Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlust der wirtschaftlichen Identität i.S. des § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG; Kapitalerhöhung und Wechsel von unmittelbarer zu mittelbarer Beteiligung als Anteilsübertragung; Verfassungsmäßigkeit der erstmaligen Anwendung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Übernahme von 60 v.H. des Stammkapitals einer Körperschaft anlässlich einer Kapitalerhöhung steht einer entsprechenden Anteilsübertragung i.S. von § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) gleich.
2. Werden die Anteile an einer GmbH anlässlich einer Kapitalerhöhung von einer KG übernommen, an der die übrigen Gesellschafter der GmbH mittelbar im letztlich selben Verhältnis beteiligt sind, liegt ein schädlicher Anteilseignerwechsel i.S. von § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 vor (Bestätigung des Senatsurteils vom 20. August 2003 I R 81/02, BFHE 203, 424, BStBl II 2004, 614).
3. § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) i.V.m. § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 (BGBl I 1997, 3121, BStBl I 1998, 7), nunmehr § 34 Abs. 6 Satz 2 KStG 1999 i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) wirkt nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise zurück.
Normenkette
KStG 1996 § 8 Abs. 4, § 54 Abs. 6 S. 2; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
A. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine 1991 als Hoch- und Tiefbaugesellschaft gegründete, zwischenzeitlich mehrfach umfirmierte GmbH, die zunächst in der Baubranche tätig war. Ihr Stammkapital von zunächst 200 000 DM hielten fünf Gesellschafter mit Anteilen zwischen 14,9 v.H. und 23,4 v.H. Am 16. Juni 1993 traten die bisherigen Gesellschafter ihre Gesellschaftsanteile an fünf Neugesellschafter ab, die --nach einer Kapitalerhöhung vom 2. Mai 1994 um weitere 200 000 DM-- zu jeweils 20 v.H. beteiligt waren: A, B, C, D sowie E.
Am 7. Februar 1997 wurde das Stammkapital der Klägerin nochmals um 600 000 DM erhöht. Die Klägerin stellte das bisherige Baugeschäft ein und entließ die überwiegende Zahl an Mitarbeitern. Durch Sacheinlage wurden ihr ca. 900 000 DM neues Betriebsvermögen zugeführt, das bisherige Betriebsvermögen wurde veräußert und der Geschäftsführer abbestellt. Gegenstand des Unternehmens war nunmehr die Planung und Konstruktion, die Ausführung und der Vertrieb von kommunikationstechnischen Anlagen jeder Art, inklusive des dazugehörigen Hoch- und Tiefbaus, der Handel mit elektrischen und industriellen Maschinen, die Übernahme von Vertretungen einschlägiger Fabrikate sowie die Beteiligung an elektrischen und industriellen Bauausführungen für eigene und fremde Rechnungen. Darüber hinaus war die Gesellschaft befugt, elektrische und industrielle Anlagen in eigener Regie zu betreiben.
Die neuen Anteile wurden von einer KG, der KG I, durch Sacheinlage eines Teilbetriebs übernommen. Die Beteiligungen der bisherigen fünf Gesellschafter verringerten sich dadurch auf je 8 v.H. Die KG I übernahm 60 v.H. der Stammeinlage. An ihr waren als persönlich haftende Gesellschafterin eine GmbH, die GmbH II, mit 250 000 DM und als Kommanditistin eine weitere KG, die KG II, mit 4 750 000 DM beteiligt. Gesellschafter der KG II waren als Komplementärin eine dritte GmbH, die GmbH III, mit 4 v.H. sowie als Kommanditisten die fünf Gesellschafter der Klägerin, von diesen A, B, C und D zu 18,89 v.H. und E zu 20 v.H.
Die Einbringung des Teilbetriebs im Rahmen der Erhöhung des Stammkapitals am 7. Februar 1997 erfolgte rückwirkend auf den 1. Juli 1996 zu Buchwerten. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn nach einem abweichenden Wirtschaftsjahr auf den 30. Juni des Jahres.
