Leitsatz (amtlich)

Kabelschuhe gehörten bereits vor dem 1. Januar 1958 als „andere elektrische Geräte” zur Tarifstelle 85.19-A-II-b.

Der Umstand, daß die Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1962 die Tarifstellen a und b der Tarifnr. 85.19-A-II durch die 2. ÄndVO vom 21. Juni 1963 (BZBl 1963 S. 436, 447) gegeneinander abgrenzten, stellt daher keine Erhöhung der angewandten Zollsätze im Sinne des Art. 12 EWGV dar.

 

Normenkette

EWGVtr Art. 12, 14; ZG § 21 Abs. 1, § 78 Abs. 2; Tarifnummer 85.19-A-II-b

 

Tatbestand

Die Klägerin führte in der Zeit vom 12. November 1963 bis 9. April 1964 Kabelschuhe im Rahmen eines passiven Veredelungsverkehrs aus den Niederlanden ein. In der Bewilligungsverfügung des Hauptzollamtes (HZA) vom 8. September 1960 und in der Verfügung vom 2. Januar 1963 zur Verlängerung des bewilligten passiven Veredelungsverkehrs bis zum 31. Dezember 1963 waren die Kabelschuhe als Waren der Tarifnr. 85.19-A-II-a (zollfrei) bezeichnet. Am 17. Juli 1963 teilte das HZA der Klägerin mit, daß ab 1. Juli 1963 die „Tarifstelle für Kabelschuhe von 85.19-A-II-a in 85.19-A-II-b geändert” worden sei. Das den Veredelungsverkehr überwachende Zollamt (ZA) erhob seitdem nach dieser Tarifnummer 2,4 % Zoll von der Wertsteigerung. Dagegen wandle sich die Klägerin mit der Begründung, daß diese Zollerhöhung gegen Art. 12 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) verstoße.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Mit der nunmehr als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde läßt es die Klägerin dahinstehen, ob die vorherige Tarifierung der Kabelschuhe nach Tarifnr. 85.19-A-II-a unrichtig gewesen sei. Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) in der Rechtssache 26/62 vom 5. Februar 1963 (Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Eur. Gem. Bd. IX S. 5 – RsprGH IX, 5 –) müsse bei der Feststellung, ob Zölle entgegen dem in Art. 12 EWGV enthaltenen Verbot erhöht worden sind, von den durch den betroffenen Mitgliedstaat bei Inkrafttreten des Vertrages „tatsächlich angewandten Zöllen” ausgegangen werden. Der tatsächlich angewandte Zollsatz ergebe sich nach der im EGH-Urteil wiedergegebenen Auffassung der Kommission aus der Gesamtheit der Verwaltungsvorschriften und -gepflogenheiten. Nach der Verwaltungsübung in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) seien Kabelschuhe stets der Tarifnr. 85.19-A-II-a zugeordnet worden. Durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1962 (2. ÄndVO) vom 21. Juni 1963 (Bundeszollblatt 1963 S. 436 [447] Nr. 71) sei im Ergebnis der Tarif dadurch neu gegliedert worden, daß Kabelschuhe unter die Tarifnr. 85.19-A-II-b mit einem Binnenzollsatz von 2,4 % eingeordnet wurden.

Die Klägerin beantragt, die angefochtenen Zollbescheide ersatzlos aufzuheben, hilfsweise das ZA anzuweisen, die angefochtenen Zollbescheide dahin zu ändern, daß der Zoll nicht nach einem Zollsatz von 2,4 %, sondern von 1,8 % erhoben wird.

Das HZA beantragt dem Sinne nach Zurückweisung der Revision.

