Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge von Verfahrensfehlern
Leitsatz (NV)
1. Bei der Prüfung von Verfahrensfehlern ist grundsätzlich von der sachlich-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz auszugehen.
2. Die Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung erfordert den Vortrag der Tatsachen, die sich bei ordnungsgemäßer Sachverhaltsermittlung ergeben hätten.
Normenkette
FGO §§ 118, 120 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine eingetragene Genossenschaft (eG), war im Streitjahr 1973 die Alleingesellschafterin einer GmbH. Die GmbH war geschäftsführende Komplementärin einer KG (im folgenden KG). Nach dem Gesellschaftsvertrag der KG war die GmbH verpflichtet, Verluste der KG zu übernehmen. Als bei der KG im Jahre 1972 ein Verlust von . . . DM eintrat, entstand bei der GmbH unter anderem wegen dieser Übernahmeverpflichtung eine Überschuldung. Zum Zwecke der Absicherung dieser Schulden übernahm deshalb die Klägerin im Streitjahr unter Bildung einer Rückstellung von . . . DM in gleicher Höhe eine ,,selbstschuldnerische Bürgschaft" zugunsten der GmbH. Nach der Sachverhaltsschilderung durch das Finanzgericht (FG) lag dem folgende ,,Vereinbarung" zugrunde:
,,Bürgschaftserklärung
In der Verwaltungsratsitzung vom 1. 10. 1974 wurde zur Abdeckung des Verlustes in der KG per 31. 12. 1973 folgende Bürgschaftserklärung einstimmig beschlossen:
Die eG leistet für den in 1973 entstandenen Verlust in Höhe von DM . . . eine selbstschuldnerische Bürgschaft zugunsten der GmbH, die zur Abwendung einer Überschuldung verwandt werden soll.
Diese Bürgschaft erlischt dann, wenn nach Verhandlungen mit der . . . AG Einigkeit zur Aufstockung des Stammkapitals der GmbH erzielt wird. In diesem Fall ist die Verwaltung mit der noch festzulegenden Kapitalerhöhung einverstanden."
Anläßlich einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Ansicht, daß die Rückstellung aufzulösen sei. Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -). Wegen dieser Sachbehandlung erhob die Klägerin Sprungklage, die als Einspruch behandelt wurde. Der Einspruch blieb erfolglos. Die erhobene Klage wies das FG als unbegründet zurück.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie des § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
In dem Abschnitt der Revisionsbegründungsschrift, der sich mit der Verletzung des § 5 Abs. 1 EStG befaßt, macht die Klägerin geltend, daß sie nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung wegen der Erklärung vom 21. November 1973 in der Bilanz zum 31. Dezember 1973 eine Rückstellung von . . . DM für eine ungewisse Verbindlichkeit habe bilden müssen. Die Auffassung des FG, die Erklärung der Klägerin vom 21. November 1973 stelle keine Bürgschaft i. S. des § 765 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dar, weil es an einem Gläubiger fehle, dem gegenüber sich die Klägerin verbürgt haben solle, sei unzutreffend. Die KG sei Gläubigerin einer Forderung gegenüber der GmbH gewesen, für die sich die Klägerin verbürgt habe.
In der Klageschrift vom 20. September 1979 an das FG sei auf Seite 2 im drittletzten Absatz folgendes ausgeführt: ,,In unserem Prüfungsbericht für das Jahr 1973 ist auf Seite 18 zum Jahresabschluß 1973 der KG folgendes festgestellt: Die unter Bilanzposition Aktiva III. 13. d) ausgewiesene Forderung an die GmbH ist nur dann als vollwertig anzusehen, wenn das Kapital dieser Gesellschaft um mindestens . . . DM erhöht wird und die zwei abgegebenen Bürgschaftserklärungen der eG bestehen bleiben. Es handelt sich dabei um eine Forderung von . . . DM, die aus Verlustübernahmen durch die GmbH herrührt." Sie, die Klägerin, habe sich also durch die Erklärung vom 21. November 1973 verpflichtet, als Bürge für die Forderung der KG gegen die GmbH einzustehen. Die Erklärung sei auch gegenüber der KG abgegeben worden, weil die GmbH die persönlich haftende geschäftsführende Gesellschafterin der KG gewesen sei, worauf auf Seite 2 oben der Klageschrift vom 20. September 1979 hingewiesen worden sei.
Die Erklärung vom 21. November 1973 sei aber nicht nur abgegeben worden, um die Forderung der KG gegen die GmbH auf Ausgleich des Verlustes 1972 von rund . . . DM abzusichern. Die Erklärung vom 21. November 1973 sollte auch ,,zur Abwendung einer Überschuldung in vorgenannter Gesellschaft" dienen. Damit sei die Klägerin die Verpflichtung eingegangen, die GmbH so auszustatten, daß diese ihren Verbindlichkeiten nachkommen könne. Nur in einem solchen Fall wäre die Überschuldung und damit die Konkursantragspflicht beseitigt. Entgegen (wohl richtig statt des ,,hingegen" in der Revisionsbegründungsschrift) der Auffassung des FG bestehe also eine Verpflichtung gegenüber der GmbH, deren Erfüllung von dem Geschäftsführer oder den Gläubigern hätte verlangt werden können. Es handle sich also um eine Verpflichtung gegenüber einem anderen und nicht um eine betriebswirtschaftliche Verpflichtung gegen sich selbst.