Der zum 30. Juni 1996 vorhandene verbleibende Verlustvortrag war auf den 31. Dezember 1996 in Höhe von 2 784 666 DM und auf den 31. Dezember 1997 in Höhe von 2 303 652 DM gesondert festgestellt worden. Für das Streitjahr 1998 ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den hiernach verbleibenden Verlustvortrag unter Hinweis auf § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes 1996 (KStG 1996) i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) --KStG 1996 n.F.--, § 10a Satz 4 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 1991) und Tz. 28 des dazu ergangenen Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 16. April 1999 (BStBl I 1999, 455) wegen Verlustes der wirtschaftlichen Identität nicht zum Abzug zu. Sowohl der verbleibende Verlustvortrag auf den 31. Dezember 1998 als auch der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1998 wurden jeweils auf 0 festgestellt.
Die Klage gegen die hiernach ergangenen Steuerbescheide blieb erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, vom 26. Juli 2001 6 K 358/00 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 863 abgedruckt.
Die Klägerin stützt ihre Revision auf Verletzung des § 8 Abs. 4 KStG 1996.
Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die angefochtenen Steuerbescheide dahin zu ändern, dass bei der Körperschaftsteuer 1998 ein zusätzlicher Verlust von 1 650 701 DM und beim Gewerbesteuermessbetrag 1998 ein zusätzlicher Verlust von 1 703 875 DM berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das dem Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf entsprechende Aufforderung durch den Senat (Beschluss vom 4. September 2002 I R 78/01, BFH/NV 2003, 348) beigetretene BMF hat sich in der Sache dem FA angeschlossen, jedoch keine eigenen Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
B. Das durch Beschluss des Senats vom 29. Oktober 2003 gemäß § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten zum Ruhen gebrachte Revisionsverfahren ist fortzuführen. Der Ruhensgrund ist entfallen, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Beschluss vom 15. Januar 2008 2 BvL 12/01 (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2008, 556) über die ihm vom Senat durch Senatsbeschluss vom 18. Juli 2001 I R 38/99 (BFHE 196, 232, BStBl II 2002, 27) nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen entschieden hat.
C. Die Revision ist unbegründet.
1. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996, für die Ermittlung des Gewerbeertrages i.V.m. § 10a Satz 4 GewStG 1991, ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) und für die Kürzung des Gewerbeertrags um Fehlbeträge bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG 1996 definiert die "wirtschaftliche Identität" einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft ("insbesondere"; vgl. Senatsurteile vom 13. August 1997 I R 89/96, BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829; vom 8. August 2001 I R 29/00, BFHE 196, 178, BStBl II 2002, 392; Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2001 I R 58/01, BFHE 197, 248, BStBl II 2002, 395), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Die Vorschrift setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter Satz 1 der Vorschrift zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind.
Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. bis zur Änderung durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (KStG 1996 a.F.) fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn --erstens-- bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als 75 v.H. der Geschäftsanteile übertragen werden, --zweitens-- überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und --drittens-- der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen wieder aufgenommen wird. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. sind diese Voraussetzungen in zwei Punkten verschärft worden: Die wirtschaftliche Identität fehlt danach bereits dann, wenn mehr als 50 v.H. der Geschäftsanteile übertragen werden und wenn der Geschäftsbetrieb mit dem überwiegend neuen Betriebsvermögen fortgeführt wird.
