Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt des Erlassens einer Vorpfändung von Steuererstattungsansprüchen
Leitsatz (amtlich)
Die Vorpfändung eines Steuererstattungsanspruchs ist mit der vom Gerichtsvollzieher bewirkten Zustellung des die Vorpfändung enthaltenden Schreibens i.S.d. § 46 Abs. 6 AO "erlassen". Auf den Zeitpunkt, zu dem das Schreiben dem Gerichtsvollzieher übergeben worden ist, kommt es nicht an.
Leitsatz (redaktionell)
Auf Vorpfändungen von Steuererstattungsansprüchen ist § 46 Abs. 6 AO entsprechend anwendbar, denn die Vorpfändung wirkt wie eine Beschlagnahme der betroffenen Forderung und begründet den Rang des Pfändungspfandrechts, das durch eine Pfändung innerhalb eines Monats seit Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbots entsteht. Sie muss daher für ihre Wirksamkeit die gleichen Anforderungen erfüllen wie der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss.
Normenkette
ZPO § 845; AO § 46 Abs. 6, § 37 Abs. 1, § 38
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Essen vom 23.8.2010 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
I.
Rz. 2
Die Gläubigerin betreibt aus einer vollstreckbaren notariellen Urkunde die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner wegen eines Teilbetrags von 500.000 EUR nebst Zinsen und Kosten.
Rz. 3
Am 2.1.2007 um 07.45 Uhr stellte der Gerichtsvollzieher dem Drittschuldner, einem Finanzamt, im Wege der Vorpfändung ein vorläufiges Zahlungsverbot der Gläubigerin zu. Damit kündigte die Gläubigerin an, dass die Pfändung der Ansprüche des Schuldners auf Zahlung des Lohnsteuerjahresausgleichs, insb. von Lohn- und Kirchensteuer sowie auf Erstattung von Einkommens-, Kirchen- und Vermögenssteuer für das Jahr 2006 bevorstehe. Das das vorläufige Zahlungsverbot enthaltende Schreiben hatte die Gläubigerin auf den 2.1.2007 vordatiert und dem Gerichtsvollzieher bereits am 27.12.2006 übergeben. Ebenfalls am 2.1.2007, jedoch nach Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbots, zeigte der Schuldner dem Drittschuldner an, dass er seinen Erstattungsanspruch an eine Frau R. abgetreten habe.
Rz. 4
Am 23.1.2007 erwirkte die Gläubigerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit dem die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner auf Erstattung der im vorläufigen Zahlungsverbot aufgeführten Steuern gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen wurden. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Schuldners, mit der er die Unwirksamkeit der Vorpfändung geltend machte, hatte keinen Erfolg. Die sofortige Beschwerde hat der Schuldner nach richterlichem Hinweis auf mangelnde Erfolgsaussicht zurückgenommen.
Rz. 5
Die anschließend eingelegte Erinnerung des Schuldners gegen die Vorpfändung hat das AG zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Aufhebung der Vorpfändung erreichen.
II.
Rz. 6
Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in Rpfleger 2011, 95 veröffentlicht ist, bejaht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erinnerung des Schuldners und sieht die Vorpfändung als mit der Zustellung an das Finanzamt wirksam geworden an. Die Vorpfändung sei nicht in entsprechender Anwendung des § 46 Abs. 6 AO nichtig. Nach dieser Vorschrift dürfe ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht erlassen werden, bevor der Steuererstattungsanspruch entstanden sei. Bei entsprechender Anwendung des § 46 Abs. 6 AO auf die Vorpfändung komme es für den Zeitpunkt des "Erlasses" darauf an, wann der Gerichtsvollzieher durch seine Entäußerung in Richtung auf den Rechtsverkehr der Vorpfändung Wirkung verleihe. Dieser Zeitpunkt falle bei einer Übergabe durch den Gerichtsvollzieher an den Drittschuldner mit dem Zustellungszeitpunkt zusammen. Es spiele daher keine Rolle, dass das Vorpfändungsschreiben noch vor der mit Ablauf des Jahres 2006 eintretenden Fälligkeit des zu pfändenden Steuererstattungsanspruchs an den Gerichtsvollzieher übergeben worden sei.
III.
Rz. 7
Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Rz. 8
1. Gemäß § 46 Abs. 6 AO darf ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht erlassen werden, bevor der zu pfändende Steuererstattungsanspruch entstanden ist. Ein entgegen diesem Verbot erwirkter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist nichtig (§ 46 Abs. 6 Satz 2 AO). Entstanden und pfändbar ist der Erstattungsanspruch aus einem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO), wenn der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, § 38 AO. Die Einkommenssteuer ist eine Jahressteuer; Veranlagungszeitraum ist das Kalenderjahr (§ 25 Abs. 1 EStG). Entsprechendes gilt für die Kirchensteuer (Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rz. 391) und auch für die Vermögenssteuer, § 20 Vermögenssteuergesetz. Die entsprechenden Steuererstattungsansprüche entstehen dementsprechend mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums (BFH BFHE 161, 412, 414; OLG Koblenz, ZVI 2004, 614). Der Anspruch des Schuldners auf Lohnsteuerjahresausgleich 2006 ist folglich mit Ablauf des Jahres 2006 entstanden.
