Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat verbleibt bei der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung, daß das Wesentliche an einem Steuerbescheid nicht seine Bekanntgabe, sondern die verwaltungsinterne Beschlußfassung über die Steuerfestsetzung ist, die mit der schriftlichen Niederlegung und der Unterzeichnung durch den zuständigen Bearbeiter abgeschlossen ist.
2. Die Bekanntgabe kann den Steuerbescheid nur insoweit wirksam machen, als sie mit dem Willensentscheid der Verwaltung übereinstimmt. Fehlt es an dieser Übereinstimmung, so kann die bekanntgegebene Ausfertigung des Steuerbescheids richtiggestellt werden, ohne daß es dazu der Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 AO bedarf.
Normenkette
AO §§ 91, 92 Abs. 2, § 210b
Tatbestand
Die Revisionsklägerin zu 1., eine KG, ist die Gesamtrechtsnachfolgerin einer GmbH (Klägerin), die bis zum Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge Komplementärin der Klägerin war. Die Beigeladenen und Revisionskläger zu 2. bis 17. bzw. ihre Rechtsvorgänger waren an dem hier maßgebenden Stichtag vom 31. Dezember 1962 Gesellschafter der GmbH. Streitig ist die Bewertung der Anteile an dieser GmbH zum 31. Dezember 1962.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) stellte durch eine Aktenverfügung vom 3. Juni 1964 den gemeinen Wert der Anteile an der GmbH nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren auf den Stichtag vom 31. Dezember 1962 entsprechend der von der GmbH abgegebenen Erklärung auf 119 DM je 100 DM Nennkapital fest. In dieser Aktenverfügung hieß es unter II: "Feststellungsbescheid nach Vordruck Vm 15/63 ist mit folgenden Erläuterungen zu fertigen: Vorläufig gemäß § 100 (2) AO." Die an die GmbH übersandte Ausfertigung dieses Bescheids vom 13. Juli 1964 enthält unstreitig diese Erläuterungen nicht. Sie enthält auch im Kopf keinen Vorläufigkeitsvermerk. Nachdem das FA die GmbH mit Schreiben vom 25. November 1966 aufgefordert hatte, wegen der Feststellung einer inzwischen vorgenommenen Betriebsprüfung unter anderem auch eine berichtigte Erklärung über die Ermittlung des gemeinen Werts der Anteile an der GmbH zum 31. Dezember 1962 einzureichen, verweigerte dies die GmbH mit Schreiben vom 9. Februar 1968 mit der Begründung, daß der Feststellungsbescheid vom 13. Juli 1964 unanfechtbar geworden sei und keine neuen Tatsachen oder Beweismittel bekanntgeworden seien, die eine Berichtigung rechtfertigen könnten. Sie reichte eine Fotokopie der ihr zugegangenen Ausfertigung des Feststellungsbescheids ein, aus der sich ergab, daß diese Ausfertigung keinen Vorläufigkeitsvermerk enthielt. Das FA übersandte daraufhin der GmbH am 8. April 1969 eine neue Ausfertigung des Feststellungsbescheides, der den Vorläufigkeitsvermerk enthielt.
Die Sprungklage, mit der die GmbH beantragte, den Feststellungsbescheid vom 8. April 1969 ersatzlos aufzuheben, wurde abgewiesen.