2. Das FG hat angenommen, dass § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. im Streitfall anzuwenden ist und dass die Voraussetzungen des gesetzlichen Hauptanwendungsfalls fehlender wirtschaftlicher Identität in Satz 2 der Vorschrift erfüllt sind. Dem ist beizupflichten. Dabei gilt es, was die tatbestandlichen Voraussetzungen anbelangt, zwei Fragenkomplexe auseinanderzuhalten: Zum einen die Frage, ob eine Kapitalerhöhung einer Anteilsübertragung gleichsteht, und zum anderen die Frage, ob die mittelbar weiterhin bestehende beherrschende Beteiligung der Altgesellschafter über die nunmehr beteiligte Personengesellschaft den Verlust der wirtschaftlichen Identität ausschließt. Die erste Frage ist zu bejahen, die zweite zu verneinen.
a) Bei der Kapitalerhöhung und Sacheinbringung in die Verlustgesellschaft liegt strenggenommen zwar keine Übertragung bisheriger Anteile vor. Berücksichtigt man aber, dass Satz 2 des § 8 Abs. 4 KStG 1996 nur einen Beispielsfall darstellt, so können diese Sachverhalte nach Maßgabe der Grundregel in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996 nicht anders behandelt werden als die eigentliche Anteilsübertragung, vorausgesetzt, die "Schwelle" von mehr als 50 v.H. zur hiernach qualifizierten Neubeteiligung wird infolge der durchgeführten Maßnahmen erreicht und überschritten. Das mag als falsch und sinnwidrig eingeschätzt werden (vgl. z.B. B. Lang in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz 1289.1), entspricht indes der Regelungslage des Regelbeispiels in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996, die insofern keine Einschränkung ermöglicht. Das hat das FG richtig erkannt, und das deckt sich mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum (vgl. z.B. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8 KStG Rz 191d ff.; Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 KStG n.F. Rz 575; derselbe, Der Betrieb --DB-- 1988, 1767, 1769; Moog, DB 2000, 1638; Roser in Gosch, KStG, § 8 Rz 1416; s. auch Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, Jahresband 2008, § 8c KStG Rz J 07-26). Dieser Streitpunkt wird von der Klägerin zwischenzeitlich auch nicht mehr weiterverfolgt.
b) Darüber, wie sich die geschilderten Vorgänge auswirken, wenn sie --wie im Streitfall-- mit einer weiterhin beherrschenden, nunmehr anstatt der unmittelbaren aber mittelbaren Beteiligung der Altgesellschafter --im Streitfall A, B, C, D sowie E-- verbunden sind, hat der Senat zwischenzeitlich durch Urteil vom 20. August 2003 I R 81/02 (BFHE 203, 424, BStBl II 2004, 614) entschieden. Auf dieses Urteil, an dem der Senat festhält, ist, um Wiederholungen zu vermeiden, Bezug zu nehmen. Auch auf diesen Streitpunkt ist die Klägerin zwischenzeitlich nicht mehr eingegangen.
3. Die Neuregelungen sind auf den Streitfall anzuwenden. Sie wirken nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise zurück. Das FG ist deswegen zutreffend von der Geltung von § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. ausgegangen.
a) Die Regelung des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F., wonach bereits die Übertragung von mehr als 50 v.H. der Anteile genügt, ist gemäß § 54 Abs. 6 Satz 1 KStG 1996 i.d.F. von Art. 3 des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 (BGBl I 1997, 3121, BStBl I 1998, 7), nunmehr § 34 Abs. 6 Satz 1 KStG 1999 i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz --StSenkG--) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428), erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden. Für den Fall, dass der Verlust der wirtschaftlichen Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August eingetreten ist, schiebt § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 in der vorgenannten Fassung (§ 34 Abs. 6 Satz 2 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG) den Zeitraum für die erstmalige Anwendung von § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. auf den Veranlagungszeitraum 1998 hinaus. Über einen solchen Sachverhalt ist im Streitfall zu urteilen: Die betreffenden Einbringungs- und Kapitalerhöhungsmaßnahmen wurden von den Beteiligten am 7. Februar 1997 beschlossen. Dass das mit rechtlicher Rückwirkung auf den 1. Juli 1996 geschah, ändert an der Maßgeblichkeit der tatsächlichen Beschlussfassung als dispositionsauslösender Maßnahme im Februar 1997 nichts. Deshalb steht im Streitfall der Versagung des Verlustabzugs nicht entgegen, dass das FA den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31. Dezember 1997 positiv festgestellt hat (vgl. § 10d Abs. 3 EStG 1990 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1991); diese Feststellung erfolgte nach der bis dahin geltenden Regelungslage und stand unter dem Vorbehalt des Verlusts der wirtschaftlichen Identität nach Maßgabe der neuen Regelungslage im folgenden Veranlagungszeitraum (Senatsurteil vom 22. Oktober 2003 I R 18/02, BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468).
