Entscheidungsstichwort (Thema)
Vom Europäischen Patentamt bezogene Einkünfte unterliegen Progressionsvorbehalt; Zusammenveranlagung bei ausschließlich dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünften eines Ehepartners
Leitsatz (amtlich)
1. Steuerfreie Einkünfte aus einer Tätigkeit beim Europäischen Patentamt sind in die Berechnung des Einkommensteuersatzes einzubeziehen. Sie führen unter den weiteren Voraussetzungen des § 46 Abs.2 Nr.1 EStG zu einer Veranlagung.
2. Ehegatten sind auch dann gemäß § 46 Abs.2 Nr.1 EStG zusammen zu veranlagen, wenn ein Ehepartner lediglich steuerfreie, dem Progressionsvorbehalt unterliegende Einkünfte (über 800 DM) bezieht, es sei denn, sie haben ausdrücklich getrennte Veranlagung gewählt.
Orientierungssatz
1. Sinn und Zweck eines Progressionsvorbehalts ist es, eine Besteuerung der nicht befreiten Einkünfte des Steuerpflichtigen nach dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Dem Steuerpflichtigen soll nicht dadurch ein Steuervorteil zukommen, daß seine Einkünfte von verschiedenen Hoheitsträgern besteuert werden und dadurch in eine niedrigere Tarifstufe gelangen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Partner der völkerrechtlichen Vereinbarung ein ausländischer Staat oder ein anderes Subjekt des Völkerrechts ist.
2. Der rechtliche Gehalt des in § 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 EStG sowie in Art. 16 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation normierten Progressionsvorbehalts läßt sich durch Gesetzesauslegung ermitteln und ist damit genügend bestimmt (Art. 20 GG). Eine rechtlich nicht hinreichend überprüfbare willkürliche Handhabung durch die Finanzbehörden wird dadurch nicht eröffnet (vgl. BVerwG-Beschluß vom 26.10.1989 8 B 59/89).
3. Ein gemeinsamer Lohnsteuer-Jahresausgleich von Ehegatten gemäß § 42a EStG ist nicht zulässig, wenn nicht beide Ehegatten steuerpflichtigen Arbeitslohn im Sinne dieser Vorschrift bezogen haben (vgl. BFH-Urteil vom 9.6.1971 I R 51/69).
4. Der Senat hält für den Fall (Streitfall), daß ein Ehepartner lediglich steuerfreien, dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Arbeitslohn bezieht und der Nachteil des Progressionsvorbehalts den Splitting-Vorteil der gemeinsamen Veranlagung nicht übersteigt, nicht an der Aussage im BFH-Urteil vom 9.6.1971 I R 51/69 fest, wonach der Antrag auf Durchführung des gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichs nicht als Antrag auf Zusammenveranlagung verstanden werden könne, zumal die Steuerpflichtigen gerade dadurch zu erkennen gäben, daß sie eine Einkommensteuerveranlagung nicht wünschten.
5. § 26 Abs. 3 EStG läßt es genügen, daß die nach Abs. 2 der Vorschrift erforderlichen Erklärungen nicht abgegeben werden, und schreibt für diesen Fall ausdrücklich vor, es werde dann unterstellt, daß die Ehegatten die Zusammenveranlagung wählen. Dabei handelt es sich um keine widerlegbare Vermutung, sondern um eine zwingende Rechtsfolge (vgl. BFH-Urteil vom 9.3.1973 VI R 217/71).
6. Ein Antrag des sachlichen Steuerrechts (hier: Antrag auf getrennte Einkommensteuerveranlagung von Ehegatten) kann im Revisionsverfahren nicht mehr gestellt werden (vgl. Literatur).
