Leitsatz (amtlich)
Die Überschreitung der in § 41 Abs. 2 und 3 GmbHG festgelegten Fristen zur Aufstellung der Bilanz stellt einen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung dar, der einer Kürzung des Gewerbeertrags um die Fehlbeträge gemäß § 10a GewStG 1962 entgegensteht.
Normenkette
GewStG 1962/1965 § 10a; EStG § 5; GmbHG § 41 Abs. 2-3
Tatbestand
Streitig ist bei der Festsetzung der Gewerbesteuermeßbeträge 1964 und 1965 für den Gewerbebetrieb der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ob der maßgebende Gewerbeertrag um Fehlbeträge aus früheren Jahren gekürzt werden kann (§ 10 a GewStG), obwohl die Bilanzen zu den jeweiligen Bilanzstichtagen der Verlustjahre erst nach mehr als 16 Monaten bzw. nach mehr als 18 Monaten erstellt worden waren.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) hatte die Klägerin - eine GmbH - für die Streitjahre entsprechend ihren Gewerbesteuererklärungen veranlagt, mit denen sie u. a. einen Abzug gewerblicher Verluste aus den Jahren 1962 und 1963 geltend gemacht hatte. Die Bilanz zum 31. Dezember 1962 war am 20. Juli 1964, die Bilanz zum 31. Dezember 1963 am 19. Mai 1965 unterzeichnet, mit ihrer Aufstellung war nach Angabe der Klägerin für das Jahr 1962 im November 1963 und für das Jahr 1963 im Januar 1965 begonnen worden. Der genaue Zeitpunkt der Abschlußbuchungen und der tatsächlichen Beendigung der Bilanzaufstellung ließ sich nicht mehr feststellen. Die Klägerin begründete diese Verzögerungen damit, daß der seinerzeit einzige Buchhalter von Ende 1963 bis Anfang 1964 erkrankt gewesen sei. Ferner habe das Ergebnis einer Betriebsprüfung, die Ende 1963 durchgeführt worden sei und die Jahre 1959 bis 1961 erfaßt habe, abgewartet werden müssen. Mit der Bilanzaufstellung auf den 31. Dezember 1963 sei ein Steuerbevollmächtigter etwa Mitte 1964 beauftragt worden. Er habe den Auftrag jedoch am 10. Oktober 1964 wegen Krankheit seiner Frau zurückgegeben. Daraufhin sei im Dezember 1964 ein Wirtschaftsprüfer beauftragt worden. Die Bilanz sei von diesem innerhalb der vom FA gewährten Fristverlängerung für die Einreichung der Steuererklärung erstellt und dem FA eingereicht worden.
Aufgrund dieses - bei einer Betriebsprüfung festgestellten - Sachverhalts lehnte das FA die Kürzung der Gewerbeerträge um die Gewerbeverluste dieser Jahre wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung ab und setzte die einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge für die Streitjahre anderweitig fest.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit der Revision beantragt die Klägerin, die Vorentscheidung aufzuheben. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts (§ 10 a GewStG, § 41 GmbHG, § 39 Abs. 2 HGB) sowie - unter Hinweis auf die vom FA gewährte Verlängerung der Steuererklärungsfrist - Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Der BdF, der dem Verfahren gemäß § 122 FGO beigetreten ist, trägt unter Bezugnahme auf eine Äußerung des Bundesministers der Justiz vor, durch die Versäumung der Frist zur Aufstellung der Bilanz würden die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verletzt. Dieser Mangel sei jedoch handelsrechtlich durch Aufstellung der Bilanz heilbar. Steuerrechtlich hält der BdF die Fristüberschreitung nur dann für einen Grund, die Buchführung als nicht ordnungsmäßig zu verwerfen, wenn die Tatsache der Verspätung geeignet ist, das sachliche Ergebnis der Buchführung zu beeinflussen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 10a GeWStG kann die Klägerin den Gewerbeertrag der Streitjahre u. a. nur dann um die Verluste früherer Jahre kürzen, wenn sie ihren Gewinn - in den Verlustentstehungsjahren (vgl. BFH-Urteile vom 12. Januar 1966 I 184/63, BFHE 85, 161, BStBl III 1966, 270; vom 29. April 1970 IV R 259/69, BFHE 99, 365, BStBl II 1970, 714) - aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 5 EStG ermittelt hat. Dies ist nicht der Fall.
Eine Buchführung ist dann ordnungsmäßig, wenn sie den Grundsätzen des Handelrechts entspricht (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 23. Juni 1971 I B 6/71, BFHE 102, 517, BStBl II 1971, 709 - zu § 10 d EStG -; BFH-Urteil vom 24. September 1974 VIII R 125/70, BFHE 113, 500, BStBl II 1975, 78). Das gilt auch für § 10 a GewStG. Auf die Art der vom Steuerpflichtigen im Einzelfall beanspruchten Steuervergünstigung kommt es nicht an (BFH-Urteile vom 14. Dezember 1966, VI 245/65, BFHE 87, 616, BStBl III 1967, 247; vom 1.Oktober 1969 I R 73/66, BFHE 97, 21, BStBl II 1970, 45).
Zu diesen Grundsätzen gehören - neben den die laufende Buchführung und Aufstellung des Inventars betreffenden Regeln - auch diejenigen über die ordnungsmäßige Aufstellung der Handelsbilanz (BFH-Urteile vom 12. Dezember 1972 VIII R 112/69, BFHE 109, 167, BStBl II 1973, 555, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; vom 12. Dezember 1973 I R 163/69, BFHE 111, 24, BStBl II 1974, 188; vgl. auch den Überblick über die in der Literatur vertretenen Meinungen bei Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 5 EStG Anm. 46 a, und Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 162 der Reichsabgabenordnung - AO - Anm. 1). Erst mit dieser Aufstellung wird die Vermögenslage des Kaufmanns i. S. von § 38 Abs. 1 HGB ersichtlich gemacht.
Zu den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung gehört auch, daß die Bilanz innerhalb einer bestimmten Frist erstellt wird (vgl. BFH-Urteile VII R 112/69, I R 163/69, VIII R 125/70). § 39 Abs. 2 Satz 2 HGB bestimmt, "das die Aufstellung des Inventars und der Bilanz innerhalb der einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang entsprechenden Zeit zu bewirken ist". Dieser Zeitraum ist u. a. für die Bilanzen von Kapitalgesellschaften gesetzlich festgelegt. Für die Klägerin gilt nach § 41 Abs. 2 und 3 GmbHG eine Frist von mindestens drei Monaten und - wenn der Gesellschaftsvertrag dies vorsieht - höchstens sechs Monaten. Die Überschreitung dieser Fristen ist ein Mangel der Buchführung im ganzen, mit der zwangsläufigen Folge, daß die an eine ordnungsmäßige Buchführung anknüpfenden Steuervergünstigungen ausnahmslos entfallen.
Auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben kann der Kägerin die Vergünstigung des § 10a GewStG nicht zuteil werden. Der Umstand, daß das FA die Frist zur Abgabe der Steuererklärungen antragsgemäß verlängert hat, besagt lediglich, daß es von den an sich zulässigen Verspätungssanktionen (Zwangsgeld, Verspätungszuschläge) absehen wolle, nicht aber, daß eine Steuervergünstigung, deren Voraussetzungen das Gesetz festlegt, auch ohne das Vorliegen dieser Voraussetzungen zugestanden werden solle. Ein Vertrauenstatbestand in dieser Richtung wurde durch die Verlängerung der Steuererklärungsfrist nicht geschaffen.
Fundstellen
BStBl II 1978, 315 |
BFHE 1978, 315 |