Leitsatz (amtlich)
Der sich aus § 40 Abs. 3 FGO ergebende grundsätzliche Ausschluß eines Klagerechts der Gemeinden gegen Grundsteuermeßbetragsbescheide verstößt nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 40 Abs. 3; AO § 212a Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als hebeberechtigter Gemeinde ein Klagerecht gegen einen zusammengefaßten Einheitswert- und Grundsteuermeßbescheid zusteht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) schrieb mit Bescheid vom 2. Oktober 1970 den Einheitswert für das einer Erbengemeinschaft gehörende Hotelgrundstück auf den 1. Januar 1964 von 44 300 DM auf 0 DM mit der Begründung fort, daß es sich um eine nach § 4 Nr. 8 GrStG steuerbefreite Krankenanstalt handele. Gleichzeitig setzte es den Grundsteuermeßbetrag von 354,40 DM auf 0 DM herab.
Dagegen erhob die Klägerin zunächst mit Schriftsatz vom 14./15. Januar 1971 Sprungklage, der das FA jedoch nicht zustimmte. Die Sprungklage wurde deshalb als Einspruch behandelt. Nachdem das FA über den Einspruch nicht entschied, erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 21./25. Oktober 1971 Untätigkeitsklage. Sie machte geltend, daß die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung des Grundstücks als Krankenanstalt nicht vorlägen.
Nachdem dem FA die Untätigkeitsklage am 3. November 1971 zugestellt worden war, entschied er über den Einspruch am 4. November 1971. Es verwarf ihn als unzulässig. Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin gesondert Klage erhoben mit dem Antrag, festzustellen, daß das FA nach Erhebung der Untätigkeitsklage den Einspruch nicht mehr habe zurückweisen dürfen. Das FG wies diese Klage als unzulässig ab. Die von der Klägerin dagegen erhobene Revision ist bei dem erkennenden Senat unter dem Az. III R 61/74 anhängig.
Auch die Untätigkeitsklage wies die Vorinstanz als unzulässig ab. Sie verneinte - wie schon zuvor das FA -, daß der Klägerin als hebeberechtigter Gemeinde eine Rechtsbehelfsbefugnis gegen einen Grundsteuermeßbescheid zustehe. Sie hält diesen Ausschluß auch nicht für verfassungswidrig.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend:
§ 40 Abs. 3 FGO, der die Gemeinden - von dem dort genannten Ausnahmefall abgesehen - vom Rechtsschutz in Meßbetragssachen ausschließe, verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Die Gemeinden würden durch Meßbescheide der Finanzverwaltungsbehörden unmittelbar in ihrer Ertragshoheit betroffen. Sie seien den FÄ gegenüber nicht weniger gewaltunterworfen als die Steuerpflichtigen selbst. Sie müßten deshalb in gleicher Weise wie diese einen Rechtsschutzanspruch vor den Gerichten haben.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG vom 17. Januar 1974 und den Einheitswert- und Grundsteuermeßbescheid vom 2. Oktober 1970 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, daß den Gemeinden gegen Grundsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide der FÄ ein Klagerecht grundsätzlich nicht zusteht (vgl. BFH-Entscheidungen vom 22. November 1955 I B 43/55 U, BFHE 62, 115, BStBl III 1956, 44; vom 7. Juni 1957 III 149/56 S, BFHE 65, 114, BStBl III 1957, 276; vom 10. November 1961 III 279/58 S, BFHE 74, 385, BStBl III 1962, 145; vom 25. Mai 1962 I 129/59 S, BFHE 75, 632, BStBl III 1962, 497; vom 2. Oktober 1962 I 196/60 S, BFHE 76, 594, BStBl III 1963, 216, und vom 21. Oktober 1970 I R 81, 82, 92-94/68, BFHE 100, 295, BStBl II 1971, 30). Die gegen das letztgenannte Urteil erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß des BVerfG vom 27. Januar 1971 2 BvR 83/71, HFR 1971, 118).