Die Revisionskläger beantragen (sinngemäß), das Urteil des FG und den Feststellungsbescheid vom 8. April 1969 ersatzlos aufzuheben. Es wird Verletzung des § 210b Abs. 1 AO in Verbindung mit § 218 AO geltend gemacht. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Das FG stütze sich zu Unrecht auf das Urteil des RFH vom 31. Januar 1923 (Steuer und Wirtschaft 1923 Sp. 387). Es handele sich hier um die Auslegung des § 210b Abs. 1 AO, der erst am 1. Dezember 1936 in die AO eingefügt worden sei. Der BFH habe allerdings in dem Urteil vom 6. Juli 1967 IV 274/62 (BFHE 89, 460, BStBl III 1967, 682), in dem es um die Frage gegangen sei, ob ein Steuerbescheid handschriftlich unterzeichnet sein müsse, die Auffassung vertreten, daß es sich bei einem in den Steuerakten befindlichen Berechnungsbogen um den eigentlichen Steuerbescheid, bei dem dem Steuerpflichtigen bekanntgegebenen Schriftstück dagegen um eine bloße Ausfertigung des Originalbescheids handle. Eine Begründung für diese Auffassung habe der BFH nicht gegeben. Der Wortlaut des § 210b Abs. 1 Satz 1 AO besage klar und eindeutig, daß der schriftliche Steuerbescheid dem Steuerpflichtigen zugehen müsse. Daraus folge, daß nur aus der dem Steuerpflichtigen zugegangenen Verfügung Rechtsfolgen entstehen könnten. Eine Erläuterung des Begriffs Steuerbescheid enthalte die AO überhaupt nicht. Es fehlten auch gesetzliche Bestimmungen, wie vorläufige Steuerfestsetzungen zu kennzeichnen seien. In der Praxis sei es sehr wichtig, ob ein Steuerbescheid vorläufig sei oder nicht. Eine Unklarheit oder ein Fehler im Steuerbescheid in der Form, wie er dem Steuerpflichtigen zugegangen sei, könne nicht zu seinen Lasten gehen. Folge man der Auffassung des FG, so könne das FA jeden Fehler in einem Steuerbescheid mit der Behauptung korrigieren, daß die ursprüngliche Ausfertigung mit dem Original nicht übereinstimme. Nach dem auch das Steuerrecht beherrschenden Grundsatz der Rechtssicherheit könne die bisherige Rechtsprechung nicht aufrechterhalten werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
a) Die Streitwertgrenze des § 115 Abs. 1 FGO ist überschritten. Das FA weist mit Recht darauf hin, daß das steuerliche Interesse der Klägerin an der Beseitigung des Vorläufigkeitsvermerks darin besteht, daß der gemeine Wert der Anteile an der GmbH nicht von 119 DM je 100 DM Nennkapital auf 956 DM je 100 DM Nennkapital erhöht wird. Der Unterschied je 100 DM Nennkapital beträgt danach 837 DM, für das gesamte Stammkapital von 134 000 DM also 1 121 580 DM. Wäre die Anteilsbewertung selbst streitig, so würde der Streitwert nach dem Urteil des Senats vom 23. Oktober 1964 III 365/61 U (BFHE 81, 178, BStBl III 1965, 64, vorletzter Absatz) mit 2 v. H. dieses Wertunterschieds zu bemessen sein. Das würde aber voraussetzen, daß der festgestellte gemeine Wert mehr als ein Jahr der Vermögensbesteuerung der Gesellschafter zugrunde gelegt wird (vgl. BFH-Urteil vom 20. März 1959 III 109/57 U, BFHE 69, 1, BStBl III 1959, 262). Da das hier nicht der Fall ist, würde nur 1 v. H. dieses Wertunterschieds als Streitwert in Betracht kommen. Das sind 11 215 DM. Da im vorliegenden Verfahren nur über die Vorläufigkeit gestritten wird, kann nach Auffassung des Senats der Streitwert nicht in dieser vollen Höhe angesetzt werden. Dem Senat erscheint es angemessen, den Streitwert auf 10 v. H. dieses Betrages, also auf 1 121 DM, festzusetzen.
b) Die Revision ist auch nicht deswegen unzulässig, weil die Revisionsschrift keinen bestimmten Antrag enthält. Es geht aus dieser Revisionsschrift hervor, daß die Revisionskläger die Aufhebung des FG-Urteils und des Feststellungsbescheids vom 8. April 1969 beantragen. Damit ist den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, wie auch das FA einräumt, genügt (vgl. BFH-Beschluß vom 23. August 1966 IV R 168/66, BFHE 86, 567, BStBl III 1966, 596).
