Leitsatz (amtlich)

1. Die Bearbeitung eines Gegenstandes ist einem Unternehmer dann nicht zuzurechnen, wenn sie ohne sein Wissen und gegen seinen Willen durch einen beauftragten Dritten erfolgt ist. Sofern die übrigen Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 UStG vorliegen, steht ihm trotz der an sich steuerlich schädlichen Bearbeitung der ermäßigte Steuersatz zu.

2. Den Besonderheiten eines solchen Falles ist beim Buchnachweis Rechnung zu tragen.

 

Normenkette

UStG § 7 Abs. 3; UStDB 1951 § 12 Abs. 1-2, §§ 14, 57 Abs. 1 Ziff. 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Bfin., die eine Eiergroßhandlung betreibt, für die Entgelte aus Großhandelslieferungen von Eiern, die sie als Frischeier erworben hat und ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen zu Kühlhauseiern geworden sind, der ermäßigte Steuersatz nach § 7 Abs. 3 UStG zusteht.

Die Bfin. lagerte wiederholt Eier bei einem Kühlwerk ein. Nach ihren ausdrücklichen Weisungen sollten die Eier jeweils in Räumen mit Temperaturen von über + 5\'f8 Celsius vorübergehend aufbewahrt werden. Bei einer 1957 durchgeführten Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß das Kühlwerk im Jahre 1956 von sich aus mehrere hundert Kisten holländische Eier der Bfin. bei einer Temperatur von 0\'f8 bis +2\'f8 Celsius gelagert hatte, weil die Eier als unverzollte Waren in einem Zolleigenlager liegen mußten, in dem aber wegen anderer Lagerposten die niedrigere Temperatur erforderlich war. Dadurch wurden die Frischeier zu Kuhlhauseiern. Das Finanzamt sah in der Kühlung der Frischeier eine Behandlung, durch die Gegenstände anderer Marktgängigkeit, nämlich Kühlhauseier, entstanden sind. Es schätzte die für diese Eier vereinnahmten Entgelte auf . . . . DM, weil sich der genaue Betrag aus den Büchern der Bfin. nicht feststellen ließ, und unterwarf die . . . . DM bei der vorläufig durchgeführten Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 1956 dem vollen Steuersatz.

Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg.

Nach Auffassung des Finanzgerichts stellen Kühlhauseier ein anderes Verkehrsgut dar als Frischeier. Wenn, wie im Streitfall, die Änderung der Marktgängigkeit eingetreten sei ohne Zutun und ohne Kenntnis der Bfin., so sei dies bedeutungslos. Maßgebend sei allein, daß durch die Behandlung ein neues Verkehrsgut entstanden sei. Die Tatsache, daß die Frischeier durch das Verhalten des Kühlwerks zu Kühlhauseiern geworden seien, müsse die Bfin. nach § 12 Abs. 2 UStDB gegen sich gelten lassen, weil die Behandlung durch das Kühlwerk an Eiern erfolgt sei, an denen die Bfin. vor der Einkühlung die Verfügungsmacht erlangt und auch nachher noch besessen habe. Darüber hinaus sei es unerheblich, daß die Eier von der Bfin. nicht als Kühlhauseier verkauft worden seien, und daß der einzelne Abnehmer von der Einkühlung keine Kenntnis gehabt habe. Im übrigen fehle der buchmäßige Nachweis der Bearbeitung.

Mit der Rb. rügt die Bfin. unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Sie ist der Ansicht, eine Bearbeitung könne dann nicht zur Versagung der Großhandelsvergünstigung führen, wenn sie ohne ihr Wissen und ohne ihren Willen stattgefunden habe. Ferner macht sie geltend, das Finanzgericht habe es unterlassen, die Verkehrsauffassung darüber festzustellen, ob im Streitfall ein neues Verkehrsgut entstanden sei.

 

Entscheidungsgründe

Der Rb. kann der Erfolg nicht versagt werden.

Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 UStG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 UStDB ermäßigt sich die Steuer auf 1 v. H. für Lieferungen von Gegenständen im Großhandel, soweit der Unternehmer die Gegenstände erworben, sie weder bearbeitet noch verarbeitet und die Voraussetzungen für die Steuerermäßigung buchmäßig nachgewiesen hat. Eine Bearbeitung oder Verarbeitung durch einen Unternehmer liegt nach § 12 Abs. 1 Satz 1 UStDB vor, wenn die Wesensart des Gegenstandes geändert wird. Sie wird geändert, wenn durch die Behandlung des Gegenstands nach der Verkehrsauffassung ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entsteht (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UStDB). Das Finanzgericht hat die Frage, ob durch das Einkühlen der Frischeier ein neues Verkehrsgut entsteht, auf Grund zutreffender Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, jedenfalls für den hier behandelten Veranlagungszeitraum, ohne Rechtsirrtum bejaht. Wenn demgegenüber die Bfin. rügt, das Finanzgericht habe es unterlassen, die Verkehrsauffassung festzustellen, so verkennt sie, daß das Finanzgericht mit Recht aus der Handelsklasseneinteilung, wie sie nach der Verordnung über Handelsklassen und Kennzeichnung von Eiern (Eierverordnung) vom 19. April 1952 (Bundesanzeiger 1952 Nr. 77 vom 22. April 1952) vorgesehen ist, eine der Verkehrsauffassung Rechnung tragende Regelung sehen konnte, so daß es weiterer Ermittlungen nicht mehr bedurfte (Urteil des Bundesfinanzhofs V 207/54 U vom 4. Mai 1955, BStBl 1955 III S. 195, Slg. Bd. 60 S. 513).

