Entscheidungsstichwort (Thema)
Wertfortschreibung von Grundstücken im Beitrittsgebiet wegen geänderter tatsächlicher Verhältnisse
Leitsatz (NV)
Verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse eines im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücks, so ist bei einer Wertfortschreibung auf einen Stichtag nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt (1. Januar 1935) für die Bewertung im Ertragswertverfahren die (Jahresroh-)Miete anzusetzen, die nach den Wertverhältnissen vom Hauptfeststellungszeitpunkt unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustands des Grundstücks im Fortschreibungszeitpunkt zu erzielen gewesen wäre. Für die Ermittlung dieser hypothetischen Miete bedarf es einer Schätzung, bei der in erster Linie die Mieten von Objekten gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung (übliche Miete im Sinne von § 34 Abs. 4 Satz 2 BewDV - entspricht § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG-) heranzuziehen sind.
Bei dieser Schätzung kann nicht auf die zum 1. Januar 1935 erzielte Jahresrohmiete zurückgegriffen werden, u.z. auch nicht als Grundlage für eine Wertableitung. Denn diese Miete stellt angesichts der veränderten tatsächlichen Verhältnisse - ähnlich wie in den Fällen des § 34 Abs. 4 Satz 1 BewDV - keinen zutreffenden Maßstab (mehr) für die Bewertung im Wertfortschreibungszeitpunkt dar. Vielmehr bleibt in diesen Fällen nur - wie sich auch aus der Regelung in § 34 Abs. 4 BewDV ergibt - der Ansatz der üblichen Miete.
Normenkette
BewG §§ 22, 129 Abs. 2 Nr. 2; BewDV §§ 3a, 32 Abs. 1 Nr. 1, §§ 33, 34 Abs. 4
Verfahrensgang
FG Berlin (EFG 1998, 991) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Eigentümer eines im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücks. Auf dem Grundstück befindet sich ein Gebäude mit 28 Wohnungen und einer Gewerbeeinheit. Für dieses Grundstück wurde auf den 1. Januar 1935 ein Einheitswert in Höhe von 86 600 RM festgestellt. Hierbei wurde eine zu entrichtende Jahresrohmiete für das Objekt von 19 237 RM zugrunde gelegt. 1994 versah der Kläger das ursprünglich ofenbeheizte Gebäude mit einer Zentralheizungsanlage und einer zentralen Warmwasserversorgung.
Durch Bescheid vom 5. September 1995 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) im Wege der Wertfortschreibung ausgehend von einer Jahresrohmiete von 26 895 DM den Einheitswert für das Grundstück auf den 1. Januar 1995 mit 134 400 DM fest. Als Jahresrohmiete setzte das FA entsprechend den Verwaltungsanweisungen (vgl. gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom 19. Januar 1993, BStBl I 1993, 173 ff. Tz. 4.3, sowie der Rundverfügung Nr. 105/1994 der Oberfinanzdirektion ―OFD― Berlin vom 5. Dezember 1994 St 455 a -S- 3219 f - 1/93, unter Nr. 3) nicht mehr die nach dem Stand 1. Januar 1935 zu entrichtende Miete (Jahresrohmiete), sondern eine im Schätzungswege ermittelte übliche Miete an.
Mit seiner Einspruchsentscheidung ermäßigte das FA wegen geltend gemachter Baumängel den Einheitswert auf 132 000 DM und wies den Einspruch des Klägers im Übrigen als unbegründet zurück.
Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen den Ansatz der üblichen Miete an Stelle der von ihm nachgewiesenen Jahresrohmiete, die nach dem Stand im Hauptfeststellungszeitpunkt tatsächlich zu entrichten gewesen war. Auf diese sei lediglich der in der Rundverfügung der OFD Berlin Nr. 105/1994 angegebene Zuschlag für die Zentralheizung und die Warmwasserversorgung in Höhe von insgesamt 0,15 DM zu machen. Der Einheitswert sei deshalb auf 112 900 DM zu ermäßigen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Einheitswert antragsgemäß auf 112 900 DM herabgesetzt. Maßgeblich für die Ermittlung des Einheitswerts sei nach §§ 33 und 34 der Durchführungsverordnung zum Reichsbewertungsgesetz (RBewDV) vom 2. Februar 1935 (RGBl I 1935, 81) die tatsächlich zum 1. Januar 1935 gezahlte Jahresrohmiete. An dieser Ausgangslage habe sich durch den Einbau der Zentralheizungsanlage und der Warmwasserversorgung nichts geändert. Allerdings müsse wegen der baulichen Veränderungen ein Zuschlag gemacht werden, da der Einbau einer Zentralheizung und einer Warmwasserversorgung auch 1935 eine höhere Miete als bei einer Ofenheizung gerechtfertigt hätte. Dieser Zuschlag sei entsprechend der Rundverfügung der OFD Berlin Nr. 105/1994 auf 0,15 DM zu schätzen.
Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 991 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA u.a. fehlerhafte Anwendung des § 129 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) i.V.m. § 3a RBewDV. Nach Änderung der tatsächlichen Verhältnisse könne die nach dem Stand 1. Januar 1935 zu entrichtende Jahresrohmiete nicht mehr zugrunde gelegt werden, so dass es regelmäßig zum Ansatz der üblichen Miete kommen müsse.
