Leitsatz (amtlich)

Bei der Hauptfeststellung auf den 1. Januar 1964 des Einheitswerts eines Einfamilienhauses im Wege des Ertragswertverfahrens sind nach § 80 Abs. 4 BewG 1965 auf den Teil der Jahresrohmiete, der auf das in Massivbau ausgeführte Erdgeschoß entfällt, und auf den Teil der Jahresrohmiete, der auf das in Holzfachwerkbau mit Lehmausfachung ausgeführte Dachgeschoß entfällt, die für diese verschiedenen Bauausführungen nach den Anlagen 3 bis 8 zum BewG 1965 maßgebenden verschiedenen Vervielfältiger anzuwenden.

 

Normenkette

BewG 1965 § 76 Abs. 3 Nr. 4, § 78 S. 2, § 80 Abs. 1, 4; BewG Anlagen 3 bis 8

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eingentümer eines Grundstücks. Der Einheitswert dieses Grundstücks wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) bei der Hauptfeststellung auf den 1. Januar 1964 durch Bescheid vom 22. September 1970 auf 19 300 DM festgestellt; dabei wurde das Grundstück als Zweifamilienhaus bewertet. Der Einspruch, mit dem der Kläger eine Bewertung des Grundstücks als Einfamilienhaus und die Anwendung eines niedrigeren Vervielfältigers für das nur in Holzfachwerk bestehende ausgebaute Obergeschoß begehrte, führte zu einer Verböserung. Das FA bewertete das Grundstück in der Einspruchsentscheidung zwar als Einfamilienhaus, wandte aber auf das ganze Grundstück den Vervielfältiger von 8,4 für Massivbauten mit Mauerwerk aus Ziegelsteinen an, so daß sich ein Einheitswert von 21 600 DM ergab.

Die Klage wurde abgewiesen. Das FG war der Auffassung, daß die Vorschrift des § 80 Abs. 4 BewG 1965 nicht dazu führen könne, daß ein in Holz- oder Holzfachwerkbauweise errichtetes Dachgeschoß eines Einfamilienhauses gesondert von dem massiv ausgeführten Untergeschoß bewertet werden müsse. Sei das Dachgeschoß nicht ausgebaut, bestehe zu einer solchen Wertermittlung schon deswegen kein Anlaß, weil für das Dachgeschoß keine Jahresrohmiete angesetzt werden könne. Nicht anders sei zu verfahren, wenn im Dachgeschoß Wohnräume ausgebaut worden seien. Ein solcher Ausbau müsse die vorhandene Dachkonstruktion berücksichtigen, und könne bei Einfamilienhäusern schon aus statischen Gründen nur in Leichtbauweise vorgenommen werden. Die Anlagen 3 bis 8 zum BewG 1965 stellten für die Einordnung eines Gebäudes im Massivbau - oder Holzfachwerkbau - ersichtlich auf die Ausführung der tragenden Wände ab, von der die Lebensdauer des Gebäudes wesentlich abhänge. Ähnlich sei es bei der Gebäudeklasseneinteilung beim Sachwertverfahren für Fabrikgrundstücke. Nach Anlage 14 zu Abschn. 38 BewRGr, Fußnote 1, sei es nicht erheblich, ob das Dach eines Massivbaues in Holzkonstruktion errichtet und ausgebaut worden sei.

Der Kläger beantragt mit der Revision, die das FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat, unter Aufhebung des FG-Urteils und der Einspruchsentscheidung, den angefochtenen Bescheid dahin zu ändern, daß für das Obergeschoß der Vervielfältiger für Fachwerkbauten mit Lehmausfachung angewandt werde; es wird Verletzung des § 80 BewG gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet:

