Leitsatz (amtlich)
Zollgut wird der zollamtlichen Überwachung im Sinne des § 57 ZG entzogen, wenn durch eine Handlung der Erfolg herbeigeführt wird, daß zollamtliche Überwachungsmaßnahmen nicht mehr durchgeführt werden können.
Normenkette
ZG § 57
Tatbestand
Gründe
Der Kläger gestellte dem Zollamt (ZA) im Juni 1965 20 000 Zigaretten, die in A zum Zollgutversand abgefertigt worden waren, und ließ sie vom ZA zur Ausfuhr abfertigen. Anschließend fuhr er mit seinem Pkw, in dem sich die Zigaretten befanden, auf der Zollstraße in Richtung des belgischen ZA B. Vor Erreichen der Grenze verließ er zweimal die Zollstraße, indem er zunächst in einen Feldweg einbog und später zu einem Gehöft fuhr, wo er hinter einer Hecke parkte. Dort packte er die Zigaretten in Verstecke des Pkw um. Wie das Finanzgericht (FG) festgestellt hat, wollte er dadurch erreichen, daß die Zigaretten bei der Einfuhr nach Belgien von den belgischen Zöllnern nicht bemerkt wurden. Da die Abfertigungsbeamten des ZA den Verdacht geschöpft hatten, der Kläger werde die Zigaretten im Zollgebiet absetzen, fuhren ein Abfertigungsbeamter und ein Beamter des Paßkontrolldienstes über die Zollstraße, auf der der Kläger das ZA verlassen hatte, in Richtung Grenze, um den Kläger ausfindig zu machen. Ihre Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg. Nachdem der Kläger die Zigaretten umgepackt hatte, fuhr er auf der Zollstraße zum deutschen ZA zurück und benutzte von dort die Zollstraße zum belgischen ZA C zur Ausfuhr.
Mit Steuerbescheid vom 22. Mai 1967 wurden vom Kläger 2 284,40 DM Abgaben mit der Begründung angefordert, der Kläger habe die Zigaretten der zollamtlichen Überwachung entzogen (§ 57 ZG). Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Die daraufhin erhobene Klage gegen das Hauptzollamt (HZA) führte zur Aufhebung des Steuerbescheids und der Einspruchsentscheidung durch Urteil des FG vom 20. August 1968 mit der Begründung, der Kläger habe nicht den Willen gehabt, die Zigaretten ins Innere der Bundesrepublik zurückzuschaffen und dort abzusetzen. Er habe die Zigaretten unter den Augen der deutschen Zollbeamten ausgeführt. Die Zigaretten habe er auch nicht vor den mit der Ausfuhrüberwachung befaßten Beamten verheimlichen können, weil diese vom Mitführen der Zigaretten unterrichtet gewesen seien. Er habe auch keine Veranlassung gehabt, die Zigaretten vor den deutschen Zollbeamten zu verheimlichen. Der Tatbestand des § 57 ZG sei deshalb nicht verwirklicht worden.
Das HZA legte gegen das Urteil Revision ein mit der Begründung, es komme für die Anwendung des § 57 Abs. 1 Satz 1 ZG nicht darauf an, ob der Kläger den Willen gehabt habe, Zollgut in den freien Verkehr des Inlands zu überführen. Durch das Umpacken abseits der Zollstraße habe der Kläger die Zigaretten wie Freigut behandelt. Diese „Tathandlung” sei geeignet gewesen, die zollamtliche Überwachung der Ausfuhr zu vereiteln oder jedenfalls wesentlich zu erschweren und einen Rücktransport in das Zollgebiet zu erleichtern. Darin liege die innere Rechtfertigung für die Entstehung der Abgabenschuld.
Das HZA beantragt, die Sache unter Aufhebung des Urteils des FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger ist der Auffassung, daß die Revision nicht begründet ist. Das HZA, so führt er aus, habe nur in der Absicht Revision eingelegt, bei künftigen ähnlichen oder gleichgelagerten Fällen eine für das HZA „ungeklärte Rechtshandhabe zu bekommen”. Die Rechtsauffassung des HZA sei falsch. Sie sei vom HZA auch nicht immer und „ohne Zaudern” vertreten worden. Sie sei insbesondere nicht „allgemein verbindlich”. Selbst wenn der Bundesfinanzhof (BFH) sich der Rechtsauffassung des HZA anschließe, so dürfe das nicht dahin führen, daß er – der Kläger – die geforderten Eingangsabgaben und die Verfahrenskosten zu tragen habe, weil dadurch die „Rechtsauslegung für die Abgabenforderung … rückwirkend fixiert” sein werde. Er habe sich bereits im Verfahren vor dem FG unter Hinweis auf Art. 3 GG dagegen gewandt, daß das HZA den Sachverhalt nunmehr abweichend von seiner früheren Übung beurteile.
