Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Verwaltungsakts; Begründungserfordernis bei Prüfungsanordnungen
Leitsatz (NV)
1. Welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, muß erforderlichenfalls im Wege der Auslegung ermittelt werden. Dabei ist entscheidend, wie der Stpfl. nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte.
2. Wird eine Prüfungsanordnung auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestützt, so sind die aufklärungsbedürftigen Verhältnisse zu bezeichnen; ferner ist anzugeben, warum eine Prüfung an Amtsstelle nicht zweckmäßig ist.
Normenkette
AO 1977 § 119 Abs. 1, § 193 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war früher als Landwirt tätig; 1979 gab er seinen Betrieb auf. Die Kläger hatten außerdem Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Im September 1982 ordnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bei den Klägern eine Außenprüfung an, die sich auf Umsatzsteuer und Einkommensteuer 1978 bis 1980 erstrecken sollte. Die Prüfungsanordnung wies auf § 193 Abs. 1 und § 193 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) hin. Die Prüfung ist inzwischen durchgeführt worden.
Die Kläger erhoben gegen die Prüfungsanordnung Beschwerde. In der Beschwerdeentscheidung hob die Oberfinanzdirektion (OFD) die Prüfungsanordnung für den Kläger hinsichtlich der Umsatzsteuer 1980, für die Klägerin hinsichtlich der Umsatzsteuer 1978 bis 1980 auf. Außerdem wird ausgeführt, daß die Prüfungsanordnung hinsichtlich der Einkommensteuer 1980 beim Kläger und hinsichtlich der Einkommensteuer 1978 bis 1980 bei der Klägerin auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestützt werde. Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung seien die Absetzungen für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a. F. aufklärungsbedürftig gewesen; da beim Kläger ohnehin eine Außenprüfung durchgeführt werde, sei insoweit eine Prüfung an Amts Stelle nicht zweckmäßig gewesen.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg; das Finanzgericht (FG) stellte die Nichtigkeit der Prüfungsanordnung fest.
Mit seiner Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung der AO 1977.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
1. Die mit der Klage angefochtene Prüfungsanordnung in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung (§ 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) kann nicht als nichtig angesehen werden. Das FG hat Nichtigkeit angenommen, weil die Prüfungsanordnung nicht erkennen lasse, ob eine Außenprüfung bei den Klägern selbst oder bei einer zwischen ihnen bestehenden Personengesellschaft durchgeführt werden solle. Die Prüfungsanordnung ermangele deshalb der in § 119 Abs. 1 AO 1977 verlangten inhaltlichen Bestimmtheit. Dem kann nicht gefolgt werden.
a) Welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, muß erforderlichenfalls im Wege der Auslegung ermittelt werden. Dabei ist entscheidend, wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34; Urteil vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23).
Wie in den Fällen der Vertragsauslegung (BFH-Urteil vom 11. Februar 1981 I R 13/77, BFHE 133, 3, BStBl II 1981, 475, mit weiteren Nachweisen) prüft das Revisionsgericht auch bei der Auslegung von Verwaltungsakten, ob das FG den Verwaltungsakt nach den von ihm festgestellten objektiven Umständen richtig ausgelegt, ob es vor allem die Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat. Wenn das Tatsachengericht die dazu notwendigen Feststellungen getroffen
hat, nimmt das Revisionsgericht die Auslegung selbst vor (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. September 1975 VII ZR 179/73, BGHZ 65, 107, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1976, 182).
b) Im Streitfall ergibt der objektive Inhalt der Prüfungsanordnung keinen Hinweis dafür, daß die Außenprüfung bei einer zwischen den Klägern bestehenden Gesellschaft durchgeführt werden sollte. Eine solche Gesellschaft wird in der Prüfungsanordnung nicht als Prüfungssubjekt erwähnt. Die Prüfung sollte sich auf die Umsatz- und Einkommensteuer 1978 bis 1980 erstrecken. Einkommensteuerpflichtig waren aber nur die Kläger selbst, nicht eine etwa zwischen ihnen bestehende Personengesellschaft. Hätte eine derartige Gesellschaft geprüft werden sollen, so hätte das FA - wie im Vordruck der Prüfungsanordnung vorgesehen - die Prüfung auf die Feststellung der Einkünfte 1978 bis 1980 gerichtet. Eine Überprüfung der einkommensteuerlich erheblichen Verhältnisse der Gesellschafter im Rahmen einer solchen Prüfung gemäß § 194 Abs. 2 AO 1977 hätte eine besondere Prüfungsanordnung gegen die Gesellschafter verlangt (§ 5 Abs. 3 der Betriebsprüfungsanordnung (Steuer) - BpO (St) - vom 27. April 1978, BStBl I 1978, 195). Dieser Möglichkeit war im Vordruck der Prüfungsanordnung durch Hinweis auf § 194 Abs. 2 AO 1977 Rechnung getragen; das FA hat diese Rubrik aber nicht angekreuzt.
Vor allem aber hat das FG nichts dafür festgestellt, daß zwischen den Klägern ein Gesellschaftsverhältnis bestand und daß sie irgendeinen Anlaß für die Überlegung hatten, das FA wolle nunmehr die Verhältnisse dieser Gesellschaft prüfen. Sie haben sich darauf weder im Beschwerde- noch im Klageverfahren berufen, also selbst nicht den Eindruck gehabt, das FA beabsichtige eine Gesellschaftsprüfung; vielmehr sind sie davon ausgegangen, daß jeweils bei ihnen eine Prüfung stattfinden solle, die sie allerdings als rechtswidrig bekämpft haben.
2. Die Kläger haben vor dem FG beantragt, die Rechtsunwirksamkeit der Prüfungsanordnung festzustellen. Dies beinhaltet den Antrag, die Rechtswidrigkeit der Anordnung festzustellen. Eine derartige Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zulässig, wenn sich die Prüfungsanordnung nach Durchführung der Prüfung erledigt hat (BFH-Beschluß vom 24. Juni 1982 IV B 3/82, BFHE 136, 192, BStBl II 1982, 659; vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285). Auch mit diesem Antrag ist die Klage aber unbegründet.
Die Prüfungsanordnung war ursprünglich allerdings auch auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestützt worden, ohne daß das FA die aufklärungsbedürftigen Verhältnisse bezeichnet oder angegeben hätte, warum eine Prüfung an Amts Stelle nicht zweckmäßig sei. Diese Unzulänglichkeiten sind in der Beschwerdeentscheidung der OFD jedoch ausgeräumt worden; in einem solchen Verfahren kann gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 insbesondere eine erforderliche Begründung des Verwaltungsakts nachgeholt werden (BFH-Urteile vom 28. April 1983 IV R 255/82, BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621; vom 10. Februar 1983, IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286).
Danach stützt sich die Prüfung der Einkommensteuer beim Kläger für 1980 und bei der Klägerin für 1978 bis 1980 auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977.
Die OFD hat durch den Hinweis auf die Nachprüfung der § 7 b-AfA auch Ausführungen gemacht, warum die Außenprüfung - beschränkt auf die Frage der AfA-Befugnis - erforderlich erscheint. Diese Ausführungen lassen das Aufklärungsbedürfnis erkennen; da beim Kläger ohnehin eine Betriebsprüfung stattfand, brauchte sich das FA, wie der Senat in seiner Entscheidung vom 5. November 1981 IV R 179/79 (BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208) ausgeführt hat, auch nicht auf eine Prüfung an Amts Stelle zu beschränken.
Fundstellen
Haufe-Index 414125 |
BFH/NV 1987, 7 |