die das Ermessen des FA -- wie es der BFH im Urteil in BFHE 119, 190, BStBl II 1976, 579 für die Eröffnung des Konkurses angenommen hat -- so stark eingeengt war, daß nurmehr eine Festsetzung der Steuer gegen die Klägerin in Frage kam; hierauf hat das FA in seiner Revisionsbegründung zutreffend hingewiesen. Ggf. kann sich aus der wirtschaftlichen Situation der X-KG auch ergeben, daß eine Begründung des -- noch gegebenen -- Auswahlermessens gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 nicht erforderlich war (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 22. September 1992 VII R 73-74/91, BFH/NV 1993, 215 zu 3. b der Gründe). Ggf. hat das FG die bisher nicht vorgenommene Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuervergünstigung nach § 21 GrEStG BW nachzuholen.
Fundstellen
Haufe-Index 421589 |
BFH/NV 1997, 2 |