Normenkette
EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2, § 26 Abs. 2, § 42a; VorRImmProt Art. 16; EStG § 26 Abs. 3, § 32b Abs. 2 Nr. 2; FGO § 118 Abs. 2; GG Art. 20; EStR 1984 Abschn. 214 S. 5; EStR 1987 Abschn. 214 S. 5
Verfahrensgang
FG Berlin (Entscheidung vom 21.09.1987; Aktenzeichen VIII 227/86) |
Tatbestand
I. Die miteinander verheirateten Kläger und Revisionskläger (Kläger), die im Streitjahr (1983) die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 26 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllten, erzielten ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bei einem Einkommen des Klägers in Höhe von 31 408 DM beantragten sie die Durchführung eines gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichs.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) sah die Bezüge der Klägerin, die ihr aus einer Tätigkeit als Beamtin beim Europäischen Patentamt, Dienststelle Berlin, zuflossen, als nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfene Einkünfte i.S. des § 46 Abs.2 Nr.1 EStG an und veranlagte die Kläger gemeinsam zur Einkommensteuer. Das FA behandelte die Einkünfte der Klägerin zwar als steuerfrei, berücksichtigte sie aber bei der Ermittlung des Steuersatzes. Dies führte zur Anwendung eines höheren Steuersatzes auf die Einkünfte des Klägers.
Einspruch und Klage gegen den Einkommensteuerbescheid vom 18.Juni 1984 blieben erfolglos. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 310 veröffentlicht. Einen Antrag auf getrennte Veranlagung hatten die Kläger weder vor dem FA noch vor dem FG gestellt.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 46 Abs.2 Nr.1 und des § 32b EStG.
Sie beantragen, das Urteil des FG Berlin vom 21.September 1987 VIII 227/86 und den Einkommensteuerbescheid 1983 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, einen gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleich durchzuführen, hilfsweise, den Einkommensteuerbescheid 1983 dahingehend zu ändern, daß bei den Einkünften der Klägerin kein Progressionsvorbehalt berücksichtigt wird, hilfsweise, eine getrennte Veranlagung der Kläger durchzuführen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Das FA hat die Kläger zu Recht gemäß § 46 Abs.2 Nr.1 EStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und dabei die Einkünfte der Klägerin aus ihrer Tätigkeit beim Europäischen Patentamt in die Berechnung des Steuersatzes einbezogen. Dies führt zu einer Erhöhung der von den Klägern für das Streitjahr (1983) geschuldeten Einkommensteuer.
1. Die Einkünfte der Klägerin sind bei der Ermittlung des Einkommensteuersatzes zu berücksichtigen. Es kann dahinstehen, ob sich diese Rechtsfolge unmittelbar aus Art.16 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation (im folgenden Protokoll oder Immunitätenprotokoll, BGBl II 1976, 985) oder aus § 32b Abs.1 Nr.2, Abs.2 Nr.2 EStG (a.F.) ergibt.
a) Der Wortlaut des § 32b EStG i.d.F. des Wohnungsbauförderungsgesetzes vom 22.Dezember 1989 (BGBl I, 2408, BStBl I, 505) erfaßt neben ausländischen Einkünften, die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steuerfrei sind, nunmehr ausdrücklich auch solche, die nach einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen steuerfrei sind.
