Leitsatz (amtlich)
Hat ein Abgabeschuldner auf ein durch eine Hypothek gesichertes Darlehen vor dem Währungsstichtag Zahlungen geleistet und haben sie infolge der im Darlehensvertrag vereinbarten Belegung mit Pfandbriefen schuldbefreiende Wirkung erst mit einer nach dem 30. Juni 1948 vorgenommenen Belegung erlangt, so ist die vergünstigende Bestimmung des § 2 Abs. 2 der 16. AbgabenDV-LA nur auf die Leistungen nach § 106 LAG, nicht aber auch auf diejenigen nach § 105 LAG anzuwenden.
Normenkette
LAG §§ 105-106, 141 (Abs. 1) Nrn. 1, 3; 16. AbgabenDV-LA § 2 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob sich eine vor dem Währungsstichtag geleistete Zahlung, die erst am 1. Juli 1948 schuldbefreiende Wirkung hat, auf die Höhe von Zinsen und Tilgungsbeträgen auswirkt, die nach dem Hypothekensicherungsgesetz (HypSichG) auf eine Umstellungsgrundschuld zu entrichten sind.
Die Revisionsklägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks. In Abteilung III des Grundbuchs für das Grundstück waren am 20. Juni 1948 zugunsten der Pfandanstalt X Hypotheken in Höhe von 500 000 und 300 000 Goldmark eingetragen. Am 10. März 1948 kündigte die Revisionsklägerin die Darlehen. Am 13. Mai 1948 zahlte sie 425 000 RM an die Gläubigerin. Die Zahlung führte nach der den Darlehensverträgen zugrunde liegenden Satzung der Pfandanstalt X bis zum 20. Juni 1948 nicht zu einer Tilgung, weil die Zahlung in Pfandbriefen belegt werden mußte. Die hierfür erforderlichen Pfandbriefe waren erst zum 1. Juli 1948 aufgekündigt worden.
Das Finanzamt (FA) – Revisionsbeklagter – zog die Revisionsklägerin durch Bescheid vom 5. April 1956 zur HGA heran. Mit Bescheid vom 13. April 1956 setzte es den Ablösungsbetrag für die HGA fest. In beiden Bescheiden ließ das FA nach § 2 der Sechzehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsangaben nach dem Lastenausgleichsgesetz vom 2. Juni 1955 (16. AbgabenDV-LA) eine Verbindlichkeit wegen der Zahlung der 425 000 RM außer Betracht. Auf Veranlassung der Aufsichtsbehörde hob das FA gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO am 26. März 1959 den HGA-Bescheid vom 5. April 1956 und den Ablösungsbescheid vom 13. April 1956 auf. Es erhöhte die Halbjahrsraten auf die Umstellungsgrundschuld und auf die HGA auf 15 033,04 DM. Der dagegen eingelegte Einspruch führte zur Änderung des Abgabe- und des Ablösungsbescheids. Bei den Leistungen nach § 105 LAG – bis zum 31. März 1952 – berücksichtigte das FA die Zahlung von 425 000 RM nicht. Es beließ insoweit die Halbjahrsrate auf 15 033,04 DM. Hinsichtlich der Leistungen nach § 106 LAG – vom 1. April 1952 an – ging das FA von dem Zins- und Tilgungsbetrag aus, der bei Anrechnung des Tilgungsguthabens von 425 000 RM zu zahlen gewesen wäre, wenn die Währungsreform nicht erfolgt wäre. Das FA setzte demgemäß die Halbjahrsraten ab 1. Juli 1952 auf 6 376,16 DM fest.
Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch machte die Revisionsklägerin geltend, § 2 der 16. AbgabenDV-LA greife über § 105 LAG auch auf die Zeit von der Währungsreform bis zum 31. März 1952 zurück. Die Leistungen nach § 105 LAG seien Leistungen auf die HGA, so daß alle Bestimmungen, die sich auf die HGA bezögen, sich auch auf die Leistungen nach § 105 LAG beziehen müßten.