Der Bundesminister der Finanzen (BdF) ist dem Verfahren beigetreten. Seine Ausführungen, mit denen er sich gegen die Entscheidung des FG wendet, stimmen im wesentlichen mit denen des HZA überein.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig.
Gegen die Zulässigkeit sollen offenbar die Ausführungen des Klägers gerichtet sein, das HZA strebe mit der Revision eine „ungeklärte Rechtshandhabe” für künftige Fälle an. Der Kläger bringt damit zum Ausdruck, daß das HZA mit der Revision ein Ziel verfolgt, das über die Entscheidung dieses Falles hinausgeht. Das steht jedoch der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen.
Die Revision ist auch begründet.
Der Kläger ist nach § 57 ZG i.V. mit den §§ 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 TabStG, 1 Nr. 3, 15 Abs. 2 UStG vom 1. September 1951 Abgabenschuldner geworden. Er hat die zur Ausfuhr abgefertigten Zigaretten der zollamtlichen Überwachung dadurch entzogen, daß er die Zollstraße verlassen hat.
Der Auffassung des FG, daß die Zigaretten der zollamtlichen Überwachung nicht entzogen worden seien, weil der Kläger nicht den Willen gehabt habe, die Zigaretten im Zollgebiet abzusetzen, vermag der Senat nicht zu folgen. Der zollamtlichen Überwachung entzogen wird das Zollgut durch jede Handlung, die zu dem Erfolg führt, daß zollamtliche Überwachungsmaßnahem nicht mehr durchgeführt werden können (vgl. § 133 AZO; Schwarz-Wockenfoth, Zollgesetz, Stand: Mai 1970, § 57 Anm. 1). Sobald der Zollverwaltung auch nur vorübergehend die Möglichkeit genommen wird, das Vorhandensein oder den Verbleib der Ware, die der zollamtlichen Überwachung unterliegt, zu prüfen, ist das Ziel der zollamtlichen Überwachung gefährdet, das vor allem darin besteht, die Erhebung der Eingangsabgaben und die Beachtung der Verbote und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze zu sichern (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ZG). Die zollamtliche Überwachung ist demgemäß ihrem Wesen nach eine fortdauernde Maßnahme, die nicht unterbrochen werden kann, ohne daß mit der Unterbrechung die Überwachung entfällt. Zwar erfordert die Überwachung nicht, daß die Zollverwaltung die Ware ständig bewacht. Es reicht vielmehr aus, daß die Zollverwaltung ständig die Möglichkeit zur Kontrolle hat.
Im vorliegenden Fall ist der Zollverwaltung die Kontrollmöglichkeit dadurch genommen worden, daß der Kläger die Zollstraße unter Verletzung der ihm obliegenden Verpflichtung, die Zigaretten unverzüglich auf der Zollstraße auszuführen (§§ 3 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 3 Satz 2 ZG), verlassen hat. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, muß das Verlassen der Zollstraße zwar nicht in jedem Fall dazu führen, daß die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird. Es mögen Fälle denkbar sein, in denen der Zollverwaltung die Kontrollmöglichkeit durch das Verlassen der Zollstraße nicht genommen wird. Im vorliegenden Fall hat infolge des Verlassens der Zollstraße eine derartige Möglichkeit aber zumindest eine Zeitlang nicht bestanden. Das folgt aus den Feststellungen des FG, nach denen zwei Beamte den Kläger gesucht und nicht gefunden haben.
