Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wenn Gewerbetreibende ihren Betrieb oder einen Teil ihres Betriebes in zusätzlichen Räumen ihrer Etagenwohnung untergebracht haben, sind alle Aufwendungen für die betreffenden Räume grundsätzlich Betriebsausgaben.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. die Urteile IV 91/50 U vom 24. November 1950, BStBl 1951 III S. 23, Slg. Bd. 55 S. 59; IV 309/55 U vom 8. November 1956, BStBl 1957 III S. 56, Slg. Bd. 64 S. 147; VI 91/57 U vom 14. November 1958, BStBl 1959 III S. 47, Slg. Bd. 68 S. 122, und I 256/60 U vom 24. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 187) betreffend die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer findet auf solche Fälle keine Anwendung.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für einen gewerblich genutzten Arbeitsraum innerhalb der eigenen Wohnung als Betriebsausgaben.
Der Bf. ist Inhaber der handelsgerichtlich eingetragenen Firma H. In den Streitjahren 1953 bis 1956 befand sich der Betrieb in einem rund 60 qm großen und 4,50 m hohen Lagerraum, der durch Regale in zwei Räume unterteilt war. Der Bf. bewohnte seit 15. September 1953 mit seiner damals vierköpfigen Familie eine 4 1/2-Zimmer-Wohnung mit Wohnküche. Der monatliche Mietpreis für diese Wohnung betrug einschließlich Heizung rund 200 DM.
Bei der Betriebsprüfung im Jahre 1958 stellte der Prüfer fest, daß der Bf. in den Streitjahren den auf ein Zimmer dieser Wohnung entfallenden geschätzten Mietanteil in Höhe von monatlich 60 bis 80 DM als Betriebsausgabe verbucht hatte. Außerdem hatte der Bf. 1953 41,45 DM für das Anbringen von Gardinen in diesem Zimmer als Betriebsausgabe gebucht.
Der Prüfer erkannte diese Ausgaben für die Wohnung nicht als Betriebsausgaben an. Gegen die entsprechend den Vorschlägen des Prüfers ergangenen Berichtigungsbescheide betreffend Einkommensteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1953 bis 1956 legte der Bf. Rechtsmittel ein, mit denen er sich dagegen wandte, daß der Mietanteil für ein Zimmer seiner Wohnung nicht als abzugsfähig anerkannt werde. Der Bf. brachte vor, er könne in seinen Geschäftsräumen, die übermäßig groß und nur ungenügend beheizbar seien, nicht arbeiten. Er nehme den Vorrat an fertigen Waren im Winter mit nach Hause, um sie versandfertig zu machen. In seinem Bürozimmer empfange er öfters Kundenbesuch, weil er seinen Geschäftsfreunden nicht zumuten könne, mit ihm in den kalten Lagerräumen zu verhandeln. Das Bürozimmer sei deshalb auch als Kundenempfangsraum ausgestattet. Zwecks Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehungen seiner früheren Firma in Y habe er in den Streitjahren viele schriftliche Arbeiten zu erledigen gehabt, die er nicht in den schlecht geheizten Lagerräumen habe durchführen können.
Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg. In der Vorentscheidung wird ausgeführt, dem Bf. möge zugegeben werden, daß er das wie ein Herrenzimmer eingerichtete Balkonzimmer in den Streitjahren überwiegend für die Erledigung seiner Korrespondenz und für andere Arbeiten seiner Firma benutzt habe. Sowohl nach Lage des Zimmers als auch nach seiner Einrichtung erscheine aber die Behauptung des Bf. nicht glaubhaft genug, daß jede irgendwie geartete Benutzung des Zimmers als Wohnraum so gut wie ausgeschlossen sei. Nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs IV 91/50 U vom 24. November 1950 (BStBl 1951 III S. 23, Slg. Bd. 55 S. 59), IV 309/55 U vom 8. November 1956 (BStBl 1957 III S. 56, Slg. Bd. 64 S. 147) und VI 91/57 U vom 14. November 1958 (BStBl 1959 III S. 47, Slg. Bd. 68 S. 122) könnten deshalb die Aufwendungen für dieses Zimmer nicht als Betriebsausgaben anerkannt werden.
Mit der Rb. wies der Bf. noch darauf hin, daß sich in dem in seiner Wohnung befindlichen Büroraum außer einem Schreibtisch auch ein Schreibmaschinentisch sowie sämtliche Geschäftsbücher befänden. Die Betriebsprüfung des Finanzamts sei auch in diesem Zimmer durchgeführt worden. Auch der Lohnsteuerprüfer des Finanzamts habe es abgelehnt, seine Arbeiten in den Lagerräumen zu erledigen. Seit über 30 Jahren sei dasselbe Zimmer innerhalb der jeweiligen Wohnung ständig als gewerblicher Arbeitsraum anerkannt worden. Nach seiner übersiedlung aus Y sei er ziemlich ohne Vermögen dagestanden. Er hätte sich die große Wohnung, ohne einen Teil davon als Betriebsbüro und Kundenempfangsraum zu verwenden, nicht leisten können.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zu Unrecht stützt sich die Vorentscheidung auf die Urteile des erkennenden Senats IV 91/50 U vom 24. November 1950, IV 309/55 U vom 8. November 1956 und auf das Urteil des VI. Senats VI 91/57 U vom 14. November 1958 (a. a. O.). Denn diese Urteile befassen sich - ebenso wie das inzwischen ergangene Urteil des I. Senats I 256/60 U vom 24. Januar 1961 (BStBl 1961 III S. 187) - mit der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für ein "häusliches Arbeitszimmer", worunter sie einen Arbeitsraum innerhalb der eigentlichen Wohnung des Steuerpflichtigen verstehen, den dieser entweder neben seinem eigentlichen Arbeitsplatz bei seinem Arbeitgeber, soweit es sich um einen Arbeitnehmer handelt, oder aber, soweit es sich um einen selbständig Tätigen handelt, neben seinen Arbeitsräumen außerhalb der Wohnung als zusätzlichen beruflichen Arbeitsplatz geltend macht. Wenn der Bundesfinanzhof in derartigen Fällen die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für einen solchen häuslichen Arbeitsraum schon dann abgelehnt hat, wenn eine Benutzung dieses Raumes für private Zwecke möglich ist, so ist dieser strenge Maßstab durch die allgemeine Lebenserfahrung gerechtfertigt, nach der von vornherein eine starke Vermutung dafür spricht, daß das sogenannte "häusliche Arbeitszimmer" zu den typischen privaten Wohnräumen des Steuerpflichtigen und seiner Familie gehört und auch entsprechend benutzt wird.
