Leitsatz (amtlich)
Beginn der Bauarbeiten i. S. des § 4b Abs. 2 Satz 6 InvZulG 1975 ist z. B. die Erteilung eines spezifizierten Bauauftrags an den Bauunternehmer.
Normenkette
InvZulG 1975 § 4b Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erstellte im Jahr 1975 eine Lagerhalle. Den Bauauftrag hierfür hatte die Klägerin am 11. Oktober 1974 der Firma A erteilt. Diese hatte am 2. Januar 1975 mit der Durchführung des Auftrags begonnen. Die für die Errichtung der Lagerhalle erforderliche Baugenehmigung hatte die Klägerin am 16. Oktober 1974 beantragt und Mitte Dezember 1974 erhalten.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte den Antrag der Klägerin, ihr für die Herstellung der Lagerhalle eine Investitionszulage nach § 4b des Investitionszulagengesetzes 1975 - InvZulG 1975 - (BGBl I 1975, 528, BStBl I 1975, 205) zu gewähren, ab. Zur Begründung führte das FA aus, die Klägerin habe mit dem Bau der Lagerhalle vor dem 1. Dezember 1974, mithin also vor dem maßgeblichen Begünstigungszeitraum des § 4b Abs. 2 InvZulG 1975, begonnen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Seiner Ansicht nach kann die Erteilung eines spezifizierten Bauauftrags an den Bauunternehmer nicht als "Beginn der Bauarbeiten" i. S. des § 4b Abs. 2 Satz 6 InvZulG 1975 angesehen werden. Dieser Begriff bedeute vielmehr nach seinem Wortsinn und dem allgemeinen Sprachgebrauch, daß mit den Bauarbeiten an Ort und Stelle, nämlich auf der Baustelle, begonnen werde. Sinn und Zweck des § 4b InvZulG 1975 rechtfertigten keine andere, vom Wortlaut abweichende Auslegung.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es Verletzung des § 4b InvZulG 1975 rügt. Seiner Ansicht nach widerspricht es dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift, in den Fällen eine Zulage zu gewähren, in denen sich der Steuerpflichtige bereits vor dem 1. Dezember 1974 erkennbar zur Investition entschlossen habe. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige vor dem genannten Zeitpunkt einen verbindlichen, spezifizierten Bauauftrag erteilt habe. In einem solchen Fall könne § 4b InvZulG 1975 keinen Investitionsanreiz mehr bilden. Im Streitfall sei spätestens am 11. Oktober 1974 die Investitionsentscheidung gefallen und der Investitionsimpuls bewirkt worden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hält die Vorentscheidung für zutreffend. Einen Antrag hat sie nicht gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Nach § 4b InvZulG 1975 wird Steuerplichtigen für begünstigte Investitionen auf Antrag eine Investitionszulage gewährt. Zu den begünstigten Investitionen gehört nach § 4b Abs. 2 InvZulG 1975 u. a. die Herstellung von abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, wenn der Steuerpflichtige mit der Herstellung der Wirtschaftsgüter nach dem 30. November 1974 und vor dem 1. Juli 1975 begonnen hat. Als Beginn der Herstellung gilt bei Gebäuden und Gebäudeteilen der Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Baugenehmigung gestellt wird (§ 4b Abs. 2 Satz 5 InvZulG 1975). Ist dieser vor dem 1. Dezember 1974 gestellt worden, gilt als Beginn der Herstellung der Beginn der Bauarbeiten (§ 4b Abs. 2 Satz 6 InvZulG 1975).
2. Das Investitionszulagengesetz 1975 erläutert den Begriff "Beginn der Bauarbeiten" nicht. Der Bundesminister der Finanzen (BdF) hat allerdings zunächst in Tz. 3.6.7. seines Schreibens vom 26. Februar 1975 IV B 2 - S 1988 - 200/75 (BStBl I 1975, 213) und anschließend in Tz. 138 seines Schreibens vom 5. Mai 1977 IV B 2 - S 1988 - 150/77 (BStBl I 1977, 246) bestimmt, daß als "Beginn der Bauarbeiten" u. a. auch die Erteilung eines spezifizierten Bauauftrags an den Bauunternehmer anzusehen sei. Der Senat legt die Vorschrift im gleichen Sinne aus; denn diese Auslegung wird Wortlaut, Bedeutungszuammenhang und Zielsetzung des § 4b InvZulG 1975 gerecht.
3. Der Begriff des Beginns der Bauarbeiten ist entgegen der Ansicht des FG nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht so eindeutig in dem Sinn, daß darunter nur der Beginn der Arbeiten an der Baustelle, d. h. der bauhandwerklichen Arbeiten, zu verstehen ist. Vielmehr liegt eine Auslegung, wonach auch die Erteilung eines spezifizierten Bauauftrags als Beginn der Bauarbeiten anzusehen ist, noch im Bereich des möglichen Wortsinns des § 4b Abs. 2 Satz 6 InvZulG 1975.