Der Einspruch und die Berufung, mit der außerdem noch geltend gemacht wurde, eine Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO habe nicht erfolgen dürfen, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:
Die nach § 105 LAG zu erbringenden Beträge seien von einem Ausgangskapital zu bemessen, das nicht um die gezahlten 425 000 RM gemindert werden dürfe. Nach § 105 LAG seien die Beträge fortzuentrichten, die nach dem HypSichG und seinen Durchführungsverordnungen zu erbringen seien. Nach diesen Vorschriften und Bestimmungen habe die Zahlung der 425 000 RM unbeachtet bleiben müssen, weil sie nach den der Verbindlichkeit zugrunde liegenden Bedingungen bis zum 20. Juni 1948 nicht zu einer Tilgung geführt hätte (§ 1 Abs. 1 Satz 3 HypSichG und § 5 Abs. 3 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich – 1. HypSichDV –). Die 16. AbgabenDV-LA habe daran nichts geändert. Diese Durchführungsverordnung beziehe sich nur auf die HGA, nicht aber auf die nach dem HypSichG bemessenen und nach § 105 LAG fortzuentrichtenden Zins- und Tilgungsleistungen. Die Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO sei zutreffend erfolgt. Als Fehler im Sinne dieser Vorschrift komme jeder Rechtsirrtum in Betracht. Es sei gleichgültig, ob im Zeitpunkt der Entscheidung ein Irrtum über eine bereits gefestigte Rechtsansicht vorgelegen habe oder ob das FA eine Rechtsfrage, über die noch keine allgemeine Rechtsauffassung gebildet worden sei, – wie sich später herausstellte – unrichtig entschieden habe.
Mit der Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, wiederholte die Revisionsklägerin ihr bisheriges Vorbringen. Zusätzlich führte sie aus, Sinn und Zweck der 16. AbgabenDV-LA sei es, Unbilligkeiten zu beseitigen, die sich aus der formalistischen Umstellung von RM-Verbindlichkeiten bei Berechnung der Währungsgewinne der Schuldner ergeben hätten. Das gehe insbesondere aus der Begründung zum Entwurf der 16. AbgabenDV-LA hervor. Die allgemeine Begründung zur 16. AbgabenDV-LA und die Begründung zu § 2 dieser Durchführungsverordnung insbesondere ergebe, ein rechtlich entstandener Schuldnergewinn solle dann als nicht eingetreten behandelt werden, wenn es wirtschaftlich an einem solchen Gewinn fehle. Hinsichtlich der HGA sei die Zahlung der 425 000 RM nach § 2 Abs. 2 der 16. AbgabenDV-LA so behandelt worden, als hätte sie vor dem Währungsstichtag zu einer Tilgung geführt. Sei aber vor dem Währungsstichtag eine Tilgung erfolgt, müsse für die Tilgung das gelten, was zwischen den ursprünglichen Darlehnspartnern vereinbart worden sei. Die rechtzeitig geleistete Zahlung sei demgemäß anzurechnen, so daß sich nicht nur das Schuldkapital, sondern auch der Tilgungssatz und die Tilgungsrate ändere. Das sei für die Höhe der Leistungen nach dem HypSichG zu beachten (§ 1 Abs. 1 Satz 3 HypSichG).
Die Revisionsklägerin beantragte, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und die berichtigten Bescheide vom 24. September 1959 aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Berichtigung der Bescheide vom 5. April und 13. April 1956 nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO war zulässig, da sie fehlerhaft waren.
1. Als Fehler im Sinne von § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO ist jede unrichtige Anwendung materiellen Rechts anzusehen (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – II 87/60 U vom 18. Dezember 1963, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 78 S. 256 – BFH 78, 256 –, BStBl III 1964, 102). Dabei ist es gleichgültig, ob sich die Gesetzesauslegung erst nach geläuterter Rechtsauffassung als unrichtig erweist oder ob sie von vornherein gegen eine als herrschend anzusehende Rechtsauffassung verstößt (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., § 222 Anm. 31 a); denn in jedem Falle stellt sich die ursprünglich vertretene Rechtsauffassung als unrichtig und damit als fehlerhaft dar.
2. Das FA ging in den Bescheiden vom 5. April und 13. April 1956 zu Unrecht davon aus, die nach dem HypSichG zu erbringenden und nach § 105 LAG fortzuentrichtenden Leistungen seien von einem Ausgangskapital zu bemessen, das um die gezahlten 425 000 RM zu mindern sei. Zutreffend berichtigte es deshalb die genannten Bescheide durch den hier angegriffenen Bescheid vom 24. September 1959.
