Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen Einkünften aus Kapitalvermögen und Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat hält daran fest, daß Einnahmen aus Kapitalvermögen bezieht, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt.
2. Geldansprüche aus einem Arbeitsverhältnis können sonstige Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs.1 Nr.7 EStG 1987 (§ 20 Abs.1 Nr.4 EStG 1975) sein.
3. Die Abgrenzung zwischen den Einkünften aus Kapitalvermögen und den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist aus der Wesensart der jeweiligen Einkunftsart zu treffen. Maßgebend ist die Einkunftsart, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt.
Orientierungssatz
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die Kapitalnutzung sind. Unerheblich ist, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag oder --wie bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen-- ein Kaufvertrag oder ein anderer Rechtsgrund zugrunde liegt (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG 1987 § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 3, § 21 Abs. 1, § 19 Abs. 1; EStG 1975 § 20 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Der Kläger ist kaufmännischer Angestellter bei der Firma Z. Am 27.Dezember 1973 wurde zwischen der Firma und dem Kläger folgende Vereinbarung getroffen:
"§ 1 Die Firma gewährt Herrn A als Beteiligung
am Jahresgewinn 1973 eine einmalige Gratifikation
in Höhe von
DM 30 000.--
(i.W. dreißigtausend)
§ 2 Diese Gratifikation wird unabhängig vom Fortbestehen
des Arbeitsverhältnisses gewährt.
§ 3 Die Gratifikation wird wie folgt gutgeschrieben:
DM 30 000.-- ....... zum 31.12.1975.
§ 4 Die Vertragspartner vereinbaren, daß der gutgeschriebene
Betrag auf die Dauer von 15 Jahren in der Firma verbleibt,
gerechnet vom Zeitpunkt der Gutschrift ab.
Sie vereinbaren weiter, daß der gutgeschriebene Betrag
vom Zeitpunkt der Gutschrift ab jährlich mit 5 Prozent
(i.W. fünf) zu verzinsen ist. Die Zinsen sind im
Dezember jeden Jahres zahlbar.
Ausgezahlt wird der Gutschriftsbetrag demgemäß wie
folgt:
DM 30 000.-- zum 31.12.1990.
Die Firma ist berechtigt, diesen Betrag vor Ablauf der
festgesetzten Frist auszuzahlen.
§ 5 Die Firma wird im Zeitpunkt der Steuerpflicht beim
Arbeitnehmer von vorgenanntem Betrag die entsprechende
Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer einbehalten und
abführen. Der oben genannte Gutschriftsbetrag vermindert
sich damit entsprechend.
§ 6 Eine Abtretung oder Verpfändung der Ansprüche aus
dieser Vereinbarung ist ausgeschlossen."
Auf Grund dieser Vereinbarung sind dem Kläger im Streitjahr 1976 1 500 DM an Zinsen zugeflossen. Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer wurden von den Zinsen nicht einbehalten.
Auch von dem Gratifikationsbetrag wurden im Zeitpunkt der Gutschrift weder Lohnsteuer noch Kirchenlohnsteuer einbehalten. Von der Gratifikation sollen Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer erst bei Auszahlung im Jahr 1990 einbehalten und abgeführt werden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erfaßte die 1 500 DM an Zinsen in dem nach § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1976 als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) behandelte die Zinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen und kürzte die 1 500 DM um den Werbungskosten- Pauschbetrag von 200 DM und den Sparer-Freibetrag von 600 DM. Das FG führt aus, der Kläger habe im Ergebnis auf die Auszahlung einer ihm gegen seinen Arbeitgeber zustehende Forderung verzichtet und diesem dadurch Kapital belassen. Es handele sich um eine sonstige Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs.1 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die als Gegenleistung für die Kapitalüberlassung gewährten Zinsen seien beim Kläger als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen. Der Zuordnung der Zinsen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen stehe nicht entgegen, daß der Arbeitgeber sicher nur unter der Voraussetzung des Hinausschiebens der Fälligkeit der Gratifikation bereit gewesen sei, die Gewinnbeteiligung zu gewähren.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 11, 19 und 20 EStG. Die dem Kläger im Jahr 1976 zugeflossenen Erträge aus der Zusage einer Erfolgsprämie gehörten nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei mehrfach zum Ausdruck gekommen, daß als Zinsen bezeichnete Leistungen für eine beim Arbeitgeber zunächst verbliebene Erfolgsprämie nicht als Darlehenszinsen, sondern als zusätzlicher Arbeitslohn zu behandeln seien. Die zugesagte Gratifikation sei dem Kläger noch nicht zugeflossen. Die Nichtauszahlung der Gratifikation habe im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers gelegen, der mit den zugesagten Beträgen noch auf die Dauer von 15 Jahren wirtschaften konnte. Das FG verkenne, daß Erträge, die aus einem noch nicht zugeflossenen Stammrecht resultierten, nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen führen könnten.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kläger halten daran fest, daß die Zinsen nicht Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sind, sondern Einnahmen aus Kapitalvermögen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die dem Kläger im Streitjahr 1976 zugeflossenen Zinsen für die zugesagte Gratifikation Einnahmen aus Kapitalvermögen sind.