Das Finanzgericht hat der Tatsache, daß das Einlagern der Eier ohne Kenntnis und ohne Zutun der Bfin. erfolgte, keine Bedeutung beigemessen. Es vertrat die Auffassung, maßgebend sei allein die objektive Behandlung. Insoweit kann dem Finanzgericht nicht gefolgt werden. § 7 Abs. 3 Satz 1 UStG gewährt die Großhandelsvergünstigung unter anderem dann, "soweit der Unternehmer die Gegenstände weder bearbeitet noch verarbeitet hat". § 12 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 UStDB gehen ebenfalls von einer Bearbeitung oder Verarbeitung durch den Unternehmer aus. Daraus folgt, daß eine Bearbeitung in diesem Sinne nur dann vorliegt, wenn die Behandlung des Gegenstands dem Unternehmer zugerechnet werden kann. Die Behandlung muß auf ein positives Tun oder ein bewußtes Unterlassen des Unternehmers zurückzuführen sein. Wenn das Finanzgericht ausführt, die im § 12 Abs. 1 Satz 2 UStDB getroffene Formulierung "wenn durch die Behandlung des Gegenstands . . . ein neues Verkehrsgut entsteht", müsse objektiv verstanden werden, so übersieht es, daß diese Bestimmung nur gelesen werden kann im Zusammenhang mit Satz 1: Durch die Behandlung des Gegenstands durch den Unternehmer muß ein neues Verkehrsgut entstehen. Dabei kann der Unternehmer diese Behandlung auch durch einen anderen ausführen lassen (§ 12 Abs. 2 UStDB). Dem Finanzgericht ist andererseits zuzustimmen, daß das Verhalten (positives Tun oder bewußtes Unterlassen) des Unternehmers nicht auf eine Änderung der Marktgängigkeit abzielen, sondern lediglich eine solche auslösen muß. Hieraus folgt: Das Verhalten des Unternehmers muß für eine Behandlung = Änderung der Marktgängigkeit ursächlich sein. Eine Behandlung, von der der Unternehmer aber nichts weiß und die gegen seinen Willen geschieht, ist weder von ihm veranlaßt noch auf ihn zurückzuführen. Insoweit ist auch ein Erwerb des gelieferten Gegenstands anzunehmen.

Soweit das Finanzgericht ausführt, die Bfin. müsse die Einkühlung gemäß § 12 Abs. 2 UStDB gegen sich gelten lassen, weil sie an den Eiern schon vor dem Einkühlen die Verfügungsmacht erlangt und während des Einkühlens auch noch besessen habe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. § 12 Abs. 2 UStDB regelt nur die Zurechnung der Behandlungen, die der Unternehmer nicht selbst ausführt, sondern durch andere ausführen läßt. Im übrigen muß auch hier das Verhalten des Unternehmers für die Behandlung ursächlich sein. Wenn das Finanzgericht auf das Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs II 6/48 vom 1. April 1948 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz, § 7 Abs. 3, Rechtsspruch 6) hinweist, so ist dem entgegenzuhalten, daß im vorliegenden Fall die Bearbeitung gegen den Willen der Bfin. erfolgt ist.

Zusammenfassend ist für den Rechtsstreit zunächst festzustellen, daß das Einkühlen der Frischeier zwar eine Behandlung darstellt, durch die ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entsteht, daß aber diese Behandlung die Bfin. nicht gegen sich gelten lassen muß, weil die Änderung der Marktgängigkeit ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen erfolgt ist.

Hinsichtlich der Frage, ob das Einkühlen von der Bfin. hätte buchmäßig nachgewiesen werden müssen, ist zu berücksichtigen, daß es sich um eine steuerlich unschädliche Bearbeitung gehandelt hat, die ohne Zutun und Wissen der Bfin. ausgeführt wurde. Dieser Besonderheit wird auch beim buchmäßigen Nachweis Rechnung getragen werden müssen. Der Prüfer hat festgestellt, daß die Bfin. grundsätzlich nur Großhandelslieferungen von erworbenen Frischeiern ausgeführt hat. Er hat weiter festgestellt, daß die übrigen Voraussetzungen des Buchnachweises vorliegen. Aus diesen Gründen kann der Buchnachweis als erfüllt angesehen werden.

Nach alledem war der Rb. stattzugeben und der Bfin. der ermäßigte Steuersatz zu gewähren. Es waren daher die Vorentscheidungen aufzuheben und die Umsatzsteuer für den Veranlagungszeitraum 1956 um . . . DM herabzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410793

BStBl III 1963, 344

BFHE 1964, 75

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