Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung an Rechtsanwalt oder Steuerberater
Leitsatz (NV)
Die Ersatzzustellung des § 183 ZPO steht unabhängig von der des § 181 ZPO zur Wahl.
Normenkette
ZPO § 181 Abs. 1, § 183 Abs. 2; FGO § 53 Abs. 2; VwZG § 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin hatte vor dem Finanzgericht (FG) einen Rechtsstreit geführt, über den ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt wurde. Die Klage wurde abgewiesen. Das Urteil des FG wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde (PZU) am 3. August 1984 dem ehemaligen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zugestellt. Die Zustellung wurde von dem zuständigen Postbeamten als Ersatzzustellung durchgeführt, und zwar heißt es in der PZU: ,,Das vorstehend bezeichnete Schriftstück habe ich in meiner Eigenschaft als Postbediensteter zu Sinzheim, da ich den Empfänger (Vor- und Zuname) . . . selbst in der Wohnung nicht angetroffen habe, dort a) dem zu seiner Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen, nämlich der Mutter . . . übergeben."
Die Revision der Klägerin ist ausweislich des Eingangsstempels des FG dort am 12. September 1984 zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist eingegangen. Die Klägerin rügt, daß die Zustellung an ihren früheren Prozeßbevollmächtigten nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Außerdem macht sie vorsorglich Wiedereinsetzungsgründe geltend. Im einzelnen trägt sie vor:
Die Ordnungsmäßigkeit der Urteilszustellung sei deshalb zu beanstanden, weil das Urteil dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten nicht in dessen Geschäftslokal, sondern in seiner Wohnung zugestellt worden sei. Auch die Zustellung in seiner Wohnung sei nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden, denn, wie der Vordruck der PZU bereits deutlich mache, sei die Mutter des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten kein Ersatzzustellungsberechtigter. Es müsse vielmehr an einen zur Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen zugestellt werden. Als Hausgenossen kämen aber nur Kinder, Pflegekinder und Ehegatten in Betracht, nicht dagegen die Mutter des Zustellungsempfängers. Dies müsse im vorliegenden Fall um so mehr gelten, als die Mutter des Zustellungsempfängers nicht dessen Hausgenossin gewesen sei, vielmehr habe sie im selben Haus im Erdgeschoß eine von der Wohnung des Zustellungsempfängers abgeschlossene, eigene Wohnung. Das Bürogebäude und das Gebäude, in dem sowohl die Wohnung des Zustellungsempfängers als auch die Wohnung der Mutter lägen, befänden sich auf gesonderten Lagebuchnummern.
Im übrigen habe auch gar keine Veranlassung dafür bestanden, das Schriftstück außerhalb des Bürogebäudes zuzustellen, da dieses an dem fraglichen Tag durch die Tochter des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten besetzt gewesen sei. Einen Versuch, die Sendung der empfangsbevollmächtigten Tochter zu übergeben, habe der Postbeamte ausweislich der PZU vom 3. August 1984 jedoch nicht unternommen. Zum Beweis für all das bezieht sich die Klägerin auf das Zeugnis des Steuerberaters . . ., dessen Tochter . . . und der Mutter . . .
Die Klägerin beantragt, über die Frage der Rechtzeitigkeit der Revisionseinlegung sowie ggf. über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorweg, vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, zu entscheiden.
Das Finanzamt (FA) hält die Frage, ob die Mutter des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten einen von diesem getrennten, eigenen Hausstand unterhalten hat, hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung des Urteils des FG für unerheblich und beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Der Zwischenrechtsstreit über die Frage der Rechtzeitigkeit der eingelegten Revision ist zur Entscheidung reif. Über ihn war nach § 121 i.V.m. § 97 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorab nach dem Antrag der Klägerin zu entscheiden.
Das Urteil des FG ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nicht nach § 53 Abs. 2 und § 54 Abs. 1 FGO i.V.m. § 9 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) ordnungsgemäß zugestellt worden. Daher konnte die unstreitige Tatsache des Zugehens des genannten Schriftstücks (FG-Urteil) am 3. August 1984 nicht die Revisionsfrist des § 120 Abs. 1 FGO in Lauf setzen. Die am 12. September 1984 beim FG eingegangene Revision war damit nicht verspätet.
Nach § 53 Abs. 2 FGO wird ein steuergerichtliches Urteil nach den Vorschriften des VwZG zugestellt. Nach dessen § 3 ist auch die Zustellung durch die Post mit PZU zulässig. Für das Zustellen durch den Postbediensteten gelten nach § 3 Abs. 3 VwZG die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und 195 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetroffen, so kann nach § 181 Abs. 1 ZPO die Zustellung in der Wohnung an einen zu der Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen oder an eine in der Familie dienende erwachsene Person erfolgen. Daß einem Rechtsanwalt oder Steuerberater stets in seinem Geschäftslokal zugestellt werden muß (§ 183 Abs. 2 ZPO), können diese Personen nicht verlangen. Denn die Ersatzzustellung des § 183 ZPO steht unabhängig von der des § 181 ZPO zur Wahl (vgl. Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 13. Aufl., München 1985, Anm. 1 zu § 183 ZPO).
Die hier dem Grunde nach zulässige Ersatzzustellung nach § 181 ZPO schreibt aber - wie oben erwähnt - die Übergabe des Schriftstücks u.a. an einen zu der Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen vor. Das aber war die Mutter des früheren Prozeßbevollmächtigten gerade nicht, weil sie - wie die Klägerin, ohne daß dies das FA bestritten hätte, glaubhaft vorgetragen hat - eine eigene, abgeschlossene Wohnung innegehabt hatte. Damit war die Zustellung unwirksam, da sie gegenüber einer nach § 181 ZPO nicht befugten Person vorgenommen worden ist. Die am 12. September 1984 eingelegte Revision ist somit rechtzeitig.
Fundstellen
Haufe-Index 413903 |
BFH/NV 1985, 91 |