Entscheidungsstichwort (Thema)
Funktionsänderung eines Gebäudes als Indiz für nachträgliche Herstellungskosten
Leitsatz (NV)
- Nachträgliche Herstellungskosten liegen nicht vor, wenn die Funktion des eingebauten Gegenstandes im Wesentlichen derjenigen des ausgetauschten oder erweiterten Gegenstandes entspricht (st. Rspr.).
- Die Funktionsänderung eines Gebäudes kann allenfalls Indiz für das Vorliegen einer Herstellungs- und Erweiterungsmaßnahme sein. Hinzu kommen muss, dass gegenüber dem früheren Bauzustand eine auf die angestrebte Funktionsänderung ausgerichtete Substanzmehrung vorliegt, die über das bloße Versetzen von Wänden oder das Zumauern von Türen hinausgeht.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4; HGB § 255 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betrieb im Streitjahr 1994 im Erdgeschoss seines Hauses eine Gastwirtschaft sowie ein Lebensmittelgeschäft einschließlich eines Getränkelagers. Im selben Jahr baute er das Erdgeschoss um, indem er den Lebensmittelladen unter Herstellung eines neuen Eingangs in den Getränkelagerraum verlegte und in dem bisherigen Ladenbereich einen Restaurantbereich einrichtete, der durch eine neue Zwischenmauer von dem zwischen Laden und Restaurant befindlichen Lager abgetrennt wurde. In der Außenwand des Restaurantbereichs ließ er eine (Blend-)Tür einbauen und Fenster umbauen; im Übrigen wurde die an den Restaurantbereich angrenzende Wand des Getränkelagers zum Teil zugemauert, zum Teil durchbrochen. Im Zusammenhang mit diesen Baumaßnahmen wurde die Giebelfassade durch Vorsetzen einer Klinkerwand saniert sowie das Hofpflaster ―mit öffentlicher Förderung in Höhe von 11 260 DM― erneuert. Zugleich ließ der Kläger zur Werbung für den Betrieb Reklameschilder installieren. Den Gesamtaufwand für die Maßnahme im Umfang von rd. 77 000 DM behandelte der Kläger als Erhaltungsaufwendungen.
In dem aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid für 1994 sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) nur die Erneuerung der Hofpflasterung als Erhaltungsaufwand an und berücksichtigte den Aufwand im Übrigen (49 341 DM) als nur im Rahmen der Absetzung für Abnutzung (AfA) berücksichtigungsfähigen Herstellungsaufwand.
Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB).
Sie beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1994 dahin gehend zu ändern, dass die für die Renovierung des Betriebsgebäudes angesetzten Aufwendungen als sofort abziehbare Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Zu Unrecht hat das FG die streitigen Aufwendungen insgesamt den Herstellungskosten allein mit der Begründung zugerechnet, die Umbaumaßnahmen hätten einer Funktionsänderung der betroffenen Gebäudeteile gedient. Die tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen die ausschließliche Zuordnung zu den Herstellungskosten nur zum Teil.
1. Betriebsausgaben sind nach § 4 Abs. 4 EStG Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind.
a) Handelt es sich bei diesen Aufwendungen um Herstellungskosten eines zur Einkunftserzielung bestimmten Gebäudes, so sind sie grundsätzlich nur verteilt auf die Nutzungsdauer des Gebäudes in Form von AfA abziehbar (§ 4 Abs. 1 Satz 6, Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 7 Abs. 1, 4 und 5 EStG). Herstellungskosten sind nach § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Diese handelsrechtliche Begriffsbestimmung gilt auch für das Steuerrecht (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, 476, BStBl II 1990, 830 unter C. III. 1. c, dd; BFH-Urteile vom 10. Mai 1995 IX R 62/94, BFHE 178, 46, BStBl II 1996, 639; vom 16. Juli 1996 IX R 34/94, BFHE 181, 50, BStBl II 1996, 649).
b) Eine ―im Streitfall allein in Betracht kommende― Erweiterung i.S. von § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB liegt u.a. vor, wenn ein Gebäude in seiner Substanz vermehrt wird (z.B. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1992 IX R 333/87, BFHE 170, 113, 117, BStBl II 1994, 12). Dies ist der Fall, wenn nachträglich Bestandteile eingebaut werden, die bisher nicht vorhanden waren (BFH-Urteile vom 19. September 1995 IX R 37/93, BFHE 178, 425, BStBl II 1996, 131; vom 27. Juli 2000 X R 26/97, BFH/NV 2001, 306) und damit die Nutzungsmöglichkeit des Gebäudes erweitert wird (vgl. BFH-Urteile vom 17. Juni 1997 IX R 30/95, BFHE 183, 470, BStBl II 1997, 802, und in BFH/NV 2001, 306). Der BFH hat daher nachträgliche Herstellungskosten verneint, wenn die Funktion des eingebauten Gegenstandes im Wesentlichen derjenigen entsprach, die der ausgetauschte oder erweiterte Gegenstand hatte (vgl. BFH-Urteile vom 24. Februar 1981 VIII R 122/79, BFHE 133, 41, BStBl II 1981, 468; vom 19. Juli 1985 III R 170/80, BFH/NV 1986, 24).