§ 1 HypSichG bestimmt grundsätzlich, daß in Höhe des Betrages, um den der RM-Nennbetrag einer Hypothek oder Grundschuld den DM-Umstellungsbetrag übersteigt, Grundschulden zugunsten der öffentlichen Hand entstehen. Für diese Grundschulden gelten hinsichtlich der Zins- und Tilgungsleistungen (Annuitäten) die gleichen Bedingungen wie für die umgestellten Rechte (§ 1 Abs. 1 Satz 3 HypSichG). Auf die – regelmäßig – 9/10-Umstellungsgrundschuld hat der Schuldner 9/10 der Gesamtannuitäten zu erbringen, die er vertragsgemäß leisten müßte, wenn die Währungsreform nicht erfolgt wäre. § 105 LAG bestimmt nun, daß die Beträge, die nach den Vorschriften des HypSichG und seiner Durchführungsverordnungen als Zinsen und Tilgungsleistungen zu erbringen sind, bis zum ersten auf den 31. März 1952 folgenden Fälligkeitszeitpunkt „fortzuentrichten” sind.
a) Es stellt sich deshalb die Frage, ob für die Bemessung der Zinsen und Tilgungsleistungen, die die Revisionsklägerin nach dem HypSichG und seiner Durchführungsverordnungen zu leisten hatte, von einem um die Zahlung der 425 000 RM geminderten Ausgangskapital auszugehen ist. Das ist zu verneinen. Bis zum 30. Juni 1948 hatte die von der Revisionsklägerin am 13. Mai 1948 geleistete Zahlung unstreitig keine schuldbefreiende Wirkung. Folglich bestand die der Hypothek zugrunde liegende Schuld und die Hypothek selbst am Währungsstichtag in unveränderter Höhe, so daß beide in vollem Umfang von der Umstellung erfaßt wurden (§ 16 Abs. 1 des Umstellungsgesetzes – UG –, Art. I § 1 der 40. Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz – UGDV –).
b) Die nach dem HypSichG zu erbringenden Annuitäten bemessen sich nach dem am 21. Juni 1948 umgestellten Recht und den an diesem Stichtag geltenden Bedingungen zwischen dem Schuldner und dem ursprünglichen Gläubiger der gesamten Hypothek. Die hier geleistete Zahlung der 425 000 RM verminderte folglich nicht die Höhe der zu leistenden Annuitäten; denn das HypSichG knüpft unmittelbar an die durch das UG eintretenden Folgen an, was sich z. B. aus § 1 HypSichG ergibt. Daraus, daß das HypSichG erst am 1. Juli 1948 in Kraft trat (§ 5 HypSichG), läßt sich das Gegenteil nicht folgern. Insbesondere § 13 Abs. 2 der 1. HypSichDV macht deutlich, daß sich das HypSichG nicht nur auf die Höhe der am 1. Juli 1948 bestehenden Hypothekenschulden bezieht, daß es vielmehr von dem Bestand der Hypothek am 20. Juni 1948 ausgeht. Das Inkrafttreten am 1. Juli 1948 bringt folglich nur zum Ausdruck, von welchem Zeitpunkt an die Leistungen, deren Höhe sich nach den Bedingungen am 21. Juni 1948 bemißt, zu erbringen sind.
c) Die im Streitfall am 1. Juli 1948 wirksam gewordene Zahlung führt auch nicht zu einer Herabsetzung der für den 21. Juni 1948 maßgebenden Annuitäten. Nach § 13 Abs. 2 der 1. HypSichDV ist eine nach dem 20. Juni 1948, jedoch vor dem 1. Juli 1948 geleistete Zahlung auf ein umgestelltes Recht für die Anwendung des HypSichG erst nach dem 1. Juli 1948 wirksam. Um so mehr muß das für die Zahlung der 425 000 RM gelten, die nicht vor dem Inkrafttreten des HypSichG (1. Juli 1948), sondern allenfalls mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes wirksam wurde. Zahlungen, die erst nach dem 30. Juni 1948 wirksam wurden, können die auf den 21. Juni 1948 abgestellte Bemessung der Annuitäten nach dem HypSichG nicht mehr verändern. Eine Bestimmung, die evtl. denkbare Unbilligkeiten in Fällen von Zahlungen vor dem 20. Juni 1948, die erst mit oder nach dem Inkrafttreten des HypSichG wirksam wurden, verhindern soll, ist weder im HypSichG noch in den dazu ergangenen Durchführungsverordnungen enthalten. Danach sind im Streitfall nach dem HypSichG und seinen Durchführungsverordnungen die Annuitäten zu entrichten, die auch ohne die Zahlung der 425 000 RM zu leisten gewesen wären. Nach § 105 LAG sind diese Beträge bis zum ersten auf den 31. März 1952 folgenden Fälligkeitsstichtag fortzuentrichten.
