Leitsatz (amtlich)
Zur Tarifierung von „Segeltuchtextil”.
Normenkette
GZT Tarifnr. 51.04; GZT Tarifnr. 59.08; GZT Vorschrift 2 A zu Kapitel 59
Nachgehend
Tatbestand
Die Beklagte (die Oberfinanzdirektion – OFD –) erteilte der Klägerin am 22. Mai 1975 die verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) Nr. 170/1975 über eine von der Klägerin als „Segeltuch-Textil (6,5 oz.)” bezeichnete Ware, in der diese der Tarifst. 51.04 A des Gemeinsamen Zolltarifs – GZT – (Gewebe aus synthetischen Spinnfäden) zugewiesen wurde. Den dagegen eingelegten Einspruch, mit dem die Klägerin die Zuweisung zur Tarifnr. 59.08 GZT (Gewebe, mit Zellulosederivaten oder anderen Kunststoffen getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus diesen Stoffen versehen) begehrte, wies die OFD mit Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 1977 als unbegründet zurück.
Nach Erhebung der Klage hat die OFD vorgetragen, daß die vZTA mit Ablauf des 31. Dezember 1978 aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2800/78 des Rates vom 27. November 1978 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 335/1 vom 1. Dezember 1978) gemäß § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) außer Kraft getreten sei. Die Klägerin hat daraufhin beantragt festzustellen, daß die erledigte vZTA rechtswidrig gewesen sei.
Die OFD beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art. 177 Abs. 1 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) mehrere Fragen zur Auslegung vorgelegt (Beschluß vom 17. November 1981 VII K 6/77, BFHE 134, 485).
Der EuGH hat über die ihm vorgelegten Rechtsfragen mit Urteil vom 30. September 1982 Rs. 317/81 (Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern – ZfZ – 1983, 14) wie folgt entschieden (Tenor):
- „Die Worte ‚mit bloßem Auge wahrnehmbar’ der Vorschrift 2 Aa) zu Kapitel 59 GZT sind in dem Sinne auszulegen, daß das Tränken, Bestreichen oder Überziehen des Gewebes bei einer einfachen visuellen Überprüfung unmittelbar sichtbar sein muß. Die angeführten Worte der Vorschrift gestatten es nicht, aus der Steifigkeit eines Gewebes die Folgerung zu ziehen, daß es eine solche Behandlung erfahren hat.
- Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die für die Tarifierung der Erzeugnisse zuständigen Behörden und Personen zu benennen und über die Ausbildung dieser Personen zu entscheiden, damit diese ihre Aufgaben korrekt erfüllen können.
- Die Prüfung der Vorschrift hat nichts ergeben, was ihre Gültigkeit beeinträchtigen könnte.”
Die Klägerin hat danach die Auffassung vertreten, daß nunmehr der Senat als einzige Tasacheninstanz prüfen müsse, ob die Kunststoffbehandlung mit dem bloßen Auge wahrnehmbar sei, was nur anhand einer Probe der streitigen Ware in der Verpackung beurteilt werden könne, in der diese bei den Zollbehörden zur Abfertigung vorgelegt werde. Anhand einer solchen Stoffprobe sei das Tränken und/oder Beschichten sichtbar, insbesondere am Glanz, an der Oberflächenstruktur und dem mangelnden „Ausfusseln” der Stoffränder. Die Entscheidung des EuGH könne nur für beschichtetes, nicht jedoch für getränktes Gewebe sinnvoll sein.
Entscheidungsgründe
Die Klage (Fortsetzungsfeststellungs-Klage) ist zulässig. Zur Begründung wird auf das zwischen den Beteiligten in einer Parallelsache ergangene Urteil des Senats vom 29. April 1980 VII K 5/77 verwiesen (vgl. BFHE 130, 568, BStBl II 1980, 593). Die Klage ist aber nicht begründet.
