Leitsatz (amtlich)
Ein Unternehmer, der eine Kammgarnspinnerei und eine Kämmerei betreibt, kann für die Erlöse aus den beim Kämmen und Krempeln in der eigenen Kämmerei oder im fremden Lohnbetrieb anfallenden Kämmlinge, Wollabfälle und Wollabgänge Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 4 UStG beanspruchen.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 4; UStDB 1951 § 29 Abs. 12 Ziff. 12, § 30 Abs. 1 Ziff. 8, Abs. 2
Tatbestand
Die Steuerpflichtige betreibt eine Kammgarnspinnerei; sie erwirbt Wolle und liefert hieraus versponnene Garne weiter. Für die Erlöse aus den beim Kämmen und Krempeln im Eigenbetrieb oder im fremden Lohnbetrieb anfallenden Abgänge (Kämmlinge, Kammstaub, Graupen- und Krempelabfälle) begehrt sie Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 4 UStG in Verbindung mit § 29 Abs. 2 Ziff. 12 und § 30 Abs. 1 Ziff. 8 und Abs. 2 UStDB 1951.
Das Finanzamt hat Steuerpflicht angenommen und sich hierfür auf den Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 5. Juni 1937 S 4138 -- 281 III (Umsatzsteuerkartei S 4138 a Karte 16 Ziff. 4), ein Urteil des Reichsfinanzhofs V 380/37 vom 24. Juni 1938 (RStBl 1938 S. 767, Slg. Bd. 44 S. 185) und ein amtlich nicht veröffentlichtes, aber den Beteiligten bekanntes Urteil des Reichsfinanzhofs V 200/40 vom 14. Februar 1941, das die gleiche Streitfrage betraf, gestützt.
Die Sprungberufung der Steuerpflichtigen hatte Erfolg. Das Finanzgericht hat durch Zwischenurteil die Anwendbarkeit der Befreiungsvorschriften bejaht. Hiergegen richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, die nicht begründet ist.
Entscheidungsgründe
Schafwolle, einschließlich der Kämmlinge, der Wollabfälle und der Wollabgänge, gehört nach § 29 Abs. 2 Ziff. 12 UStDB zu den notwendigen Rohstoffen und Halberzeugnissen im Sinne des § 4 Ziff. 4 UStG. Die Abgänge sind durch Bearbeitungsvorgänge entstanden, die durch § 30 Abs. 1 Ziff. 8 UStDB besonders zugelassen sind. Schließlich ist auch die Voraussetzung des § 30 Abs. 2 a. a. O. erfüllt; denn die Liefergegenstände der streitigen Lieferungen (Kämmlinge usw.) sind in § 29 Abs. 2 Ziff. 12 UStDB 1951 aufgeführt.
Obwohl hiernach der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften für die Auffassung der Steuerpflichtigen spricht, hat der Reichfinanzhof in dem oben angeführten Urteil vom 14. Februar 1941 unter Berufung auf die im Urteil des Reichsfinanzhofs V 380/37 vom 24. Juni 1938 entwickelten Grundsätze die Steuerfreiheit versagt. Er hat unter anderem ausgeführt, bei der Beurteilung der Frage, ob in einem Unternehmen eine "besonders zugelassene Bearbeitung" oder ob steuerlich schädliche Bearbeitungen vorgenommen seien, seien alle vom Unternehmer vorgenommenen Bearbeitungsphasen als Ganzes zu betrachten. Wenn sich in dem gleichen Unternehmen an eine an sich zugelassene Bearbeitung andere steuerlich schädliche Bearbeitungen anschlössen, werde der Anspruch auf Steuerbegünstigung, der auf die zugelassene Bearbeitung gegründet sei, für den Unternehmer wirkungslos. Er habe, weil die durch ihn vorgenommene Bearbeitung (Kämmen und Spinnen) über die besonders zugelassene Bearbeitung (das Kämmen) hinausgegangen sei, die Lieferung der dadurch entstandenen Gegenstände (der Garne) mit dem normalen Steuersatz zu versteuern. Die zugelassene Bearbeitung sei gewissermaßen in der schädlichen Bearbeitung aufgegangen. Die besonders zugelassene Bearbeitung trete umsatzsteuerlich nicht in Erscheinung, es könne deshalb auch keine "durch eine besonders zugelassene Bearbeitung entstandene Gegenstände" im Sinne des § 29 Abs. 2 (jetzt § 30 Abs. 2) UStDB und somit auch keine Steuerfreiheit für die Lieferung derartiger Gegenstände geben. Das gelte auch von den in der Bearbeitungsphase des Kämmens entstandenen Abgängen.
