Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu dem nach § 7 Abs. 4 Nr. 1 KVStG 1986 für die Ermittlung der Überschuldung bzw. des Verlustes am gezeichneten Kapital maßgebenden Zeitpunkt
Leitsatz (NV)
1. Aus dem in § 7 Abs. 4 Nr. 1 KVStG 1986 verwendeten Begriff ,,erforderlich sein" folgt, daß die gesellschaftsteuerbare Leistung die Eignung haben muß, die Überschuldung bzw. den Verlust am gezeichneten Kapital abzudecken. Außerdem muß sie zu einem der genannten Zwecke bestimmt sein.
2. Zu welchem Zweck eine Leistung bestimmt ist, kann sich nur aus dem ihr zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft ergeben. Deshalb ist auf die Vermögenssituation des Zeitpunktes abzustellen, in dem nach dem Verpflichtungsgeschäft der Anspruch auf den Zuschuß entsteht.
3. Bei sog. geborenen Zuschußbetrieben sind Leistungen zur Abdeckung eines erwarteten Verlustes wie Vorauszahlungen auf den zivilrechtlich sich erst am Ende des Geschäftsjahres konkretisierenden Ausgleichsanspruch mit der Folge zu behandeln, daß für die Vermögensermittlung die Verhältnisse maßgebend sind, die sich zum Ende des Geschäftsjahres ohne die Zuschüsse ergeben hätten.
Normenkette
KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a, § 8 S. 1 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1; KVStG 1986 § 7 Abs. 4 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die eine . . .zeitschrift verlegt. Gesellschafter der Klägerin waren in den Jahren 1984 bis 1987 verschiedene Körperschaften des öffentlichen Rechts. Das Stammkapital der Klägerin betrug . . . DM.
Die Herausgabe der . . .zeitschrift löste ständige Verluste aus. Zu deren Abdeckung erhielt die Klägerin von ihren Gesellschaftern in Form von Teilzahlungen jährliche Zuschüsse, die sich in den Jahren 1984 bis 1987 auf jährlich . . . DM beliefen. Das nach Liquidationswerten ermittelte Vermögen der Klägerin betrug am 1. Januar 1984 . . . DM, am 1. Januar 1985 . . . DM, am 1. Januar 1986 . . . DM, am 1. Januar 1987 . . . DM und am 1. Januar 1988 . . . DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erhob von den Zuschüssen Gesellschaftsteuer. Im einzelnen erließ er am 14. Februar 1986, am 24. September 1986, am 5. Mai 1987, am 18. September 1987, am 4. Februar 1988 und am 25. Juli 1988 jeweils Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, in denen bestimmte Zuschüsse versteuert wurden. Am 9. Januar 1989 wurden die Vorbehalte der Nachprüfung für einen Teil der Bescheide aufgehoben. Zu den übrigen Bescheiden ergingen am 17. Januar 1989 Änderungsbescheide gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), wobei die Vorbehalte der Nachprüfung jeweils aufgehoben wurden. In den nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheiden setzte das FA den Steuertarif jeweils mit 1 v. H. an (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes - KVStG - 1972). Es verneinte, daß die Zuschüsse zur Deckung einer Überschuldung oder eines Verlustes am Stammkapital erforderlich gewesen seien. Dazu ermittelte es zu den einzelnen Stichtagen, an denen die Zuschüsse geleistet worden waren, für die Klägerin jeweils Vermögenswerte, die über dem Stammkapital lagen.
Die Sprungklage der Klägerin hatte im wesentlichen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 194 veröffentlicht.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 bzw. des § 7 Abs. 4 KVStG i. d. F. des Art. 15 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 - KVStG 1986 - (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1972 unterliegen Zuschüsse eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer. Ergänzend dazu regeln die §§ 5 und 6 KVStG 1972, was unter einer inländischen Kapitalgesellschaft und was unter einem Gesellschafter zu verstehen ist.