Auf dieser Grundlage kann die Funktionsänderung eines Gebäudes, auf die das FG im Streitfall entscheidend abstellt, allenfalls Indiz für das Vorliegen einer Herstellungs- und Erweiterungsmaßnahme sein. Eine als Erweiterungsmaßnahme i.S. des § 255 HGB anzusehende Funktionsänderung liegt insbesondere vor, wenn ―wie im Streitfall― im Zusammenhang mit der angestrebten Nutzungsänderung aneinandergrenzender Räume zwischen ihnen (Abgrenzungs-)Mauern zum Teil neu hergestellt und zum Teil durchbrochen werden. Eine solche Baumaßnahme schafft gegenüber dem früheren Bauzustand eine ―auf die angestrebte Funktionsänderung ausgerichtete― Substanzmehrung und geht damit über das bloße Versetzen von Wänden oder das Zumauern von Türen hinaus, die für sich allein nicht als Erweiterung oder als Verbesserung i.S. des § 255 HGB anzusehen sind (BFH-Urteile in BFHE 183, 470, BStBl II 1997, 802; vom 13. Oktober 1998 IX R 72/95, BFH/NV 1999, 761; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ―BMF― vom 16. Dezember 1996 IV B 3 -S 2211- 69/96, BStBl I 1996, 1443 Tz. 2.3).
c) Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahmen, die über eine zeitgemäße substanzerhaltende Erneuerung nicht hinausgehen, sind bei der Prüfung, ob eine Herstellung oder Erweiterung i.S. des § 255 HGB vorliegt, grundsätzlich außer Betracht zu lassen. Soweit die dafür aufgewendeten Kosten abgrenzbar sind, sind sie als Erhaltungsaufwendungen abzuziehen. Hingegen sind diese Aufwendungen in die Herstellungsaufwendungen einzubeziehen, wenn sie mit den über eine zeitgemäße substanzerhaltende Erneuerung hinausgehenden (Herstellungs-)Maßnahmen bautechnisch ineinandergreifen, weil die Arbeiten in engem räumlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen und in ihrer Gesamtheit eine einheitliche Baumaßnahme bilden (BFH-Urteil vom 30. Juli 1991 IX R 67/90, BFHE 165, 250, 252, BStBl II 1992, 28; BFH-Beschluss vom 31. August 1994 IX B 44/94, BFH/NV 1995, 293).
2. Nach diesen rechtlichen Maßstäben erweist sich das angefochtene Urteil als teilweise rechtsfehlerhaft.
a) Das FG ist der Meinung, eine Erweiterung i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB sei hier gegeben, weil ―durch das Einziehen neuer Wände, die Herstellung eines neuen Schornsteins, die Schaffung neuer Eingänge und Fenster sowie durch neue Reklamevorrichtungen und das Setzen einer Klinkerfassade vor die Giebelwand― bisher nicht vorhandene Bestandteile eingebaut worden seien. Herstellungskosten seien die hiermit verbundenen Aufwendungen im Übrigen deshalb, weil sie als einheitliche Maßnahme einer Funktionsänderung des von den Änderungen betroffenen Gebäudeteils gedient hätten, durch die der bisherige Laden zum Restaurant und die sonstigen Räume zu einem Laden umgestaltet worden seien.
b) Zu Recht hat das FG die Aufwendungen für die neuen Reklameschilder, die Außentür für den Laden sowie die neu gesetzte Trennwand zwischen Getränkelager, Flur und Restaurantbereich ―einschließlich der Zumauerung des früheren Durchgangs zwischen Laden und Restaurantbereich bzw. der Durchbrechung der Zwischenmauer― als neu eingebaute Bestandteile den Herstellungskosten zugeordnet, weil das Gebäude insoweit i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB erweitert wurde. Denn nachträgliche Herstellungskosten liegen auch vor, wenn die vorbezeichneten und der angestrebten Funktionsänderung der Räume dienenden Erweiterungsmaßnahmen ―wie im Streitfall― nur geringfügig sind (BFH-Urteile vom 9. Mai 1995 IX R 88/90, BFHE 178, 32, BStBl II 1996, 628, und IX R 69/92, BFHE 178, 36, BStBl II 1996, 630; in BFH/NV 1999, 761).
c) Hinsichtlich der übrigen Aufwendungen kann auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilt werden, ob Herstellungskosten vorliegen.
aa) Der neu eingebaute Schornstein ist unmittelbar neben dem alten eingebaut worden. Hat er ―was nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nahe liegt― keine andere Funktion als der bisherige, steht dies der Zuordnung der Aufwendungen zu den Herstellungskosten entgegen (BFH-Urteil in BFH/NV 1986, 24).