Im vorliegenden Fall steht hingegen fest, daß der Bf. zwar seinen Betrieb, soweit es sich um die Herstellung, Lagerung, Verpackung und ähnliche Arbeitsvorgänge handelt, in einem großen Lagerraum außerhalb seiner Wohnung untergebracht hat, aber alle Büroarbeiten, Kundenempfänge usw. im Arbeitszimmer seiner Wohnung vornehmen mußte, das damit zum gewerblich genutzten Arbeitsraum wurde. Nun sind alle Aufwendungen für gewerbliche Arbeits- und Betriebsräume grundsätzlich Betriebsausgaben, und zwar auch dann, wenn diese Räume innerhalb der geschlossenen Etagenwohnung des Steuerpflichtigen liegen. Typische Gewerbezweige, bei denen der Gewerbetreibende seine Betriebstätte häufig in seiner Wohnung untergebracht hat, sind zum Beispiel Maßschneidereibetriebe und Handelsagenturen. Voraussetzung für die Anerkennung derartiger gewerblich genutzter Räume als Betriebsräume ist, daß es sich dabei um zusätzliche Räume neben den eigentlichen privaten Wohnräumen innerhalb der Wohnung handelt, der Steuerpflichtige also eine entsprechend kleinere Wohnung gemietet hätte, wenn er seinen Gewerbebetrieb nicht in seiner Wohnung untergebracht hätte. Nur dann wird man sagen können, daß die betreffenden Raumkosten Aufwendungen darstellen, die betrieblich veranlaßt und deshalb gemäß § 4 Abs. 4 EStG als Betriebsausgaben abzugsfähig sind.
Ob diese Voraussetzung im Einzelfall gegeben ist, wird man auf Grund der sozialen und wirtschaftlichen Stellung des Steuerpflichtigen und der Größe seiner Familie einerseits sowie auf Grund der Größe des Betriebs und des Umfangs der betrieblichen Nutzung der Räume andererseits entscheiden können (vgl. das Urteil des Senats IV 333/59 U vom 18. Mai 1961, BStBl 1961 III S. 337).
Im vorliegenden Fall standen der vierköpfigen Familie des Bf. als private Wohnräume ein über 30 qm großes Wohn- und Eßzimmer, ein großes elterliches Schlafzimmer, zwei Schlafräume für die beiden Kinder und eine Wohnküche zur Verfügung. Unstreitig benötigte der Bf. das Büro- oder Herrenzimmer der Wohnung für seine im Gewerbebetrieb besonders in den Jahren des Wiederaufbaus anfallenden umfangreichen Büro- und Korrespondenzarbeiten, da der von ihm gemietete Lagerraum für derartige Arbeiten nicht geeignet war. Berücksichtigt man bei dieser Sachlage die wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen sich der Bf. nach seiner übersiedlung aus Y in den Streitjahren befand, so kann nach Auffassung des Senats kein Zweifel bestehen, daß die Behauptung des Bf., er hätte eine so große Wohnung mit einem monatlichen Mietpreis von 200 DM (einschließlich Heizung) nicht gemietet, wenn er in ihr nicht auch sein Betriebsbüro eingerichtet hätte, der Wahrheit entspricht. Nach Lage der Verhältnisse muß angenommen werden, daß der Bf. eine kleinere und billigere Wohnung gemietet hätte, wenn er in ihr nicht sein Betriebsbüro hätte unterbringen müssen. Damit sind aber die Voraussetzungen für die Anerkennung der Aufwendungen für diesen Büroraum als Betriebsausgaben erfüllt.
Da die Vorentscheidung auf Grund abweichender rechtlicher Beurteilung zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangt ist, muß sie wegen Rechtsirrtums aufgehoben werden. Der Bf. hat in den Streitjahren als anteilige Raumkosten für das streitige Zimmer einen monatlichen Betrag von 60 DM (1953), 70 DM (1954), 75 DM (1955) und 80 DM (1956) angesetzt. Wenn es zutrifft, daß sich in den Streitjahren die monatliche Miete für die ganze Wohnung einschließlich Heizung auf etwa 200 DM belief, so hat der Bf. die anteiligen Raumkosten für das strittige Zimmer zu hoch veranschlagt. Die Sache wird daher unter Aufhebung auch der Einspruchsentscheidung an das Finanzamt zurückverwiesen, das unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen die auf das strittige Zimmer nach seiner Größe im Verhältnis zur Gesamtwohnung entfallenden Raumkosten festzustellen und die entsprechenden Steuern festzusetzen haben wird. Dem Finanzamt werden auch die Entscheidung über die Kosten und die Feststellung des Streitwerts übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 410171 |
BStBl III 1961, 465 |
BFHE 1962, 548 |
BFHE 73, 548 |