Leitsatz (amtlich)
1. Werden Sendungen mit verschiedenen Waren im Verfahren nach § 79 Abs.2 ZG abgefertigt, so bestimmt sich die zu den höchsten Eingangsabgaben führende Tarifstelle nach den tatsächlich vorliegenden Verhältnissen. Dabei kommt es auf Menge oder auch Wert der unter diese Tarifstelle fallenden Waren nicht an.
2. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein im Verfahren nach § 79 Abs.2 ZG entsprechend der Anmeldung erlassener Zollbescheid zum Nachteil des Zollbeteiligten geändert werden kann.
Orientierungssatz
1. Die mit § 79 Abs. 2 ZG verbundene "profiskalische" Wirkung rechtfertigt es nicht, eine auf diese Vorschrift gestützte Nacherhebung von Eingangsabgaben strengeren Anforderungen als denjenigen zu unterwerfen, die allgemein bei der Änderung von Zollbescheiden und Verbrauchsteuerbescheiden zum Nachteil des Beteiligten gelten.
2. Ein nach § 102 FGO gerichtlich nachprüfbarer Ermessensfehler liegt grundsätzlich nicht vor, wenn sich aus der Begründung des angefochtenen, auf § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 beruhenden Änderungsbescheids ergibt, daß die nachgeforderten Eingangsabgaben geschuldet werden und daß keine besonderen Gründe --Treu und Glauben-- gegeben sind, die der Nachforderung entgegenstehen (vgl. BFH-Urteil vom 30.8.1988 VII R 159/85). Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Nachforderung sich darauf stützt, daß --im Falle der "Antragstarifierung" nach § 79 Abs. 2 ZG-- eine andere als die angemeldete Tarifstelle zu den höchsten Eingangsabgaben führt.
3. Der Antrag nach § 79 Abs. 2 ZG gehört zum Zollantrag; wie dieser kann ein Zusatzantrag nach abgeschlossener Zollbehandlung nicht mehr zurückgenommen werden.
Normenkette
ZG § 79 Abs. 2, § 11 Abs. 1, 3; AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 1, § 4; FGO § 102
Tatbestand
I. Die Klägerin ließ aus der CSSR eingeführte Ersatz- und Zubehörteile für Nutzfahrzeuge zum freien Verkehr abfertigen, wobei sie die Anwendung der zu den höchsten Eingangsabgaben führenden Tarifstelle beantragte (§ 79 Abs.2 des Zollgesetzes --ZG--). Bei einer Außenprüfung im Oktober 1979 wurde festgestellt, daß in 15 Sendungen Waren wie Dichtungen aus Papier, Kunststoff oder Kork enthalten waren, die unter Tarifnummern mit höherer Zollbelastung als der nach der von der Klägerin angemeldeten Tarifstelle fielen. Das Hauptzollamt --HZA-- forderte darauf Zoll nach. Das Finanzgericht --FG-- gab der Klage statt, weil Änderungsbescheid und Einspruchsentscheidung keine Ausführungen zur Ermessensausübung enthielten. Solle bei einer Zollabfertigung im Verfahren nach § 79 Abs.2 ZG die Nacherhebung darauf gestützt werden, daß die angewandte Tarifierung nicht zur höchsten Zollbelastung geführt habe, so seien besondere Ermessenserwägungen erforderlich, die sich zusätzlich "mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit" auseinanderzusetzen hätten. Demgegenüber stütze die Nachforderung sich auf Ersatz- und Zubehörteile, die im Gesamtsortiment verschwindend gering seien, unabhängig von dem Verhältnis der höheren Zollsätzen unterliegenden Teile zu den übrigen Waren. Stelle eine Tarifierung nach der ausgesprochen profiskalischen Regelung in § 79 Abs.2 ZG sich als unrichtig heraus, so scheide eine Berichtigung nach dem Zweck der Vorschrift regelmäßig aus.