Rz. 9
2. Das Beschwerdegericht geht zutreffend davon aus, dass auf Vorpfändungen von Steuererstattungsansprüchen § 46 Abs. 6 AO entsprechend anwendbar ist (Stöber, Forderungspfändung, a.a.O., Rz. 371; Smid in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 829 Rz. 15; Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 829 Rz. 9). Denn die Vorpfändung wirkt wie eine Beschlagnahme der betroffenen Forderung (BGH, Urt. v. 30.3.1983 - VIII ZR 7/82, BGHZ 87, 166, 168) und begründet den Rang des Pfändungspfandrechts, das durch eine Pfändung innerhalb eines Monats seit Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbots entsteht (§ 845 Abs. 2 i.V.m. §§ 804, 930 Abs. 1 ZPO; BGH, Urt. v. 8.5.2001 - IX ZR 9/99, NJW 2001, 2976). Sie muss daher für ihre Wirksamkeit die gleichen Anforderungen erfüllen wie der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss.
Rz. 10
3. Es kommt danach darauf an, ob die Vorpfändung i.S.d. § 46 Abs. 6 AO erst im Jahre 2007 "erlassen" worden ist. Mit zutreffenden Erwägungen und in Übereinstimmung mit der Literatur (vgl. Stöber, Forderungspfändung, a.a.O., Rz. 371; Brehm in Stein/Jonas, a.a.O., § 829 Rz. 9; Musielak/Becker, ZPO, 8. Aufl., § 829 Rz. 28; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 845 Rz. 2; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 46 AO Rz. 114; Buciek, DB 1985, 1428, 1432) hat das Beschwerdegericht auf den Zeitpunkt der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher am 2.1.2007 abgestellt. Dabei hat es richtig hervorgehoben, dass bei gerichtlichen Pfändungsbeschlüssen nicht der Zeitpunkt der Zustellung maßgebend ist, sondern der Zeitpunkt, zu dem der unterschriebene Beschluss aus dem internen Geschäftsgang des Gerichts herausgelangt ist, das Gericht sich also des Beschlusses entäußert hat (BGH, Urt. v. 19.10.2005 - VIII ZR 217/04, BGHZ 164, 347, 354). Entsprechendes gilt bei behördlichen Pfändungsverfügungen (vgl. BFH BFHE 161, 412, 416). Es hat auch richtig gesehen, dass einer Vorpfändung keine derartige hoheitliche Maßnahme vorausgeht, so dass insoweit kein geeigneter Anknüpfungspunkt besteht. Vielmehr muss bei der entsprechenden Anwendung des § 46 Abs. 6 AO auf den Zeitpunkt abgestellt werden, in dem die Vorpfändung hoheitliche Wirkung entfaltet. Das ist der Zeitpunkt der Zustellung an den Drittschuldner, weil in diesem Augenblick die Wirkung der Beschlagnahme eintritt. Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, der richtige Zeitpunkt sei die Übergabe des Vorpfändungsschreibens durch den Gläubiger an den Gerichtsvollzieher. Dem kann nicht gefolgt werden, weil diese Übergabe nicht mit einer hoheitlichen Maßnahme vergleichbar ist, wie sie ein Pfändungsbeschluss oder eine Pfändungsverfügung darstellen.
Rz. 11
Zutreffend hat das Beschwerdegericht entschieden, dass diese Auslegung mit Sinn und Zweck des § 46 Abs. 6 AO im Einklang steht und zudem dazu beiträgt, eine Benachteiligung des Pfändungsgläubigers gegenüber dem Zessionar zu verhindern (vgl. auch Buciek, DB 1985, 1428).
Rz. 12
4. Ob der Schuldner nach bestandskräftiger Pfändung der Forderung noch ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Erinnerung hat, mit der er die Unwirksamkeit der Vorpfändung mit dem Ziel geltend macht, sich auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses auf die Unwirksamkeit der Pfändung berufen zu können (vgl. OLG Köln Rpfleger 1991, 261; Musielak/Becker, ZPO, 8. Aufl., § 845 Rz. 11; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rz. 811; Smid in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 845 Rz. 23), muss der Senat nach allem nicht entscheiden.
IV.
Rz. 13
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2847942 |
BFH/NV 2012, 541 |
DB 2012, 228 |
HFR 2012, 335 |
NJW 2011, 8 |
NWB 2011, 4303 |
EBE/BGH 2011 |
JurBüro 2012, 102 |
WM 2011, 2333 |
DGVZ 2012, 30 |
MDR 2012, 54 |
ZInsO 2012, 97 |
FoVo 2012, 33 |
GK/BW 2013, 39 |
VE 2012, 21 |
GK/Bay 2012, 337 |