Entscheidungsstichwort (Thema)
Herstellung eines "neuen" Wirtschaftsguts unter Verwendung bereits vorhandener gebrauchter Wirtschaftsgüter
Leitsatz (amtlich)
1. Ist eine bewegliche Sache im Zeitpunkt ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung infolge Verbindung mit einer anderen, bereits vorhandenen beweglichen Sache nicht mehr selbständig bewertungsfähig (s. BFH-Urteil vom 28.September 1990 III R 178/86, BFHE 162, 177), ist für die Frage der Gewährung von Investitionszulage nicht auf den vorangegangenen Vorgang der Anschaffung abzustellen. Es ist vielmehr zu prüfen, ob die betreffende Sache zu nachträglichen Herstellungsarbeiten verwendet wurde oder ob mit ihr ein neues Wirtschaftsgut hergestellt worden ist.
2. Wird eine bereits vorhandene bewegliche Sache unter Verwendung anderer, neu angeschaffter beweglicher Sachen so tiefgreifend umgestaltet oder in einem solchen Ausmaß erweitert, daß die neuen Teile der Gesamtsache das Gepräge geben und die Altteile bedeutungs- und wertmäßig untergeordnet erscheinen, ist von der Herstellung eines neuen selbständigen Wirtschaftsgutes (unter Einbeziehung auch des bisher vorhanden gewesenen Wirtschaftsgutes) auszugehen.
3. Ein solches Wirtschaftsgut ist auch "neu" i.S. des § 19 Abs.2 Satz 1 BerlinFG, wenn der Teilwert der bei der Herstellung verwendeten gebrauchten Wirtschaftsgüter 10 v.H. des Teilwerts des hergestellten Wirtschaftsgutes nicht übersteigt (BFH-Urteil vom 4.August 1983 III R 21/80, BFHE 141, 200, BStBl II 1984, 631).
Orientierungssatz
Der Unterschied zwischen Wirtschaftsgütern, die nicht selbständig nutzungsfähig sind, und Gegenständen, die --darüber hinaus-- nicht selbständig bewertbar, mithin lediglich ein unselbständiger Teil eines anderen Wirtschaftsguts sind, ist und war schon immer gering und fließend.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 6 Abs. 2 S. 2; BerlinFG § 19 Abs. 2 S. 1; EStG § 6 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt in Berlin (West) ein Gartenbauunternehmen. Im Jahre 1982 installierte sie in ihren Gewächshäusern sog. Tischbewässerungssysteme. Zu diesem Zweck entfernte sie von den bereits vorhandenen Pflanztischen aus Beton die Tischplatten und ließ auf den Tischunterbauten --ohne feste Verbindung zu diesen-- eine Vielzahl von aneinandergereihten, für die Aufnahme von Pflanzentöpfen bestimmten Rinnen verlegen. Diese Rinnen dienten auch als sog. Fließrinnen, über die Wasser- und Nährlösung zu den Pflanzen gelangten; sie endeten jeweils in einer Sammelrinne. Außer dem Rinnensystem wurden auch noch Pumpen und Wasserverteilungsschläuche angeschafft und entsprechend mit den Rinnen und untereinander verbunden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) gewährte die von der Klägerin für die Durchführung der beschriebenen Maßnahmen gem. § 19 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) beantragte Investitionszulage nicht. Das FA war der Auffassung, die Einzelteile der Bewässerungsanlage hätten ihre Selbständigkeit verloren und seien Bestandteile eines einheitlichen Wirtschaftsgutes geworden. Im übrigen seien durch die Installation der Bewässerungssysteme aber lediglich die bereits vorhandenen Pflanztische verbessert worden. Die Klägerin habe mithin nachträgliche Herstellungsarbeiten an abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern durchführen lassen, die nach § 19 BerlinFG in der für das Streitjahr geltenden Fassung nicht begünstigt seien.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Es kam zu dem Ergebnis, daß die Bewässerungsanlagen (im Verhältnis zu den Pflanztischunterbauten) selbständige Wirtschaftsgüter seien. Sie seien auf den Betontischen nur lose verlegt. Die Tische dienten lediglich als Unterbau, um die Rinnen auflegen zu können und ihnen ein einprozentiges Gefälle zu geben. Anders als im Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20.März 1981 III R 114/80 (BFHE 134, 75, BStBl II 1981, 785) bildeten Bewässerungsanlagen und Tische daher keine technische Einheit; es lägen hier vielmehr zwei selbständige Wirtschaftsgüter vor.