Der Senat hat keine Bedenken, die letztgenannte Rechtsfolge bereits für die streitigen Einkünfte anzunehmen. § 32b EStG a.F. erfaßt ebenfalls Einkünfte, die nach einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen ―unter Progressionsvorbehalt― von der inländischen Besteuerung befreit sind. Insbesondere das Immunitätenprotokoll läßt sich in Art.16 nach seinem Wortlaut und seinem Sinn und Zweck als "Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung" (im materiellen Sinn) gemäß § 32b EStG verstehen. Es regelt die Konkurrenz zwischen der Steuerhoheit der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Patentorganisation. Art.16 des Immunitätenprotokolls stellt in seinem Satz 2 die Einkünfte, die ein Inländer ―im Streitfall die Klägerin― von einem anderen Steuerhoheitsträger, dem Europäischen Patentamt, bezieht und dort zu versteuern hat, von der inländischen Besteuerung frei. Art.16 Abs.1 Satz 3 des Protokolls hält die Besteuerung der inländischen Einkünfte nach dem Steuersatz aufrecht, wie er dem gesamten Einkommen des Steuerpflichtigen entspricht. Der in dieser Vorschrift verwendete Begriff "Steuerbetrag" kann nur im Sinne von "Steuersatz" verstanden werden, denn sonst käme es entgegen Sinn und Zweck des Art.16 des Immunitätenprotokolls zu einer doppelten Besteuerung. Stellt man nicht auf den Sitz, sondern auf die staatengleiche eigene Steuerhoheit ab, so ist das Europäische Patentamt ebenfalls ausländische öffentliche Kasse entsprechend den §§ 34d Nr.5, 49 Abs.1 Nr.4 EStG; die von ihm bezogenen Gehälter sind sonach ausländische Einkünfte i.S. des § 32b Abs.1 Nr.2, Abs.2 Nr.2 EStG.
b) Nach Art.8 und 164 Abs.1 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente vom 5.Oktober 1973 (BGBl II 1976, 826) ist das Immunitätenprotokoll Bestandteil dieses Übereinkommens. Es ist durch Art.I Nr.3 des Gesetzes vom 21.Juni 1976 (BGBl II 1976, 649) unmittelbar innerstaatliches Recht geworden und am 7.Oktober 1977 in Kraft getreten (vgl. die Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens vom 9.September 1977, BGBl II 1977, 792, und Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 10.März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272, BStBl II 1973, 431).
Gleich den DBA im formellen Sinn ist das Immunitätenprotokoll einer eigenständigen Interpretation zugänglich. Aus dem Zusammenhang der Regelungen in Art.16 Abs.1 des Protokolls folgt, daß die Aufnahme des Progressionsvorbehalts in dessen Satz 3 die in Satz 2 ausgesprochene Steuerbefreiung der durch das Europäische Patentamt gezahlten Gehälter und Bezüge einschränkt (ebenso FG München, Urteil vom 9.November 1988 I 82/83 E, EFG 1989, 232, bestätigt durch Senatsurteil vom 27.September 1990 I R 104/89). Dies entspricht der überkommenen ständigen Rechtsprechung des Senats zu den in den DBA (im formellen Sinn) enthaltenen Steuerbefreiungen mit Progressionsvorbehalt (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9.November 1966 I 29/65, BFHE 87, 273, BStBl III 1967, 88; vom 11.Oktober 1967 I R 86/67, BFHE 90, 74, BStBl III 1967, 729; vom 25.Mai 1970 I R 109/68, BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660; vom 4.August 1976 I R 152-153/74, BFHE 119, 470, BStBl II 1976, 662; vom 11.Juli 1979 I R 149/76, BFHE 128, 248; vom 12.März 1980 I R 186/76, BFHE 130, 296, BStBl II 1980, 531; vom 28.April 1982 I R 151/78, BFHE 135, 526, BStBl II 1982, 566; vom 6.Oktober 1982 I R 121/79, BFHE 136, 533, BStBl II 1983, 34, und vom 13.September 1989 I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl II 1990, 57; ebenso BVerfG in BVerfGE 30, 272, BStBl II 1973, 431). Die Formulierung "können … berücksichtigen" in Art.16 Abs.1 Satz 3 des Immunitätenprotokolls kann nicht anders verstanden werden als vergleichbare oder gleichlautende Wendungen in einem DBA, die nach der vorgenannten Rechtsprechung des Senats die Einbeziehung der Einkünfte in die Berechnung des Steuersatzes unangetastet lassen.