Diese Auslegung entspricht nicht mehr den in der neueren Rechtsprechung gewonnenen Grundsätzen. Es ist unstreitig und auch von der Steuerpflichtigen jenes früheren Rechtsstreites nicht bezweifelt worden, daß die Garne, weil das Spinnen nicht besonders zugelassen ist, mit dem normalen Steuersatz zu versteuern sind. Der Streit geht lediglich um die Steuerfreiheit für Lieferungen der Wollabgänge usw. Wohl hält auch der erkennende Senat an der Auffassung fest, daß im Umsatzsteuerrecht wirtschaftlich zusammengehörige Vorgänge einheitlich zu beurteilen sind. Dieser Grundsatz ist insbesondere dann anzuwenden, wenn ein einheitlicher Vorgang im Hinblick auf eine Steuervergünstigung künstlich aufgespaltet wird. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Umsatzgeschäftes kann aber nicht dazu führen, Bearbeitungsphasen eines zweistufigen Betriebes, also einer Kammgarnspinnerei mit eigener Kämmerei, zusammenzufassen, wenn sich die Befreiungsvorschrift ausdrücklich auf das Erzeugnis (Kämmlinge, Wollabfälle usw.) eines besonders zugelassenen Bearbeitungsvorganges (des Kämmens) bezieht und das Gesetz keinen Vorbehalt hinsichtlich des Endprodukts eines weiteren Bearbeitungsvorganges, dem Spinnen der Wolle zu Garn, getroffen hat. Es kann also nicht, wie die Rb. zutreffend bemerkt, darauf ankommen, daß andere Produkte eines Bearbeitungsvorganges in weitere Bearbeitungsvorgänge (Spinnen) überführt werden.
Es gibt Kämmereibetriebe, die sich lediglich mit dem Kämmen befassen; soweit sie es auf eigene Rechnung tun, trifft für sie -- auch nach Auffassung der Verwaltung -- die Steuerbefreiung für die Lieferung der Wollabgänge zu. Es gibt aber auch Kämmereien, denen eine Spinnerei angegliedert ist, die also technisch und oft auch unternehmerisch getrennt liegende Arbeitsvorgänge in einem Unternehmen vereinen. Die Wirkung der vom Finanzamt vertretenen Auslegung ähnelt also der einer Zusatzsteuer für einen zweistufigen Betrieb. Daß dies rechtens sein soll, kann aber weder dem Wortlaut noch dem Zweck der Befreiungsvorschrift entnommen werden; denn der Zweck der Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 4 UStG, hier im besonderen des § 29 Abs. 2 Ziff. 12 UStDB ist nicht, wie man dem oben angeführten Urteil des Reichsfinanzhofs vom 14. Februar 1941 entnehmen könnte, nur einstufige Lohnkämmereibetriebe zu begünstigen; denn Maßnahmen zum Schutz einstufiger Betriebe hat der Gesetzgeber allein im Rahmen des § 8 UStG getroffen. Der Zweck der Vorschrift ist vielmehr, zu verhindern, daß Wolle statt im Inland im Ausland gekämmt wird, so daß Kämmlinge ohne Vorbelastung oder nicht ausreichend vorbelastet in das Inland gelangen. Gegenüber solchen für die deutsche Textilwirtschaft unerwünschten Importen sind aber, worauf die Rb. zutreffend hinweist, die Kämmlingsumsätze einer zweistufigen Kammgarnspinnerei in gleicher Weise schutzbedürftig wie die Umsätze der Unternehmer, die ausschließlich das Kämmen ausführen. Der oben angeführte Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 5. Juni 1937 spricht denn auch nur aus, daß Wollabfälle, die bei der Bearbeitung in der sogenannten Vorspinnerei und in der eigentlichen Spinnerei anfallen, nicht unter die Befreiungsvorschrift fallen. Die Kämmerei gehört jedoch technisch und wirtschaftlich nicht zur Vorspinnerei. Der Vorgang in der Vorspinnerei besteht darin, daß das aus der Kämmerei kommende Kammzugband unter schwacher Drehung bis zum sogenannten Vorgarn verzogen wird. Es ließe sich also eher folgern, daß zwar Abfälle beim Vorspinnen, weil der Spinnerei zugehörig, steuerpflichtig, die Nebenerzeugnisse des Kämmens jedoch steuerfrei sein sollen.
Unter diesen Umständen kann es dahingestellt bleiben, ob der Senat dem oben angeführten Urteil des Reichsfinanzhofs vom 24. Juni 1938, das immerhin einen rechtlich und tatsächlich in mancher Hinsicht anders liegenden Fall im Rahmen des § 4 Ziff. 2 UStG betraf, folgen würde. Die Übertragung der dort aufgestellten Grundsätze auf den Streitfall, wie es das oben angeführte Urteil vom 14. Februar 1941 getan hat, ist jedenfalls nach Wortlaut und Sinn der hier einschlägigen Befreiungsvorschriften nicht gerechtfertigt. Der Vorentscheidung war daher im Ergebnis beizutreten. Hiernach rechtfertigt sich die Zurückweisung der Rb.
Fundstellen
Haufe-Index 410503 |
BStBl III 1962, 364 |
BFHE 1963, 268 |