Bei dieser Betrachtung könne dahinstehen, ob die Zulage nicht auch bei Annahme einer Verbindung zwischen Tischen und Bewässerungsanlagen gewährt werden müßte, weil nämlich die Tische keinen großen Wert mehr gehabt hätten (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 4.August 1983 III R 21/80, BFHE 141, 200, BStBl II 1984, 631) oder weil die neue Gesamtanlage auf einer förderungswürdigen "neuen Idee" beruhe (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 12.Juni 1975 VIII R 38/73, BFHE 116, 573, BStBl II 1976, 96).
Das FG setzte die Zulage schließlich nach einer Bemessungsgrundlage von ... DM fest.
Dagegen wendet sich das FA mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision. Es rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Gewährung einer Berlinzulage für bewegliche Wirtschaftsgüter hat nach § 19 Abs.1 und 2 BerlinFG 1982 zur Voraussetzung, daß ein Steuerpflichtiger nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder Körperschaftsteuergesetz (KStG) ein neues abnutzbares bewegliches Wirtschaftsgut des Anlagevermögens selbst herstellt oder anschafft.
1. Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Bewässerungsrinnen seien getrennt von ihrem Unterbau zu sehen und im Verhältnis zu diesem selbständige bewegliche Wirtschaftsgüter geblieben.
a) Gegenstände i.S. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sind nach der Rechtsprechung des Senats auch zulagenrechtlich nur dann selbständige Wirtschaftsgüter, wenn sie einen eigenen wirtschaftlichen Wert verkörpern, von greifbarem längerfristigen Nutzen sind und vor allem selbständig bewertet werden können (siehe aus jüngster Zeit den Beschluß vom 16.Februar 1990 III B 90/88, BFHE 160, 364, BStBl II 1990, 794). Ein im Wirtschaftsleben selbständig bewertbares Gut liegt dann vor, wenn es in seiner Einzelheit von Bedeutung und bei einer Veräußerung greifbar ist. Ob ein Gegenstand in diesem Sinne gegenüber einem lediglich unselbständigen Teil eines Wirtschaftsgutes oder gegenüber einem anderen Wirtschaftsgut abgegrenzt, d.h. individualisiert werden kann, ist nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu entscheiden (siehe hierzu z.B. das BFH-Urteil vom 20.Februar 1975 IV R 79/74, BFHE 115, 335, BStBl II 1975, 510; vgl. auch Plückebaum in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 4 Rdnr.B 64 f., m.w.N.).
Für die Ermittlung der hier maßgebenden Verkehrsanschauung hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28.September 1990 III R 178/86, BFHE 162, 177 mehrere Kriterien genannt. Danach sind neben dem Zweck, den zwei oder mehrere bewegliche Sachen gemeinsam zu erfüllen haben, vor allem von Bedeutung: Der Grad der Festigkeit einer eventuell vorgenommenen Verbindung (§ 93 BGB), der Zeitraum, auf den eine eventuelle Verbindung oder die gemeinsame Nutzung angelegt sind, sowie das äußere Erscheinungsbild. Ist dieses dadurch bestimmt, daß die Gegenstände für sich genommen unvollständig erscheinen oder ein Gegenstand ohne den/ die anderen gar ein negatives Gepräge erhält, ist regelmäßig von einem einheitlichen Wirtschaftsgut auszugehen.
b) Weiter stellt der Senat für die Frage, ob ein Gegenstand selbständig bewertbar ist, seit seinem Urteil vom 20.März 1981 III R 114/80 (BFHE 134, 75, BStBl II 1981, 785) auf den Zeitpunkt der bestimmungsgemäßen Verwendung des betreffenden Gegenstandes ab. Sind Gegenstände im Zeitpunkt ihrer beabsichtigten betrieblichen Verwendung nicht mehr selbständig bewertbar, so ist für die Zulagengewährung --entgegen früherer Rechtsprechung (siehe insbesondere das BFH-Urteil vom 29.Juli 1966 VI 55/65, BFHE 87, 313, BStBl III 1967, 125)-- der vorangegangene Anschaffungsvorgang unbeachtlich. Es ist dann vielmehr zu prüfen, ob die betreffenden Gegenstände zu nachträglichen Herstellungsarbeiten verwendet wurden oder ob mit ihnen eine neues Wirtschaftsgut hergestellt worden ist.
c) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen; sein Urteil war daher aufzuheben.
