Leitsatz (amtlich)
Ein "Erwerb von Gesellschaftsrechten" im Sinne des § 2 Nr. 1 KVStG 1959 liegt nicht vor, wenn Inhaber von Genußrechten an einer GmbH im Zusammenhang mit einer Erhöhung des Stammkapitals der GmbH ihre Rechte an die GmbH abtreten und dafür Geschäftsanteile an der GmbH erhalten, sich also lediglich die Art der ihnen zugeordneten Gesellschaftsrechte ändert.
Normenkette
KVStG § 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nrn. 1-2; StVVO § 14 Abs. 1; KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit dem Sitz in A, wurde im Jahre 1947 mit einem Stammkapital von 20 000 RM errichtet. Sie gab Genußscheine in Höhe von 300 000 RM aus. Die Genußscheine lauteten auf den Namen; sie gewährten eine Vorzugsdividende bis zu 4 % sowie eine Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös in der gleichen Höhe und unter den gleichen Voraussetzungen wie Geschäftsanteile. Für die Ausgabe der Genußscheine wurde seinerzeit auf Grund der Steuervereinfachungs-Verordnung - StVVO - vom 14. September 1944 (RGBl I, 202) Gesellschaftsteuer nicht erhoben. Im Jahre 1950 stellte die Klägerin ihr Stammkapital auf 12 000 DM, die Genußrechte auf 172 000 DM um.
Am 24. Januar 1964 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin, das Stammkapital von 12 000 DM um 172 000 DM auf 184 000 DM zu erhöhen und die Inhaber der Genußrechte zur Übernahme der neuen Stammeinlagen zuzulassen. Die Inhaber der Genußrechte übernahmen die neuen Stammeinlagen und erfüllten ihre Einlageverpflichtung in der Weise, daß sie ihre Genußrechte an die Klägerin abtraten. Die Kapitalerhöhung wurde am 27. Januar 1964 im Handelsregister eingetragen. Die neuen Geschäftsanteile waren stimmrechtslos, gewährten jedoch eine Vorzugsdividende bis zu 4 %.
Der Beklagte (FA) beurteilte diesen Vorgang in Übereinstimmung mit der OFD als einen gemäß § 2 Nr. 1 KVStG der Gesellschaftsteuer unterliegenden Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber. Es setzte durch vorläufigen Bescheid vom 7. August 1964 die Gesellschaftsteuer auf 227 470 DM fest. Dabei ging es davon aus, daß die Steuer gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. b KVStG vom Wert der Gegenleistung zu berechnen sei und daß dieser dem Wert der Geschäftsanteile entspreche. Als Wert der Gesellschaftsrechte legte es vorläufig den von der Klägerin zum 1. Januar 1963 ermittelten Wert der Anteile zugrunde.
Das FG hat die Klage abgewiesen (EFG 1966, 481).
Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 2 Nr. 1 KVStG.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und den Steuerbescheid des FA ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, denn es beruht auf unrichtiger Anwendung des § 2 Nr. 1 KVStG 1934 (RGBl I, 1058), unverändert geltend in der Fassung vom 24. Juli 1959 (BGBl I, 530). Nach dieser Vorschrift unterliegt der Gesellschaftsteuer unter anderem "der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber". Diese Vorschrift hat das FG insofern unrichtig angewendet, als es das Tatbestandsmerkmal "Erwerb von Gesellschaftsrechten" dadurch als verwirklicht ansah, daß die bisherigen Inhaber der Genußrechte die neuen Stammeinlagen übernahmen und Inhaber der neugebildeten Geschäftsanteile wurden. Darin lag jedoch gesellschaftsteuerrechtlich kein "Erwerb von Gesellschaftsrechten". "Erwerb" bedeutet allgemein die erstmalige Zuordnung oder eine Änderung in der Zuordnung eines Gegenstandes zu einem Rechtsträger (Urteil des BFH vom 11. November 1969 II 196/65, BFHE 98, 369, 370, BStBl II 1970, 335; BFH-Beschluß vom 10. Januar 1973 II B 20/72, BFHE 107, 543, BStBl II 1973, 190). Mit der Übernahme der neuen Stammeinlagen durch die bisherigen Genußrechtsinhaber war aber weder eine erstmalige Zuordnung von Gesellschaftsrechten noch eine Änderung in der Zuordnung von Gesellschaftsrechten verbunden. Denn schon bisher waren diesen Personen Gesellschaftsrechte zugeordnet (Genußrechte) und es änderte sich an dieser Zuordnung nichts dadurch, daß sich 1964 lediglich die Art der ihnen zugeordneten Gesellschaftsrechte änderte, da gesellschaftsteuerrechtlich sowohl die Genußrechte als auch die Geschäftsanteile - ungeachtet ihrer zivilrechtlichen Verschiedenheit - als "Gesellschaftsrechte an Kapitalgesellschaften gelten" (§ 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 KVStG). Für diese Schlußfolgerung kommt es nicht auf die früher vom RFH und vom BFH geforderte Voraussetzung an, daß die erstmalige Kapitalzuführung bereits besteuert worden war (vgl. RFH-Urteil vom 12. Juli 1940 II 324/39, RFHE 49, 65, RStBl 1940, 847, und BFH-Urteil vom 13. März 1951 II 10/51 S, BFHE 55, 223, BStBl III 1951, 84).
Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Der angefochtene Steuerbescheid ist aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und dadurch die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Er ist rechtswidrig, da er eine Steuerfestsetzung enthält, obwohl der Tatbestand, an den das Gesetz die Steuer knüpft (§ 2 Nr. 1 KVStG), nicht verwirklicht ist (§ 3 Abs. 1 StAnpG).
Fundstellen
Haufe-Index 71697 |
BStBl II 1976, 93 |
BFHE 1976, 190 |