Entscheidungsstichwort (Thema)
Mindestanforderungen an einen Antrag auf Veranlagung
Leitsatz (NV)
Der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG muß den Willen des Steuerpflichtigen auf Durchführung des entsprechenden Verfahrens gegenüber dem Finanzamt in der Weise erkennbar machen, daß dem Finanzamt die Einleitung des Verfahrens ermöglicht ist.
Normenkette
EStG § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 Buchst. b EStG
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte trotz Erinnerung durch den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) zunächst seine Einkommensteuererklärung 1978 nicht eingereicht, vielmehr mit Schreiben vom . . . April 1980 das FA unter Hinweis auf Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit um Fristverlängerung zur Einreichung der Einkommensteuererklärung bis Ende Juni 1980 gebeten. Da diese nicht vorgelegt wurde, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen und setzte mit Einkommensteuerbescheid vom . . . November 1980 die Einkommensteuer 1978 fest. Hiergegen ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom . . . Dezember 1980 Einspruch einlegen und die Vorlage der Einkommensteuererklärung ankündigen. Dem Einspruchsschreiben war in der Anlage eine Fotokopie der Lohnsteuerkarte 1978 beigefügt. Außerdem hat der Bevollmächtigte folgendes ausgeführt:
,,Nach Angaben der Mandantschaft übersteigen die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ebenfalls die tatsächlichen Verhältnisse.
Wir stellen daher folgende Anträge:
1. Aufhebung der Einkommensteuerveranlagung 1978
2. Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO. Die Aussetzung der Vollziehung ist unseres Erachtens vorzunehmen, da allein unter Berücksichtigung der vorliegenden Lohnsteuerkarte sich die Steuerschuld von gesamt . . . DM auf . . . DM verringert.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen (Werbungskosten bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sowie Verlust aus Vermietung und Verpachtung) wird sich auch dieser Betrag aufheben.
Es wird sogar mit einer Steuererstattung gerechnet.
3. Fristverlängerung für Steuererklärung 1978 bis zum 31. Januar 1981 . . ."
Zu der am . . . Januar 1981 beim FA eingereichten Einkommensteuererklärung 1978 ist neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ein Werbungskostenüberschuß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ausgewiesen. Andere Einkünfte hat der Kläger nach den Angaben in der Einkommensteuererklärung nicht erzielt.
Das FA hob daraufhin die Einkommensteuerveranlagung 1978 vom . . . November 1980 auf und lehnte mit Bescheid vom . . . April 1982 die Durchführung der Veranlagung mit der Begründung ab, daß der nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes 1977 (EStG) zu stellende Antrag auf Veranlagung verspätet bei ihm eingegangen sei. Der gegen den Einkommensteuerbescheid vom . . . November 1980 gerichtete Einspruch könne nicht als Antrag in diesem Sinne gewertet werden, weil aus dem Rechtsbehelfsantrag das Begehren auf Veranlagung nicht erkennbar sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage hatte Erfolg. Die Revision des FA wies der BFH als unbegründet zurück:
Der Senat ist im Anschluß an seine Entscheidung vom 3. Juni 1986 IX R 121/83 (ein retuschierter Abdruck ist beigefügt) und die Entscheidung des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. Juli 1986 VIII R 12/85 (BFHE 147, 343, BStBl II 1986, 900) der Auffassung, daß für den Mindestinhalt des Antrags nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG Angaben des Steuerpflichtigen notwendig, aber auch ausreichend sind, die seinen Willen auf Durchführung des entsprechenden Verfahrens gegenüber dem FA in der Weise erkennbar machen, daß dem FA die Einleitung des Verfahrens ermöglicht ist. Im Gegensatz zu anderen verfahrenseinleitenden Anträgen i. S. von § 86 Satz 2 Nr. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 - (vgl. z. B. für den Antrag auf Feststellung eines höheren Teilwerts nach § 55 Abs. 5 EStG 1971 BFH-Urteil vom 11. Oktober 1979 IV R 65/78, BFHE 129, 34, BStBl II 1980, 63, m. w. N.) erfordert der Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG keine weitere inhaltliche Konkretisierung. Daraus, daß der Gesetzgeber nicht die Form der Steuererklärung vorgeschrieben hat, ist zu folgern, daß er dem FA lediglich im Rahmen der Antragsfrist einen Überblick über noch durchzuführende Antragsveranlagungen verschaffen wollte.
Der Vorentscheidung ist darin beizupflichten, daß dem Schreiben des Bevollmächtigten vom 5. Dezember 1980 an das FA ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Antrags in vorstehendem Sinne entnommen werden können. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat in diesem Schreiben zwar ausdrücklich nur die Aufhebung der Einkommensteuerveranlagung 1978 und die Aussetzung der Vollziehung der dort festgesetzten Steuer beantragt. Es ist aber auch bei Willensäußerungen im Verfahrensrecht nicht am buchstäblichen Sinn des gewählten Ausdrucks zu haften, sondern in entsprechender Anwendung von § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) das wirkliche Begehren zu erforschen und dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374; vom 3. Juni 1982 VI R 48/79, BFHE 136, 224, BStBl II 1982, 710 m. w. N.). Dies gilt grundsätzlich auch bei Einschaltung einer fachkundigen Person (dazu z. B. Urteil in BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374). Maßgeblich ist allerdings, daß für den Empfänger erkennbar ein entsprechender Wille in der Erklärung - wenn auch gegebenenfalls nur konkludent - verkörpert ist (BFH-Beschluß vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533; BFH-Urteil vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 1963 III C 28/61, Monatsschrift für Deutsches Recht 1963, 527; Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Mai 1956 7 RAr 144/55, BSGE 3, 112; Schick, Steuer und Wirtschaft, 1969, 361; Kopp, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Auflage 1983, § 22 Rdnr. 18).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen läßt das Schreiben des Bevollmächtigten vom 5. Dezember 1980 noch ausreichend das Begehren auf Veranlagung zur Einkommensteuer 1978 erkennen. Denn gleichzeitig mit dem Antrag auf Aufhebung der Einkommensteuerveranlagung 1978 ist ausgeführt, daß mit einer Steuererstattung gerechnet wird. Dem Zusammenhang nach konnte diese nur über eine Veranlagung zur Einkommensteuer 1978 erreicht werden (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG). Damit ist das Begehren auf Veranlagung hinlänglich in einer dem Kläger zuzurechnenden Erklärung verkörpert.
Unerheblich ist, ob das FA im Zeitpunkt der Antragstellung erkennen konnte, daß tatsächlich eine Antragsveranlagung und keine Amtsveranlagung in Betracht kam. Da nur die Antragsveranlagung vom Willen des Steuerpflichtigen abhängt, mußte das FA davon ausgehen, daß der Kläger für den Fall, daß keine Amtsveranlagung in Betracht kommt, jedenfalls eine Antragsveranlagung wünschte. Dem Zusammenhang nach kam hierfür nur § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 414674 |
BFH/NV 1987, 295 |