bb) Soweit der Kläger im Bereich des Restaurants neue Türen und Fenster eingebaut hat, fehlen ebenfalls tatsächliche Feststellungen, die eine Zuordnung der Aufwendungen zu den Herstellungskosten ermöglichen. Nach der Rechtsprechung des BFH führt das Zumauern von Türen oder Fenstern nicht schon deshalb zu Herstellungskosten, weil etwas eingebaut wurde, das bisher nicht vorhanden war. Ebenso erhöht deren Erweiterung nicht zwingend den objektiven Gebrauchswert des Hauses (BFH-Urteile in BFHE 183, 470, BStBl II 1997, 802; in BFH/NV 1999, 761). Insoweit ist insbesondere durch das FG aufzuklären, ob der Einbau der neuen Fenster an Stelle der alten einschließlich der sog. "Blendtür" im Bereich des Restaurants zu einer Erweiterung oder Verbesserung des Gebäudes i.S. des § 255 Abs. 2 HGB geführt hat (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 1443 Tz. 2.3, nach dem von einer Substanzmehrung regelmäßig nicht auszugehen ist bei Vergrößern eines bereits vorhandenen Fensters, vgl. ferner BFH-Urteil in BFHE 183, 470, BStBl II 1997, 802 - insoweit keine Steigerung des objektiven Gebrauchswerts).
cc) Ob die streitigen Aufwendungen für die Verkleidung der Hausfassade durch eine Klinkerwand den Herstellungskosten zuzuordnen sind, kann nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG ebenfalls nicht abschließend beurteilt werden.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Verkleidung von Außenwänden durch Eternitplatten dem Erhaltungsaufwand zuzurechnen (BFH-Urteil vom 13. März 1979 VIII R 83/77, BFHE 127, 383, BStBl II 1979, 435). Entsprechendes gilt für das Verkleiden von balkonähnlichen Wohnungszugängen mit Eternit oder Glas, weil das Gebäude durch eine solche Maßnahme hinsichtlich des durch die verkleidete Wand gewährleisteten Schall- und Wärmeschutzes weder wesentlich in seiner Substanz vermehrt noch in seinem Wesen nachhaltig verändert oder über seinen bisherigen Zustand hinaus ―von dem Modernisierungseffekt abgesehen― wesentlich verbessert wird (BFH-Urteil in BFHE 133, 41, BStBl II 1981, 468). Der Aufwand kann auch nicht wegen einer eventuellen Verlängerung der Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes den Herstellungskosten zugerechnet werden, weil dazu nur solche Aufwendungen gehören, die ―anderes als die Verklinkerung eines Gebäudes― auf die Schaffung von für die Lebensdauer eines Gebäudes maßgeblichen tragenden Teilen und Fundamenten bezogen sind (vgl. BFH-Urteile vom 9. Mai 1995 IX R 116/92, BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, und in BFH/NV 1999, 761).
Den Feststellungen des FG ist nicht zu entnehmen, ob die streitige Verklinkerung entsprechend einer Eternitverkleidung unmittelbar auf die Hausfassade aufgebracht wurde ―und deshalb der dadurch entstandene Aufwand den sofort abziehbaren Erhaltungsaufwendungen zuzurechnen ist― oder der Hauswand eine ggf. hinterlüftete Klinkerziegelmauer vorgemauert wurde. Nur für eine solche Mauer kann nach der BFH-Rechtsprechung eine Gebäudeerweiterung i.S. des § 255 Abs. 2 HGB angenommen werden. Denn für den Einbau einer sog. hinterlüfteten Vorsatzschale vor der Kellerwand eines Hauses hat der BFH Herstellungsaufwand i.S. des § 255 Abs. 2 HGB bejaht (BFH-Urteil in BFHE 178, 46, BStBl II 1996, 639; a.A. BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 1443 Tz. 2.3, das auch insoweit in ausdrücklicher Abweichung von der BFH-Rechtsprechung Erhaltungsaufwand annimmt).
dd) Soweit die im zweiten Rechtsgang nachzuholenden Feststellungen des FG ergeben sollten, dass die unter aa) bis cc) bezeichneten Aufwendungen für sich genommen nicht den Herstellungskostenbegriff i.S. des § 255 Abs. 2 HGB erfüllen, wird das FG weiter zu prüfen haben, ob sie gleichwohl aufgrund ihres Zusammenhangs mit den unstreitig vorliegenden Herstellungskosten ―kraft eines bautechnischen Ineinandergreifens der Aufwendungen― ebenfalls den Herstellungskosten zuzurechnen sind (vgl. Entscheidungen in BFHE 165, 250, 252, BStBl II 1992, 28; in BFH/NV 1995, 293). Dabei kann ein solcher Zusammenhang, wie unter 1. b) ausgeführt, nicht schon allein aufgrund einer Funktionsänderung der umgebauten Räume, sondern nur aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit der einzelnen Baumaßnahmen im Zusammenhang mit Herstellungsaufwendungen angenommen werden, also nur dann, wenn die Erhaltungsarbeiten Vorbedingung für die Herstellungsarbeiten waren oder durch bestimmte Herstellungskosten veranlasst (verursacht) worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 9. März 1962 I 192/61 U, BFHE 74, 523, BStBl III 1962, 195; BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 1443, 1444).
Fundstellen
Haufe-Index 707118 |
BFH/NV 2002, 627 |
HFR 2002, 686 |