Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerliche Behandlung eines nicht genehmigten Roulettespiels: Steuerpflicht, nicht ausgeschüttete Spieleinsätze als Entgelt, Vorgaben des Gemeinschaftsrechts - Vorlagepflicht zum EuGH - Verfahrensaussetzung wegen eines Vorabentscheidungsersuchens beim EuGH
Leitsatz (amtlich)
1. Der Veranstalter nicht genehmigter Glücksspiele führt an die mit Geldeinsätzen beteiligten Spieler steuerbare und steuerpflichtige Umsätze aus.
2. Entgelt für die Zulassung zum Roulettespiel ist nur der Anteil der Spieleinsätze, der nicht wieder an die Spieler ausgeschüttet wird. Es reicht aus, wenn dies nach den Spielregeln von vornherein feststeht und kontrolliert wird.
Orientierungssatz
1. Gemeinschaftsrecht gebietet es nicht, die Leistungen des Veranstalters unerlaubter Glücksspiele aus dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem auszunehmen. Durch die EuGH-Rechtsprechung ist geklärt, daß nur solche Waren und Dienstleistungen in keinerlei Beziehungen zur Richtlinie 77/388/EWG stehen, die einem völligen Verkehrsverbot in allen Mitgliedstaaten unterliegen. Dies trifft für das --nicht absolut verbotene-- Roulettespiel nicht zu. Eine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften verbietet der die Richtlinie 77/388/EWG prägende steuerliche Grundsatz der Wettbewerbsneutralität.
2. Bei der Auslegung von § 10 Abs.1 Satz 2 UStG 1980 ist die Regelung in Art.11 Teil A Abs.1 Buchst.a Richtlinie 77/388/ EWG zu berücksichtigen. Entgelt ist somit regelmäßig nur die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die erbrachte Leistung. Die vom EuGH im Zusammenhang mit Geldspielautomatenumsätzen aufgestellten Grundsätze für die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage sind nicht auf Umsätze mit Geldspielautomaten beschränkt (hier: Anwendung auf Umsätze mit Roulettespiel).
3. Eine Vorlagepflicht zum EuGH besteht nicht, wenn bereits einschlägige Rechtsprechung des EuGH vorliegt (vgl. EuGH-Rechtsprechung).
4. Für eine Verfahrensaussetzung nach § 74 FGO reicht es nicht aus, daß dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren den Rechtsstreit berührende Rechtsfragen vorgelegt worden sind. Das Vorabentscheidungsverfahren muß, um eine Aussetzung zu rechtfertigen, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Klärung von bisher ungeklärten Rechtsfragen führen.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a, Art. 2; EWGVtr Art. 177 Abs. 2; FGO § 74; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 2, § 3 Abs. 9
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb in den Streitjahren (1986 und 1987) ein Spielkasino. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ging in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre davon aus, daß die Klägerin in ihrem Spielkasino nicht das ihr behördlich genehmigte Geschicklichkeitsspiel "Opta II", sondern unerlaubt Roulettespiele mit einem 24er-Roulette veranstaltet habe, daß sie 92,3 v.H. der Einsätze ausgeschüttet und daß ihre jeweiligen Tagesgewinne 7,7 v.H. betragen hätten. Das FA nahm an, daß die Summe aller verkauften Jetons die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Umsatzsteuer darstelle, weil dies die Gegenleistung der Spieler für die ihnen von der Klägerin eröffnete Spielmöglichkeit sei.
Der gegen die Steuerfestsetzungen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Zur Begründung ihrer Klage hatte die Klägerin vorgetragen, nach dem Spielverlauf habe jeweils ein Spieler die Bank gehalten und gegen die übrigen Spieler auf eigenes Risiko gespielt. Sie, die Klägerin, habe nur die von ihr erklärten und versteuerten Provisionen erhalten, weil sie Spielgeräte und die Spielmöglichkeit bereitgestellt habe.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Zur Begründung führte es u.a. aus, Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin ausgeführten Spielumsätze seien nur die Nettoerlöse nach Auszahlung der Spielgewinne. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 119 veröffentlicht worden.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 10 Abs.1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Dazu führt es u.a. aus: Umsätze durch Veranstaltung von illegalem Roulette seien mit Geldspielautomatenumsätzen nicht vergleichbar. Da den Spielern mangels vorhandener gesetzlicher Vorschriften kein bestimmter Rückfluß der Spieleinsätze als Gewinne garantiert werde, seien die rechtlichen Schlußfolgerungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auf den Streitfall nicht übertragbar. Dessen Entscheidung stehe im Widerspruch zur herrschenden Meinung, sei rechtlich umstritten, und auf das illegal betriebene Roulettespiel nicht übertragbar.