Das HZA bezeichnet seine Mitteilung über die Änderung der Tarifstelle für Kabelschuhe vom 17. Juli 1963 insoweit als unrichtig, als eine Änderung tatsächlich nicht eingetreten war. In Wirklichkeit seien die Kabelschuhe vorher fälschlich der Tarifnr. 85.19-A-II-a zugewiesen worden. In der Berichtigung des Tarifierungsfehlers liege keine gegen den EWGV verstoßende Zollerhöhung. Kabelschuhe seien zolltariflich niemals Installationsgeräte der Tarifstelle 85.19-A-II-a gewesen. Der Begriff „Installation” werde nur im Zusammenhang mit dem Einbau oder der Verlegung von Geräten in Gebäuden gebraucht. Zur Klarstellung und Behebung von Tarifierungszweifeln sei der Begriff „Installationsgeräte” durch die 2. ÄndVO näher erläutert worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

Die Vorentscheidung hat mit zutreffender Begründung unter Hinweis auf die amtlichen Begründungen zu den konjunkturpolitischen Zollsenkungen deren Sinn in der Zollbegünstigung von Baumaterial und Bauhilfsmitteln gesehen, wozu Kabelschuhe nicht zu rechnen sind. Diese gehören als „andere elektrische Geräte” der Tarifnr. 85.19-A-II zur Tarifstelle b und nicht als „Installationsgeräte” für Spannungen bis 750 V” zur Tarifstelle a. Dies ist durch die 2. ÄndVO dadurch klargestellt worden, daß als Installationsgeräte der Tarifstelle a nur solche elektrische Geräte anzusehen sind, die üblicherweise in eine elektrische Leitung von ihrem Eintritt in ein Gebäude bis zum Eintritt in ein elektrisches Arbeitsgerät oder anderen Stromverbraucher eingebaut werden. Zur Tarifstelle b gehören dagegen elektrische Geräte, die ausschließlich oder hauptsächlich nicht in die Licht- oder Kraftstromleitungen eines Gebäudes, sondern in Maschinen, Apparate, Geräte, Fahrzeuge usw. eingebaut werden. Die Bewilligungsverfügung des HZA und die Zollbehandlung durch das ZA nach der Tarifstelle a beruhten daher auf einer Fehltarifierung, die richtige Tarifierung nach Tarifnr. 85.19-A-II-b daher nicht auf einer Änderung des Tarifs, wie das HZA der Klägerin irrtümlich mit Schreiben vom 17. Juli 1963 mitgeteilt hatte. Die angegriffenen Zollbescheide sind daher zu Recht ergangen.