1. Die nach dem Antrag der Klägerin vom 1. April 1975 zu tarifierende und anhand eines Musters dargelegte Ware (Segeltuch-Textil, 6,5 oz., Dicke des Gewebes 0,27 mm) könnte nur dann der von der Klägerin beanspruchten Tarifnr. 59.08 GZT (Gewebe mit Zellulosederivaten oder anderen Kunststoffen getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus diesen Stoffen versehen) zugeordnet werden, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift 2 Aa) zu Kapitel 59 GZT vorlägen. Nach der vom EuGH gegebenen und für den erkennenden Senat verbindlichen Auslegung dieser Vorschrift bedeuten die Worte „mit bloßem Auge wahrnehmbar”, daß das Tränken, Bestreichen oder Überziehen des Gewebes bei einer einfachen visuellen Überprüfung unmittelbar sichtbar sein muß. Eine solche Wahrnehmbarkeit mit bloßem Auge hat die OFD in der angefochteten vZTA verneint und es damit abgelehnt, die streitige Ware der von der Klägerin beanspruchten Tarifnr. 59.08 GZT zuzuweisen. Die OFD hat die Ware vielmehr als Gewebe aus synthetischen Spinnfäden (sog. Segeltuch-Textil, dichtes Gewebe, roh, ganz aus synthetischen Spinnfäden) der Tarifst. 51.04 A GZT zugewiesen.
Der EuGH hat zwar die Vorlagefrage 1 Satz 2 nicht direkt beantwortet, sondern im Entscheidungssatz 2 lediglich ausgeführt, es sei Sache der Mitgliedstaaten, die für die Tarifierung der Erzeugnisse zuständigen Behörden und Personen zu benennen und über die Ausbildung dieser Personen zu entscheiden, damit diese ihre Aufgabe korrekt erfüllen können. Dieser Entscheidungssatz ist aber zumindest dahin zu verstehen, daß es auf die Wahrnehmungsfähigkeit der mit der Tarifierung befaßten Personen ankommt und daß Sachverständige zur Entscheidung dieser Frage nicht heranzuziehen sind. In Übereinstimmung mit dieser Beurteilung hat der EuGH in Abs. 12 der Entscheidungsgründe bei der Auslegung des Ausdrucks „mit bloßem Auge erkennbar” ausgeführt, dieses Kriterium für die Tarifierung diene im wesentlichen dem Anliegen, eine rasche Überprüfung bei der Verzollung zu ermöglichen. Das schließt aber die Heranziehung von Sachverständigen aus. Es ist danach nicht zu beanstanden, daß die OFD bei der Beurteilung der Frage, ob das Tränken, Bestreichen oder Überziehen des Gewebes mit bloßem Auge sichtbar ist, auf die Wahrnehmungsfähigkeit ihrer Beamten abgestellt und nicht Sachverständige herangezogen hat.
2. Der Senat hat in Überprüfung der angefochtenen vZTA selbst zu entscheiden, ob es sich bei dem zu beurteilenden Segeltuch-Textil um eine Ware der Tarifnr. 59.08 GZT handelt, insbesondere, ob die Voraussetzungen der diese Tarifierung regelnden Vorschrift 2 Aa) zu Kapitel 59 GZT vorliegen, ob also das Tränken, Bestreichen oder Überziehen des Gewebes bei einer einfachen visuellen Überprüfung unmittelbar sichtbar ist. Diese Frage ist zu verneinen.
a) Das Gewebe weist bei einfacher visueller Überprüfung an der Innenseite und an der Außenkante erkennbar die gleiche Struktur und den gleichen Glanz auf. Dieser Glanz allein reicht nicht aus, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß das Gewebe etwa mit bloßem Auge wahrnehmbar in der nach der Vorschrift 2 Aa) genannten Weise behandelt worden sei. Er kann auch andere mögliche Ursachen als eine solche Behandlung haben.
b) Nach dem EuGH-Urteil kommt es bei der Anwendung der Vorschrift 2 Aa) zu Kapitel 59 auf andere Erkenntnismöglichkeiten, die über die Wahrnehmbarkeit des Tränkens, Bestreichens oder Überziehens des Gewebes mit bloßem Auge hinausgehen, nicht an. So ist es insbesondere nicht gestattet, aus der Steifigkeit eines Gewebes die Folgerung zu ziehen, daß es eine solche Behandlung erfahren habe. Es ist deshalb unbeachtlich, daß aufgrund der unbestritten durchgeführten Behandlung des Segeltuchgewebes mit Zellulosederivaten oder anderen Kunststoffen das Segeltuchgewebe an den Schnittkanten sichtbar nicht „ausfusselt”, worauf die Klägerin abstellen möchte. Zu dieser Frage hat der EuGH in den Entscheidungsgründen Abs. 13 ausgeführt:
„Darüber hinaus spricht aber der Zusatz zu Buchst. a der Vorschrift, nach dessen Wortlaut die durch die Behandlung hervorgerufenen Veränderungen der Farbe außer Betracht bleiben, für die Auffassung daß es möglich sein muß, eine erfolgte Behandlung unmittelbar zu erkennen und nicht aus anderen Eigenschaften herzuzuleiten, die das Gewebe aufgrund dieser Behandlung möglicherweise erworben hat.”