2. Bei Anwendung der oben dargestellten Grundsätze auf den vom FG festgestellten Sachverhalt sind die von der Klägerin angeschafften Bewässerungsrinnen trotz ihrer nur losen Verbindung mit den alten Tischunterbauten keine selbständigen Wirtschaftsgüter geblieben.
a) Die Rinnen wurden mit einem Bewässerungssystem versehen und sollten künftig zusammen mit den Unterbauten der bisherigen Pflanztische der Pflanzenzucht dienen. Die Gesamtanlage sollte die bisherigen Pflanztische ersetzen. Die Unterbauten waren zu diesem Zweck besonders hergerichtet worden; die Klägerin hatte die alten Tischplatten entfernen und --ihrem eigenen Klagevortrag nach-- auf den Unterbauten unterschiedlich dicke Querriegel aus Beton anbringen lassen, um auf diese Weise sowohl die erforderliche Unterlage als auch ein etwa einprozentiges Gefälle für die Rinnen zu erhalten. Hinzu kommt, daß das Rinnensystem auch noch untereinander durch ein Netz von Pumpen und Wasserverteilungsschläuchen verbunden worden ist.
Ohne den Unterbau und das Bewässerungssystem wären die Rinnen nach alledem unvollständig; sie könnten nicht zweckentsprechend verwendet werden. Ebenso waren die Tischunterbauten --insbesondere nach ihrer Umgestaltung-- für sich allein nicht mehr sinnvoll zu verwenden. Die Art der Konstruktion deutet schließlich auch auf eine dauerhafte Einrichtung hin. Damit stellt sich die gesamte Anlage nach der allgemeinen Verkehrsanschauung als ein Wirtschaftsgut dar.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht bei dieser Beurteilung auch kein Widerspruch zu § 6 Abs.2 Satz 2 EStG. Der Unterschied zwischen Wirtschaftsgütern, die nicht selbständig nutzungsfähig sind, und Gegenständen, die --darüber hinaus-- nicht selbständig bewertbar, mithin lediglich ein unselbständiger Teil eines anderen Wirtschaftsgutes sind, ist und war schon immer gering und fließend. So hat der BFH z.B. schon im Urteil vom 16.Dezember 1958 I 286/56 S (BFHE 68, 198, BStBl III 1959, 77, zur Vorgängervorschrift des § 7 der Einkommensteuer- Durchführungsverordnung --EStDV-- 1970) ausgeführt: "Es liegt die Annahme nahe, daß der Webstuhl und der zu ihm gehörige Motor ... ein als Einheit zu bewertendes Wirtschaftsgut bilden .... Die angeschnittene Frage braucht indessen nicht entschieden zu werden, weil auch bei der Annahme, daß der Webstuhl und der Motor zwei selbständig zu bewertende Wirtschaftsgüter darstellen, die Bewertungsfreiheit (nach § 7 EStDV 1970) deshalb verneint werden muß, weil der Motor keiner selbständigen Nutzung fähig ist."
3. Der erkennende Senat ist darüber hinaus --anders als das FA-- der Auffassung, daß bei zutreffender Würdigung des vom FG festgestellten Sachverhalts an den alten Pflanztischen nicht nur nachträgliche Herstellungsarbeiten durchgeführt wurden, die im Streitjahr (1982) nicht zulagebegünstigt waren (siehe § 19 Abs.1 Sätze 1 und 3 BerlinFG 1982). Die Klägerin hat vielmehr --unter teilweiser Verwendung der bereits vorhandenen Tische-- andersartige, modernere Tische hergestellt.