Der Progressionsvorbehalt hält die bestehende Steuerpflicht auch dann aufrecht, wenn er eingeführt wird, nachdem er zunächst nicht vereinbart war. Es ist daher ohne Belang, daß das vorher für die steuerlichen Verhältnisse der Bediensteten des Europäischen Patentamts geltende Protokoll, das als Anlage zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach dessen Art.239 Bestandteil des Vertrags gewesen war (vgl. hierzu Thiesing in v.d.Groeben/v.Boeckh/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3.Aufl., Baden-Baden 1983, nach Anm.9 zu Art.218), keinen Progressionsvorbehalt enthielt.
Der von den Klägern angeführte Zweck der Steuerbefreiung des Immunitätenprotokolls, die Bediensteten des Europäischen Patentamts hinsichtlich ihrer Nettobezüge untereinander gleichzustellen, kann schon deshalb der Einbeziehung dieser Einkünfte in die Ermittlung des Steuersatzes nicht entgegenstehen, weil sie vom Immunitätenprotokoll in Art.16 Abs.1 Satz 3 ausdrücklich zugelassen wird (so auch Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 16.Dezember 1960 Rs.6/60, EuGHE VI, 1163).
c) Sinn und Zweck eines Progressionsvorbehalts ist es, eine Besteuerung der nicht befreiten Einkünfte des Steuerpflichtigen nach dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Dem Steuerpflichtigen soll nicht dadurch ein Steuervorteil zukommen, daß seine Einkünfte von verschiedenen Hoheitsträgern besteuert werden und dadurch in eine niedrigere Tarifstufe gelangen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Partner der völkerrechtlichen Vereinbarung ein ausländischer Staat oder ein anderes Subjekt des Völkerrechts ist, wie im Streitfall das Europäische Patentamt. Der Senat vermag deshalb auch keinen sachlichen Grund für einen Verzicht des Gesetzgebers auf die innerstaatliche Wirkung eines in einem anderen völkerrechtlichen Vertrag vereinbarten Progressionsvorbehalts zu erkennen.
d) Ein Verstoß des Immunitätenprotokolls oder des § 32b Abs.1 Nr.2, Abs.2 Nr.2 EStG gegen Art.20 des Grundgesetzes (GG) wegen tatbestandsmäßiger Unbestimmtheit liegt nicht vor. Der rechtliche Gehalt des in diesen Vorschriften normierten Progressionsvorbehalts läßt sich durch Gesetzesauslegung ermitteln und ist damit genügend bestimmt. Eine rechtlich nicht hinreichend überprüfbare willkürliche Handhabung durch die Finanzbehörden wird dadurch nicht eröffnet (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.Oktober 1989 8 B 59/89, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 11, Art.20 GG Nr.113).
2. Das FA hat die Kläger zu Recht zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
a) Eine Veranlagung wird bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit unter anderem dann durchgeführt, wenn die Einkünfte, die nicht der Lohnsteuer zu unterwerfen waren, einschließlich der Einkünfte, die nach einem DBA von der Einkommensteuer freigestellt sind, insgesamt mehr als 800 DM betragen (§ 46 Abs.2 Nr.1 EStG). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
Die Klägerin hat aus ihrer Tätigkeit als Bedienstete des Europäischen Patentamts unstreitig Einkünfte über 800 DM bezogen. Diese Vergütungen sind "Einkünfte" i.S. des § 46 Abs.2 Nr.1 EStG, denn sie gehören zu den in § 19 Abs.1 Nr.1 EStG genannten Bezügen. Die Einkünfte sind ebenfalls ―wie oben ausgeführt― nach einem DBA (im materiellen Sinn) von der Besteuerung freigestellt.
Es handelt sich ferner um Einkünfte, die gemäß § 38 EStG nicht der Lohnsteuer zu unterwerfen waren. Die Steuerbefreiung der vom Europäischen Patentamt gezahlten Gehälter und Bezüge entbindet von der Verpflichtung, Lohnsteuer einzubehalten. Die Einbeziehung der daraus erwachsenden Einkünfte in die Ermittlung des Steuersatzes kann nur bei einer Einkommensteuerveranlagung durch die Finanzbehörde des Vertragsstaates i.S. des Art.16 Abs.1 Satz 3 des Immunitätenprotokolls erfolgen, da nur diese das Einkommen des Steuerpflichtigen "aus anderen Quellen" kennt.