Der EuGH betrachtet danach die durch die Behandlung hervorgerufene Veränderung der Farbe als eine Eigenschaft, aus der nicht hergeleitet werden kann, daß das Gewebe den genannten Behandlungen unterzogen worden ist, und folgert daraus, daß auch die durch die Behandlung des Gewebes hervorgerufene Steifigkeit nicht ausreicht, davon auszugehen, daß die Behandlung mit bloßem Auge wahrnehmbar sei, weil sie nur mittelbar darauf schließen lasse, aber nicht unmittelbar mit bloßem Auge wahrnehmbar ist.
c) Im übrigen ist zu der vom EuGH vorgenommenen Auslegung der Vorschrift 2 Aa), daß nämlich das Tränken, Bestreichen oder Überziehen des Gewebes bei einer einfachen visuellen Überprüfung unmittelbar sichtbar sein muß, zusätzlich auf Abs. 20 der Entscheidungsgründe hinzuweisen. Dort ist ausgeführt:
„In den Fällen, in denen diejenigen, denen die Mitgliedstaaten diese Aufgabe übertragen haben, nicht in der Lage sein sollten, die Behandlung des Gewebes durch eine einfache visuelle Überprüfung festzustellen, ergibt sich aus der Vorschrift, daß diese Behandlung, auch wenn sie tatsächlich stattgefunden hat, nicht ausreicht, um die Ware in die unter Nr. 59.08 vorgesehene Tarifposition anstatt in die auf ein Gewebe dieser Art normalerweise anwendbare Tarifnummer einzureihen. Auf diese Weise schließt die Vorschrift bei der Prüfung, ob das Gewebe eine der artige Behandlung erfahren hat, gerade alle Untersuchungen aus, die die Fähigkeiten dieses Personenkreises übersteigen.”
3. Mit ihren nach Erlaß der EuGH-Vorabentscheidung erhobenen Einwendungen kann die Klägerin keinen Erfolg haben.
a) Im Streitfall ist im Rahmen einer von der Klägerin beantragten vZTA das von ihr als Muster vorgelegte Warenstück zu tarifieren. Auf die Aufmachung und Verpackung einer dem vorgelegten Muster entsprechenden Ware, wie sie den Zollbehörden gestellt wird, kommt es deshalb nicht an.
b) Fehl geht auch der Einwand der Klägerin, daß die Entscheidung des EuGH nur für beschichtetes Gewebe sinnvoll sein könne, nicht jedoch für getränktes. Der EuGH hat zwischen Tränken. Bestreichen oder Überziehen des Gewebes, die jeweils bei einer einfachen visuellen Überprüfung unmittelbar sichtbar sein müssen, keinen Unterschied gemacht. Nicht nur das Bestreichen oder Überziehen, sondern auch das Tränken müsse in einer Intensität erfolgen, die diese Behandlung mit bloßem Auge wahrnehmbar mache.
c) Ob hinsichtlich solcher getränkten Gewebe, deren Behandlung aber mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar ist, von einem – wie die OFD meint – „imprägnierten” Gewebe gesprochen werden kann, ist für die Entscheidung unerheblich. Denn für die Zuweisung von Gewebe aus synthetischen oder künstlichen Spinnfäden zur Tarifst. 51.04 A (wie in der vZTA) ist es ohne Bedeutung, ob sie imprägniert sind oder nicht.
d) Die Bezeichnung der Ware in der vZTA als „rohe” Ware ist für die Tarifierung unschädlich. Im Tarif wird nicht darauf abgestellt. Offenbar soll diese Bezeichnung nur einen Hinweis darauf enthalten, daß es sich um eine noch nicht verarbeitete Ware handelt.
e) Auf die Entscheidung des EuGH vom 15. Februar 1977 Rs. 69–70/76 (EuGHE 1977, 231; Vorlagebeschluß des Bundesfinanzhofs vom 1. Juni 1976 VII R 107/73, BFHE 119, 195) beruft sich die Klägerin zu Unrecht. In diesem Verfahren ging es nicht um die ein bestimmtes Warenmuster betreffende Erteilung einer vZTA, sondern um die tarifliche Einordnung einer anderen von der Klägerin angemeldeten und eingeführten Ware (Orangenpreßrückstand).
Fundstellen
Haufe-Index 510456 |
BFHE 1984, 102 |