Mit der Revision macht das HZA geltend, das FG habe nicht berücksichtigt, daß die Finanzbehörde zur Nachforderung von Eingangsabgaben verpflichtet sei, wenn nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehe. Das gelte auch bei Anwendung von § 79 Abs.2 ZG. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege nicht vor. Unerheblich sei, in welchem Verhältnis die dem höheren Zollsatz unterliegenden Teile zu den übrigen Waren ständen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei es auch ausgeschlossen, nachträglich den Warenanteil mit dem höchsten in Betracht kommenden Zollsatz von der Pauschalierung auszunehmen und einzeln zu verzollen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorentscheidung läßt sich mit den sie tragenden Erwägungen nicht rechtfertigen. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen kann der Senat jedoch nicht durcherkennen.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Änderungsbescheides ist § 172 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung --AO 1977--. Zu dieser Vorschrift hat der Senat entschieden, daß ein nach § 102 FGO gerichtlich nachprüfbarer Ermessensfehler grundsätzlich nicht vorliegt, wenn sich aus der Begründung des angefochtenen Änderungsbescheides ergibt, daß die nachgeforderten Eingangsabgaben geschuldet werden und daß keine besonderen Gründe --Treu und Glauben-- gegeben sind, die der Nachforderung entgegenstehen (Urteil vom 30.August 1988 VII R 159/85, BFH/NV 1989, 335). Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Nachforderung sich darauf stützt, daß --im Falle der "Antragstarifierung" nach § 79 Abs.2 ZG (im wesentlichen gleichartig Art.22 der Richtlinie 79/695/EWG des Rates vom 24.Juli 1979 zur Harmonisierung der Verfahren für die Überführung von Waren in den zollrechtlich freien Verkehr, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 205/19)-- eine andere als die angemeldete Tarifstelle zu den höchsten Eingangsabgaben führt.
§ 79 Abs.2 ZG, eine Vereinfachungsvorschrift, gibt dem Zollbeteiligten die Möglichkeit, sich umständliche und zeitraubende Einzelanmeldungen für eine Vielzahl einzelner, tariflich unterschiedlicher Waren einer Sendung oder mehrerer Sendungen zu ersparen (z.B. bei der Einfuhr unterschiedlich zusammengesetzter Ersatzteilsendungen; vgl. Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, B/79 Rdziff.11), und zwar durch den Antrag, die zu den höchsten Eingangsabgaben führende Tarifstelle anzuwenden. Dieser Antrag gehört zum Zollantrag; wie dieser kann ein Zusatzantrag nach abgeschlossener Zollbehandlung nicht mehr zurückgenommen werden (§ 11 Abs.1 und 3 ZG in der hier maßgebenden Fassung vor Inkrafttreten des 17.Gesetzes zur Änderung des ZG vom 12.September 1980, BGBl I 1980, 1695). Der Zollbeteiligte hat es in der Hand, Tarifstellen mit hohen Eingangsabgaben auszuschließen, indem er etwa die entsprechenden Waren für sich anmeldet (vgl. Dienstanweisung in Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung --VSF-- Z 2601 Abs.5; siehe auch amtliche Begründung zu § 79 Abs.2 ZG, Bundeszollblatt 1962, 77). Stellt sich heraus, daß nicht die von ihm angemeldete, sondern eine andere Tarifstelle zur höchsten Abgabenbelastung führt, so kommt, aufgrund seines nicht mehr zurücknehmbaren Antrags, diese Tarifstelle zur Anwendung. Die sich daraus ergebenden Abgaben sind die gesetzlich festzusetzenden und zu erhebenden Steuern (vgl. § 85 AO 1977). Sind die Abgaben zunächst entsprechend der (objektiv unzutreffenden) Anmeldung zu niedrig festgesetzt worden, so kann das HZA den Steuerbescheid --wie in allen anderen Fällen unrichtiger Festsetzung von Eingangsabgaben-- gemäß § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 ändern, ohne daß es besonderer Ermessenserwägungen bedarf. Als ermessensfehlerhaft ist die Änderung im übrigen schon deshalb nicht anzusehen, weil bei Steuerbescheiden mit höherer Bestandskraft die Änderung zwingend ist, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen; § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 (vgl. insoweit Senat, Urteil vom 25.Februar 1986 VII R 14/83, BFHE 146, 18, 21).