Nach der Rechtsprechung des BFH sind Gebäudeausbauten und -erweiterungen u.a. dann (für sich genommen) selbständige Wirtschaftsgüter, wenn das vorhandene Gebäude so tiefgreifend umgestaltet wird, daß ein neues Wirtschaftsgut unter Einbeziehung des bisher vorhanden gewesenen Wirtschaftsgutes geschaffen wird (Urteil vom 20.Februar 1975 IV R 79/74, BFHE 115, 335, BStBl II 1975, 510, zu § 32 des Kohlegesetzes). Ähnlich hat der BFH eine selbstverbrauchsteuerpflichtige Neuinvestition für den Fall angenommen, daß ein Fabrikgebäude in einem solchen Ausmaß erweitert wird, daß die Neubauteile dem Gesamtgebäudekomplex das Gepräge geben und die Altbauteile größen- und wertmäßig untergeordnet erscheinen (Urteil vom 13.April 1972 V R 151/71, BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654, zu § 30 Abs.2 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1967). Der Senat hat keine Bedenken, diese Grundsätze auch auf Erweiterungen und Umgestaltungen beweglicher Sachen anzuwenden. Danach ist von der Herstellung eines neuen Wirtschaftsgutes auszugehen, wenn eine bereits vorhandene bewegliche Sache unter Verwendung anderer, neu angeschaffter beweglicher Sachen so tiefgreifend umgestaltet oder in einem solchen Ausmaß erweitert wird, daß die neuen Teile der Gesamtsache das Gepräge geben und die Altteile bedeutungs- und wertmäßig untergeordnet erscheinen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat die Klägerin im Streitjahr die bisher benutzten Pflanztische gegen andere ausgewechselt. Während die Pflanzen vorher auf trockenen Tischplatten aus Beton standen und einzeln von Hand gegossen werden mußten, stehen sie nun auf automatisch bewässertem Untergrund. In den Gewächshäusern der Klägerin befinden sich fortan bewässerte Pflanztische statt trockener. Darin sieht der Senat nicht nur eine wesentliche Verbesserung eines bestehenden Wirtschaftsgutes im Sinne der Durchführung nachträglicher Herstellungsarbeiten (vgl. hierzu auch das Urteil des Senats vom 14.November 1989 III R 84/85, BFHE 159, 293, BStBl II 1990, 286, zur Abgrenzung gegenüber dem Erhaltungsaufwand), sondern die Herstellung eines anderen, bisher noch nicht existenten Wirtschaftsgutes. Die Reste der bisherigen Pflanztische haben als Unterbauten für die neuen Anlagen nur noch untergeordnete, dienende Funktion. Das Gepräge bekommen die jetzt vorhandenen Tische von den Rinnen und dem angeschlossenen Be- und Entwässerungssystem.
4. Gleichwohl kann der Senat nicht abschließend entscheiden, sondern muß die Sache an das FG zurückverweisen.
Nach § 19 Abs.2 Satz 1 BerlinFG 1982 wird Investitionszulage nur gewährt, wenn die hergestellten beweglichen Wirtschaftsgüter "neu" sind.
a) Hat ein Steuerpflichtiger bei der Eigenherstellung --wie im Streitfall-- auch gebrauchte Wirtschaftsgüter verwendet, so ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ein bewegliches Wirtschaftsgut noch "neu" im Sinne dieser Vorschrift, wenn der Teilwert der bei der Herstellung verwendeten gebrauchten Wirtschaftsgüter 10 v.H. des Teilwerts des hergestellten Wirtschaftsgutes nicht übersteigt (Urteil in BFHE 141, 200, BStBl II 1984, 631).
Wie insoweit die Verhältnisse im Streitfall liegen, hat das FG --bei Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung folgerichtig-- nicht festgestellt. Es wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.
b) Kommt das FG zum Ergebnis, daß die von der Klägerin hergestellten Pflanztische nach diesen Grundsätzen nicht "neu" sind, wird es noch prüfen müssen ob die Klägerin eine "neue Idee" im Sinne des Urteils in BFHE 116, 573, BStBl II 1976, 96 verwirklicht hat. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die Klägerin die Unterbauten für die Rinnen sowie das Be- und Entwässerungssystem nach betriebsinternen Vorstellungen entwickelt und ausgeführt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 63273 |
BFH/NV 1991, 28 |
BStBl II 1991, 361 |
BFHE 164, 156 |
BFHE 1992, 156 |
BB 1991, 653 |
BB 1991, 653-654 (LT1-3) |
DStR 1991, 574 (K) |
HFR 1991, 347 (LT) |
StE 1991, 134 (K) |