Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der amtlichen Ermittlungspflicht und der freien Beweiswürdigung.
Normenkette
AO §§ 204, 278; FGO § 96 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Zulässigkeit einer Pensionsrückstellung für Renten bei vorzeitiger Invalidität. Im Rechtsmittelverfahren handelt es sich neben mehreren anderen Streitfragen darum, ob die im schriftlichen Wortlaut eindeutige Pensionszusage, die die Gewährung von Pensionen für den Fall der "vorzeitigen Invalidität" ausschloß, durch den Beschwerdeführer (Bf.) bei überreichung der Zusageurkunden an seine Belegschaftsmitglieder in mündlicher Vereinbarung dahin abgeändert worden war, daß die Zusage auch die Fälle der vorzeitigen Invalidität mitumfassen sollte. Der Bf. hatte sich zum Beweise hierfür auf 25 gleichlautende schriftliche Erklärungen von Betriebsangehörigen bezogen und diese selbst als Zeugen dafür benannt, daß bei übergabe der Urkunden etwa Mitte Dezember 1953 Sinn und Zweck derselben mit ihnen eingehend erörtert und ihnen ausdrücklich erklärt worden sei, daß die Zusage auch für die Fälle der vorzeitigen Invalidität gelten solle.
Das Finanzgericht hatte die Vernehmung der Betriebsangehörigen mit folgender Begründung abgelehnt:
Das Ergänzungsschreiben vom 14. April 1956, das als "Klarstellung" bezeichnet werde, gehe von der rechtlich nicht möglichen Auffassung aus, daß die schriftliche Zusage vom 15. Dezember 1953 einer solchen Auslegung überhaupt fähig sei. Erst durch das Schreiben vom 14. April 1956 habe sich der Bf. im Wege einer änderung der ursprünglichen Zusage erstmals in rechtsverbindlicher Weise dazu verpflichtet, die Renten auch im Falle der vorzeitigen Arbeitsunfähigkeit zu zahlen. Die Erklärungen der begünstigten Arbeitnehmer bewiesen nicht das Gegenteil. Es seien vorbereitete und in allen Fällen gleichlautende Erklärungstexte von ihnen unterschrieben worden, vielleicht in der Annahme, es habe sich so verhalten, wie dies im Text dargestellt worden sei. Die Zusageempfänger seien auch durch das vorausgegangene Schreiben vom 14. April 1956 beeinflußt gewesen; sie hätten sich darauf berufen können, daß sie die schriftliche Zusage vom 15. Dezember 1953 auch so auslegten wie der Bf. Das Finanzgericht verzichte auf die eidliche Vernehmung der Zusageempfänger, weil auch diese im vorliegenden Fall keinen sicheren Schluß auf die objektive Richtigkeit der Aussagen zulassen würde.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat diese Ansicht nicht gebilligt und dazu folgendes ausgeführt:
Wenn der Bf. behauptet, die änderung gegenüber dem ursprünglichen Wortlaut der Zusage und seinen wirklichen Willen habe er mündlich bei übergabe der einzelnen Zusagen vom 15. Dezember 1953 an die Zusageempfänger zum Ausdruck gebracht und diese hätten die Zusage auch so aufgefaßt, so mußte er hierfür einen eindeutigen Nachweis führen. Dabei ist dem Finanzgericht zuzustimmen, daß es unverständlich ist, warum der Bf. bei seiner kaufmännischen Erfahrung und wirtschaftlichen Stellung angesichts der klaren, anders lautenden schriftlichen Zusage nicht für eine entsprechende schriftliche änderung Sorge getragen hat. Der Bf. ist der Ansicht, den Nachweis der erforderlichen mündlichen änderung der Versorgungszusage durch die gleichlautenden Erklärungen von 25 Betriebsangehörigen vom Januar 1957 geführt zu haben. Das Finanzgericht hat zwar nicht übersehen, daß diese Erklärungen abgegeben worden sind, so daß ein Verstoß gegen den klaren Akteninhalt nicht vorliegt; es hat aber ihren Beweiswert in einer dem Bf. ungünstigen Weise gewürdigt und geglaubt, zu dieser Auffassung im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung gemäß § 278 der Reichsabgabenordnung (AO) gelangen und deshalb von der angebotenen Vernehmung und unter Umständen Vereidigung der Zeugen absehen zu können. Dem vermag der Senat jedoch nicht zuzustimmen. Der Zeitpunkt der im Januar 1957 abgegebenen Erklärungen liegt zwar reichlich drei Jahre nach dem Zeitpunkt der Zusage vom 15. Dezember 1953. Für die Frage, was ergänzend zu der schriftlichen Zusage vom 15. Dezember 1953 bei deren übergabe klar und eindeutig von dem Bf. zugesagt worden ist, kommt es unter Umständen entscheidend auf die Aussagen der Angestellten und Arbeiter an. Die eidliche Zeugenaussage stellt das letzte Mittel dar, um einen Tatbestand festzustellen. Die Ablehnung eines vom Steuerpflichtigen angebotenen Zeugenbeweises muß logisch und besonders schlüssig begründet sein (siehe Berger, Der Steuerprozeß, S. 427). Hierzu reicht aber die Begründung des Finanzgerichts, auf die verwiesen wird, nicht aus. Alle angebotenen Zeugen sind offenbar unbescholtene Männer und persönlich ohne jedes Interesse am Ausgang des Verfahrens. Es kann deshalb angenommen werden, daß sie unter Eidesdruck nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgemäß aussagen und sich nicht des schweren Deliktes einer Eidesverletzung schuldig machen werden. Die Befürchtung, daß die Zeugen gutgläubig unter der Einwirkung der Zusatzerklärung des Bf. vom 14. April 1956 und ihrer eigenen Bestätigung vom Januar 1957 die Angaben des Bf. bestätigen würden, reicht nicht aus, um von vornherein von ihrer Vernehmung und unter Umständen Vereidigung Abstand zu nehmen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß, wenn die Zusage überhaupt nicht oder in anderer Form, als sich aus den Bestätigungserklärungen vom Januar 1957 ergibt, abgegeben worden ist, dies bei geeigneter Befragung der Zeugen festgestellt wird oder daß sich Widersprüche in den Aussagen ergeben. Nach alledem konnte das Gericht nach Ansicht des Senats nicht zu seinen Feststellungen kommen, ohne nicht wenigstens die letzte Möglichkeit durch eine Vernehmung und erforderlichenfalls Vereidigung aller oder eines Teiles der angebotenen Zeugen erschöpft zu haben. Der Rechtsbegriff der freien Beweiswürdigung des § 278 AO in Verbindung mit § 204 AO ist somit verkannt. Da die angefochtene Entscheidung weitgehend hierauf beruht, mußte sie aufgehoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 409215 |
BStBl III 1959, 104 |
BFHE 1959, 268 |
BFHE 68, 268 |