Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Hat das Finanzamt eine rechtskräftige Veranlagung zuungunsten des Steuerpflichtigen berichtigt, obwohl die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO gar nicht vorlagen, weil z. B. nicht neue Tatsachen von einigem Gewicht festgestellt werden konnten, so war diese Berichtigungsveranlagung unzulässig.
Der ursprünglich festgesetzte Steuerbetrag ist rechtskräftig geblieben, so daß der Steuerpflichtige eine niedrigere Festsetzung der Steuer auch dann nicht verlangen kann, wenn in diesem Betrage Steuern enthalten sind, die auf einer durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Norm beruhen.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 1, §§ 234, 232/1; BVerfGG § 79
Tatbestand
Die Bfin. ist für den Veranlagungszeitraum 1954 durch Bescheid vom ... 1956 zu einer Umsatzsteuer von 75.000,00 DM rechtskräftig veranlagt worden. In diesem Steuerbetrage war Herstellerzusatzsteuer (ß 58 UStDB 1951) mit 25.000,00 DM enthalten. Bei einer Betriebsprüfung in 1957 wurde lediglich eine neue Tatsache zuungunsten der Bfin. festgestellt (Verkauf zweier gebrauchter Kraftwagen an Unternehmer), die eine Umsatzsteuer von 48,00 DM ergab. Das Finanzamt berichtigte daraufhin nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO den ursprünglichen Bescheid um 48,00 DM, ließ aber die Herstellerzusatzsteuer entgegen dem auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (BGBl 1958 I S. 154, BStBl 1958 I S. 83) gestützten Erstattungsantrag der Bfin. unverändert.
Nach erfolglosem Einspruch setzte das Finanzgericht die Steuer wieder auf den Betrag des ursprünglichen Bescheides fest; die Erstattung der Zusatzsteuer lehnte es gleichfalls ab.
Entscheidungsgründe
Die hiergegen gerichtete Rb. ist unbegründet. Zutreffend ist das Finanzgericht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ausgegangen, die eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO nur dann als zulässig erachtet, wenn neue Tatsachen von einigem Gewicht vorliegen. Im Streitfalle war diese Voraussetzung nicht gegeben (vgl. Urteil des erkennenden Senats V 180/59 U vom 8. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 225, Slg. Bd. 74 S. 610). Lagen hiernach die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO gar nicht vor, so durfte das Finanzamt einen Berichtigungsbescheid nicht erlassen. Die Berichtigungsveranlagung war unzulässig; der Berichtigungsbescheid mußte ersatzlos aufgehoben werden. Es muß deshalb bei dem mit Bescheid vom ... 1956 festgesetzten Steuerbetrage verbleiben. Die Bfin. kann daraus, daß das Finanzamt entgegen der eindeutigen Rechtslage eine Berichtigungsveranlagung vorgenommen hat, nichts für ihre Auffassung herleiten. Im übrigen würde, auch wenn man der Bfin. darin folgen wollte, daß durch die - unzulässige - Berichtigungsveranlagung ein neues Verfahren eingeleitet worden sei, der Erstattung der Zusatzsteuer § 234 AO entgegenstehen, wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat. Insoweit wird auf das Grundsatzurteil des erkennenden Senats V 244/61 S vom 22. November 1962 (BStBl 1963 III S. 31) Bezug genommen.
Die Steuerpflichtige hat nach Erlaß eines Bescheides unter anderem noch folgendes vortragen lassen: Steuerbescheide seien Verwaltungsakte und als solche eine Einheit; partielle Steuerbescheide gebe es nicht. Im Falle des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO müsse auch nach Auffassung des Senats der ganze Steuerfall wieder aufgerollt werden. Mit Erlaß des Berichtigungsbescheides sei der ursprüngliche Bescheid ersatzlos und endgültig aus der Welt geschafft worden. Auch § 234 AO besage nichts darüber, inwieweit der neue Bescheid anfechtbar sei. Die Auffassung des Senats berücksichtige nicht die ex-tunc-Wirkung der Urteile des Bundesverfassungsgerichts.
Diese Argumentation verkennt jedoch, daß der Berichtigungsbescheid verfahrensrechtlich gar nicht zulässig und deshalb aufzuheben war. Damit ist aber der erste - rechtskräftige - Bescheid wieder in Kraft getreten. Nach der Ausgestaltung des Veranlagungsverfahrens, wie es die Abgabenordnung vorsieht, ist es nach Auffassung des Senats nicht denkbar, daß durch die gebotene Aufhebung eines Berichtigungsbescheides für das Streitjahr überhaupt keine Veranlagung vorläge. Die ersatzlose Aufhebung einer Vorentscheidung, insbesondere auch eines Berichtigungsbescheides, durch eine Rechtsmittelinstanz bedeutet vielmehr, daß solchenfalls der ursprüngliche Bescheid wieder in Kraft tritt. Aus § 234 AO geht zumindest hervor, daß der ursprünglich festgesetzte Steuerbetrag eine fortdauernde Wirkung hat. Da sich die Auffassung des Senats aus dem Verfahrensrecht der AO ergibt und dieses Recht durch § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht unberührt geblieben ist, kommt es auch nicht darauf an, daß, wie die Bfin. meint, aus § 79 Abs. 2 a. a. O. nichts für eine partielle Rechtskraft eines Verwaltungsaktes zu entnehmen sei.
Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410845 |
BStBl III 1963, 342 |
BFHE 1964, 68 |
BFHE 77, 68 |