Leitsatz (amtlich)

Bei der Entscheidung, ob die Einziehung von Leistungen auf Umstellungsgrundschulden, die auf einem vom Eigentümer selbst bewohnten, ihm durch Beschlagnahme durch die Besatzungsmacht entzogenen Grundstück ruhen, eine offenbare Härte darstellt, können Aufwendungen des Eigentümers für Hausrat und Kleidung im Rahmen der Entscheidung IV 376/51 S vom 16. Oktober 1952 (BStBl. 1952 Teil III S. 298) als "besonderer Umstand" im Sinne des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 8. März 1951 (BStBl. 1951 Teil I S. 262) berücksichtigt werden.

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist als Eigentümer des mit Umstellungsgrundschulden belasteten Grundstücks ..... Schuldner von Zinsen und Tilgungsraten auf Grund des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 2. September 1948 in der Fassung vom 10. August 1949 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets -- WiGBl. -- S. 232). Er hat gemäß § 5 Abs. 4 der Ersten Verordnung zur Durchführung dieses Gesetzes vom 7. September 1948 (WiGBl. S. 88) den Antrag gestellt, die für 1949 geschuldeten Zinsen zu erlassen und die Einziehung der Tilgungsraten auszusetzen. Zur Begründung hat er vorgetragen: Das Haus, ein Einfamilienhaus, sei seit Jahren von der Besatzungsbehörde beschlagnahmt, er erhalte nur eine geringfügige Nutzungsentschädigung, die in gar keinem Verhältnis zu dem Nutzungswert des Grundstücks stehe. Außerdem sei er in seiner Tätigkeit auf die seit längeren Jahren für seine Berufszwecke genutzten Räume angewiesen. Lasten, die dem in der freien Verfügung über sein Eigentum nicht beschränkten Hausbesitzer auferlegt würden, dürften ihm nicht zugemutet werden.

Das Finanzamt hat jede Ermäßigung versagt und die Oberfinanzdirektion die Entscheidung gebilligt. Auch die Berufung war erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

Der Streit geht lediglich um die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dem Umstand der Beschlagnahme durch die Besatzungsmacht für die Aufbringung von Leistungen Bedeutung zukommt. Die Erste Durchführungsverordnung sieht Vergünstigungen im § 5 Abs. 4 auf verschiedenen Ebenen vor. Einmal hat der Schuldner einen Rechtsanspruch, wenn die nach der genannten Vorschrift Satz 1 Halbsatz 1 aufgestellte Wirtschaftlichkeitsberechnung ergibt, daß ein ausreichender Überschuß zur Bewirkung der Leistungen nicht vorhanden ist. Darüber hinaus kann nach Halbsatz 2 auch eine Vergünstigung aus Härtegründen gewährt werden. Diese letztere ist, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, in das Ermessen des Finanzamts gestellt, so daß die Steuergerichte nur zu prüfen haben, ob sich die getroffene Entscheidung der Verwaltungsbehörden im Rahmen der ihnen gezogenen Ermessengrenzen hält.

Die Vergünstigung wegen Unwirtschaftlichkeit hat das Finanzgericht mit Recht versagt. Der Senat hat die Vorschrift stets dahin ausgelegt, daß trotz der Fassung als "Kannvorschrift" der Schuldner einen Rechtsanspruch besitzt, sofern die einzeln aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies bedeutet aber andererseits, daß die Aufzählung der Umstände, die bei der Ertragsrechnung zu berücksichtigen sind, abschließend und einer Ausdehnung durch die Rechtsprechung entzogen ist. Die Beschlagnahme durch die Besatzungsbehörde kann daher unmittelbar nicht zu einer Ermäßigung der Leistungen führen. Mittelbar wirkt sie sich aus, indem bei geringer Nutzungsentschädigung nur geringe Einnahmen in die Wirtschaftlichkeitsberechnung eingestellt werden. Ergibt sich trotzdem ein Überschuß, so kann § 5 Abs. 1 Halbsatz 1 nicht zum Zuge kommen. Im vorliegenden Falle besteht hinsichtlich des Vorhandenseins eines Überschusses kein Streit.

Wenn der Bf. bemängelt, daß der Gesetzgeber im § 5 Abs. 4 keine Sonderregelung für die Besatzungsgeschädigten getroffen hat, so ist es nicht Aufgabe der Steuergerichte, seine Auffassung auf ihre Berechtigung nachzuprüfen. Die Steuergerichte haben die Gesetze grundsätzlich so anzuwenden, wie sie erlassen sind. Es handelt sich um öffentlich-rechtliche Leistungen auf Grund dinglicher Belastungen des Hausbesitzes, die genau so erfüllt werden müssen, wie früher die privatrechtlichen Verpflichtungen, soweit der Gesetzgeber nicht Vergünstigungen gewährt.