Das FA beantragt, das Urteil des FG Berlin vom 28. Januar 1998 2132/96 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG Berlin zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FG habe zutreffend nicht die übliche Miete zugrunde gelegt, sondern die Jahresrohmiete zum 1. Januar 1935.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Der Senat folgt dem FG nicht, soweit es den auf den 1. Januar 1935 festgestellten Einheitswert für das Grundstück des Klägers wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse mittels eines Zuschlags auf die nach dem Stand im Hauptfeststellungszeitpunkt zu entrichtende Jahresrohmiete fortgeschrieben hat.
Für Grundstücke im Beitrittsgebiet gelten gemäß § 129 Abs. 1 BewG die Einheitswerte, die nach den Wertverhältnissen am 1. Januar 1935 festgestellt sind oder noch festgestellt werden. Die Einheitswerte 1935 unterliegen gemäß § 132 Abs. 1 BewG ―vorbehaltlich der sich aus den Absätzen 2 bis 4 dieser Vorschrift ergebenden Einschränkungen― unter den Voraussetzungen des § 22 BewG der Fortschreibung, und zwar u.a. dann, wenn sich ―wie im Streitfall― die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben. Der Fortschreibung der Einheitswerte für Grundbesitz sind nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 BewG i.V.m. § 3a RBewDV (die Regelung entspricht § 22 Abs. 4 Satz 2, § 27, § 79 Abs. 5 BewG) der tatsächliche Zustand des Grundbesitzes (Bestand, bauliche Verhältnisse usw.) vom Fortschreibungszeitpunkt und die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 zugrunde zu legen.
Nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 BewG i.V.m. § 33 RBewDV sind Grundstücke im Beitrittsgebiet, die zu mehr als 80 v.H. Wohnzwecken dienen (Mietwohngrundstücke i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 1 RBewDV), mit einem Vielfachen der Jahresrohmiete, d.h. im Ertragswertverfahren zu bewerten. Verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse eines solchen Grundstücks, so ist bei einer Wertfortschreibung auf einen Stichtag nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt für die Bewertung im Ertragswertverfahren die (Jahresroh-)Miete anzusetzen, die nach den Wertverhältnissen vom Hauptfeststellungszeitpunkt unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustands des Grundstücks im Fortschreibungszeitpunkt zu erzielen gewesen wäre (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 26. Januar 1979 III R 99/76, BFHE 126, 569, BStBl II 1979, 254; so auch schon der Reichsfinanzhof ―RFH― im Urteil vom 25. April 1940 III 178/38, RStBl 1940, 727). Für die Ermittlung dieser hypothetischen Miete bedarf es einer Schätzung, bei der in erster Linie die Mieten von Objekten gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung (übliche Miete i.S. von § 34 Abs. 4 Satz 2 RBewDV ―entspricht § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG―) heranzuziehen sind (BFH-Urteil in BFHE 126, 569, BStBl II 1979, 254).
Entgegen der Auffassung des FG kann bei der Schätzung der üblichen Miete nicht auf die nach dem Stand 1. Januar 1935 zu entrichtende Jahresrohmiete zurückgegriffen werden, auch nicht als Grundlage für eine Wertableitung. Denn diese Miete stellt angesichts der veränderten tatsächlichen Verhältnisse ―ähnlich wie in den Fällen des § 34 Abs. 4 Satz 1 RBewDV― keinen zutreffenden Maßstab (mehr) für die Bewertung im Wertfortschreibungszeitpunkt dar. Vielmehr bleibt in diesen Fällen nur ―wie sich auch aus der Regelung in § 34 Abs. 4 RBewDV ergibt― der Ansatz der üblichen Miete.
Die übliche Miete kann aber nicht aus der tatsächlich für ein Objekt zu entrichtenden Miete abgeleitet werden, weil sie nach der Gesetzesdefinition einen Durchschnittswert darstellt, "der für Räume gleicher oder ähnlicher Art und Lage regelmäßig vereinbart wird" (§ 34 Abs. 4 Satz 2 RBewDV; vgl. auch § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG). Sie ist an Hand vergleichbarer vermieteter Grundstücke zu ermitteln, d.h. aus der Jahresrohmiete von Vergleichsgrundstücken abzuleiten (vgl. hierzu Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 79 BewG Rdnr. 77). Deshalb kann dem FG nicht gefolgt werden, soweit es die Jahresrohmiete auf der Grundlage der zum Hauptfeststellungszeitpunkt tatsächlich gezahlten Miete unter Hinzurechnung eines Zuschlags wegen der baulichen Veränderungen in geschätzter (üblicher) Höhe von 0,15 DM ermittelt hat. Vielmehr ist im Streitfall die "übliche Miete" insgesamt aus der Jahresrohmiete von Vergleichsobjekten nach dem Stand vom 1. Januar 1935 abzuleiten. Notfalls kann hierzu auch auf die von den Finanzämtern für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich erarbeiteten Mietspiegel oder ähnliche Schätzungsgrundlagen zurückgegriffen werden (BFH-Urteile vom 18. November 1998 II R 79/96, BFHE 187, 104, BStBl II 1999, 10; vom 23. November 1988 II R 2/86, BFH/NV 1989, 626, und vom 10. August 1984 III R 41/75, BFHE 142, 289, BStBl II 1985, 36, mit weiteren Hinweisen).
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die es dem Revisionsgericht möglich machen, die vom FA an Hand der Schätzungsvorgaben der OFD Berlin in der Rundverfügung Nr. 105/1994 vorgenommene Ableitung (Schätzung) der "üblichen Miete" auf Rechtsfehler zu überprüfen. Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang die entsprechenden Feststellungen zu treffen und diese Rechtsüberprüfung vorzunehmen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 447278 |
BFH/NV 2001, 150 |
HFR 2001, 225 |