Die Berufung der Klägerin auf Art. 12 EWGV geht fehl. Zwar kann nach dem oben angegebenen EGH-Urteil in der Rechtssache 26/62 der einzelne aus Art. 12 EWGV unmittelbare Rechte herleiten, welche die nationalen Gerichte zu beachten haben. In diesem Urteil hat der EGH das in Art. 12 EWGV enthaltene Verbot für die Mitgliedstaaten, die in ihren gegenseitigen Handelsbeziehungen angewandten Zölle zu erhöhen, dahin ausgelegt, daß von den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages tatsächlich angewandten Zöllen auszugehen sei und daß sich eine unerlaubte Zollerhöhung sowohl aus einer Neugliederung des Tarifs wie aus einer Erhöhung des Zollsatzes im eigentlichen Sinn ergeben könne. Ob jedoch die betreffende Ware infolge der von dem Mitgliedstaat in Kraft gesetzten Zollmaßnahmen einem höheren Zoll unterliege als am 1. Januar 1958, hat der EGH als einen Fall der Anwendung des Art. 12 EWGV im Sinne dieser Auslegung dem Zuständigkeitsbereich des nationalen Richters vorbehalten. Ein solcher Anwendungsfall liegt hier vor. Zu entscheiden ist, ob der am 1. Januar 1958 oder später von der BRD tatsächlich angewandte Zollsatz durch die 2. ÄndVO erhöht worden ist (siehe Rechtssatz 2 des oben angegebenen EGH-Urteils). Da das Verbot des Art. 12 EWGV an die Mitgliedstaaten gerichtet ist, muß wie bei Zollvereinbarungen aller Art zwischen einzelnen Staaten, wozu auch der EWGV gehört, von den generellen Tarifvorschriften dieser Staaten ausgegangen werden, mögen sich diese aus dem Zolltarif (ZT) selbst oder aus den als Rechtsverordnungen ergangenen Erläuterungen zum ZT ergeben; ebenso sind auch generelle Anweisungen des zuständigen Ministeriums an die Zollstellen in Betracht zu ziehen. Kabelschuhe waren in den Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif (ErlDZT) vor der erwähnten 2. ÄndVO lediglich als zu Tarifnr. 85.19-A-II gehörend aufgeführt worden, ohne daß über die Zugehörigkeit zu den bereits bestehenden Tarifstellen a oder b etwas gesagt war. Die fehlende Abgrenzung wurde erstmalig durch die oben angegebene 2. ÄndVO getroffen. Darin liegt lediglich eine Klarstellung, nicht aber eine Änderung des angewandten Zollsatzes, weil die Tarifgliederung in die Tarifstellen a und b bereits vor dieser ÄndVO bestanden hatte. Kabelschuhe waren der Tarifstelle b der Tarifnr. 85.19-A-II bereits vor dem Inkrafttreten der oben angegebenen 2. ÄndVO und auch vor dem Inkrafttreten des EWGV zuzuweisen. Die oben angegebene 2. ÄndVO hatte nicht etwa eine Änderung der Rechtslage herbeigeführt, sondern lediglich Tarifierungszweifel behoben. Im Falle des EGH-Urteils in der Rechtssache 26/62 wurde dagegen eine Untereinteilung des Tarifs selbst vorgenommen.

Wenn die Zollstelle oder auch andere Zollstellen im Bundesgebiet Kabelschuhe der Tarifstelle a entgegen der gesetzlichen Tariflage und auch nicht in Ausführung von einschlägigen Verwaltungsanweisungen zugewiesen haben, so mag darin wohl die Anwendung eines (falschen) Zollsatzes im Einzelfall liegen. Ein solcher Zollsatz kann aber nicht als der allgemein vorgeschriebene und im Verhältnis von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat tatsächlich angewandte angesehen werden. Die von der Klägerin angezogene Äußerung der Kommission in dieser Sache, daß der tatsächlich angewandte Zollsatz sich aus der Gesamtheit der Verwaltungsvorschriften und -gepflogenheiten ergebe, ist von der Kommission selbst in der Weise eingeschränkt worden, daß hierunter nicht eine nur vereinzelt vorgekommene Einordnung unter eine andere Tarifnummer zu verstehen ist. Ob Kabelschuhe in der BRD von allen Zollstellen (irrtümlich) der Tarifstelle 85.19-A-II-a zugeordnet worden sind, wie die Klägerin behauptet, kann dahinstehen. Denn dann würde es sich nur um eine Summe von Einzelfällen handeln. Ein „tatsächlich angewandter Zollsatz” im Sinne des EGH-Urteils in der Rechtssache 26/62 wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn die Zollstellen durch einen Erlaß des Bundesministers der Finanzen zu einer bestimmten Tarifierung angewiesen worden wären, d. h. durch zentrale Weisung eine einheitliche Anwendung veranlaßt worden wäre. Die Klägerin hat das Bestehen eines solchen Erlasses nicht behauptet. Es fehlen hierfür auch irgendwelche Anhaltspunkte. Auf der anderen Seite spricht dagegen der in Verbindung mit der Bekanntgabe der 2. ÄndVO herausgegebene Zusatzerlaß, der zum Ausdruck bringt, daß die einschlägige Vorschrift dieser Verordnung der Klarstellung und der Behebung von Tarifierungszweifeln diente, und damit erkennen läßt, daß nicht eine Weisung im anderen Sinne vorlag.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514617

BFHE 1969, 1

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