Das Ergebnis dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 40 Abs. 3 FGO verwertet. Nach dieser Vorschrift steht Abgabenberechtigten ein Klagerecht gegen Steuermeßbescheide nur im Falle einer Interessenkollision zu. Eine solche liegt vor, wenn es sich um eine Abgabe handelt, die von einer Bundes- oder Landesfinanzbehörde verwaltet wird und bei der gleichzeitig der Bund oder das Land unmittelbar oder mittelbar der Abgabenschuldner ist. In allen anderen Fällen ist der Rechtsschutz nach der Finanzgerichtsordnung ausgeschlossen. In den Gesetzesmaterialien zur Finanzgerichtsordnung heißt es dazu, daß durch Abgabenbescheide grundsätzlich nicht die Rechte, sondern nur die Interessen der ertragsberechtigten Körperschaften berührt würden (vgl. Bundestags-Drucksache IV/1446 S. 46). Damit deckt sich die Regelung in § 60 Abs. 2 FGO, wonach Abgabenberechtigte entgegen der Regel des Abs. 1 zu einem finanzgerichtlichen Verfahren nicht mit der Begründung beigeladen werden können, daß ihre Interessen durch die Entscheidung berührt werden.
Der grundsätzliche Ausschluß der Gemeinden vom Rechtsschutz in Meßbetragssachen wird auch vom Schrifttum anerkannt (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 212 a AO Anm. 2, und § 40 FGO Anm. 16; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 121 a AO Anm. 2, § 40 FGO Anm. 8; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 40 Anm. 108 ff.; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 40 FGO Anm. 82 gegen § 121 a AO Anm. 7 ff.; Schick in Festschrift für Gerhard Wacke, S. 265).
2. Dieser in § 40 Abs. 3 FGO vorgesehene Ausschluß kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht als verfassungswidrig angesehen werden (Art. 19 Abs. 4 GG). Denn die hebeberechtigten Gemeinden sind durch zu niedrig festgesetzte Steuermeßbeträge nicht in ihren Rechten verletzt. Der I. Senat des BFH hat dazu in seinem Urteil I R 81, 82, 92-94/68 das Ergebnis der Rechtsprechung zusammengefaßt. Formell ging es dabei zwar um die Klagebefugnis der Gemeinden im Zusammenhang mit der Zweigstellensteuer (§ 212 c Abs. 2 AO a. F.). Dieser Entscheidung kommt aber allgemeine Bedeutung zu. Danach könnte eine Rechtsverletzung der Gemeinden in einem Eingriff entweder in ihre Verwaltungshoheit oder in ihre Ertragshoheit gesehen werden. Beides ist jedoch nicht der Fall.
a) Nach Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG steht die Verwaltung der Realsteuern, zu denen neben der Gewerbesteuer auch die Grundsteuer gehört, grundsätzlich den Landesfinanzbehörden zu; sie kann jedoch ganz oder teilweise den Gemeinden übertragen werden. Davon haben die Länder im allgemeinen auch Gebrauch gemacht. Die FÄ entscheiden danach über alle Fragen, die mit den Besteuerungsgrundlagen zusammenhängen (vgl. §§ 212 a, 212 b Abs. 1, 212 c AO), während den Gemeinden die Festsetzung und Erhebung der Grundsteuer überlassen ist. Aus dieser Übertragung von Aufgaben an die Gemeinden aus dem Bereich der Landesfinanzbehörden folgt aber gleichzeitig, daß die Gemeinden nicht mehr Rechte haben können, als ihnen delegiert worden sind (vgl. Schick, a. a. O., S. 273). Eine Klagebefugnis gegen Steuermeßbescheide ist den Gemeinden nirgends übertragen worden. Das Gegenteil ergibt sich aus § 212 b Abs. 2 AO, wonach die Gemeinden bei der Festsetzung der Grundsteuer an die Meßbescheide gebunden sind. Aus dieser Kompetenzaufteilung folgt gleichzeitig, daß FÄ und Gemeinden im Meßbetragsverfahren nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander stehen, sondern als gleichgeordnete Rechtsträger - nacheinander tätig werdend - nach Maßgabe des Grundgesetzes und des Landesrechts das Grundsteuergesetz im Rahmen des oben beschriebenen Verfahrens zu vollziehen haben. "Die Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf verschiedene Hoheitsträger begründet für sich allein keine Rechte eines dieser Hoheitsträger im Hinblick auf die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben - den Gesetzesvollzug - durch den anderen Hoheitsträger" (so zutreffend BFH-Entscheidung I R 81, 82, 92-94/68). Die Gemeinden sind in diesem Zusammenhang vielmehr auf die Einflußnahmen beschränkt, die ihnen die Reichsabgabenordnung eröffnet (vgl. § 21 Abs. 3 FVG, §§ 36 Abs. 2-4 und 100 Abs. 3 AO, § 46 AO sowie Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB und § 23 AO).
