Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Berechnung der Beschwerdesumme im Sinne des § 286 Abs. 1 AO ist ein erstmals in der Rb. im Zusammenhang mit neuem tatsächlichem Vorbringen gestellter Antrag nicht zu berücksichtigen, wenn er nach den Umständen des Falles nur den Zweck hat, die erforderliche Beschwerdesumme zu erreichen.
Normenkette
AO § 286 Abs. 1; FGO §§ 115, 140/3
Tatbestand
Der Beschwerdeführende Ehemann - ein Elektroeinzelhändler - wendet sich in der Rb. gegen die Nichtberücksichtigung von Zinsen bei der Gewinnermittlung 1954 und 1955, die er seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen für seinem Betrieb zur Verfügung gestellte Darlehen schuldet. Einspruch und Berufung hatten im Streitpunkt keinen Erfolg. Die Vorinstanzen lehnten die Abzugsfähigkeit der Zinsen unter anderem mit der Begründung ab, daß nach den Aufzeichnungen des beschwerdeführenden Ehemanns weder Zahlungen noch Rückstellungen für geschuldete Zinsen vorgenommen worden seien.
Hiergegen richtet sich die Rb. der beschwerdeführenden Eheleute. Erstmals machen sie in der Rb. geltend, daß bei der Einkommensermittlung 1955 zusätzlich Aufwendungen in Höhe von 2.020 DM als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG wegen Wiederbeschaffung von Hausrat infolge Totalschadens zu berücksichtigen seien.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht zulässig.
Gemäß § 286 Abs. 1 AO in der bis zum 31. August 1961 geltenden Fassung ist die Rb. nur zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes höher ist als 200 DM oder die Rb. wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache vom Finanzgericht zugelassen worden ist. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt. über die Frage, ob die Wertgrenze des § 286 Abs. 1 AO erreicht ist, entscheidet für seine Instanz der Bundesfinanzhof selbständig (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 414/58 U vom 14. Juni 1960, BStBl 1960 III S. 370, Slg. Bd. 71 S. 324). Maßgebend hierfür ist der Streitwert, der sich aus der Gegenüberstellung der Steuerfestsetzung durch die Vorinstanz - gleich ob sie richtig ist oder unrichtig ist - und der mit der Rb. begehrten Steuer errechnet. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob für 1954 infolge der dem Finanzgericht bei der Steuerberechnung unterlaufenen übertragungsfehler von der formell richtigen Steuer auszugehen ist, da in jedem Falle der Streitwert für die Rb. weniger als 200 DM beträgt.
Die Beschwerdesumme von 200 DM wäre nur dann erreicht, wenn man den Antrag der Bf. auf Berücksichtigung der Aufwendungen für Wiederbeschaffung von Hausrat gemäß § 33 EStG in die Streitwertberechnung mit einbeziehen würde. Dies ist nicht zulässig, da die Berücksichtigung des Betrages von 2.020 DM zu einer nicht gerechtfertigten Erhöhung des Streitwerts und damit zur Umgehung der Streitwertgrenze führen würde. Die Bf. haben weder in der Einkommensteuererklärung 1955 noch im Einspruchs- und Berufungsverfahren eine außergewöhnliche Belastung geltend gemacht. Sie haben die entsprechende Rubrik in der Einkommensteuererklärung ausdrücklich mit "entfällt" ausgefüllt. Die Akten lassen auch sonst nicht erkennen, daß diese Aufwendungen jemals geltend gemacht worden sind. Wenn die Bf. nunmehr behaupten, daß sie bereits bei der Betriebsprüfung im Jahre 1957 auf den Totalschaden und die Wiederbeschaffungsaufwendungen hingewiesen hätten, so muß ihnen entgegengehalten werden, daß ein Aufgreifen dieser Tatsache in der Rb. weder materiell-rechtlich noch prozessual zur Erreichung der Streitwertgrenze im Rechtsbeschwerdeverfahren zulässig ist. Grundsätzlich ist zwar bei der Berechnung der Beschwerdesumme im Sinne des § 286 Abs. 1 AO auch im Rechtsbeschwerdeantrag enthaltenes neues tatsächliches Vorbringen, mit dem die Bf. materiell-rechtlich gemäß § 288, 296 AO in der Rb. ausgeschlossen sind, zu berücksichtigen. Das gilt aber dann nicht, wenn damit erst die erforderliche Beschwerdesumme erreicht würde. Dabei ist unerheblich, daß die Antragserweiterung innerhalb der Begründungsfrist vorgenommen worden ist (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 823/35 vom 20. Dezember 1935, RStBl 1936 S. 66, in dem diese Frage ausdrücklich offengelassen wurde). Wenn ein Steuerpflichtiger durch sein Stillschweigen in den Vorinstanzen zu erkennen gibt, daß er eine Steuervergünstigung, die im übrigen von einem Antrag abhängig ist, der auch sonst wesentliche tatsächliche Feststellungen voraussetzt, nicht weiter verfolgen will, muß angenommen werden, daß mit dem Aufgreifen der Steuervergünstigung in der Rb. eine Umgehung der Streitwertgrenze bezweckt ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats IV 294/60 vom 20. April 1961, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 S. 173, und die dort zitierte Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs).
Die Rb. muß daher, ohne daß auf die Sache selbst eingegangen werden konnte, gemäß § 252 AO als unzulässig verworfen werden. über die Frage, ob eine Berichtigung des Urteils des Finanzgerichts gemäß § 92 Abs. 3 AO zulässig ist, hat nunmehr das Finanzgericht in eigener Zuständigkeit zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 410635 |
BStBl III 1963, 49 |
BFHE 1963, 135 |
BFHE 76, 135 |