Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ist zweifelhaft, ob die Gegenleistung eines Unterhaltsberechtigten in erheblichem Umfang unangemessen ist, so ist die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung vom Finanzamt zu prüfen.
Unterhaltsleistungen, die wegen der Unbestimmtheit der einzelnen Leistung keine Leibrenten sind, können dauernde Lasten sein.
Wird eine solche Unterhaltsleistung auf Grund einer Gegenleistung gewährt, so kommt ein Abzug nach § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG erst in Betracht, wenn die Summe der einzelnen Leistungen die Gegenleistung übersteigt. Erst von diesem Zeitpunkt ab braucht auch der Empfänger seine Bezüge nach § 22 Ziff. 1 EStG zu versteuern.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 12 Nr. 2, § 22 Ziff. 1
Tatbestand
Nach dem notariellen Vertrag vom 21. Oktober 1959 haben der Bf. und seine Ehefrau an die Mutter der Ehefrau "zur Versorgung lebenslänglich einen monatlichen Betrag für Kost, Unterkunft und bare Auslagen, mindestens gesamtwerte Vorteile von insgesamt 250 DM monatlich, beginnend am 1. Juli 1959" zu zahlen, wogegen ihnen die Mutter eine einmalige Abfindung von 12.000 DM zur Verfügung stellte. Streitig ist, ob der Bf. die in der Zeit vom 1. Juli bis Ende Dezember 1959 an die Mutter gezahlten Beträge gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG als Sonderausgabe voll oder nur mit dem Ertragsanteil berücksichtigen kann. Das Finanzgericht nahm das letztere an, weil es sich um eine Leibrente im Sinne von § 22 Ziff. 1 Buchst. a), § 10 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 EStG 1955 (und später) handle.
Mit seiner Rb. rügt der Bf. Verletzung des bestehenden Rechts. Nach seiner Ansicht liegt, weil er an die Mutter nicht einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen hat, keine Leibrente, sondern eine dauernde Last vor. Dementsprechend sei ihm nicht bloß der Ertragsanteil, sondern der volle gezahlte Betrag zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
Wird, wie im Streitfall, Unterhalt an eine Person gewährt, die dem Steuerpflichtigen gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigt ist, so gehört die Leistung nach § 12 Ziff. 2 EStG in aller Regel selbst dann zu den nicht absetzbaren Kosten der Lebenshaltung, wenn der Steuerpflichtige sich in rechtsverbindlicher Form zur Unterhaltsgewährung verpflichtet hat. Das gilt, wie das Finanzgericht erkennt, nicht, wenn der Unterhaltsgewährung eine Gegenleistung gegenübersteht, die Frage der gesetzlichen Unterhaltsberechtigung also ausscheidet.
Dem Finanzgericht ist aber darin nicht beizustimmen, daß hier ein solcher Fall schon deswegen gegeben sei, weil die Mutter an den Bf. und seine Ehefrau eine nicht unerhebliche Gegenleistung erbracht habe. Wenn der Senat in dem Urteil VI 27/56 U vom 8. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 207, Slg. Bd. 64 S. 550) auch festgestellt hat, daß die Finanzämter und die Steuergerichte grundsätzlich nicht zu prüfen brauchen, ob Leistung und Gegenleistung voll in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, so gilt dies, wie sich aus dem Urteil ergibt, doch nicht ausnahmslos. Nur eine kleinliche Nachprüfung soll verhindert werden. Die Tatsache einer Gegenleistung kann jedenfalls nicht zur Absetzbarkeit der Rentenleistungen führen, wenn "die Leistungen des Rentenberechtigten bei vernünftiger Beurteilung offensichtlich nicht als Gegenleistung gedacht" sind.
Selbst bei großzügiger Beurteilung der Angemessenheit ergeben sich im Streitfall aber Bedenken, ob die Zahlung der Mutter, wenn sie auch nicht unerheblich war, zu den von dem Bf. und seiner Ehefrau übernommenen Verpflichtungen in angemessenem Verhältnis stand, so daß ein solcher Vertrag auch zwischen fremden Personen geschlossen worden wäre. Geht man mit dem Bf. davon aus, daß seine Leistungen auf Grund des Vertrags einen Wert von mehr als 400 DM monatlich haben, so liegt die Unangemessenheit von Leistung - die Jahresleistung würde dann 4.800 DM betragen - und Gegenleistung auf der Hand. Selbst aber bei einer Leistung von nur 250 DM monatlich wäre die Angemessenheit kaum zu bejahen. Jedenfalls ist, zumal die Mutter beim Abschluß des Vertrages erst 69 Jahre alt war, aus den Akten nicht ersichtlich, daß nur mit einer verhältnismäßig kurzen Laufzeit zu rechnen gewesen wäre.
Das angefochtene Urteil war danach wegen möglichen Rechtsirrtums aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird zur nochmaligen Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen, das bei seiner Prüfung folgendes zu beachten hat:
Ist die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung zu bejahen, so erhebt sich die Frage, ob es sich bei den vom Bf. erbrachten Leistungen um eine Leibrente oder um eine dauernde Last handelt. Das Finanzgericht hat, weil es den nach dem Vertrag zu gewährenden Mindestbetrag von 250 DM monatlich als entscheidend angesehen hat, eine Leibrente angenommen. Zu der Frage, wie Verträge der hier vorliegenden Art zu beurteilen sind, hat der Senat in dem Urteil VI 105/61 U vom 29. März 1962 (BStBl 1962 III S. 304, Slg. Bd. 75 S. 96) Stellung genommen und eine dauernde Last bejaht, wenn die Gewährung von Unterhalt versprochen ist und dieser nicht oder nicht nur in Gestalt eines festen Geldbetrages gewährt wird. Es ist zu prüfen, ob nach diesen Grundsätzen nicht im vorliegenden Falle eine dauernde Last anzunehmen ist.
Eine Leibrente ist, wie das Finanzgericht mit Recht festgestellt hat, gemäß § 22 Ziff. 1 Buchst. a in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 EStG 1955 (und später) nur mit dem Ertragsanteil als Sonderausgabe absetzbar. Dem entspricht, daß der Empfänger auch nur den Ertragsanteil als sonstige Einkünfte anzusetzen hat.
Liegt eine dauernde Last vor, so bedeutet das aber nicht, daß der Bf. die Jahresleistungen sofort und ganz gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 EStG 1955 (und später) absetzen kann und die Mutter sie sofort und ganz als sonstige Einkünfte im Sinne von § 22 Ziff. 1 Buchst. a EStG 1955 (und später) zu versteuern hat. Aus denselben Gründen, aus denen der Bundesfinanzhof vor der erstmals für den Veranlagungszeitraum 1955 geltenden Neuregelung der Rentenbesteuerung (ß 22 EStG 1955) bei den entgeltlich begründeten außerbetrieblichen Renten die Frage des Abzugs und der Erfassung von der Gegenleistung und ihrer Höhe abhängig gemacht hat (vgl. z. B. das Urteil des Senats VI 150/55 U vom 15. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 134, Slg. Bd. 64 S. 356), muß auch hier berücksichtigt werden, daß sich für den Bf. eine gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 1 EStG absetzbare dauernde Last und für die Mutter ein zu versteuernder wiederkehrender Bezug gemäß § 22 Ziff. 1 EStG erst ergibt, wenn die Summe der laufenden Leistungen bzw. Bezüge die Gegenleistung von 12.000 DM übersteigt.
Fundstellen
Haufe-Index 410866 |
BStBl III 1963, 424 |
BFHE 1964, 287 |
BFHE 77, 287 |