Zu den Einkünften, die nicht der Lohnsteuer zu unterwerfen waren, die aber bei der Berechnung der Einkommensteuer einzubeziehen sind (Progressionsvorbehalt) und deshalb zu einer Veranlagung gemäß § 46 Abs.2 Nr.1 EStG führen können, gehören daher die aufgrund eines sonstigen zwischenstaatlichen Abkommens (insbesondere des Europäischen Patentübereinkommens) dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte (so zutreffend Abschn.214 Satz 5 der Einkommensteuer-Richtlinien 1984/1987).
b) Die Einkünfte des Klägers und der Klägerin sind für die Anwendung des § 46 Abs.2 Nr.1 EStG und für die Einkommensteuerfestsetzung zusammenzurechnen.
aa) Da die Kläger die Voraussetzungen der Zusammenveranlagung erfüllen, sind sie (als Ehegatten) für die Steuerfestsetzung wie ein einheitliches Steuersubjekt zu behandeln (vgl. BFH in BFHE 136, 533, BStBl II 1983, 34). Dies gilt ebenfalls in bezug auf § 46 Abs.2 Nr.1 EStG.
Aufgrund der nunmehrigen Fassung des § 46 Abs.2 i.V.m. Abs.1 Nr.1 EStG wird an der Aussage im Senatsurteil vom 9.Juni 1971 I R 51/69 (BFHE 103, 53, BStBl II 1971, 734) nicht mehr festgehalten, wonach die Zusammenrechnung der Einkünfte der Ehegatten nicht mit der Zusammenveranlagung begründet werden könne, wenn nur eine Veranlagung nach § 46 Abs.2 Nr.1 EStG in Betracht komme.
bb) Im Streitfall ist gemäß § 26 Abs.3 EStG zu unterstellen, daß die Kläger die Zusammenveranlagung wählen, da sie weder eine Erklärung zur getrennten Veranlagung noch zur Zusammenveranlagung abgegeben haben.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die den Senat gemäß § 118 Abs.2 FGO binden, haben die Kläger bis zur letzten Tatsacheninstanz keine getrennte Veranlagung gewählt. Der im Revisionsverfahren von den Klägern hilfweise gestellte Antrag, sie getrennt zu veranlagen, ist unbeachtlich. Ein Antrag des sachlichen Steuerrechts kann im Revisionsverfahren nicht mehr gestellt werden (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 118 FGO Tz.3). Eine zulässige und begründete Verfahrensrüge (§ 118 Abs.2 und 3 FGO) dahin, daß das FG gemäß § 76 Abs.2 i.V.m. § 96 Abs.1 Satz 2 FGO die Kläger auf einen solchen Antrag hätte hinweisen müssen, haben die Kläger nicht erhoben. Sie können daher im Revisionsverfahren mit ihrem Antrag auf getrennte Veranlagung keinen Erfolg haben.
In seiner Entscheidung in BFHE 103, 53, BStBl II 1971, 734 hat der Senat ausgeführt, der Antrag auf Durchführung des gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichs, den die Kläger im Streitfall ebenfalls gestellt haben, könne nicht als Antrag auf Zusammenveranlagung verstanden werden, zumal die Steuerpflichtigen gerade dadurch zu erkennen gäben, daß sie eine Einkommensteuerveranlagung nicht wünschten; aus diesem Grund erlaube im vorliegenden Falle § 26 Abs.3 EStG nicht die Unterstellung, die Ehegatten hätten die Zusammenveranlagung gewählt. An dieser Aussage hält der Senat für den Streitfall nicht fest. Sie würde dazu führen, daß der Kläger einzeln zu veranlagen wäre, weil seine Einkünfte die Grenze des § 46 Abs.1 Nr.2 EStG überschreiten, obwohl Ehegatten, die die Voraussetzungen des § 26 Abs.1 EStG erfüllen, im Streitjahr nur zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung wählen können. Davon könnte überdies nur ausgegangen werden, wenn der Nachteil des Progressionsvorbehalts den Splitting-Vorteil der gemeinsamen Veranlagung überstiege. Das ist aber im Streitfall zu verneinen.
