Leitsatz (amtlich)
Das FG handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn es einen nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz, der neues tatsächliches Vorbringen enthält, nicht durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung berücksichtigt, es sei denn, daß die vorgetragenen Tatsachen schon nach dem bisherigen Vorbringen den Vorwurf mangelnder Sachaufklärung rechtfertigen würden.
Normenkette
FGO § 93 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger erwarb im Jahre 1958 von der Stadt B das sog. "R-Heim". Obwohl die gesamte Fläche 2,1215 ha betrug, erwarb der Kläger - insbesondere aus finanziellen Gründen - zunächst nur das Anwesen mit der zugehörigen Grundfläche und einen unmittelbar angrenzenden Geländestreifen, insgesamt 0,3897 ha. Die Stadt B verpflichtete sich, die restliche Fläche, bestehend aus Grünund Parkanlagen, einschließlich der Einfriedung in gebrauchsfähigen Zustand zu versetzen und sie dem Kläger bis zu einem eventuellen Kauf zur Mitbenutzung zu überlassen. Der Kläger verpflichtete sich zur Unterhaltung der Anlagen. 1961 schloß der Kläger mit der Stadt einen notariellen Kaufvertrag über das Parkgelände ab. Danach hatte er insgesamt 38 621,33 DM zu zahlen. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:
Kaufpreis nach Vertrag 20 000,00 DM
Erwerbsnebenkosten der Stadt B 9 405,77 DM
5 v. H. Zinsen von 29 405,77 DM
für die Zeit vom 14. Januar 1958
bis 30. Juni 1961 4 437,18 DM
Kosten für Aufräumarbeiten im Jahre 1958 4 778,38 DM
zusammen 38 621,33 DM
Der Kläger aktivierte in seiner Bilanz lediglich Kaufpreis und Erwerbsnebenkosten der Stadt B zuzüglich eigener Nebenkosten. Die der Stadt gezahlten Beträge für Zinsen (4 437,18 DM) und für Aufräumarbeiten (4 778,38 DM) behandelte er als Betriebsausgaben. Bei der auf § 222 Abs. 1 AO gestützten und für endgültig erklärten Berichtigungsveranlagung behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA), der Auffassung des Prüfers folgend, die von der Stadt B zunächst getragenen und später auf den Kläger überwälzten Aufwendungen als zusätzliche Anschaffungskosten für das Grundstück und setzte einen zusätzlichen Betrag von 9 216 DM (4 437,18 DM + 4 778,38 DM) in die Schlußbilanz 1961 ein.
Gegen den Berichtigungsbescheid erhob der Kläger mit Zustimmung des FA Sprungberufung (Sprungklage). Er wandte sich gegen die Aktivierung des Betrages von 9 216 DM als zusätzliche Anschaffungskosten des Grundstücks und meinte, wenn er unmittelbar und nicht zunächst die Stadt das ganze Gelände erworben hätte, wären die Aufwendungen von 9 216 DM bei ihm Betriebsausgaben gewesen. Da die Stadt diese ihr entstandenen Kosten auf ihn abgewälzt habe, stellten sie bei ihm an den Vorbesitzer erstattete Auslagen dar.
Nach Schluß der mündlichen Verhandlung, in der der Beschluß verkündet worden war, daß den Beteiligten eine Entscheidung zugestellt werde, reichte der Kläger den Schriftsatz vom 3. Juli 1969 ein, in dem er u. a. unter Beweisantritt vortrug, in der Zeit ab 1958 habe für das im Streitjahr erworbene Grundstück ein pachtähnliches Nutzungsverhältnis bestanden; die über 20 000 DM hinaus gezahlten Beträge seien ein Entgelt für die dreieinhalbjährige Nutzung des Grundstücks gewesen.
Das FG wies die Klage ab. Hinsichtlich der zu aktivierenden Grundstückskosten bestätigte es die Auffassung des FA.
Mit der Revision beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die vom Kläger der Stadt B gezahlten Beträge von 4 437,18 DM (Zinsen) und 4 778,38 DM (Aufräumungskosten) gehören zu den zu aktivierenden Anschaffungskosten des Grundstücks.
Der Kläger hat in seinem nachgereichten Schriftsatz vom 3. Juli 1969 unter Beweisantritt behauptet, der Betrag von 9 216 DM sei als Entschädigung für die dreieinhalbjährige Mitbenutzung des Parkgrundstücks gezahlt worden. Diese Behauptung - ihre Richtigkeit unterstellt - kann jedoch zu keiner anderen Entscheidung führen. Dieser Sachvortrag wäre zwar möglicherweise entscheidungserheblich, denn wenn der streitige Betrag nicht gezahlt wurde, um das Grundstück zu erwerben, sondern um bisherige Nutzungen zu entgelten, dann würde es an der für die Annahme von Anschaffungskosten erforderlichen Zweckbestimmung der Aufwendungen fehlen. Dieser Sachvortrag kann aber nicht mehr berücksichtigt werden, weil er nicht Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war und neues tatsächliches Vorbringen darstellt.