Nach den tatsächlichen und den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) war die Klägerin in den Jahren 1984 bis 1987 eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland. Damit war sie inländische Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 KVStG 1972. Die als Zuschüsse i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1972 zu beurteilenden Geldleistungen wurden von Gesellschaftern der Klägerin i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 KVStG 1972 erbracht. Eine gesetzliche oder gesellschaftsvertraglich vereinbarte Verpflichtung bestand für die Geldleistungen nicht. Diese waren auch geeignet, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen. Dem steht nicht entgegen, daß sie nur dem Ausgleich von Verlusten dienten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Mai 1971 II R 38/70, BFHE 103, 355, BStBl II 1971, 786). Damit war der Besteuerungstatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1972 verwirklicht.
2. Nach § 8 Satz 1 Nr. 2 KVStG 1972 berechnet sich die Gesellschaftsteuer bei steuerpflichtigen Zuschüssen i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1972 vom Wert der Leistung. Im Streitfall entspricht der Wert der Leistung dem Wert der Zuschüsse.
3. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 beträgt die Gesellschaftsteuer 1 v. H. Nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 ermäßigt sie sich auf die Hälfte für Leistungen, die bis zum 31. Dezember 1985 bewirkt wurden, soweit sie zur Deckung einer Überschuldung oder zur Deckung eines Verlustes an dem durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung festgesetzten Kapital (gezeichnetes Kapital) erforderlich sind. Für gleichartige Leistungen, die nach dem 31. Dezember 1985 bewirkt werden, sieht § 7 Abs. 4 Nr. 1 KVStG 1986 eine Steuerbefreiung vor. Zu § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1959 hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 12. September 1990 I R 60/86 (BFHE 162, 474) entschieden, daß für die Ermittlung der Überschuldung einer inländischen Kapitalgesellschaft auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem der Anspruch auf Abdeckung der Überschuldung entsteht. Diese Rechtsprechung ist auch bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 und des § 7 Abs. 4 Nr. 1 KVStG 1986 zu beachten. Sie gilt sinnentsprechend für Leistungen, die zur Deckung eines Verlustes am gezeichneten Kapital erforderlich sind. Aus dem Begriff ,,erforderlich sein" folgt nämlich, daß die Leistung die Eignung haben muß, die Überschuldung bzw. den Verlust am gezeichneten Kapital abzudecken. Außerdem muß sie zu einem der genannten Zwecke bestimmt sein. Zu welchem Zweck eine Leistung bestimmt ist, kann sich aber nicht aus dem Erfüllungsgeschäft, sondern nur aus dem ihm zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft ergeben. Deshalb ist regelmäßig auf die Vermögenssituation in dem Zeitpunkt abzustellen, in dem nach dem Verpflichtungsgeschäft der Anspruch auf den Zuschuß entsteht.
Die vom erkennenden Senat vertretene Rechtsauffassung entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 2. August 1927 II A 95/27, RFHE 22, 34; BFH-Urteile vom 27. August 1968 II R 82/67, BFHE 93, 344, BStBl II 1968, 781; vom 21. September 1977 II R 21/73, BFHE 124, 79, BStBl II 1978, 136). Zu Unrecht hält das FA dieser Rechtsprechung entgegen, sie sei zur Begründung des erwünschten Ergebnisses nicht erforderlich. Auch dann, wenn man den Anspruch der Organgesellschaft gegenüber dem Organträger auf Ausgleich des Verlustes bei der Vermögensermittlung außer Ansatz läßt, muß immer noch über die Frage entschieden werden, ob das Vermögen zum Bilanzstichtag oder zum Zeitpunkt der Erfüllung des Anspruchs auf Verlustausgleich zu ermitteln ist. Das FA beruft sich für seine Rechtsauffassung auch zu Unrecht auf das BFH-Urteil vom 12. Oktober 1988 I R 218/84 (BFHE 155, 404, BStBl II 1989, 330). In dieser Entscheidung hat der Senat zu dem für die Vermögensermittlung maßgebenden Zeitpunkt keine Stellung genommen.
