Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der durchlaufenden Posten.

Die auf Grund des Berliner Gesetzes vom 15. Mai 1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1953 S. 321) an die Lehrherren gezahlten Ausbildungsbeihilfen für Lehrlinge sind keine steuerfreien Bezüge i. S. des § 3 Ziff. 10 EStG.

 

Normenkette

EStG § 3 Ziff. 10, § 3/11

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.) ist selbständiger Bäckermeister in Berlin. Im Streitjahr erhielt er eine Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von 160 DM aus dem "Ausgleichsstock für Berufsausbildung". In seiner Verlust- und Gewinnrechnung wies er diesen Betrag als außerordentlichen Ertrag aus, setzte ihn aber in seiner Einkommen- und Gewerbesteuererklärung als steuerfrei von dem erklärten gewerblichen Gewinn ab. Das Finanzamt erkannte bei der Veranlagung diese Absetzung nicht an, weil der Bg. die Aufwendungen für seinen Lehrling voll als Betriebsausgaben ausgewiesen hatte. Im Berufungsverfahren machte der Bg. geltend, die Berufsausbildungsbeihilfen seien nach § 3 Ziff. 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei, weil sie Bezüge aus öffentlichen Mitteln zur unmittelbaren Förderung der Erziehung und Ausbildung darstellten.

Das Verwaltungsgericht gab der Berufung statt. Es führte aus, die Ausbildungsbeihilfen seien zu den steuerfreien Bezügen des § 3 Ziff. 10 EStG zu rechnen. Die tatsächlichen Aufwendungen für den Lehrling könnte der Bg. voll als Betriebsausgaben absetzen. Wenn das Landesfinanzamt in der Rundverfügung Nr. 422/53 vom 4. Dezember 1953 (Steuer- und Zollblatt 1953 S. 1355) nur die die Beihilfe übersteigenden Aufwendungen als Betriebsausgabe anerkenne, so finde diese Beschränkung im Gesetz keine Stütze. Eine derartige Beschränkung würde die Steuerbefreiung gegenstandslos machen. Der gegenteiligen Auffassung von Herrmann-Heuer in Anm. 12 zu § 3 EStG und des Reichsfinanzhofs im Urteil VI 121/42 vom 18. November 1942 (Reichssteuerblatt - RStBl - S. 1138) könne nicht gefolgt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts, die das Verwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitfrage zugelassen hat, ist begründet.

Die Ausbildungsbeihilfen beruhen auf dem Berliner Gesetz vom 15. Mai 1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin S. 321). Nach § 1 ist Zweck dieses Gesetzes, alle in den Betrieben der Berliner Wirtschaft vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten für die Berufsanwärter zu erschließen und die Bereitschaft der Arbeitgeber zur Einstellung und Ausbildung von Lehrlingen usw. zu fördern. Die zur Zahlung der Beihilfen erforderlichen Mittel werden durch Beiträge der Arbeitgeber aufgebracht, zu denen Zuschüsse Dritter treten können (ß 2 Abs. 1). Die aufgebrachten Mittel bilden ein Sondervermögen mit eigener Rechtspersönlichkeit mit der Bezeichnung "Ausgleichsstock für Berufsausbildung", der der Aufsicht des Senators für Arbeit unterliegt (ß 2 Abs. 2). Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfen hat, wer nach diesem Gesetz beitragspflichtig ist, sofern er ein Lehrverhältnis unterhält, für das ihm nicht von einer öffentlichen Stelle eine Beihilfe gezahlt wird (ß 10 Abs. 1). Darüber, wie diese Beihilfe steuerlich zu behandeln ist, besagt das Gesetz nichts.

Die Frage der steuerlichen Behandlung der Beihilfen muß, weil eine Sonderregelung fehlt, nach den allgemeinen steuerlichen Bestimmungen entschieden werden. Die Lehrherren erhalten die Beihilfen für eine im Rahmen ihrer Betriebe zu erbringende Leistung (Lehrlingsausbildung). Nach allgemeinen Grundsätzen gehören sie deshalb zu den betrieblichen Einnahmen. Sie haben nicht den Charakter eines durchlaufenden Postens (vgl. z. B. § 19 Abs. 2 Ziff. 1 EStG und § 5 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes). Als durchlaufende Posten kommen nur solche Einnahmen in Betracht, die ein Steuerpflichtiger im Namen und für Rechnung eines anderen empfängt und die an den Berechtigten weiterzuleiten er verpflichtet ist (vgl. Blümich-Falk, 7. Aufl. Anm. 24 zu § 4 S. 187, ferner Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 2035/32 vom 11. Januar 1933, RStBl 1933 S. 477). Die Weitergabe einer als "durchlaufend" erhaltenen Einnahme würde auch keine Betriebsausgabe darstellen.

