Leitsatz (amtlich)
Bei einer nach dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuergesetzes 1974 ausgeführten Schenkung an eine Person der Steuerklasse II, welche die durch § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG eingetretene Erhöhung des Freibetrages nicht übersteigt, entsteht auch dann keine Schenkungsteuer, wenn frühere Erwerbe i. S. des § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuergesetzes 1974 vorgelegen haben, die nach altem Recht zur Entstehung einer Steuer führten.
Normenkette
ErbStG 1959 § 13 Abs. 1, § 17 Abs. 1; ErbStG 1974 § 14 Abs. 1, § 16 Abs. 1, § 37
Tatbestand
Nach den Feststellungen hatte der Kläger von seiner Großmutter "ireigebige Zuwendungen im Werte von insgesamt 21 711 DM erhalten", wegen derer das beklagte FA unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 20 000 DM durch Steuerbescheid vom 24. Mai 1971 eine Schenkungsteuer in Höhe von 4 v. H. von 1 700 DM = 68 DM festsetzte. Am 23. Juli 1974 sind dem Kläger von seiner Großmutter weitere 30 000 DM "geschenkt" worden. Diese Schenkung hat das beklagte FA durch Schenkungsteuerbescheid vom 12. September 1974 erfaßt. Es hat unter Einbeziehung der Vorerwerbe einen Gesamterwerb in Höhe von 51 711 DM, abgerundet 51 700 DM, ermittelt und unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 50 000 DM eine Schenkungsteuer in Höhe von 6 v. H. von 1 700 DM = 102 DM festgesetzt. Für die früheren Erwerbe in Höhe von 21 711 DM hat es einen Steuerabzug gemäß § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 nicht vorgenommen, weil seiner Auffassung nach für die früheren Erwerbe zur Zeit des letzten Erwerbes angesichts des auf 50 000 DM erhöhten Freibetrages eine Steuer nicht zu erheben gewesen wäre.
Die nach zurückgewiesenem Einspruch erhobene Klage, mit der vor allem vorgetragen wurde, daß durch die Berechnungsmethode des FA die Erhöhung des Freibetrages in der Steuerklasse II von 20 000 DM um 30 000 DM auf 50 000 DM nicht voll zur Auswirkung komme, hat keinen Erfolg gehabt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheides vom 12. September 1974 sowie der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1, § 100 Abs. 1 Halbsatz 1 FGO).
Die Schenkung vom 23. Juli 1974 hat nicht zur Entstehung einer Schenkungsteuer geführt, weil der Wert der Schenkung (30 000 DM) den Betrag nicht überschritten hat, um den der Freibetrag für Steuerpflichtige der Steuerklasse II durch das Erbschaftsteuergesetz 1974 erhöht worden ist (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG 1974 einerseits und § 17 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG 1959 andererseits). Der erhöhte Freibetrag von 50 000 DM gilt für alle Erwerbe, für welche die Steuer nach dem 31. Dezember 1973 entsteht (§ 37 ErbStG 1974), also auch für die Schenkung vom 23. Juli 1974.
An diesem Ergebnis ändert sich dadurch nichts, daß § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 die Zusammenrechnung mit früheren Erwerben vorschreibt und dabei anordnet, daß von der Steuer für den Gesamtbetrag die Steuer abzuziehen ist, welche für die früheren Erwerbe zur Zeit des letzten zu erheben gewesen wäre. Durch diese Vorschrift soll gewährleistet werden, daß die Freibeträge innerhalb des zehnjährigen Zusammenrechnungszeitraumes nur einmal zur Anwendung gelangen und sich für die mehreren Erwerbe gegenüber einer einheitlichen Zuwendung in gleicher Höhe kein Progressionsvorteil ergibt (Bundestags-Drucksache VI/3418 S. 69 zu § 14).
Der bei mehreren Erwerben nur einmalige Abzug des Freibetrages wird rechnerisch dadurch erreicht, daß bei der Steuerberechnung für die zusammengerechneten Erwerbe und bei der Berechnung der abzuziehenden Steuer jeweils der Freibetrag abgezogen wird. Die Anwendung des § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 führt im Ergebnis dazu, daß die Steuer für die zusammengerechneten Erwerbe ggf. auf eine höhere Steuerstufe gehoben wird und daß sich der Freibetrag nur einmal, und zwar auf der höheren Steuerstufe auswirkt.
Bei wortlautgemäßer Auslegung des § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 ist die einmalige Auswirkung des Freibetrages jedoch nicht gewährleistet, wenn der Freibetrag vor dem letzten Erwerb durch Gesetz erhöht worden ist. Errechnete man in diesem Falle die abzuziehende Steuer unter Berücksichtigung des erhöhten Freibetrages, so würde die Freibetragserhöhung insoweit nicht zur Auswirkung kommen, als die in der Zeit vor der Freibetragserhöhung angefallenen Erwerbe den damals geltenden Freibetrag überschritten hätten. Im vorliegenden Fall wäre dies unter Berücksichtigung der Abrundung in Höhe von 1 700 DM der Fall. Hätten die früheren Erwerbe nicht 21 700 DM, sondern 50 000 DM betragen, so käme die Freibetragserhöhung bei wortlautgemäßer Anwendung des § 14 Abs. 1 ErbStG, wie dies das FA und das FG für richtig hielten, gänzlich in Fortfall. Ein solches Ergebnis entspräche nicht dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 37 ErbStG 1974. Es verstieße auch gegen den mit der Freibetragserhöhung verfolgten Gesetzeszweck, der auf eine angemessene Schonung der kleinen und mittleren Erwerbe gerichtet ist und gegenüber dem geltenden Recht zu einer Entlastung führen soll (vgl. Bundestags-Drucksache VI/3418 S. 70 zu § 16). Unter diesen Umständen bedarf § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 einer Auslegung, die gewährleistet, daß die Freibetragserhöhung sich bei Vorliegen entsprechender Erwerbe aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1973 voll auswirken kann.
Dieses Ergebnis wird dadurch herbeigeführt, daß die abzuziehende fiktive Steuer auf die Erwerbe vor dem 1. Januar 1974 unter Anwendung des neuen Tarifs lediglich unter Berücksichtigung des früher geltenden Freibetrages berechnet wird. Dadurch wirkt sich die Freibetragserhöhung voll aus. Eine Steuer ist danach nicht festzusetzen, weil die abzuziehende fiktive Steuer (6 v. H. von 1 700 DM) der Steuer auf die zusammengerechneten Erwerbe (6 v. H. von 1 700 DM) entspricht.
Fundstellen
Haufe-Index 72397 |
BStBl II 1977, 664 |
BFHE 1978, 330 |