b) Die so verstandene Beschränkung des § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 n.F. trägt erkennbar dem Willen des Gesetzgebers Rechnung, das Vertrauen derjenigen Steuerpflichtigen zu schützen, die im Jahre 1997 Gefahr liefen, infolge der rückwirkenden Anwendung der Neuregelungen in § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. im laufenden Veranlagungszeitraum steuerliche Nachteile zu erleiden. Solche Nachteile drohten deswegen, weil § 54 Abs. 6 KStG 1996 n.F. in seiner ursprünglichen Fassung in Gestalt von Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform als erstmaligen Anwendungszeitraum unterschiedslos den Veranlagungszeitraum 1997 bestimmte und von diesem Zeitpunkt an die steuerliche Verrechnung von Verlusten einschränkte. Nachdem sich an dieser sehr weitgehenden Rückwirkung im Schrifttum beträchtliche Kritik entzündet hatte (zu den Nachweisen siehe Haritz, GmbH-Rundschau --GmbHR-- 1998, 81, Fn. 2), wurde § 54 Abs. 6 KStG 1996 n.F. durch das Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 in Art. 3 erneut geändert und um einen Satz 2 in der dargestellten Weise ergänzt. Bei dem nunmehr ausschlaggebenden Stichtag des 5. August 1997 handelte es sich um jenen Tag, an dem der Bundestag das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform beschlossen hat (vgl. Plenarprotokoll der Sitzung des Deutschen Bundestages 13/186, S. 16860). Bei Verlust der wirtschaftlichen Identität nach diesem Zeitpunkt erschien der Steuerpflichtige dem Gesetzgeber im laufenden Verlustabzugsjahr hingegen nicht mehr besonders schützenswert. Das bleibt aus verfassungsrechtlicher Sicht unbeanstandet.
aa) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl. z.B. eingehend Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, BGBl I 1998, 725), dass eine Rechtsnorm "echte" Rückwirkung entfaltet, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt wird, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. Grundsätzlich erlaubt die Verfassung nur ein belastendes Gesetz, dessen Rechtsfolgen frühestens ab dem mit der Verkündung beginnenden Zeitraum eintreten. Die Anordnung, eine Rechtsfolge schon für einen davor liegenden Zeitraum eintreten zu lassen, ist regelmäßig unzulässig. Der von einem Gesetz Betroffene muss bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird. Dieser Schutz des Vertrauens in den Bestand der ursprünglich geltenden Rechtsfolgenlage findet seinen verfassungsrechtlichen Grund vorrangig in den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen insbesondere des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. So verhält es sich regelmäßig bei Steueransprüchen, soweit diese entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (vgl. § 38 i.V.m. § 37 Abs. 1 der Abgabenordnung). Dasselbe gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschlüsse in BVerfGE 97, 67, BGBl I 1998, 725, sowie vom 5. Februar 2002 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17, 40) aber auch bei steuerlichen Subventionen, die der Steuerpflichtige nur während des Veranlagungszeitraums --vor Entstehen des Steueranspruchs-- annehmen kann.