Zwar ist eine Handlung, durch die die zollamtliche Überwachung unterbrochen wird, nur dann als Entziehung im Sinne des § 57 ZG anzusehen, wenn sie gewollt ist. Der Wille braucht aber nur auf die Handlung gerichtet zu sein, die zur Entziehung führt. Das ist im vorliegenden Fall das wiederholte Verlassen der Zollstraße. Diese Handlung war vom Kläger jeweils gewollt. Ein weitergehender Wille ist nicht erforderlich. Insbesondere ist es für die Entstehung der Abgabenschuld nach § 57 ZG ohne Bedeutung, ob der Kläger sich bewußt war, daß die Zigaretten durch das Verlassen der Zollstraße der zollamtlichen Überwachung entzogen wurden, und ob der Kläger diesen Erfolg gewollt hat. Derartige Gesichtspunkte wären nur dann beachtlich, wenn nach § 57 ZG für die Entstehung der Abgabenschuld ein Verschulden zu fordern wäre. Auf ein Verschulden kommt es jedoch nicht an (vgl. Schwarz-Wockenfoth, a. a. O.). Die Entziehung gehört zu den „Tathandlungen” (dazu Palandt, BGB, 28. Aufl., Überblick vor § 104 Anm. 1 e), bei denen die Rechtsfolge durch die Rechtsordnung an den Erfolg geknüpft ist, der durch die Handlung herbeigeführt worden ist (vgl. Schwarz-Wockenfoth, a. a. O.).
Für die Frage, ob die Zigaretten der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind, kommt es nicht darauf an, ob der Kläger bei seinem Aufenthalt in einem Feldweg nach dem ersten Verlassen der Zollstraße von einem Zollbeamten beobachtet worden ist. Wenn die Zigaretten nicht schon durch das erste Verlassen der Zollstraße der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind, so ist dieser Erfolg jedenfalls durch das zweite Verlassen der Zollstraße eingetreten.
Da die Zollschuld entsteht, sobald die Kontrollmöglichkeit nicht mehr gegeben ist, ist es auch ohne Bedeutung, ob der Zollverwaltung die Kontrollmöglichkeit später wieder eingeräumt worden ist. Die Entstehung der Zollschuld wird dadurch nicht verhindert oder wieder rückgängig gemacht.
Die Abgabenschuld ist auch nicht verjährt. Nach den Feststellungen des FG hat das HZA Maßnahmen zur Feststellung des Zollschuldners getroffen, indem es Ermittlungen über den Aufenthalt des Klägers vorgenommen hat. Dadurch ist die Verjährung gemäß § 147 AO a. F. unterbrochen worden (vgl. Urteil des BFH VII 113/61 vom 12. Mai 1964, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964 S. 308 [309] – HFR 1964, 308 [309] –).
Die Abgabenerhebung verstößt auch nicht gegen Art. 3 GG. Die Behauptung des Klägers, das HZA habe in anderen gleichgelagerten Fällen Abgaben nicht erhoben, ist nicht geeignet, einen derartigen Verstoß zu begründen. Art. 3 GG verbietet nur eine unterschiedliche Anwendung des Rechts. Das bedeutet, daß dann, wenn eine Maßnahme rechtmäßig ist, nicht eine unrechtmäßige Maßnahme unter Berufung auf den Gleichheitssatz mit der Begründung gefordert werden kann, in anderen gleichgelagerten Fällen sei ähnlich verfahren worden (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – II C 71.55 vom 4. Mai 1956, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 5 S. 1 [8], und des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – 1 BvR 126/65 vom 4. April 1967, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 21 S. 245 [261]).
Da es für die Entscheidung über die Revision ohne Bedeutung ist, ob der Kläger bei seinem Aufenthalt in einem Feldweg nach dem ersten Verlassen der Zollstraße von einem Zollbeamten beobachtet worden ist, kann der Senat gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO in der Sache selbst entscheiden. Der Senat ist daran auch nicht deshalb gehindert, weil das HZA neben der Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nur die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG beantragt hat. Nach den §§ 96 Abs. 1 Satz 2, 121 FGO darf der Senat durch seine Entscheidung zwar nicht über das Revisionsbegehren des HZA hinausgehen. Bei der Entscheidung ist er jedoch nicht an die Fassung des Antrags gebunden. Aus der Revisionsschrift ist zu entnehmen, daß das HZA eine Bestätigung des Steuerbescheids anstrebt. Schon deshalb ist der Senat befugt, in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. Urteil des BVerwG V C 25.60 vom 13. Dezember 1961; Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts S. 310, § 141 VwGO Nr. 2).
Der Senat hat in diesem Verfahren, das nur die Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheids zum Gegenstand hat, nicht darüber zu befinden, ob die Einziehung der Abgaben etwa wegen der Folgen für den Kläger im Ausland unbillig und gemäß § 131 AO von der Abgabenerhebung abzusehen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 514672 |
BFHE 1970, 509 |