4. Die Auslegung des Begriffs "Beginn der Bauarbeiten" durch den Senat trägt auch der sachlichen Übereinstimmung des § 4b Abs. 2 Satz 6 InvZulG 1975 mit den übrigen Bestimmungen des § 4b Abs. 2 InvZulG 1975 Rechnung. So ist nach Satz 1 dieser Vorschrift die Anschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern u. a. nur dann begünstigt, wenn die Wirtschaftsgüter innerhalb des maßgeblichen Begünstigungszeitraums "vom Steuerpflichtigen" bestellt worden sind oder wenn "der Steuerpflichtige" in diesem Zeitraum mit der Herstellung begonnen hat. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, daß er für die Entscheidung, ob die Investition innerhalb des Begünstigungszeitraums vorgenommen worden ist, jedenfalls für den Regelfall an Handlungen des Steuerpflichtigen selbst und nicht an ein Verhalten Dritter anknüpft, das im allgemeinen außerhalb der Einflußsphäre des Steuerpflichtigen liegt. Dementsprechend ist es folgerichtig, bei der Entscheidung, ob die Bauarbeiten begonnen worden sind, für den Regelfall ebenfalls auf Handlungen des Steuerpflichtigen selbst abzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber in § 4b Abs. 2 Satz 5 InvZulG 1975 bereits den Antrag auf Baugenehmigung als Anknüpfungsmerkmal genügen läßt.
5. Entscheidend für die Auslegung, daß auch die Erteilung eines spezifizierten Bauauftrags an den Bauunternehmer als Beginn der Bauarbeiten anzusehen ist, ist die Zielsetzung des § 4b InvZulG 1975, wie sie in den Gesetzesmaterialien ihren Niederschlag gefunden hat.
§ 4 b InvZulG 1975 wurde zu einer Zeit geschaffen, als die wirtschaftliche Aktivität in der Bundesrepublik Deutschland durch eine Schwächephase gekennzeichnet war. Ein Wiederaufschwung der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit war nach Ansicht des Gesetzgebers wesentlich von einer Zunahme der Investitionstätigkeit abhängig. Er hielt es deshalb für geboten, die private Investitionstätigkeit durch Gewährung einer Zulage für solche Investitionen anzuregen, die in der Zeit vom 1. Dezember 1974 bis 30. Juni 1975 in Auftrag gegeben oder begonnen wurden (vgl. Bundestags-Drucksache 7/2979 S. 7). Durch die kurze Frist von sieben Monaten sollte "im Interesse der angestrebten Konjunkturbelebung erreicht werden, daß die entsprechenden Aufträge alsbald vergeben werden" (vgl. Bundestags-Drucksache 7/3010 S. 5). Die Investitionszulage gem. § 4 b InvZulG 1975 sollte einen Konjunkturanreiz bieten (vgl. Bundestags-Drucksache 7/3010 S. 9).
Dieser Zielsetzung widerspricht es, solche Invstitionen zu begünstigen, die der Steuerpflichtige vor Beginn des Begünstigungszeitraums bereits für sich bindend und unwiderruflich in Auftrag gegeben hatte. Die gegenteilige Auffassung hätte im übrigen zur Folge, daß Gebäudeinvestitionen, für die der Antrag auf Baugenehmigung bereits vor dem 1. Dezember 1974 gestellt und für die der Bauauftrag innerhalb des Begünstigungszeitraums erteilt worden ist, von der Zulage ausgeschlossen wären, wenn vor dem 1. Juli 1975 nicht auch mit den Arbeiten an der Baustelle begonnen worden ist. Eine derartige Einschränkung ist aber vom Gesetzgeber nicht gewollt. Ihm kam es mit der Schaffung des § 4 b InvZulG 1975 gerade darauf an, einen Anreiz für neue Investitionsaufträge zu bieten. Entscheidend war für ihn, daß die Investitionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums fertiggestellt wurden (vgl. § 4 b Abs. 2 Sätze 2 bis 4 InvZulG 1975 und Bundestags-Drucksache 7/3010 S. 6).
6. Zwar hat der Gesetzgeber in § 4 b InvZulG 1975, anders als in § 1 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über Investitionszuschüsse für Mietwohnungen, Genossenschaftswohnungen und Wohnheime im sozialen Wohnungsbau vom 27. Dezember 1974 - InvZuschG - (BGBl I 1974, 3698) nicht ausdrücklich bestimmt, daß als Beginn der Bauarbeiten u. a. die Erteilung des Bauauftrages gilt. Aus dieser anderslautenden Fassung des § 4 b InvZulG 1975 kann aber nicht der gegenteilige Schluß in dem Sinn gezogen werden, daß die Erteilung des Bauauftrages nicht als Beginn der Bauarbeiten angesehen werden kann. Die gegenüber § 1 Abs. 1 Satz 3 InvZuschG unteschiedliche Fassung beruht darauf, daß - regelmäßig anders als beim sozialen Mietwohnungsbau - bei der Herstellung von Gebäuden in der betrieblichen Sphäre zahlreiche Herstellungsweisen (z. B. Selbstherstellung durch eigene Baubetriebsabteilungen) und verschiedene Herstellungsmethoden (z. B. Fertigbau) zu berücksichtigen sind.
7. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung war daher aufzuheben. Im Streitfall hatte die Klägerin unstreitig vor dem 1. Dezember 1974 sowohl den Antrag auf Baugenehmigung gestellt als auch den Bauauftrag erteilt. Die Klage war daher als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1980, 56 |
BFHE 1980, 104 |