Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit einer Klage bei verspätet eingereichter Klagebegründung
Leitsatz (NV)
1. Setzt das FG dem Kläger eine Ausschlußfrist gemäß Art. 3 § 3 VGFGEntlG und reicht der Kläger seine Klagebegründung erst nach Ablauf der Ausschlußfrist ein, so ist die Klage zulässig, wenn die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gegeben sind.
2. Als Folge einer zulässigen Klage muß das FG den angefochtenen Steuerbescheid im Rahmen des Klageantrags von Amts wegen auf seine formelle und materielle Richtigkeit hin überprüfen und die dafür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen.
3. Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens enthebt das FG nicht seiner Verpflichtung, den angefochtenen Steuerbescheid auf offenbare Unrichtigkeiten und auf nach Aktenlage erkennbare Fehler zu überprüfen.
4. Hat das FG auf Grund seiner Annahme, die Klage sei unzulässig, die Prüfung zu 2. und 3. unterlassen, so fehlt es an den tatsächlichen Feststellungen, die für eine revisionsrechtliche Überprüfung der FG-Entscheidung notwendig sind.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2; VGFGEntlG Art. 3 § 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger klagte vor dem FG gegen das FA wegen Gewinnfeststellung 1975. Da er die Klage zunächst nicht begründete, setzte ihm der Berichterstatter des FG eine Ausschlußfrist bis zum 20. April 1983, um die Tatsachen anzugeben, die nach Auffassung des Klägers bei der Entscheidung berücksichtigt werden müßten. Der Kläger reichte eine Klagebegründung jedoch erst in der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 1983 ein. Aus der Klagebegründung ergab sich erstmalig ein bestimmter Klageantrag.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Klage ist zulässig.
Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muß die Klage den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand, bei Anfechtungsklagen auch den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Außerdem soll sie einen bestimmten Antrag enthalten. Der Wortlaut der Vorschrift macht deutlich, daß der Klageantrag nicht als eine Muß-, sondern als eine Sollanforderung zu verstehen ist (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99).
Die Angabe des Streitgegenstandes als Mußanforderung einer Klage dient dem Ziel, dem Gericht das Klagebegehren erkennbar zu machen, damit dieses weiß, in welchen Grenzen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) es den angefochtenen Verwaltungsakt auf seine Rechtmäßigkeit von Amts wegen zu überprüfen hat. Dazu ist, bezogen auf die Anfechtung eines Steuerbescheides, zu beachten, daß der Streitgegenstand im steuergerichtlichen Verfahren nicht die einzelne Besteuerungsgrundlage i. S. des § 157 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheides ist (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Deshalb ist bei einer Klage gegen einen Steuerbescheid der Streitgegenstand schon dann genau bezeichnet, wenn ein Kläger ausdrücklich oder sinngemäß erklärt, um welchen Betrag die Steuer in dem angefochtenen Steuerbescheid zu hoch festgesetzt bzw. um welchen Betrag eine Besteuerungsgrundlage in dem angefochtenen Feststellungsbescheid zu hoch festgestellt wurde. Außerdem muß der Kläger aus Gründen des § 40 Abs. 2 FGO eine Begründung für die unzutreffend hohe Festsetzung der Steuer bzw. Feststellung der Besteuerungsgrundlage geben. Damit ist das FG in die Lage versetzt, sowohl den Rahmen für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides abzustecken als auch die Beschwer des Klägers i. S. des § 40 Abs. 2 FGO zu prüfen. Dabei ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides vom Amts wegen und ohne Rücksicht auf das Vorbringen der Beteiligten in formeller und materieller Hinsicht zu prüfen (Beschluß des Großen Senats in BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die durch den Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 1983 bestätigt werden, reichte der Kläger in der mündlichen Verhandlung einen Schriftsatz ein. Aus ihm ergab sich, daß er sinngemäß beantragte, den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid zu ändern und den Gewinn 1975 um knapp 230 000 DM niedriger festzustellen, weil Einnahmen in entsprechender Höhe storniert worden seien. Dieses Vorbringen setzte das FG in die Lage, die Grenzen des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zu erkennen, innerhalb derer der angefochtene Bescheid von Amts wegen auf seine Richtigkeit hin überprüft werden sollte. Auch ergab sich aus dem Vorbringen des Klägers dessen Beschwer i. S. des § 40 Abs. 2 FGO.
Die Klage ist unabhängig davon zulässig, ob das FG das tatsächliche Vorbringen des Klägers gemäß Art. 3 § 3 VGFGEntlG zurückweisen durfte oder nicht. Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG bedeutet vom Ergebnis her gesehen, daß das FG nicht zur Aufklärung des Sachverhaltes verpflichtet ist, sondern statt dessen seiner Entscheidung den Sachverhalt zugrunde legen darf, der fristgerecht geltend gemacht wurde. Damit betrifft die Rechtsfolge der Vorschrift immer nur die Begründetheit einer Klage. Dieselbe ist unabhängig davon zulässig, ob der Sachverhalt vom FG weiter aufzuklären ist oder nicht bzw. ob das vom Kläger Vorgetragene letztlich der Entscheidung des FG zugrunde gelegt werden kann oder nicht. Auch enthält Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFGEntlG keine Rechtsgrundlage für die Zurückweisung eines verspätet gestellten Klageantrags.
2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif.
Als Folge der zulässigen Klage hätte das FG den angefochtenen Steuerbescheid von Amts wegen auf seine formelle und materielle Richtigkeit hin überprüfen und die dafür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen müssen. Auch dies gilt unbeschadet der Frage, ob das FG bestimmtes Vorbringen des Klägers gemäß Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFGEntlG zurückweisen durfte. Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens enthebt das FG nicht seiner Verpflichtung, den angefochtenen Steuerbescheid auf offenbare Unrichtigkeiten und auf nach Aktenlage erkennbare Fehler zu überprüfen. Das FG ist jedoch mit Rücksicht auf seine Auffassung, die Klage sei unzulässig, zu einer solchen Überprüfung nicht gekommen. Deshalb fehlt es auch an den tatsächlichen Feststellungen, die für die revisionsrechtliche Überprüfung der Begründetheit der Klage erforderlich sind. Sie nachzuholen ist Sache des FG. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 415405 |
BFH/NV 1988, 255 |