Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Behandlung wiederkehrender Leistungen aus einem Vermögensübergabevertrag beim Rechtsnachfolger des Übergebers
Leitsatz (NV)
1. Werden aufgrund eines Vermögensübergabevertrages geschuldete Versorgungs leistungen nicht zum Fälligkeitszeitpunkt ausgezahlt, sondern beim Verpflichteten "stehengelassen", ist zur steuerrechtlichen Anerkennung erforderlich, daß ein wie unter fremden Dritten üblicher Darlehensvertrag abgeschlossen wird, der insbesondere hinsichtlich Verzinsung, Laufzeit und Rückzahlung des Darlehens einem Fremdvergleich standhält (vgl. Senatsurteil vom 24. März 1993 X R 4/92, BFH/NV 1993, 717). Andernfalls sind die wiederkehrenden Leistungen beim Verpflichteten nicht als dauernde Last abziehbar und beim Bezieher oder seinem Rechtsnachfolger (§ 24 Nr. 2 EStG) nicht als Einkünfte aus sonstigen wiederkehrenden Leistungen steuerbar.
2. Ob die wiederkehrenden Leistungen "ausgezahlt" worden sind, ist anhand der Rechtsgrundsätze zu ermitteln, die für die Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG entwickelt worden sind.
3. Sind Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen bereits dem Erblasser zugeflossen und erhält ein (Mit-)Erbe seinen Anteil hieran im Rahmen der Verteilung des Nachlaßvermögens ausgezahlt, ist dies ein nichtsteuerbarer Vorgang.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 1 Nr. 7, § 11 Abs. 1 S. 1, § 24 Nr. 2, § 22 Nr. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war mit Bescheid vom 27. September 1983 zur Einkommensteuer 1982 veranlagt worden. Aufgrund einer Kontrollmitteilung wurde dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) folgender Sachverhalt bekannt:
Der Kläger ist zu 1/12 Anteil Erbe an seiner am 18. Dezember 1980 verstorbenen Großmutter A. Diese war früher Kommanditistin der A-KG (im folgenden: KG) und Eigentümerin der Betriebsgrundstücke dieser Gesellschaft gewesen. Mit notariellem Vertrag vom 19. Dezember 1969 übertrug sie ihre Kommanditanteile und das Eigentum an den Betriebsgrundstücken im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf ihre Tochter B, die Komplementärin der KG. A behielt sich den Nießbrauch an der übertragenen Kommanditbeteiligung vor. B verpflichtete sich, den Gewinn aus der Kommanditbeteiligung so abzurechnen, "daß die Höhe der Nutznießung unzweideutig zu erkennen und festzustellen ist". A behielt sich ferner den Nießbrauch an dem übertragenen Grund eigentum vor. Es handelte sich um ein "Bruttonießbrauchsrecht von mindestens 4 000 DM pro Monat".
Die KG schrieb die der B zustehenden Beträge auf einem Unterkonto zu deren Kapitalkonto gut. Die Grundstücksmiete von monatlich 4 000 DM wurde von der KG als Aufwand gebucht und dem Unterkonto als Einlage gutgeschrieben. Der Betrag von 48 000 DM jährlich wurde außerhalb der Bilanz dem Gewinn von B hinzugerechnet. Zu Lasten des Kontos der A wurden monatlich 3 000 DM, Spenden in Höhe von jährlich 1 200 DM und die persönlichen Steuern ausgezahlt. Die übrigen Gewinn anteile und Mieterträge blieben auf dem Unterkonto stehen und beliefen sich zum 18. Dezember 1980 auf 286 682 DM. Der Kläger erhielt im Oktober 1982 hiervon entsprechend seinem Erbteil (1/12) einen Betrag von 23 890 DM.
Im Rahmen der Gewinnfeststellungen der KG wurden die Anteile am Gewinn und die Mietzahlungen als Gewinnanteile der B angesehen; es bestand Einigkeit darüber, daß A aufgrund der Nießbrauchsrechte nicht Mitunternehmerin geblieben sei. B behandelte die tatsächlichen Auszahlungen als Sonderausgaben (dauernde Last); A erfaßte sie als sonstige Einkünfte. Auch die Zahlung an den Kläger wurde bei B als Sonderausgaben abgezogen.
