Leitsatz (amtlich)
Schuldzinsen für den Erwerb von Wertpapieren sind auch dann als Sonderausgaben absetzbar, wenn es sich bei den Wertpapieren um eine wesentliche Beteiligung im Sinne des § 17 EStG handelt, es sei denn, daß Einkünfte im Sinne dieser Vorschrift angefallen sind (Ergänzung zum Grundsatzurteil VI 26/62 S vom 27. November 1964, BFH 81, 452, BStBl III 1965, 164).
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger hat im Jahr 1960 eine AG gegründet. Das Grundkapital ist voll eingezahlt; ein Teil mit Fremdkapital.
Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1960 machte der Kläger bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Schuldzinsen als Werbungskosten geltend. Der Betriebsprüfer schätzte, daß davon auf den vorgenannten Aktienerwerb 3 990 DM entfielen. Das FA erkannte diese 3 990 DM nicht als Werbungskosten an.
Mit der Sprungklage beantragte der Kläger u. a. , die 3 990 DM als Werbungskosten oder Sonderausgaben zu berücksichtigen. Die Klage hatte insoweit keinen Erfolg. Das FG führte aus: Die vom Kläger erworbenen Aktien stellten eine "wesentliche Beteiligung" im Sinne des § 17 EStG dar. Die für den Kredit gezahlten Zinsen seien allenfalls bis zur Höhe etwaiger Erträge (Dividenden) aus diesen Aktien als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, darüber hinaus jedoch nicht als Sonderausgaben absetzbar. Da die AG im Jahre 1960 keine Dividenden ausgeschüttet habe, von denen die Schuldzinsen in Höhe von 3 990 DM als Werbungskosten hätten abgesetzt werden können, komme ein Abzug dieses Betrages nicht in Betracht. Der Senat befinde sich insoweit in Übereinstimmung mit dem S-Urteil des BFH VI 26/62 S vom 27. November 1964 (BFH 81, 452, BStBl III 1965, 164). Mit diesem Urteil sei der BFH nämlich nicht, wie der Kläger meine, von seinen im Urteil VI 158/59 U vom 21. April 1961 (BFH 73, 449, BStBl III 1961, 431 ff.) entwickelten Grundsätzen über die steuerliche Behandlung von Schuldzinsen in den Sonderfällen der §§ 17 und 23 EStG abgerückt. Der BFH habe vielmehr darauf hingewiesen, daß in den Sonderfällen der §§ 17 und 23 EStG sonst nicht wesentliche Gesichtspunkte zu beachten seien; er habe gerade diese Fälle von der Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeklammert und es insoweit bei der alten Rechtsprechung belassen.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, die 3 990 DM müßten auf jeden Fall nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG als Sonderausgaben berücksichtigt werden. Der Inhaber einer wesentlichen Beteiligung erziele zwar Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 3 EStG; jedoch keine Einkünfte, die bei der Veranlagung außer Betracht blieben. Dividenden würden gemäß § 20 EStG zur Einkommensteuer herangezogen, und bei einer Veräußerung der Aktien greife § 17 EStG ein. Die angefochtene Entscheidung stehe im direkten Gegensatz zum Urteil des BFH VI 26/62 S (a. a. O.).
Demgegenüber bringt das FA vor: Die AG habe im Jahre 1960 keine Dividende ausgeschüttet, die Voraussetzungen der §§ 17 und 23 EStG seien daher nicht gegeben. Mit dem FG sei also festzustellen, daß keine Einkünfte vorlägen, die mit den gezahlten Zinsen und somit auch nicht mit "bei der Veranlagung außer Betracht bleibenden Einkünften" in wirtschaftlichem Zusammenhang stünden. Ein Abzug der Zinsen komme daher weder als Werbungskosten noch als Sonderausgaben in Frage.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG können Schuldzinsen, die weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind, als Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Dies gilt nicht, wenn die Schuldzinsen mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben.