Das FG ist, wie schon im Aussetzungsverfahren (Urteil vom 7.Oktober 1981 IV 126/81 KA, Entscheidungen der Finanzgerichte 1982, 271; zustimmend Tipke/Kruse, AO/FGO, 13.Aufl., § 172 AO 1977 Tz.4 a.E.), von --anderen-- Erwägungen ausgegangen, denen der Senat nicht zu folgen vermag. Die mit § 79 Abs.2 ZG verbundene "profiskalische" Wirkung rechtfertigt es nicht, eine auf diese Vorschrift gestützte Nacherhebung von Eingangsabgaben strengeren Anforderungen als denjenigen zu unterwerfen, die allgemein bei der Änderung von Zoll- und Verbrauchsteuerbescheiden zum Nachteil des Beteiligten gelten. Die Besteuerung aufgrund "profiskalischer" Vorschriften --zu ihnen mögen etwa die über die Haftung nach der höchsten in Betracht kommenden Zollbelastung (§ 6 Abs.1 Satz 3, Abs.3 Satz 3, Abs.5 letzter Satz, § 8 Abs.3 Satz 2, § 12a Abs.3 Satz 2, § 41 Abs.2 Satz 3, Abs.5 Satz 2, Abs.8 Satz 1 ZG) gerechnet werden-- unterliegt denselben Regeln wie die Besteuerung aufgrund anderer Vorschriften. Es kann auch nicht darauf ankommen, welchen Anteil nach Wert oder auch Menge die den höchsten Eingangsabgaben unterliegenden Waren innerhalb der Gesamtsendung ausmachen. Mit Recht weist das HZA darauf hin, daß Wortlaut und Sinn der Vereinfachungsvorschrift eine Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts ausschließen. § 79 Abs.2 ZG führt auch nicht zu einem für den Beteiligten unzumutbaren Ergebnis. Dieser braucht nicht die Anwendung der Tarifstelle mit der höchsten Eingangsabgabenbelastung zu beantragen; geschieht dies aber, so hat er --wie ausgeführt-- die Möglichkeit, einzelne, besonders hohen Abgabensätzen unterliegende Waren auszunehmen und sich vor entsprechenden Abgabenforderungen zu schützen. Soweit Tipke/Kruse (a.a.O.) meinen, eine Korrektur scheide nach dem Normzweck regelmäßig aus, wenn eine Tarifierung gemäß § 79 Abs.2 ZG sich als unrichtig herausstellt, übersehen sie, daß bei der Antragstarifierung nicht unbedingt die Anmeldung, sondern die Tarifstelle mit der tatsächlich höchsten Eingangsabgabenbelastung zugrunde zu legen ist. Der Zweck der Vorschrift --Tarifierungsvereinfachung-- wird dadurch nicht in Frage gestellt, weil es dabei bleibt, daß eine (genaue) Einzeltarifierung sich erübrigt.
Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, muß sein Urteil aufgehoben werden. Der Senat kann indessen keine abschließende Entscheidung treffen, da es zusätzlicher Feststellungen darüber bedarf, ob Umstände vorliegen, die die Nachforderung als gegen Treu und Glauben --vgl. § 4 AO 1977-- verstoßend erscheinen lassen könnten (zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts Senat in BFH/NV 1989, 335). Die Klägerin hat sich im Klageverfahren darauf berufen, daß "der Zollverwaltung" bereits seit langem die Beschaffenheit der in Betracht kommenden Ersatzteile --mit (geringfügigen) Anteilen an Kunststoff usw.-- bekannt gewesen sei. Auf dieses Vorbringen ist das FG --von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend (Ermessensfehler), mit Recht-- nicht eingegangen. Die Vorinstanz wird festzustellen haben, ob solche Teile in den Sendungen enthalten waren und ob das HZA die Antragstarifierungen nach der angemeldeten Tarifstelle durchgeführt hat, obwohl ihm das Vorliegen von unter Tarifstellen mit höherer Abgabenbelastung fallenden Teilen bekannt war. Sollte ein entsprechendes nachhaltiges oder nachdrückliches Verhalten des HZA vorliegen, so könnte das HZA die Fehltarifierung selbst dann nicht berichtigen, wenn die Klägerin es unterlassen hat, sich eine verbindliche Zolltarifauskunft --vZTA-- zu beschaffen. Im Verfahren nach § 79 Abs.2 ZG kommt es nicht auf die Tarifierung der einzelnen Waren, sondern nur darauf an, welche Tarifstelle zu den höchsten Eingangsabgaben führt. Dazu bedarf es auch einer Prüfung durch die Zollstelle, die schriftlich zu entscheiden hat, wenn die Antragstarifierung wiederholt stattfinden soll (VSF, a.a.O., Abs.6). Unter diesen Umständen kann von dem Beteiligten grundsätzlich nicht gefordert werden, daß er für eine Vielzahl einzelner Waren aus den eingeführten oder noch einzuführenden Sendungen vZTA einholt, um sich zu vergewissern, welche Tarifstellen in Betracht kommen, und danach zu entscheiden, welche Tarifstelle als die mit der höchsten Abgabenbelastung anzumelden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 62658 |
BFH/NV 1989, 53 |
BFHE 158, 200 |
BFHE 1990, 200 |
BB 1989, 2471-2471 (L1-2) |
HFR 1990, 147 (LT) |