Das FA nahm an, die fraglichen Beträge seien erst mit der Überweisung an den Kläger bei diesem zugeflossen. In dem nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1982 vom 25. November 1985 erfaßte es die Zahlung in Höhe von 23 890 DM mit dem vollen Betrag als sonstige Einkünfte (§ 22 Nr. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --).
Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Der Kläger habe als Rechtsnachfolger gemäß § 24 Nr. 2 EStG die "ihm im Jahre 1982 zugeflossenen, von A erzielten sonstigen Einkünfte i. S. von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG" zu versteuern. In den Gewinnfeststellungsbescheiden der KG sei mit bindender Wirkung für das vorliegende Verfahren entschieden worden, daß A nicht Mitunternehmerin gewesen sei. -- Die von dieser erzielten Erträge seien Versorgungsleistungen, die bei B als der Verpflichteten als Sonderausgaben (dauernde Last) abziehbar (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 1 EStG) und beim Bezieher nach § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG steuerbar seien. Seien diese Erträge der Berechtigten noch nicht zu deren Lebzeiten zugeflossen, wovon das FA zu Recht ausgegangen sei, so habe der Rechtsnachfolger diese im Zeitpunkt des Zuflusses zu versteuern, wobei die Einkunftsart unverändert bleibe (Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. November 1989 I R 19/87, BFHE 159, 162, BStBl II 1990, 246). Eine Vereinbarung zwischen B und A, nach der erstere jederzeit über die Beträge hätte verfügen können, sei nicht geschlossen worden. Eine Gutschrift in den Büchern der Verpflichteten bedeute in der Regel nur ein buchmäßiges Festhalten einer Schuld. Vorliegend fehle es schon an einer Gutschrift in den Büchern der B als der Verpflichteten. Die Führung eines Unterkontos zum Kapitalkonto der B habe im Streitjahr lediglich die Aufgabe gehabt, "die Verpflichtung von B nach dem Übertragungsvertrag zu erfüllen, die Abrechnung des Gewinns vorzunehmen und auszuweisen, um die Höhe der Nutznießung fest zustellen". B und A seien zu den Lebzeiten letzterer davon ausgegangen, daß nur die tatsächlich gezahlten Beträge zu- bzw. abgeflossen seien. Auf die Frage, ob A über die Bankkonten der KG noch hätte verfügen können, komme es daher nicht an.
Mit der Revision rügt der Kläger Ver letzung des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. Die Auszahlung an ihn sei nur eine reine Ver mögensumschichtung. A habe "uneingeschränkt und umfassend" Vollmachten über alle betrieblichen Konten der KG gehabt. Sie sei durch die "Dokumentation der Beträge" laufend darüber informiert gewesen, was ihr "aus dem Nießbrauchsvorbehalt" zugestanden habe. Sie habe wirtschaftlich -- jederzeit -- über die Beträge verfügen können. Hierzu habe es keiner ausdrücklichen Vereinbarung mit ihrer Tochter bedurft. Das Unterkonto habe die Funktion erfüllt, die fraglichen Beträge zu ihrer Verfügung zu halten. Sie habe die Beträge der KG aus eigener Entscheidung belassen, um deren Liquidität nicht durch "private Entnahmen" zu belasten.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1982 dahin zu ändern, daß sonstige Einkünfte in Höhe von 23 890 DM nicht berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Nach Auffassung des FG sind die von der Gesellschafterin B erwirtschafteten Erträge mit der Wirkung auf die Nießbraucherin A "übergeleitet" worden, daß diese die Erträge -- deren Zufluß vorausgesetzt -- als wiederkehrende Bezüge nach § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG zu versteuern hatte. Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, ob im Zusammenhang mit Nießbrauchsgestaltungen dieser Auslegung der § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 1/§ 22 Nr. 1 Satz 1 EStG zu folgen ist. Jedenfalls waren die wiederkehrenden Bezüge nicht als Einkünfte i. S. des § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG steuerbar: Entweder ist der Übergabevertrag vom 19. Dezember 1969 nicht wie vereinbart durchgeführt worden; dann scheitert die Steuerbarkeit an § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG, weil A nichtsteuerbare Zuwendungen erhalten hat. Unter dieser Voraussetzung sind dem Kläger als Rechtsnachfolger keine "Einkünfte aus einem früheren Rechtsverhältnis i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG" zugeflossen; vielmehr sind ihm im Rahmen der Teilung des Nachlasses Beträge zugewiesen worden, die bei A als nichtsteuerbare Zuwendungen zu beurteilen sind (unten 2.).