Über die Vergünstigung wegen Unwirtschaftlichkeit des Grundstücks hinaus berücksichtigt die Härtebestimmung (Halbsatz 2 a. a. O.) die persönlichen Verhältnisse des Schuldners und seine Wirtschaftslage. Die Vorinstanzen haben die Vergünstigung wegen offenbarer Härte versagt, weil die Gesamteinkünfte das in den Richtlinien des Ministers der Finanzen des (damaligen) Landes Württemberg-Baden vom 5. März 1949 (Finanzamtsblatt 1949 S. 143) vorgesehene Existenzminimum überschreiten. Die Ausführungen des Finanzgerichts zu diesem Teil des Antrages sind nicht unbedenklich.

Da die -- insoweit nicht zu beanstandenden -- Richtlinien die Gesamteinkünfte dem Existenzminimum gegenüber stellen, kommt es entscheidend darauf an, in welcher Weise die Einkünfte ermittelt werden. Die Vorinstanzen haben die Einkünfte aus der Tätigkeit des Bf. dem Einkommensteuerbescheid entnommen und mit dem nach § 5 Abs. 4 der Ersten Verordnung festgestellten Überschuß des Grundstücks zusammengerechnet. Der Einkommensteuerbescheid ist rechtskräftig. Dieses Verfahren vermag der Senat nicht zu billigen. Die "Einkünfte" im Sinne der Richtlinien können nicht nach verschiedenen Methoden, sondern nur einheitlich nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes ermittelt werden. Die Unwirtschaftlichkeitsberechnung nach § 5 Abs. 4 der Ersten Verordnung, die u. a. nur die Zinsen der vorrangigen Belastungen berücksichtigt, muß außer Betracht bleiben. Die nach § 21, § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bleiben im vorliegenden Fall hinter dem "Überschuß" der Ersten Durchführungsverordnung zurück.

Der Bf. hält sich für das Erlaßverfahren an die Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides nicht gebunden. Dem ist zuzustimmen. Auch wenn er bei Verzicht auf das Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid keinen ausdrücklichen Vorbehalt gemacht hätte, könnte ihm der Anspruch auf Nachprüfung der Grundlagen der Einkommensermittlung -- unbeschadet der Rechtskraft der Einkommensteuerveranlagung -- für die Heranziehung nach dem Hypothekensicherungsgesetz nicht versagt werden. Die Sache geht an das Finanzamt zurück.

Es bedarf einer erneuten Prüfung, wie die Gesamteinkünfte nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes zutreffend zu ermitteln sind. Der Bf. hat also Gelegenheit, die Einwendungen, die er im Verfahren der Einkommensteuerveranlagung nicht geltend gemacht hat, jetzt vorzubringen. Von den Gesamteinkünften können die pauschalierten Sonderausgaben abgesetzt werden. Bei der Wiederaufrollung des Verfahrens hat der Bf. weiter die Möglichkeit, die Aufwendungen ziffernmäßig zu belegen, die ihm etwa für die Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung infolge Beschlagnahme seines Hauses in dem maßgeblichen Zeitraum (1949) entstanden sind. Das Finanzgericht hat zwar nicht verkannt, daß unabhängig von dem Verhältnis der Gesamteinkünfte zum Existenzminimum besondere Umstände die Anwendung der Härtebestimmung in höherem Ausmaße rechtfertigen können (vgl. auch III § 19 des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 8. März 1951, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- 1951 I S. 265, der zwar für 1949 noch keine Geltung hat, dessen selbstverständliche Gesichtspunkte jedoch auch für die zurückliegenden Jahre berücksichtigt werden müssen). Das Finanzgericht hat aber in der Beschlagnahme durch die Besatzungsmacht keinen eine höhere Vergünstigung rechtfertigenden Umstand erblickt. Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs hat in der Entscheidung IV 376/51 S vom 16. Oktober 1952 (BStBl. 1952 III S. 298) ausgesprochen, daß bei der Einkommensteuer dem Besatzungsgeschädigten im Rahmen des § 33 Abs. 1 EStG Ermäßigungen gewährt werden können. Der erkennende Senat hält es nicht für gerechtfertigt, bei der Prüfung der Wirtschaftslage des Schuldners im Verfahren nach § 5 Abs. 4 der Ersten Durchführungsverordnung die Berücksichtigung von Aufwendungen für Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung schlechthin auszuschließen. Sie können allerdings von den Gesamteinkünften nur in dem Umfang abgesetzt werden, als sie bei der Veranlagung zur Einkommensteuer nach der Entscheidung IV 376/51 S anerkannt werden müßten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407610

BStBl III 1953, 112

BFHE 1954, 285

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