Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bedeutung eines lediglich mündlich vorgebrachten Einspruchs
Leitsatz (NV)
Selbst eine schuldhaft unterlassene Protokollierung eines zur Niederschrift erklärten Einspruchs vermag diesen als solchen nicht zu ersetzen.
War bei der betreffenden Vorsprache des Steuerpflichtigen an Amtsstelle auch dessen Steuerberater zugegen, so kann auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Normenkette
AO 1977 § 357 Abs. 1 S. 1, § 110 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau gaben für das Streitjahr 1978 trotz Aufforderung keine Einkommensteuererklärung ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte daher die Einkommensteuerveranlagung 1978 mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen durch. Der betreffende Bescheid erging am 30. Juli 1980 in zwei Ausfertigungen. Die für den Kläger bestimmte wurde diesem am 31. Juli 1980 persönlich durch die Post zugestellt.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers legte mit Schreiben vom 25. August 1980 (lt. Eingangsstempel beim FA eingegangen am 2. September 1980) namens und im Auftrag beider Ehegatten Einspruch ein. Er führte u. a. aus, daß die Schätzung unverständlich sei, da die Steuererklärung in der am 23. Juni 1980 beginnenden Woche (auf dem Postweg) abgegeben worden sei. Er füge dem Rechtsbehelf aber gleichwohl eine Kopie der Erklärung nebst Anlagen bei und bitte, den Bescheid auf der Grundlage der erklärten Angaben zu ändern.
Das FA verwarf den Einspruch wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig.
Mit der dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er habe bereits am 11. August 1980 (einen) Einspruch eingelegt. An diesem Tage habe er im Beisein des Prozeßbevollmächtigten gegenüber dem zuständigen Sachbearbeiter sowie dessen Sachgebietsleiter im FA erklärt, ,,daß er den Bescheid so nicht hinnehmen könne, weil er die (Einkommensteuer-) Erklärung abgegeben habe und deshalb dagegen Einspruch einlege". Gleichzeitig habe er den Bediensteten des FA die umfangreiche Steuererklärung in Kopie zur Kenntnisnahme vorgelegt.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab und führte dazu im wesentlichen aus:
Von einer Einspruchseinlegung bereits am 11. August 1980 könne nicht ausgegangen werden. An diesem Tag sei ein Rechtsbehelf weder schriftlich eingelegt noch zur Niederschrift erklärt worden (Hinweis auf § 357 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Es komme auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter hätten nicht ohne Verschulden davon ausgehen können, es sei bereits am 11. August 1980 Einspruch eingelegt worden.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Der angefochtene Bescheid ist während des Revisionsverfahrens mehrfach geändert worden. Der Kläger hat beantragt, den letzten Änderungsbescheid vom 7. September 1987 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Er beantragt im übrigen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Gegenstand des Verfahrens ist aufgrund der vom Kläger mit Schriftsatz vom 12. Oktober 1988 gemäß §§ 68, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgegebenen Erklärung der Einkommensteuer-(Änderungs-)bescheid für 1978 vom 7. September 1987. Der Streitstoff hat sich dadurch nicht geändert. Der Bescheid war ausschließlich zur Berücksichtigung inzwischen anderweitig festgestellter Beteiligungseinkünfte (gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) erlassen worden. Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Bescheiderlasses als solchem hat der Kläger nicht erhoben. Der Senat kann demnach auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG zum ursprünglichen Bescheid vom 30. Juli 1980 selbst entscheiden (§ 127 FGO; s. auch Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 127, mit zahlreichen Hinweisen).
2. Die Revision ist nicht begründet.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger verspätet Einspruch erhoben hat und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.
a) Es begegnet keinen Bedenken, daß das FG annahm, am 11. August 1980 (anläßlich der Vorsprache des Klägers im FA) sei noch kein Einspruch eingelegt worden. Ein Schriftstück (§ 357 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative AO 1977) hat der Kläger bei dieser Gelegenheit nicht übergeben. Das gilt auch für die angeblich in Kopie mitgebrachte Steuererklärung. Das FG hat dies vor allem daraus geschlossen, daß die betreffenden Kopien nach Lage der Akten erst zusammen mit dem (späteren) Einspruchsschreiben am 2. September 1980 beim FA eingegangen seien. Dieser Schluß ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Er widerspricht weder den Denkgesetzen noch allgemeinen Erfahrungssätzen (s. hierzu näher Gräber/ Ruban, a. a. O., § 118 Tz. 19 ff.).
Zu Recht hat das FG sodann entschieden, daß selbst eine schuldhaft unterlassene Protokollierung eines zur Niederschrift erklärten Rechtsbehelfs diesen als solchen nicht zu ersetzen vermag (s. dazu auch Tipke / Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 357 AO 1977 Tz. 5).
b) Rechtsfehlerfrei hat das FG schließlich auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) abgelehnt. Der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter durften nicht davon ausgehen, sie hätten bereits am 11. August 1980 Einspruch eingelegt. Der Prozeßbevollmächtigte mußte als Steuerberater wissen, daß über einen mündlich erklärten Einspruch auf jeden Fall eine Niederschrift hätte gefertigt werden müssen (s. auch hierzu Tipke / Kruse, a. a. O., § 357 AO 1977 Tz. 5, mit weiteren Hinweisen). Der Kläger muß sich dieses Verschulden - entgegen seiner Auffassung - kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung in § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 auch zurechnen lassen.
Hinzu kommt, daß sehr zweifelhaft ist, ob der Kläger und sein Bevollmächtigter in Wirklichkeit überhaupt von einer Einspruchseinlegung schon am 11. August 1980 ausgingen. Denn in diesem Fall hätte es des Einspruchsschreibens vom 25. August 1980 nicht mehr bedurft; zumindest aber hätte eine Bezugnahme auf den bereits früher angebrachten Rechtsbehelf nahegelegen.
c) Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen § 96 Abs. 1 (richtig § 76 Abs. 1) FGO ist nicht in der gehörigen Form geltend gemacht worden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Der Kläger hat weder die Zeugen, die das FG seiner Auffassung nach hätte hören sollen, namentlich benannt noch hat er ausgeführt, was diese hätten aussagen können (s. zu diesem Erfordernis Gräber / Ruban, a. a. O., § 120 Tz. 40, mit zahlreichen Hinweisen). Außerdem hat der Kläger nicht mitgeteilt, weshalb er nicht bereits von sich aus vor dem FG eine entsprechende Beweisaufnahme angeregt hatte (Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Tz. 228).
d) Auf die vom Kläger gegen die Schätzung des FA vorgebrachten Einwendungen kommt es nach alledem nicht mehr an. Ein Eingehen auf sie hätte eine fristgemäße Einspruchseinlegung vorausgesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 416088 |
BFH/NV 1989, 547 |