Die einzelnen Geschosse seien hier bewertungsrechtlich als selbständige Gebäudeteile anzusehen. Die Auffassung des FG würde dazu führen, daß im Ergebnis nur bei Anbauten mehrere Gebäudeteile auf einem Grundstück denkbar seien. Diese Auffassung finde im Gesetz keine Stütze. Sie widerspreche auch dem § 80 Abs. 4 BewG. Danach müsse die Anwendung der verschiedenen Vervielfältiger davon abhängig sein, ob die einzelnen Teile eines Gebäudes, die eine Wohnfläche hätten und zur Jahresrohmiete beigetragen hätten, eine ungleiche Bauart oder Bauausführung aufweisen. Der Hinweis auf die Bewertung von Fabrikgebäuden gehe schon deshalb fehl, weil ein Fabrikdach im allgemeinen außer dem Zweck, den darunterliegenden Räumen zu dienen, keine andere Funktion habe. In den Vervielfältigern spiegele sich auch nicht nur die Lebensdauer eines Gebäudes wider, sondern auch der davon zum Teil unabhängige Wert des Gebäudes. Die Bewertungsmethode des FG führe bei Gebäuden der vorliegenden Art zu einem unverhältnismäßig höheren Einheitswert gegenüber Gebäuden ohne Dachgeschoß bzw. Obergeschoßausbau oder zweigeschossigen Gebäuden in Massivbauweise.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Der Wert des Grundstücks des Klägers ist als Einfamilienhaus nach § 76 Abs. 3 Nr. 4 BewG im Wege des Ertragswertverfahrens zu ermitteln. Der Ertragswert ergibt sich nach § 78 Satz 2 BewG durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete. Der Vervielfältiger ist nach § 80 Abs. 1 BewG aus den Anlagen 3 bis 8 zum BewG 1965 zu entnehmen. Er bestimmt sich nach der Grundstücksart, der Bauart und Bauausführung, dem Baujahr des Gebäudes sowie nach der Einwohnerzahl der Belegenheitsgemeinde im Hauptfeststellungszeitraum. Nach § 80 Abs. 4 Satz 1 BewG sind, wenn sich auf einem Grundstück Gebäude oder Gebäudeteile befinden, die eine verschiedene Bauart oder Bauausführung aufweisen oder die in verschiedenen Jahren bezugsfertig geworden sind, für die einzelnen Gebäude oder Gebäudeteile die nach der Bauart und Bauausführung sowie nach dem Baujahr maßgebenden Vervielfältiger anzuwenden. Im Streitfall ist das Erdgeschoß des Gebäudes ein Massivbau, das ausgebaute Dachgeschoß ist dagegen ein Holzfachwerkbau mit Lehmausfachung. Der Senat ist der Auffassung, daß auch in einem solchen Fall § 80 Abs. 4 BewG anzuwenden ist, d. h. für die zwar im selben Baujahr, aber in verschiedener Bauausführung errichteten Gebäudeteile (Erdgeschoß, Dachgeschoß) die für die beiden Gebäudeteile maßgebenden Vervielfältiger anzuwenden sind. Er sieht die in Abschn. 28 Abs. 1 BewRGr mit Recht geforderte "gewisse Selbständigkeit" der einzelnen Gebäudeteile hier dadurch gegeben, daß sowohl das Erdgeschoß als auch das Dachgeschoß Wohnzwecken dienen und für beide eine Jahresrohmiete angesetzt ist. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von den Fällen, in denen das Dachgeschoß nicht ausgebaut ist. Das FG hat selbst hervorgehoben, daß in diesen Fällen für eine getrennte Wertermittlung kein Anlaß besteht, "weil für das Dachgeschoß keine Jahresrohmiete angesetzt werden kann". Ist aber für das Dachgeschoß eine Jahresrohmiete angesetzt, so entspricht es dem Sinn und Zweck des § 80 Abs. 4 BewG, daß der unterschiedlichen Bauart und Bauausführung und der damit verbundenen unterschiedlichen Lebensdauer auch durch Anwendung unterschiedlicher Vervielfältiger Rechnung getragen wird. Die Nichtanwendung des § 80 Abs. 4 BewG kann in einem solchen Falle auch nicht mit dem Hinweis darauf begründet werden, daß es auch bei der Bewertung von Geschäftsgrundstücken für die Gebäudeklasseneinteilung unerheblich sei, ob das Dach eines Massivbaues in Holzkonstruktion errichtet oder ausgebaut ist. Der Kläger weist mit Recht darauf hin, daß ein Fabrikdach - anders wie das ausgebaute und zu Wohnzwecken genutzte Dachgeschoß eines Einfamilienhauses - im allgemeinen außer der Bedachung keine weitere Funktion hat.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG - von seinem Standpunkt aus zu Recht - bisher keine Feststellungen darüber getroffen hat, wie sich die Jahresrohmiete auf das Erdgeschoß und das Dachgeschoß verteilt. Da dies unter den Beteiligten umstritten ist, müssen diese Feststellungen noch getroffen werden. Die Sache wird deshalb an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 70540

BStBl II 1973, 726

BFHE 1974, 59

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