b) Auch unter dem Gesichtspunkt der Ertragshoheit besteht keine Rechtsverletzung. Nach Art. 106 Abs. 6 GG steht den Gemeinden das Aufkommen an den Realsteuern zu. Fischer sieht in Steuer und Wirtschaft 1970 S. 63 (StuW 1970, 63) in dem Steuermeßbescheid einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung (vgl. zu diesem Begriff Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. S. 395). In dem Maße, wie ein Steuerbescheid einem Steuerpflichtigen eine Vergünstigung einräume, mindere er den Steueranspruch der Gemeinde. Daraus folgert Fischer für die Gemeinden, die zur Durchführung ihrer Selbstverwaltungsangelegenheiten auf die Realsteuern angewiesen seien, ein subjektives Recht und ein Klagerecht in Meßbetragssachen. Dieser Auffassung kann sich der Senat jedoch nicht anschließen. Art. 106 Abs. 6 GG gewährt den Gemeinden zwar einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf das Aufkommen an den Realsteuern. Das ist aber nur in dem Sinne gemeint, daß den Gemeinden dieses Aufkommen nicht durch einfaches Bundes- oder Landesgesetz entzogen werden kann. Diese Vorschrift begründet aber darüber hinaus kein subjektives Recht der Gemeinden, im Einzelfall auf die sachliche Richtigkeit eines Meßbescheides zu klagen. Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, welche weitreichenden Folgen es für die Rechtssicherheit, nämlich für das Vertrauen der Steuerpflichtigen in die Bestandskraft der Steuerbescheide, hätte, wenn man den Steuergläubigern (außer den Gemeinden auch dem Bund, den Ländern hinsichtlich der von Bundesfinanzbehörden verwalteten Biersteuer, den Kirchen und den berufsständischen Kammern bezüglich ihrer Beiträge) ein Klagerecht einräumen würde. Aus dieser Bedeutung, die ein Klagerecht der Steuergläubiger in unserem Steuersystem hätte, muß man folgern, daß ein solches Klagerecht positiv-rechtlich geregelt sein müßte und daß es nicht genügt, es lediglich aus der Rechtsnatur der Steuerbescheide abzuleiten. Ein Klagerecht ist aber nirgends, von § 40 Abs. 3 FGO abgesehen, geregelt. Daran besteht nach Auffassung des Senats auch kein Bedürfnis, weil die Finanzbehörden die ihnen obliegenden Aufgaben gleichmäßig und ohne Rücksicht auf die Person des jeweiligen Ertragsberechtigten nach den gesetzlichen Vorschriften durchführen; dieses Verfahren hat sich auch bewährt.
3. Die Vorinstanz hat in ihre Entscheidung auch die Einspruchsentscheidung vom 4. November 1971 mit einbezogen, die das FA erst nach Erhebung der Untätigkeitsklage erlassen hat. Das war im Hinblick auf § 44 Abs. 2 FGO nicht zu beanstanden, wie sich aus dem Urteil des Senats vom 30. Januar 1976 III R 61/74 (BStBl II 1976, 428) ergibt.
Fundstellen
Haufe-Index 71844 |
BStBl II 1976, 426 |
BFHE 118, 285 |
BFHE 1976, 285 |