Demgegenüber betrifft die tatbestandliche Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung) nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen treten erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind. Solche Tatbestände unterliegen weniger strengen Beschränkungen als die Rückbewirkung von Rechtsfolgen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 67, BGBl I 1998, 725, m.w.N.). Betroffen hiervon sind vor allem periodische Steueransprüche, die erst mit Ablauf des Kalenderjahres als Veranlagungszeitraum entstehen (vgl. für die Einkommensteuer § 36 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241 f.). So verhält es sich im Streitfall: Die Frage des Verlustabzugs beantwortet sich in den jeweiligen Verlustentstehungsjahren nach den für diese Jahre geltenden Fassungen von § 8 Abs. 4 KStG 1996. Geändert werden nicht diese Vorschriften, sondern nur die Voraussetzungen für die Abzugsfähigkeit der Verluste in den Folgejahren (zutreffend B. Lang in Ernst & Young, a.a.O., § 8 KStG Rz 1303.3 f.).
bb) Die Neuregelungen greifen damit nicht in rechtsstaatlich unzulässiger Weise in bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte ein und verletzen nicht das Vertrauen der beteiligten Steuerpflichtigen (Art. 20 Abs. 3 GG).
aaa) Unternehmensumstrukturierungen, wie sie auch im Streitfall in Rede stehen, beeinflussen in der Regel den erst am Ende eines Veranlagungszeitraumes entstehenden Steueranspruch; sie sind insofern zeitraumbezogen. Tatsächlich liegen ihnen jedoch zeitpunktbezogene Gestaltungen zugrunde, die --ähnlich wie die Inanspruchnahme steuergesetzlicher Subventionsangebote-- Verhaltensdispositionen des Steuerpflichtigen sind. Solche Dispositionen sind oftmals bereits abschließend vollzogen, wenn das Gesetz geändert wird. Angesichts dessen mag zweifelhaft sein, ob in solchen Fällen dem Steuerpflichtigen nachteilige Gesetzesänderungen nach den Maßstäben der "echten" oder aber nur der "unechten" Rückwirkung zu beurteilen sind (vgl. z.B. Haritz/ Slabon, NWB Fach 2, S. 6917, S. 6919). In diese Richtung geht auch die jüngere Spruchpraxis des IX. Senats des BFH, der, ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG zum Dispositionsschutz im Bereich steuerlicher Lenkungsnormen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 97, 67, 78; in BVerfGE 105, 17, 40) und unter Berücksichtigung der im Schrifttum geäußerten Kritik an der bisherigen Rechtsprechung, zu der Auffassung gelangt ist, dass der vom BVerfG bislang nur für (Verschonungs-)Subventionen und Steuervergünstigungen gewährte verstärkte Schutz von Dispositionen auf alle Steuerrechtsnormen zu erstrecken sei. Auch bei einer tatbestandlichen Rückanknüpfung müsse --so der IX. Senat-- in jedem Einzelfall geprüft werden, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die bestehende (günstige) Rechtslage schützenswert sei und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigten, dieses Vertrauen überwögen. Das gelte für den rückwirkenden Wegfall einer Steuervergünstigung in gleicher Weise wie für die rückwirkende Belastung mit einem neu begründeten Steueranspruch und ebenso für die Aufhebung von steuerlichen "Freiräumen" (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, m.w.N.; tendenziell auch BFH-Beschluss vom 19. April 2007 IV R 4/06, BFHE 217, 117, BStBl II 2008, 140, 148). Der IX. Senat hat in dem bei ihm geführten Verfahren das BVerfG angerufen.