1. Einkünfte aus Kapitalvermögen sind nach § 20 Abs.3 EStG den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung zuzurechnen, wenn sie zu diesen Einkünften gehören. Eine Zurechnung zu einer dieser Einkunftsarten erfolgt, wenn die Einkünfte in wirtschaftlichem Zusammenhang mit diesen anderen Einkünften erzielt werden (BFH-Urteil vom 8.April 1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557, m.w.N.).
Eine entsprechende Kollisionsregelung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und zu den sonstigen Einkünften hat der Gesetzgeber in § 20 Abs.3 EStG nicht getroffen. Die Abgrenzung zu diesen Einkunftsarten ist aus der Wesensart der jeweiligen Einkunftsart zu treffen. Maßgebend ist die Einkunftsart, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt (vgl. BFH-Urteile vom 21.April 1961 VI 158/59 U, BFHE 73, 449, BStBl III 1961, 431; vom 21.Juli 1981 VIII R 154/76, BFHE 134, 113, 118, BStBl II 1982, 37, 40; vom 19.Oktober 1982 VIII R 97/79, BFHE 137, 418, BStBl II 1983, 295; v. Bornhaupt, Finanz-Rundschau --FR-- 1989, 423).
Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die dem Kläger im Streitjahr 1976 zugeflossenen Zinsen den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen.
2. Einnahmen aus Kapitalvermögen bezieht, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt (BFH-Urteil vom 9.März 1982 VIII R 160/81, BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540, m.w.N.; BFH-Beschluß vom 29.November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 438, BStBl II 1983, 272, 274; BFH-Urteil vom 18.Dezember 1986 I R 52/83, BFHE 149, 440, 445, BStBl II 1988, 521, 524).
Das Schrifttum ist der Rechtsprechung weitgehend gefolgt (z.B. Blümich/Stuhrmann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 13.Aufl., § 20 Rz.27 ff.; Conradi in Littmann/Bitz/Meincke, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 15.Aufl., § 20 Rdnr.15 ff.; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 8.Aufl., § 20 Anm.4). Kritisch neuerdings Wassermeyer (Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1988, 283), der in der Tatbestandsumschreibung eine "Leerformel" sieht.
Für den erkennenden Senat besteht kein Anlaß, die Begriffsbestimmung zu ändern. Er hält die Kritik nicht für berechtigt. Sie trifft nicht den Kern der Aussage und berücksichtigt nicht, daß der BFH auch bei anderen Einkunftsarten darauf abstellt, wer den Tatbestand einer Einkunftsart erfüllt, z.B. bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, wer die rechtliche und tatsächliche Macht hat, die in § 21 Abs.1 EStG genannten Wirtschaftsgüter anderen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen (BFH-Urteil vom 15.April 1986 IX R 52/83, BFHE 146, 415, 417, BStBl II 1986, 605; vom 7.Oktober 1986 IX R 167/83, BFHE 148, 501, 505, BStBl II 1987, 322; vom 7.April 1987 IX R 103/85, BFHE 150, 124, 127, BStBl II 1987, 707).