Ein gemeinsamer Lohnsteuer-Jahresausgleich der Ehegatten gemäß § 42a EStG, wie ihn die Kläger begehren, ist nicht zulässig, weil nicht beide Ehegatten steuerpflichtigen Arbeitslohn im Sinne dieser Vorschrift bezogen haben (BFH in BFHE 103, 53, BStBl II 1971, 734). Nach der gesetzlichen Systematik sind vielmehr Fälle des Progressionsvorbehalts mit Ausnahme des § 32b Abs.1 Nr.1 und Abs.2 Nr.1 EStG zu veranlagen; letzterer ist hingegen gemäß § 42 Abs.4 Satz 4, § 42a Abs.2 Satz 4 EStG beim Lohnsteuer-Jahresausgleich zu berücksichtigen.
§ 26 Abs.3 EStG läßt es genügen, daß die nach Abs.2 der Vorschrift erforderlichen Erklärungen nicht abgegeben werden, und schreibt für diesen Fall ausdrücklich vor, es werde dann unterstellt, daß die Ehegatten die Zusammenveranlagung wählen. Dabei handelt es sich um keine widerlegbare Vermutung, sondern um eine zwingende Rechtsfolge (BFH-Urteil vom 9.März 1973 VI R 217/71, BFHE 109, 181, BStBl II 1973, 557).
cc) Die Zusammenrechnung der Einkünfte der Kläger mit der Folge eines erhöhten Steuersatzes auf die Einkünfte des Klägers verstößt nicht gegen Art.6 Abs.1 GG.
Der Schutz von Ehe und Familie verbietet es, Ehegatten gegenüber Ledigen steuerlich zu benachteiligen (BVerfG-Beschluß vom 14.April 1959 1 BvL 23, 34/57, BVerfGE 9, 237, 247). Bei Ledigen, die nicht zusammen veranlagt werden, sieht das Gesetz zwar keine Erhöhung des Steuersatzes durch Zurechnung von Einkünften Dritter vor. Das zu versteuernde Einkommen Lediger ist aber nicht ―wie bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten― nach der Splitting-, sondern nach der Grundtabelle zu versteuern. Die Einzel- bzw. getrennte Veranlagung der Kläger würde aber im Streitfall bei der Klägerin eine Einkommensteuer von 0 DM und beim Kläger von 6 736 DM ergeben, sofern man letzterem die Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen in voller Höhe zurechnete. Die Zusammenveranlagung unter Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts führt hingegen zu einer gemeinsamen Steuerbelastung von lediglich 6 511 DM. Zwar ist nicht zu verkennen, daß ein Progressionsvorbehalt sich bei zusammen veranlagten Ehegatten dann nachteilig auswirkt, wenn ―anders als im vorliegenden Fall― der Ehegatte mit den steuerbefreiten Einkünften den ganz überwiegenden Teil des gemeinsamen Einkommens bezieht. Die sich dann ergebenden steuerlichen Mehrbelastungen können Ehegatten aber vermeiden, wenn sie gemäß § 26a EStG getrennte Veranlagung wählen.
Fundstellen
Haufe-Index 63532 |
BFH/NV 1991, 10 |
BStBl II 1991, 84 |
BFHE 162, 284 |
BFHE 1991, 284 |
BB 1991, 198 (L) |
HFR 1991, 210 (LT) |
StE 1991, 18 (K) |