bbb) Ob dieser letzteren Auffassung allgemein zu folgen ist, kann im Streitfall jedoch dahingestellt bleiben (offenlassend auch Senatsurteile vom 29. April 2008 I R 103/01, BStBl II 2008, 723; vom 24. April 2007 I R 16/06, BFHE 218, 102, BStBl II 2007, 707; vom 19. Oktober 2005 I R 76/04, BFHE 211, 90, BStBl II 2006, 274; vom 8. November 2006 I R 69, 70/05, BFHE 215, 491, BStBl II 2007, 662; Senatsbeschluss vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351; im Ergebnis auch BFH-Beschluss in BFHE 217, 117, BStBl II 2008, 140, 148). Im Streitfall ist die in Rede stehende Regelungsänderung zulässig, weil sie auch einer einzelfallbezogenen Abwägung der wechselseitigen Interessen, wie sie vom IX. Senat des BFH eingefordert wird, standhält. Denn auch wenn die Beteiligten der streitgegenständlichen Umstrukturierungen die dabei vorzunehmenden Transaktionen vor dem Hintergrund der damaligen Regelungslage des § 8 Abs. 4 KStG 1996 a.F. und deshalb in dem Bewusstsein vorgenommen hätten, die bis zu der Umstrukturierung aufgelaufenen Verluste zukünftig steuerwirksam in Abzug bringen zu können, wäre diese Erwartung doch nicht derart schützenswert, dass sie den zukünftigen Verlustabzug einschränkungslos ermöglichen würde. Die Gestaltungsfreiräume des Gesetzgebers mögen bei zeitpunktbezogenen Vorgängen und Geschäftsvorfällen, wie sie bei Umstrukturierungsmaßnahmen in Rede stehen, generell dadurch begrenzt sein, dass das Vertrauen der Steuerpflichtigen infolge getätigter Dispositionen im betreffenden Veranlagungszeitraum nicht durch einen verschärfenden Besteuerungszugriff enttäuscht wird. Der Senat erachtet es aber als zu weitgehend, solche Begrenzungen generell auch für nachfolgende Besteuerungszeiträume zu verlangen. Das gilt jedenfalls dann, wenn --wie bei der Frage der Verlustabzüge von Kapitalgesellschaften-- nicht die bloße Abschöpfung von Besteuerungspotentialen im Vordergrund steht, sondern die typisierte Missbrauchsabwehr, bei welcher seit jeher --und damit auch nach der Regelungsfassung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 a.F.-- mit einem einschränkenden Eingreifen des Gesetzgebers gerechnet werden muss (zur Regelungsintention des § 8 Abs. 4 KStG, missbräuchlichen "Verlusthandel", den sog. Mantelkauf, zu unterbinden, vgl. z.B. Senatsurteil vom 14. März 2006 I R 8/05, BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602; grundlegend Heckschen/Simon, Umwandlungsrecht, 2003, § 13 Rz 10 ff., 16, 29, m.w.N., vor allem zur Rechtsentwicklung; s. zum gesetzlichen Eingriff in noch nicht genutzte Verlustpositionen auch Senatsurteil vom 11. Februar 1998 I R 81/97, BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485).
4. Die Regelungsänderungen durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform verstoßen schließlich im Ergebnis nicht gegen formelles Verfassungsrecht. Das BVerfG hat durch Beschluss in DStR 2008, 556 auf das entsprechende Vorabentscheidungsersuchen des Senats in BFHE 196, 232, BStBl II 2002, 27 zwar darauf erkannt, dass Art. 3 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts (Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG) mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Die Grenzen, die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat gesetzt sind, sind überschritten worden. Die Regelung bleibt aber trotz des festgestellten Verfassungsverstoßes dennoch gültig, weil es an der nötigen Evidenz des Verfahrensverstoßes fehlt. Daran ist der erkennende Senat gebunden. Das betrifft § 12 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes 1995 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform, ist aber gleichermaßen für die im Streitfall in Rede stehende, insoweit parallele Regelungslage nach § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. einschlägig. Aus diesem Grunde hat der Senat seinen § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. betreffenden Beschluss vom 22. August 2006 I R 25/06 (BFHE 214, 424, BStBl II 2007, 793) über die Einholung einer Entscheidung des BVerfG nach Rücknahme der Revision in dieser Sache aufgehoben (Senatsbeschluss vom 29. April 2008 I R 25/06, nicht veröffentlicht).
Fundstellen
Haufe-Index 2098233 |
BFH/NV 2009, 497 |
BFH/PR 2009, 148 |
BFHE 2008, 528 |
BFHE 222, 528 |
DStR 2009, 158 |
DStRE 2009, 188 |
HFR 2009, 269 |