Die Vorbehörden haben nun in Anlehnung an die erwähnte Rundverfügung des Landesfinanzamts Berlin vom 4. Dezember 1953 angenommen, daß die Beihilfen nach § 3 Ziff. 10 EStG steuerfrei seien. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Nach der Vorschrift des § 3 Ziff. 10 EStG sind steuerfrei Bezüge, die aus öffentlichen Mitteln oder aus Mitteln einer öffentlichen Stiftung als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung oder Ausbildung unmittelbar zu fördern. Es kann dahingestellt bleiben, ob man den "Ausbildungsstock" überhaupt als öffentliche Mittel oder Stiftung i. S. des § 3 Ziff. 10 EStG ansehen kann. Jedenfalls werden durch die Beihilfen die Erziehung oder Ausbildung der Lehrlinge nicht unmittelbar gefördert. Sie werden nicht den Lehrlingen gewährt, sondern den Lehrherren, um diesen einen Ausgleich für die Mühen und Kosten der Lehrlingsausbildung, die der Gesamtwirtschaft zugute kommt, zu schaffen. Es handelt sich gewissermaßen um einen Lastenausgleich innerhalb der beteiligten Wirtschaftskreise. Die Ausbildung der Lehrlinge selbst wird dadurch nur mittelbar gefördert.

Das Gesetz vom 15. Mai 1953 sieht keine Steuerbefreiung der Ausbildungsbeihilfen vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob es steuerpolitisch sinnvoll gewesen wäre, eine Steuerbefreiung zu gewähren. Denn über diese Frage hat der Senat nicht zu entscheiden. Es handelt sich um eine Frage des gesetzgeberischen Ermessens, zu dessen Nachprüfung die Gerichte nicht berufen sind. Die Gerichte können nur das Gesetz, so wie der Gesetzgeber es geschaffen hat, auslegen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 150/55 U vom 2. August 1955, Slg. Bd. 61 S. 247, Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 III S. 293).

Wenn die Berliner Finanzverwaltung in der genannten Rundverfügung vom 4. Dezember 1953 die Auffassung vertritt, daß die Beihilfen unter die Befreiungsvorschrift des § 3 Ziff. 10 fielen, so handelt es sich um die äußerung einer Rechtsauffassung, die für die Gerichte nicht bindend ist. Die Verwaltung kann ohne entsprechende Ermächtigung (Art. 80 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland) kein Recht schaffen (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 342/53 U vom 8. April 1954, Slg. Bd. 58 S. 722, BStBl 1954 III S. 188; I 259/54 U vom 19. Juli 1955, Slg. Bd. 61 S. 275, BStBl 1955 III S. 304). Im übrigen bezweifelt das Landesfinanzamt Berlin im gegenwärtigen Rechtsstreit selbst die Richtigkeit seiner früher geäußerten Rechtsauffassung. Zudem hatte die Rundverfügung im Ergebnis auch keine Steuerbefreiung der Beihilfen zur Folge, da sie in Höhe der Beihilfen die Aufwendungen der Lehrherren für die Lehrlinge nicht als Betriebsausgaben zulassen wollte.

Da die Vorentscheidung die Steuerfreiheit der Beihilfen unter Verkennung der Rechtslage bejaht hat, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der gewerbliche Gewinn des Bg. erhöht sich um die strittigen 160 DM auf 6.366 DM. Die vom Finanzamt in seinen Einkommen- und Gewerbesteuerbescheiden getroffenen Feststellungen sind zutreffend. Die Berufung des Bg. gegen diese Bescheide war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Der Bg. hat mündliche Verhandlung beantragt. Es erschien dem Senat zweckmäßig, zunächst ohne eine solche durch Bescheid zu erkennen (ß 294 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 408481

BStBl III 1956, 281

BFHE 1957, 217

BFHE 63, 217

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