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Revision ist unbegründet.Die Klägerin hat durch die Veranstaltung von Roulettespielen gegenüber den beteiligten Spielern steuerbare und steuerpflichtige sonstige Leistungen gegen Entgelt erbracht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. August 1993 V R 20/91, BFHE 172, 227, BStBl II 1994, 54 - Berufskartenspieler).Gemeinschaftsrecht (Art.2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG--) gebietet es nicht, die Leistungen der Klägerin aus dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem mit der Begründung auszugrenzen, daß sich die Klägerin unerlaubt betätigt hat. Durch die Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, daß zu den Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG nur solche Waren und Dienstleistungen in keinerlei Beziehungen stehen, die einem völligen Verkehrsverbot in allen Mitgliedstaaten unterliegen (wie für Falschgeld, vgl. EuGH-Urteil vom 6. Dezember 1990 Rs.C-343/89 - Witzemann, Slg. 1990, I-4477, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1991, 148, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, 6.USt-RL (EWG), Art.2, Rechtsspruch 14, Rdnr.20, oder wie für Rauschgift, vgl. EuGH-Urteil vom 5. Juli 1988 Rs.289/86 - Happy Family, Slg. 1988, 3655, UR 1989, 309, StRK, 6.USt-RL (EWG), Art.2, Rechtsspruch 10, Rdnr.17; EuGH-Urteil vom 2. August 1993 Rs.C-111/92 - Lange, Slg. 1993, I-4677, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1993, 305, UR 1994, 47, StRK, 6.USt-RL (EWG), Art.15, Rechtsspruch 3, Rdnr.13, 16, m.w.N. - verbotene Ausfuhr). Das trifft für das Roulettespiel nicht zu. Dieses Spiel ist nicht absolut verboten, sondern nur dann, wenn es nicht behördlich genehmigt ist. Eine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften verbietet der die Richtlinie 77/388/EWG prägende steuerliche Grundsatz der Wettbewerbsneutralität.Die Leistungen der Klägerin sind auch steuerpflichtig, weil nur die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken nach § 4 Nr.9 Buchst.b Satz 1 UStG 1980 steuerfrei sind.Der Umsatz wird bei sonstigen Leistungen (§ 1 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980) nach dem Entgelt bemessen (§ 10 Abs.1 Satz 1 UStG 1980). Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs.1 Satz 2 UStG 1980).Bei der Auslegung von § 10 Abs.1 Satz 2 UStG 1980 ist die Regelung in Art.11 Teil A Abs.1 Buchst.a Richtlinie 77/388/EWG zu berücksichtigen. Danach ist Besteuerungsgrundlage bei entgeltlichen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll. Besteuerungsgrundlage ist somit regelmäßig nur die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die erbrachte Leistung (vgl. EuGH-Urteile vom 27. März 1990 Rs.C-126/88 - Boots Company, Slg. 1990, I-1235, Rdnr.19; vom 23. November 1988 Rs.230/87 - Naturally Yours Cosmetics, Slg. 1988, 6365, Rdnr.16; vgl. auch EuGH-Urteil vom 24. Oktober 1996 Rs.C-317/94 - Elida Gibbs Ltd., UVR 1996, 391, Rdnr.28 bis 31). Im Zusammenhang mit Geldspielautomatenumsätzen hat der EuGH in dem Urteil vom 5. Mai 1994 Rs.C-38/93 - Glawe (Slg. 1994 I-1679, BStBl II 1994, 548) dargelegt, daß der Anteil der Spieleinsätze, der als Gewinn wieder ausgeschüttet werde, sofern dies von vornherein zwingend feststehe, weder als Bestandteil der Gegenleistung für die Bereitstellung der Automaten für die Spieler noch als Entgelt für eine andere den Spielern erbrachte Leistung, wie die Gewährung der Gewinnmöglichkeit oder die Auszahlung der Gewinne selbst, angesehen werden könne.Diese Grundsätze hat das FG im Streitfall angewendet. Für die von der Klägerin erbrachten Leistungen durch Zulassung zum Spiel mit Gewinnchance stand nach den Feststellungen des FG von vornherein zwingend fest, daß die Spieleinsätze unter den Spielern nach den Spielbedingungen, die die Spieler kontrollieren konnten, "ausgespielt" wurden und daß die Klägerin nur erhielt, was danach und nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen nicht ausgeschüttet wurde. Zwar ist dies nicht gesetzlich festgelegt und wird nicht durch einen Mechanismus wie in einem Geldspielautomaten gewährleistet. Weil Art.11 Teil A Abs.1 Buchst.a Richtlinie 77/388/EWG ebenso wie § 10 Abs.1 Satz 2 UStG 1980 aber auf verwirklichte Sachverhalte abstellt und die verpflichtenden Bestimmungen nur Beweisanzeichen für den wirklichen Geschehensablauf sind, ist im Streitfall unerheblich, ob der Unternehmer durch Gesetz oder durch Vertrag verpflichtet wird, einen Teil der von den Empfängern seiner Dienstleistung aufgewendeten Einnahmen diesen wieder zuzuwenden (BFH-Urteil vom 20. Januar 1997 V R 20/95, BFHE 182, 409). Ebensowenig ist entscheidungserheblich, daß dies im Streitfall nicht durch mechanische Vorrichtungen sichergestellt wird, wenn --wie vom FG festgestellt-- eine gleichwertige anderweitige Kontrolle durch die Leistungsempfänger vorhanden ist. Die Kontrolle durch die Spieler als Leistungsempfänger fand an Ort und Stelle, persönlich und zeitnah statt und war durch die Spielregeln vorgegeben.Somit hat das FG zutreffend in richtlinienkonformer Auslegung nur die der Klägerin verbleibenden Gegenleistungen der Spieler als Entgelt angesehen. Eine Beschränkung der vom EuGH für die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage aufgestellten Grundsätze auf Umsätze mittels Geldspielautomaten ist nicht gerechtfertigt (vgl. Ruppe zum österreichischen Umsatzsteuerrecht, UStG 1994, § 4 Rz.79). Die Ausführungen des EuGH zur Besteuerungsgrundlage gehen über die Besonderheiten von Geldspielautomatenumsätzen hinaus; denn er hat sie aus einer in Art.11 Teil A Abs.1 Buchst.a Richtlinie 77/388/EWG enthaltenen allgemeinen Regel --unter Einbeziehung von Rabatten und Rückvergütungen nach Art.11 Teil A Abs.3 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG-- entwickelt (ebenso Jacobs in den Schlußanträgen in der Rechtssache C-38/93, UR 1994, 178, Rdnr.20 ff.). Ob und in welchem Umfang eine (wirksame) Kontrolle über die dem Unternehmer für seine Leistung tatsächlich erbrachte Gegenleistung im Einzelfall vorhanden ist, ist keine nach Gemeinschaftsrecht zu beantwortende Frage, sondern obliegt der Beurteilung des den jeweiligen Streitfall entscheidenden nationalen Gerichts.
2. Der Senat darf bereits jetzt entscheiden.Einer erneuten Vorlage an den EuGH bedarf es nicht, weil er die entscheidungserheblichen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfragen schon beantwortet hat. Die Vorlagepflicht besteht nicht, wenn einschlägige Rechtsprechung des EuGH vorliegt (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs.283/81 - Cilfit, Slg. 1982, 3415, Neue Juristische Wochenschrift 1983, 1257). Der EuGH hat seine in der Rechtssache C-38/93 zur Auslegung der nach Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Besteuerungsgrundlage entwickelten Grundsätze inzwischen als ständige Rechtsprechung bezeichnet (vgl. EuGH-Urteil vom 24. Oktober 1996 Rs.C-288/94 - Argos Distributors Ltd., UVR 1997, 15, Rdnr.16). Damit bestehen für den Senat keine zu einer erneuten Vorlage verpflichtenden ernstlichen Zweifel mehr (EuGH, Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen, Tätigkeitsbericht des EuGH vom 9. Dezember 1996, Nr.34/96, Rdnr.2).Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Rücksicht auf die dem EuGH vom FG Baden-Württemberg durch Beschluß vom 21. August 1995 2 K 400/94 (EFG 1995, 948) zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen (Rs.C-283/95), ob illegales Roulettespiel vom Anwendungsbereich der Richtlinie 77/388/EWG erfaßt werde und ob Bemessungsgrundlage bei unerlaubten Glücksspielen nur der bei dem Veranstalter verbleibende Betrag sei, hält der Senat aus den zuvor dargelegten Gründen für nicht geboten. Die Beteiligten haben eine Aussetzung auch nicht angeregt.
Für eine Aussetzung reicht es nicht aus, daß dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren den Rechtsstreit berührende Rechtsfragen vorgelegt worden sind (vgl. BFH-Beschluß vom 11. März 1992 II B 144/90, BFH/NV 1993, 172; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 74 FGO Rz.3 - zur Verfassungsbeschwerde). Das Vorabentscheidungsverfahren muß, um eine Aussetzung zu rechtfertigen, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Klärung von bisher ungeklärten Rechtsfragen führen. Das ist im Streitfall nicht anzunehmen. Die vom FG Baden-Württemberg vorgelegten Rechtsfragen sind --wie ausgeführt worden ist-- durch die Rechtsprechung des EuGH bereits beantwortet. Der bezeichnete Vorlagefall weicht nur in der Sachverhaltsgestaltung, aber nicht in den entscheidungserheblichen Rechtsfragen von den bereits beschiedenen Vorlagefällen ab. Deshalb hat der Senat eine Aussetzung des Verfahrens auch bei einer Entscheidung über die Bemessungsgrundlage bei der Veranstaltung von Backgammon-Spielen (BFH-Urteil V R 20/95) nicht beschlossen.
3. Die Klägerin hat gegen die Höhe der vom FG festgesetzten Steuer keine Einwendungen vorgetragen. Diesbezügliche Fehler sind auch sonst nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 66233 |
BFH/NV 1997, 241 |
BFHE 182, 416 |
BFHE 1997, 416 |
BB 1997, 828 (L) |
DB 1997, 1164 (L) |
DStR 1997, 614-615 (LT) |
DStRE 1997, 393 (L) |
HFR 1997, 423-424 (L) |
StE 1997, 241 (K) |