Allerdings gilt für sog. geborene Zuschußbetriebe insoweit eine Besonderheit, als sie häufig schon vor Ablauf des maßgebenden Verlustjahres Zuschüsse ihrer Gesellschafter mit der Zweckbestimmung erhalten, sie zur Abdeckung des erwarteten Verlustes zu verwenden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 124, 79, BStBl II 1978, 136; vom 6. Februar 1980 II R 37/76, BFHE 130, 80, BStBl II 1980, 355). In einem solchen Fall mag sich der Anspruch auf Abdeckung des Verlustes erst mit Ablauf des Geschäftsjahres konkretisieren. Es darf jedoch vom Sinn der Vorschriften her gesehen keinen Unterschied machen, ob der Verlust zunächst entsteht und anschließend durch die Zuschußleistung abgedeckt wird oder ob der Zuschuß schon vorher mit der Bestimmung geleistet wird, mit seiner Hilfe die Entstehung eines Verlustes zu verhindern. Deshalb sind in einem solchen Falle die Zuschüsse wie Vorauszahlungen auf den zivilrechtlich sich erst am Ende des Geschäftsjahres konkretisierenden Ausgleichsanspruch der Gesellschaft mit der Folge zu behandeln, daß für die Vermögensermittlung die Verhältnisse maßgebend sind, die sich zum Ende des Geschäftsjahres ohne die Zuschüsse ergeben hätten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zwischen den einzelnen Zuschußleistungen und dem Bilanzstichtag kein zeitlicher Zusammenhang von mehr als einem Jahr besteht.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), war die Klägerin ein geborener Zuschußbetrieb, d. h. ein Unternehmen, das seiner Zweckbestimmung nach die eigenen Kosten nicht durch erzielte Einnahmen abdecken konnte. Die Klägerin war auf die laufenden Zuschüsse ihrer Gesellschafter zur Deckung der eigenen Verluste angewiesen. Die Gesellschafter leisteten die Zuschüsse mit der Zweckbestimmung, die von allen erwarteten Verluste damit abzudecken. Deshalb sind die geleisteten Zuschüsse wie Vorauszahlungen zu behandeln, die der Abdeckung des im jeweiligen Geschäftsjahr erwarteten Verlustes dienen sollten. Entsprechend ist für die Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 und des § 7 Abs. 4 Nr. 1 KVStG 1986 auf das Vermögen abzustellen, das sich ohne Berücksichtigung der Zuschüsse zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahres ergab. Die Steuerermäßigung für bis zum 31. Dezember 1985 bewirkte Leistungen bzw. die Steuerbefreiung für nach dem 31. Dezember 1985 bewirkte Leistungen sind zu gewähren, soweit die Zuschüsse zur Abdeckung einer Überschuldung bzw. eines Verlustes im gezeichneten Kapital zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahres erforderlich waren.
4. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BFH in BFHE 155, 404, BStBl II 1989, 330, mit weiteren Nachweisen) ist die Überschuldung einer Kapitalgesellschaft i. S. des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 unter Ansatz der Liquidationswerte des Aktivvermögens zu ermitteln. Für die Ermittlung eines Verlustes am gezeichneten Kapital sowie für die Anwendung des § 7 Abs. 4 Nr. 1 KVStG 1972 gilt Entsprechendes. Das FG hat diesen Grundsatz in der Vorentscheidung beachtet. Insoweit besteht auch zwischen den Beteiligten Einigkeit. Der erkennende Senat hat die Berechnung der Bemessungsgrundlage sowohl der ermäßigt zu besteuernden als auch der steuerfreien Leistungen von Amts wegen geprüft und für richtig befunden. Auf die Seiten 10 bis 13 des FG-Urteils wird insoweit Bezug genommen.
Fundstellen
Haufe-Index 417650 |
BFH/NV 1992, 194 |