Sind Wertpapiere unter Aufnahme eines Darlehens angeschafft worden, so war nach der früheren Rechtsprechung des BFH ein geringer Ertrag oder die Ertragslosigkeit der Wertpapiere ein Anzeichen dafür, daß diese weniger zur Erzielung von laufenden Erträgen als vielmehr um der wertbeständigen Anlage willen angeschafft worden waren. Die für das Anschaffungsdarlehen gezahlten Zinsen wurden dementsprechend nur insoweit als Werbungskosten anerkannt, als ihnen Dividenden oder sonstige Erträge gegenüberstanden, während der Abzug der über diesen Betrag hinausgehenden Zinsen als Sonderausgaben mit der Begründung abgelehnt wurde, daß sie mit Einkünften zusammenhingen, die bei der Veranlagung außer Betracht blieben. Diese Rechtsprechung hat der erkennende Senat mit der Grundsatzentscheidung VI 26/62 S (a. a. O.) aufgegeben. Er hat zwar an dem "beschränkten" Abzug der Zinsen als Werbungskosten festgehalten. Er hat aber hinsichtlich des Sonderausgabenabzugs entschieden, "daß nur solche Schuldzinsen nicht als Sonderausgaben abzugsfähig sind, die mit Einkünften im Sinne von § 2 Abs. 3 EStG zusammenhängen, die bei der Einkommenbesteuerung außer Betracht bleiben, z. B. auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens".
Mit Recht hat das FG den Abzug der 3 990 DM als Werbungskosten insoweit verneint, als in dem Jahr 1960 Dividenden nicht ausgeschüttet worden sind. Dem FG kann aber nicht auch darin beigepflichtet werden, daß die 3 990 DM ebenfalls nicht als Sonderausgaben abgezogen werden könnten, weil sie wegen ihres Zusammenhanges mit der Anschaffung einer wesentlichen Beteiligung im Sinne des § 17 EStG mit Einkünften in Zusammenhang ständen, die bei der Veranlagung außer Betracht blieben.
Dem FG ist allerdings zuzugeben, daß in dem Urteil VI 26/62 S (a. a. O.) die Sonderfälle des § 17 und § 23 EStG ausgeklammert worden sind, weil hier - anders als in den "normalen" Fällen der Anschaffung von Wertpapieren - nicht bloß Dividenden und sonstige Erträge, sondern auch etwaige Veräußerungserlöse als Einkünfte in Betracht kommen. Das rechtfertigt aber nicht die Folgerungen, die das FG aus dem Urteil gezogen hat.
Bilden die angeschafften Wertpapiere - wie im Streitfall - eine wesentliche Beteiligung, so können sowohl Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne von § 20 EStG als auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne von § 17 EStG anfallen. Die für ein Anschaffungsdarlehen gezahlten Zinsen können mit den einen oder den anderen Einkünften in Zusammenhang stehen. Bleibt man bei den Grundsätzen des angeführten Urteils VI 26/62 S (a. a. O.), so scheidet der Zusammenhang mit den Einkünften aus Kapitalvermögen aus, soweit - wie im Streitfall - keine Erträge vorliegen. Dementsprechend muß dann aber auch der Zusammenhang mit den Einkünften aus Gewerbebetrieb verneint werden, wenn - wie im Streitfall - keine Veräußerung stattgefunden hat und also auch insoweit keine Einnahmen vorliegen. Selbst wenn man - im Grunde zutreffenderweise - mit dem FG einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen der Schuldaufnahme und der Anschaffung der wesentlichen Beteiligung bejaht, kann doch nicht daran vorbeigegangen werden, daß erst mit der Veräußerung dieser Beteiligung Einkünfte im Sinne des § 17 EStG gegeben sind, und daß, solange eine Veräußerung nicht erfolgt ist, überhaupt keine Einkünfte dieser Art vorliegen und also auch keine Einkünfte im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG, "die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben".
Das angefochtene Urteil war danach wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Die Sache ist nach den vorstehenden Ausführungen spruchreif. Der zu versteuernde Einkommensbetrag mindert sich um 3 990 DM. Die Einkommensteuer war dementsprechend festzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 68453 |
BStBl II 1969, 259 |
BFHE 1969, 578 |