Entscheidungsstichwort (Thema)
Angemessenheit der Barabfindung. Ausschluß von Minderheitsaktionären. Gewinnabführungsvertrag. Unternehmenswert. Ausgleichszahlung. Höhe der Abfindung. Geeignete Bewertungsmethode. Minderheitsaktionär. Ertragswertmethode
Leitsatz (amtlich)
Für die Angemessenheit der Barabfindung im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären ist bei Vorliegen eines (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts jedenfalls dann maßgeblich, wenn dieser höher ist als der Barwert der aufgrund des (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags dem Minderheitsaktionär zustehenden Ausgleichszahlungen.
Normenkette
AktG §§ 327a, 327b
Verfahrensgang
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 8. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt/M. vom 4.9.2013 dahingehend abgeändert, dass die Abfindung auf 323,65 EUR je Aktie festgesetzt wird.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die zweitinstanzlichen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zu 2) zu tragen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin war Aktionärin der inzwischen aus dem Spruchverfahren ausgeschiedenen Antragsgegnerin zu 1), deren Mehrheitsgesellschafterin mit einem Anteil von 98,8 % der Aktien die Antragsgegnerin zu 2) war. Die Antragsgegnerinnen schlossen am 30.5.2001 einen Gewinnabführungsvertrag, in dem eine Ausgleichszahlung i.H.v. 15,34 EUR und eine Barabfindung für außenstehende Aktionäre i.H.v. 285,64 EUR festgesetzt waren. Die Hauptversammlung der Antragsgegnerin zu 1) stimmte dem Unternehmensvertrag am 6.7.2001 zu. Die Eintragung des Beschlusses im Handelsregister erfolgte am 11.9.2001, die Veröffentlichung der Eintragung am 9.10.2001. Im Rahmen eines weiteren Spruchverfahrens wurden mit Beschluss vom 4.9.2013 die Barabfindung auf 316 EUR und die Ausgleichszahlung vor Steuern auf 24,60 EUR erhöht.
Rz. 2
Mit Einladung zur Hauptversammlung am 29.5.2002 wurde bekannt, dass die Antragsgegnerin zu 2) den Ausschluss der Minderheitsaktionäre der Antragsgegnerin zu 1) beabsichtigte. Der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs zu diesem Zeitpunkt belief sich auf 296,25 EUR. Die von der Antragsgegnerin beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ermittelte einen Unternehmenswert von 2.335.727.000 EUR und einen anteiligen Wert pro Aktie von 281,07 EUR. Da man den Börsenkurs für nicht aussagekräftig hielt, wurde die Abfindung unter Berücksichtigung des geringeren anteiligen Unternehmenswertes auf der Grundlage einer Fortschreibung der im Gewinnabführungsvertrag festgesetzten Barabfindung auf 281,98 EUR festgesetzt. Die gerichtlich bestellte Übertragungsprüferin bestätigte die vorgesehene Abfindung als angemessen. Die Hauptversammlung der Antragsgegnerin zu 1) beschloss am 5.7.2002 den Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen Gewährung einer Abfindung i.H.v. 281,98 EUR. Der umsatzgewichtete durchschnittliche Börsenkurs drei Monate vor diesem Tag belief sich auf 290,96 EUR. Die Eintragung des Übertragungsbeschlusses erfolgte am 17.9.2002. Bestrebungen, den zwischen den beiden Antragsgegnerinnen bestehenden Unternehmensvertrag zu beenden, gab es während dieser Zeit nicht.