Das FG hätte dieses Vorbringen zwar noch berücksichtigen können, wenn es die mündliche Verhandlung wiedereröffnet hätte. Dazu war es aber nicht verpflichtet. Die Wiedereröffnung ist gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO in das Ermessen des Gerichts gestellt. Dem entspricht auch die Regelung in § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO und in § 156 ZPO. Dennoch wird eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung dann angenommen, wenn durch die Ablehnung einer Wiedereröffnung wesentliche Prozeßgrundsätze verletzt würden, wenn z. B. der Vorsitzende seine Verpflichtung, auf die Beseitigung von Formfehlern oder auf die Stellung von klaren Anträgen hinzuwirken, verletzen würde (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 21. April 1966 9 RV 742/65, NJW 1966, 1478) oder wenn sich bei der Beratung herausstellt, daß die mündliche Verhandlung ohne ausreichende Sachaufklärung geschlossen wurde (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 31. Aufl., § 156 Anm. 1, 2; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 156 Anm. I; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 104 Rdnr. 5). Ob im übrigen eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschlossen werden muß, wenn das neue Vorbringen die Wiederaufnahme des Verfahrens begründen würde (so Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, Anm. 3 zu § 93 FGO und Eyermann-Fröhler, a. a. O., unter Hinweis auf das Urteil des BVerwG vom 16. Juli 1960 III C 301.58, BVerwGE 10, 357) oder ob auch in diesem Fall die Wiedereröffnung im Ermessen des Gerichts steht (so Urteil des BGH vom 29. April 1959 IV ZR 311/58, BGHZ 30, 60), kann hier dahingestellt bleiben, weil im Streitfall die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nur auf eine mangelnde Sachaufklärung gestützt werden könnte. Bei der Annahme, daß in bestimmten Fällen die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen ist, steht die Überlegung im Vordergrund, daß bei ihrem Unterlassen das Urteil in der nächsthöheren Instanz wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben werden müßte. So hat auch der BGH in seinem Urteil vom 2. April 1958 V ZR 203/56 (JR 1958, 344) ausgeführt, daß die Wiedereröffnung einer mündlichen Verhandlung nur geboten sei, wenn in der geschlossenen mündlichen Verhandlung ein unbeachtet gebliebener Anlaß zur Ausübung der Fragepflicht bestanden habe, die Wiedereröffnung also auf Tatsachenmaterial gegründet werde, das bereits im Prozeßstoff enthalten gewesen sei, wenn auch nur als aufklärungsbedürtiger Punkt. Eine Verpflichtung zur Wiedereröffnung kann man deshalb dann nicht annehmen, wenn, wie im Streitfall, der Vorinstanz mangelnde Sachaufklärung nicht vorzuwerfen ist. Denn darin, daß das FG nicht von Amts wegen Ermittlungen in die Richtung der in dem nachgereichten Schriftsatz enthaltenen Behauptungen anstellte, liegt keine mangelnde Sachaufklärung, weil der bisherige Sachvortrag des Klägers zu solchen Ermittlungen keinen Anlaß bot.
Ob das nach § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO dem Gericht obliegende Ermessen bei der Entscheidung über eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, wie offenbar das BSG (Urteil 9 RV 742/65 zu § 121 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes) meint oder ob es sich um ein freies, nicht nachprüfbares Ermessen handelt (BGH-Urteil V ZR 203/56 zu § 156 ZPO) kann für den Streitfall dahinstehen. Daß das FG die mündliche Verhandlung aufgrund des nachgereichten Schriftsatzes nicht wiedereröffnet hat, war nicht ermessensfehlerhaft. Die mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat bestätigt, daß für das FG kein Anlaß bestand, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Die in dem nachgereichten Schriftsatz enthaltenen Ausführungen stehen nicht nur im Widerspruch zu dem bisherigen Vorbringen des Klägers, sondern auch zu dem Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat. Nach diesem Sachvortrag, der mit dem früheren Vorbringen des Klägers im wesentlichen übereinstimmt, kann es sich bei dem streitigen Betrag von 9 216 DM nicht um Betriebsausgaben handeln, sondern nur um zusätzliche Anschaffungskosten für das Restgrundstück.
Fundstellen
Haufe-Index 70731 |
BStBl II 1974, 115 |
BFHE 1974, 21 |