Soweit die Klägerin die Verletzung des § 76 Abs. 1 FGO rügt, macht sie geltend, daß das FG aufgrund des Vortrags in der Klageschrift vom 20. September 1979 hätte erkennen müssen, daß die Bürgschaft für eine Forderung der KG abgegeben worden sei (Hinweis auf Ziff. 2 der Klageschrift vom 20. September 1979). Das FG habe auf Seite 3 seines Urteils den vollen Wortlaut der ,,Bürgschaftserklärung" vom 1. Oktober 1974 aufgeführt. Diese Bürgschaftserklärung sei aber als Grundlage für die Rückstellungsbildung zum 31. Dezember 1973 bedeutungslos. Das FG hätte die Erklärung vom 21. November 1973 in den Mittelpunkt stellen müssen. Diese Erklärung habe einen anderen Wortlaut als die Erklärung vom 1. Oktober 1974.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Verfahrensrügen der Klägerin greifen nicht durch.
Soweit die Klägerin eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FG mit dem Hinweis auf die ,,Erklärung vom 21. 11. 1973" begründet, ist schon zweifelhaft, ob die Rüge ordnungsgemäß erhoben wurde. Aus den Ausführungen auf Seite 3 der Revisionsbegründungsschrift geht nicht eindeutig hervor, auf welche Weise die ,,Erklärung vom 21. 11. 1973" dem FG zur Kenntnis gebracht wurde. Selbst wenn man jedoch zugunsten der Klägerin davon ausgeht, daß die Bezugnahme auf die Klageschrift vom 20. September 1979 im 2. Satz des Abschn. II der Revisionsbegründungsschrift in dem Sinne zu verstehen ist, daß in der Klageschrift vom 20. September 1979 auf die ,,Erklärung vom 21. 11. 1973" Bezug genommen wurde, ist die Verfahrensrüge unbegründet. Bei der Prüfung von Verfahrensmängeln ist grundsätzlich von der sachlich-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz auszugehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621). Das FG wies die Klage ab, weil es aufgrund der in der Verwaltungsratsitzung vom 1. Oktober 1974 abgegebenen ,,Bürgschaftserklärung" nicht von dem Bestehen eines Bürgschaftsvertrages i. S. des § 765 BGB ausging. Hätte es die ,,Erklärung vom 21. 11. 1973", deren Inhalt sich aus Ziffer 2 der Klageschrift vom 20. September 1979 ergibt, zugrunde gelegt, wäre es zu keiner anderen Entscheidung gelangt, denn die beiden Erklärungen unterscheiden sich in den für die Auffassung des FG maßgebenden Punkten nicht. In beiden Erklärungen wird nicht von einer Bürgschaft gegenüber der KG ausgegangen, sondern ein bei der GmbH entstandener Verlust zum Anlaß genommen, eine ,,selbstschuldnerische Bürgschaft" zu ihren Gunsten (so die Erklärung vom 1. Oktober 1974) bzw. eine ,,selbstschuldnerische Bürgschaft" für einen bei der GmbH ausgewiesenen Verlust (so die Erklärung vom 21. November 1973) zu übernehmen.
Die Revisionsrüge ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Zusammenhangs mit anderen (erfolgreichen) Verfahrensrügen begründet.
Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, das FG hätte erkennen müssen, daß die Bürgschaft für eine Forderung der KG gegen die GmbH abgegeben worden sei, ist die Rüge nicht ordnungsgemäß erhoben. Dies gilt selbst dann, wenn man die Ausführungen auf Seite 3 der Revisionsbegründungsschrift als ausreichenden Hinweis auf die Ausführungen in der Klageschrift vom 20. September 1979 ansieht, wonach in dem Prüfungsbericht der Genossenschaft für das Jahr 1973 zum Jahresabschluß 1973 der KG folgende Feststellung enthalten war: ,,Die unter Bilanzposition Aktiva III. 13. d) ausgewiesene Forderung an die GmbH ist nur dann als vollwertig anzusehen, wenn das Kapital dieser Gesellschaft um mindestens . . . DM erhöht wird und die zwei abgegebenen Bürgschaftserklärungen der eG bestehen bleiben." Die Klägerin hätte die Tatsachen vortragen müssen, die sich ergeben hätten, wenn das FG diesem Hinweis in der Klageschrift nachgegangen wäre (BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489). Dazu hätten im Streitfall Tatsachen gehört, aus denen sich ergibt, daß die Klägerin sich durch ihre Organe gegenüber der KG und nicht nur gegenüber der GmbH verpflichtet hat, für die Forderungen der KG an die GmbH einzustehen.
Die Revision ist aufgrund der Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist und gegen die keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht sind, unbegründet. Dies folgt schon daraus, daß die Rückstellung zum 31. Dezember 1973 mit Vorgängen begründet wird, die nach dem Bilanzstichtag liegen. Nach den Feststellungen des FG ist Grundlage für die Rückstellung eine ,,Bürgschaftserklärung" vom 1. Oktober 1974.
Fundstellen
Haufe-Index 414380 |
BFH/NV 1987, 250 |