Oder aber B hat die zugesagten Versorgungsleistungen vertragsgemäß erbracht, mithin auch in der Weise, daß die Versorgungsleistungen der A i. S. von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen und damit "bezogen" waren; auch dann gehört die Verteilung des Vermögens der A zum nichtsteuerbaren Vorgang der Verteilung des Nachlasses (unten 3.).
2. Werden vertraglich geschuldete Versorgungsleistungen nicht zum Fälligkeitszeitpunkt ausgezahlt, sondern beim Verpflichteten "stehengelassen", ist zur steuerlichen Anerkennung erforderlich, daß ein wie unter fremden Dritten üblicher Darlehens vertrag geschlossen wird, der insbesondere hinsichtlich Verzinsung, Laufzeit und Rückzahlung des Darlehens einem Fremdvergleich standhält (BFH-Urteil vom 24. März 1993 X R 4/92, BFH/NV 1993, 717). Sind diese Anforderungen an die Durchführung des Übergabe- und Versorgungsvertrages nicht erfüllt, sind die wiederkehrenden Leistungen beim Verpflichteten nicht als dauernde Last abziehbar und beim Bezieher nicht als Einkünfte aus sonstigen wiederkehrenden Leistungen steuerbar. Ob die wiederkehrenden Leistungen "ausgezahlt" worden sind, ist anhand der Rechtsgrundsätze zu entscheiden, die für die Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG entwickelt worden sind (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 24. März 1993 X R 55/91, BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499).
Das FG hat angenommen, daß ein Zufluß i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG bei A zu deren Lebzeiten nicht stattgefunden hat. Unter dieser Voraussetzung wären die aus dem Übergabevertrag geschuldeten Versorgungsleistungen einkommensteuerrechtlich weder bei der Verpflichteten noch bei der Bezugsberechtigten zu beachten. Die Auszahlung wäre auch nicht auf der Rechtsgrundlage des § 24 Nr. 2 EStG beim Kläger als Rechtsnachfolger nach A steuerbar.
Nach § 24 Nr. 2 EStG sind Einkünfte aus einem früheren Rechtsverhältnis i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch dann steuerpflichtig, wenn sie dem Steuerpflichtigen als Rechtsnachfolger zufließen. Es handelt sich um Einkünfte, für die der Tatbestand der Einkunftserzielung teilweise beim Rechtsvorgänger (Leistungserbringung) und teilweise beim Rechtsnachfolger (Zufluß des Entgelts) erfüllt wird. Die Einkunftsart bleibt in der Person des Rechtsnachfolgers grundsätzlich gleich (BFH in BFHE 159, 162, 163, BStBl II 1990, 246). Sollte der Übergabevertrag vom 19. Dezember 1969 nicht durchgeführt worden sein, wären tatsächliche Zahlungen an die A -- zu deren Lebzeiten -- nichtsteuerbare Zuwendungen (§ 22 Nr. 1 Satz 2 EStG). Ein -- zumal nicht wiederkehrender -- Zufluß beim Kläger als Rechtsnachfolger könnte auch bei diesem nicht zu Einkünften aus wiederkehrenden Bezügen führen.
3. Waren die der A gutgeschriebenen Beträge von dieser bereits als Einkünfte bezogen, waren sie -- möglicherweise -- in ihrer Person steuerbar. Die den Einkommensteueranspruch begründenden Tatbestandsmerkmale sind dann von ihr erfüllt worden. Die entsprechenden bis zum Todeszeitpunkt erzielten Einkünfte hätten ggf. in eine die Erblasserin A betreffende Veranlagung einbezogen werden müssen, um die Höhe der auf die Erben im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergegangene Nachlaßverbindlichkeit (§ 45 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) zu ermitteln. Erhält ein Miterbe seinen Anteil aus dem (Nachlaß-)Vermögen ausbezahlt, das aus bezogenen Einkünften gebildet worden ist, ist dies ein nichtsteuerbarer Vorgang.
4. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist und sein Urteil auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Der Klage war gemäß dem Antrag des Klägers dadurch stattzugeben, daß der Änderungsbescheid vom 25. November 1985 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben sind.
Fundstellen
Haufe-Index 65301 |
BFH/NV 1995, 498 |