2. Die Revision ist unbegründet.
Das FG ist mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, daß auch auf einen Bescheid über die Feststellung des gemeinen Werts von GmbH-Anteilen die Vorschriften über Steuerbescheide anwendbar sind, und daß deshalb ein solcher Bescheid auch als vorläufiger Bescheid im Sinne des § 100 AO erlassen werden kann. Der Senat stimmt dem FG auch darin zu, es genüge für die Wirksamkeit eines Vorläufigkeitsvermerks, daß er lediglich in den Erläuterungen zu dem Bescheid aufgenommen wird. Der Senat billigt schließlich auch die Auffassung des FG, daß das FA befugt war, die ursprüngliche Ausfertigung des Bescheids vom 13. Juli 1964 durch eine erneute Ausfertigung vom 8. April 1969 zu ersetzen. Denn diese Auffassung beruht nicht nur, wie die Klägerin und die Beigeladenen meinen, auf dem BFH-Urteil IV 274/62, sondern sie entspricht der ständigen Rechtsprechung des RFH und des BFH. Das geht aus diesem Urteil selbst hervor; der BFH zitiert in diesem Urteil eine Reihe von Urteilen des RFH und BFH, die diese Auffassung vertreten. Es trifft auch nicht zu, daß der BFH in diesem Urteil eine Begründung "schuldig geblieben" ist. Der BFH hat vielmehr unter Hinweis auf die einschlägigen Urteile eingehend dargelegt, welche Überlegungen die Rechtsprechung dazu veranlaßt haben, diese Auffassung zu vertreten. Er hat hervorgehoben, daß § 210b AO lediglich für die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung, die nach § 91 Abs. 1 AO den steuerlichen Verwaltungsakt wirksam werden lasse und die sonst bei Verfügungen der Steuerbehörde auch formlos erfolgen könne (§ 91 Abs. 2 AO), die Schriftform vorschreibe. Das wesentliche an einem Steuerbescheid sei jedoch nicht seine Bekanntgabe, sondern die verwaltungsinterne Beschlußfassung über die Steuerfestsetzung, für welche die Rechtsprechung daher die schriftliche Niederlegung und die Unterzeichnung durch den zuständigen Bearbeiter erfordere. Zwar sei der Beschluß, der mit der Zeichnung durch den zuständigen Beamten gefaßt sei, bis zur Bekanntmachung noch nicht wirksam, so daß er jederzeit geändert werden könne. Wie entscheidend er aber sei, zeige sich daran, daß die Bekanntgabe nur dann und nur insoweit einen Steuerbescheid wirksam machen könne, als dieser Bekanntmachung ein interner Willensentscheid der Verwaltung zugrunde liege. Die Vorschrift des § 210b AO betreffe also nicht den gesamten Vorgang der Bescheiderteilung. Sie gebe vielmehr nur Anweisungen für die Ausfertigung des sich in Urschrift bei den Akten befindlichen Steuerbescheids (Berechnungsbogens). An dieser Auffassung hat der BFH bis in die jüngste Zeit festgehalten (vgl. BFH-Urteil vom 1. März 1974 VI R 253/70, BFHE 111, 457, BStBl II 1974, 369, in dem die gegenteilige Auffassung des FG Düsseldorf, Senate in Köln, vom 6. Mai 1970 VIII 164/69 L, EFG 1970, 523, nicht geteilt wird). Auch im Schrifttum wird diese Auffassung überwiegend gebilligt (vgl. HübschmannHepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 1.-6. Aufl., Bd. I Anm. 5 zu § 91 und Bd. II Anm. 2 zu § 210 b; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., Bd. I Anm. 1 Abs. 5 zu § 91; anderer Auffassung allerdings Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 6. Aufl., Bd. I Anm. 8, 9 zu § 91). Der Senat hat sich in mehreren nicht veröffentlichten Entscheidungen der herrschenden Meinung angeschlossen. Er sieht auch im Streitfall keine Veranlassung, von ihr abzuweichen. Dabei stimmt er der Auffassung des I. Senats in dem Urteil vom 17. März 1964 I 345/61 U (BFHE 79, 309, BStBl III 1964, 343) zu, daß die Ausfertigung des Bescheids richtiggestellt werden kann, ohne daß es einer Heranziehung des § 92 Abs. 2 AO bedarf, weil diese Vorschrift sich nur auf den bei den Akten befindlichen Steuerbescheid bezieht. Der Senat läßt sich aber auch von den schon vom FG angestellten Erwägungen leiten, daß die GmbH die Erklärung auf dem Vordruck Vm 15/63 zwar nicht als vorläufig bezeichnet hat, daß sie aber den darin angegebenen Einheitswert des Betriebsvermögens aus ihrer ausdrücklich als vorläufig bezeichneten Vermögenserklärung auf den 1. Januar 1963 und das darin angegebene körperschaftsteuerliche Einkommen 1962 aus ihrer gleichfalls als vorläufig bezeichneten Körperschaftsteuererklärung für das Kalenderjahr 1962 übernommen hat, und daß das FA aufgrund dieser vorläufigen Erklärungen auch vorläufige Veranlagungen durchgeführt hat. Bei dieser Sachlage konnte die GmbH nicht annehmen, daß das FA den Feststellungsbescheid über den gemeinen Wert der Anteile, der auf diesen vorläufigen Erklärungen beruhte, endgültig erlassen würde. Der Senat sieht deshalb wie das FG in dem späteren Erlaß der berichtigten Ausfertigung keinen Verstoß gegen Treu und Glauben seitens des FA.
Fundstellen
Haufe-Index 71039 |
BStBl II 1974, 725 |
BFHE 1975, 164 |