3. Es kann und muß hier dahingestellt bleiben, ob das FA im Streitfall die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 2 der 16. AbgabenDV-LA auf die ab 1. April 1952 zu leistende HGA zutreffend bejahte. Jedenfalls kann sie nicht auf die nach dem HypSichG zu leistenden und nach § 105 LAG fortzuentrichtenden Beträge angewandt werden Denn die 16. AbgabenDV-LA bezieht sich nur auf die nach § 106 LAG zu leistenden Abgaben. Zwar läßt § 141 LAG Rechtsverordnungen „zur Durchführung der Vorschriften über die Hypothekengewinnabgabe” zu. Zu den Vorschriften über die HGA gehört auch § 105 LAG so daß möglicherweise auch eine Durchführungsverordnung zu § 105 LAG auf § 141 LAG hätte gestützt werden können. Der Verordnungsgeber hat sich jedoch bei Erlaß der 16. AbgabenDV-LA nicht auf die Ermächtigung des § 141 LAG schlechthin, sondern nur auf § 141 Nr. 1 (jetzt § 141 Abs. 1 Nr. 1) LAG bezogen. Daraus ist zu ersehen, daß die 16. AbgabenDV-LA nicht auf die Überleitung der Vorschriften des HypSichG auf die Vorschriften des LAG erfassen sollte, die nach § 141 Nr. 3 (jetzt § 141 Abs. 1 Nr. 3) LAG hätten geregelt werden können. Der Verordnungsgeber hat durch die ausschließliche Bezugnahme auf § 141 Nr. 1 LAG klar zu erkennen gegeben, daß sich die 16. AbgabenDV-LA nur auf § 106 LAG, nicht auch auf § 105 LAG beziehen soll. Die von der Revisionsklägerin für ihre Ansicht zitierte amtliche Begründung des 16. AbgabenDV-LA unterstützt nur die hier vertretene Auffassung. In der Begründung (Bundesratsdrucksache Nr. 92/55) ist allgemein ausgeführt, § 141 Nr. 1 LAG gestatte für die Fälle, die nach dem zweiten Abschn. des II. Teils des Gesetzes der HGA unterliegen, Ausnahmen von der Abgabepflicht. Davon solle Gebrauch gemacht werden. Eine weiter ausgreifende Verordnung sollte folglich nicht erlassen werden. Da sich die 16. AbgabenDV-LA mithin nur auf die nach dem 31. März 1952 zu leistende HGA bezieht, kann die Revisionsklägerin nicht damit gehört werden, die Fiktion des § 2 Abs. 2 der 16. AbgabenDV-LA gelte schlechthin für die von ihr vor dem Währungsstichtag geleistete Zahlung von 425 000 RM. Die Fiktion beschränkt sich darauf, HGA-Schuldner, die eine rechtlich erst nach dem Währungsstichtag wirksame Zahlung vor diesem Stichtag bewirkt haben, wirtschaftlich so zu behandeln, als wäre die Zahlung vor dem Stichtag wirksam geworden. Diese Ausnahmebestimmung kann nicht – ebensowenig wie andere Ausnahmeregelungen – extensiv ausgelegt werden; sie kann nicht auf Fälle ausgedehnt werden, die nach dem Wortlaut der Durchführungsverordnung sowie nach der amtlichen Begründung zur Durchführungsverordnung nicht gemeint sind. Daß durch die Fiktion des § 2 Abs. 2 der 16. AbgabenDV-LA die Leistungen auf die Abgabeschuld niedriger sind als auf die Umstellungsgrundschuld, ist nicht außergewöhnlich. Dieser Sachverhalt ist im Gesetz ausdrücklich vorgesehen (§ 105 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz LAG).
Fundstellen
Haufe-Index 514490 |
BFHE 1968, 528 |