3. Zu Recht hat das FG entschieden, daß der Kläger Kapital gegen Entgelt zur Nutzung überlassen hat und daß es sich bei den von der Firma Z gezahlten Beträgen um Zinsen aus einer sonstigen Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs.1 Nr.4 EStG 1975 (§ 20 Abs.1 Nr.7 EStG 1987) handelt.
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die Kapitalnutzung sind (BFH-Urteile vom 25.Juni 1974 VIII R 109/69,BFHE 113, 207, BStBl II 1974, 735; vom 14.Februar 1984 VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580). Unerheblich ist, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag oder --wie bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen-- ein Kaufvertrag oder ein anderer Rechtsgrund zugrunde liegt (BFH-Urteil vom 13.Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252). Demzufolge können Geldansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sonstige Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs.1 Nr.4 EStG sein. Die Kapitalüberlassung wird in der Regel freiwillig erfolgen; doch kann auch die vom Schuldner erzwungene Kapitalüberlassung zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen (BFH-Urteil vom 8.April 1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557, m.w.N.).
Auf Grund der Vereinbarung vom 27.Dezember 1973 hat der Kläger eine Forderung gegen seinen Arbeitgeber erworben. Diese sollte zwar erst am 31.Dezember 1990 ausgezahlt werden; sie durfte auch nicht abgetreten und verpfändet werden. Die Forderung konnte jedoch Gegenstand eines Kapitalnutzungsverhältnisses sein; denn dieses setzt nicht voraus, daß die Forderung fällig ist.
Ebenso wie die Überlassung von Kapital, das durch Kredit beschafft worden ist, zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen kann, ist dies bei einer Kapitalforderung möglich, die der Schuldner erst zu einem späteren Zeitpunkt auszahlen soll. Auch eine erst in einem späteren Zeitpunkt fällig werdende Forderung hat in der Regel bereits einen wirtschaftlichen Wert, so daß sie für eine Kapitalnutzung geeignet sein kann.
Die BFH-Urteile vom 3.Juli 1964 VI 262/63 U (BFHE 81, 225, BStBl III 1965, 83), vom 30.Januar 1974 I R 139/71 (BFHE 112, 125, BStBl II 1974, 454) und vom 18.Juni 1980 I R 72/76 (BFHE 131, 303, BStBl II 1980, 741), auf die sich das FA zur Begründung seiner Ansicht beruft, haben andere Sachverhalte als den des Streitfalls zum Gegenstand. In diesen Fällen war das zu entscheidende Problem ein anderes als das der Qualifizierung der aus einer Tantiemezusage hervorgehenden Zinsen. Dem BFH-Urteil vom 14.Mai 1982 VI R 124/77 (BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469), auf das sich das FA zur Stützung seiner Rechtsauffassung ebenfalls beruft, ist darüber hinaus zu entnehmen, daß der BFH in dem dort entschiedenen Fall davon ausgegangen ist, Zinszahlungen könnten auch dann Entgelt für eine hinausgeschobene Fälligkeit sein, wenn über das Kapital nicht in einer Weise verfügt worden ist, daß es als zugeflossen angesehen werden muß (a.a.O. unter III 2 c bb).
Unter diesen Umständen konnte das FG mit Recht davon ausgehen, daß die Zinszahlung im Streitjahr nicht mehr mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stand, also nicht mehr Entlohnung für die frühere Tätigkeit sein konnte, sondern allein Gegenleistung für die Überlassung der Kapitalnutzung war.
Fundstellen
Haufe-Index 62544 |
BStBl II 1990, 532 |
BFHE 160, 11 |
BFHE 1991, 11 |
BB 1990, 1397 |
BB 1990, 1397-1399 (LT) |
DB 1990, 1216-1217 (LT) |
DStR 1990, 384 (KT) |
DStZ 1990, 55 (KT) |
HFR 1990, 427 (LT) |
StE 1990, 190 (K) |