Rz. 3
Daraufhin haben mehrere Minderheitsaktionäre ein Spruchverfahren eingeleitet mit dem Ziel, die Angemessenheit der gewährten Abfindung gerichtlich überprüfen zu lassen. Nach Eingang des gerichtlich beauftragten Sachverständigengutachtens haben sich die ursprünglich als weitere Antragsteller am Spruchverfahren beteiligten Minderheitsaktionäre und der Vertreter der außenstehenden Aktionäre mit den Antragsgegnerinnen in einem Teilverfahrensvergleich auf eine Erhöhung der Barabfindung auf 316 EUR geeinigt. Das LG hat hinsichtlich der auf der Antragstellerseite verbleibenden Antragstellerin die Abfindung auf 316 EUR festgesetzt. Der vom gerichtlich bestellten Sachverständigen ermittelte anteilige Unternehmenswert von 323,65 EUR sei nicht maßgeblich, weil die Abfindung bei bestehendem Unternehmensvertrag durch den Barwert der Ausgleichszahlungen bestimmt werde. Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 2) eingelegt.
Rz. 4
Das OLG (OLG Frankfurt ZIP 2014, 2439) hält die sofortige Beschwerde für zulässig und möchte die Barabfindung auf 317,24 EUR festsetzen. Dabei geht es wie das LG davon aus, dass die angemessene Abfindung durch den Barwert der Ausgleichszahlungen bestimmt werde, und legt hierbei die in dem weiteren Spruchverfahren festgesetzte Ausgleichszahlung von 24,60 EUR zugrunde. Wegen einer abweichenden Beurteilung des Kapitalisierungszinssatzes kommt das OLG sodann aber zu einem etwas höheren Barwert als das LG.
Rz. 5
Das OLG hat die Sache nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG a.F., § 28 Abs. 2 und 3 FGG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt, weil entscheidungserheblich sei, ob zur Bestimmung der angemessenen Abfindung bei Vorliegen eines Unternehmensvertrags auf den Barwert der Ausgleichszahlungen oder den anteiligen Ertragswert der Gesellschaft abzustellen sei. Die Problematik sei umstritten und das vorlegende OLG beabsichtige, bei seiner Entscheidung von der Auslegung und dem Verständnis in dieser Frage von der Auffassung anderer OLG abzuweichen.
II.
Rz. 6
Aufgrund der zulässigen Vorlage hat der Senat selbst als Beschwerdegericht zu entscheiden. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung der Entscheidung des LG und zur Festsetzung der Abfindung auf 323,65 EUR je Aktie.
Rz. 7
1. Die Vorlage ist zulässig.
Rz. 8
a) Die Zulässigkeit der Vorlage ist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG zu beurteilen, dessen entsprechende Anwendung in § 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG i.d.F. des Gesetzes vom 12.6.2003 (BGBl. I, 838) angeordnet war. Das vorliegende Spruchverfahren wurde zwar noch vor dem Inkrafttreten des Spruchverfahrensgesetzes am 1.9.2003 eingeleitet. Da die Beschwerde gegen die Entscheidung des LG aber erst am 25.9.2013 nach Inkrafttreten des Spruchverfahrensgesetzes eingelegt worden ist, sind nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SpruchG auf das Beschwerdeverfahren die Vorschriften des Spruchverfahrensgesetzes anwendbar.
Rz. 9
Nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG a.F. galten im Beschwerdeverfahren § 28 Abs. 2 und 3 FGG entsprechend. Nach Art. 111 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 (FGG-Reformgesetz - FGG-RG, BGBl. I, 2586) finden das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und das Spruchverfahrensgesetz in der bis zum 1.9.2009 geltenden Fassung weiter Anwendung, wenn das Verfahren in erster Instanz vor Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) eingeleitet worden ist (BGH, Beschl. v. 29.9.2015 - II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 Rz. 8; Beschl. v. 1.3.2010 - II ZB 1/10, ZIP 2010, 446 Rz. 6 ff.; Beschl. v. 19.7.2010 - II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 Rz. 5 - Stollwerck; Beschl. v. 28.6.2011 - II ZB 10/10, AG 2011, 590 Rz. 5; Beschl. v. 13.12.2011 - II ZB 12/11, ZIP 2012, 266 Rz. 3).
Rz. 10
b) Die Vorlage ist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG zulässig. Sie setzt voraus, dass das vorlegende OLG bei der Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift von der Entscheidung eines anderen OLG oder, falls über die Rechtsfrage bereits eine Entscheidung des BGH ergangen ist, von dieser abweichen will.
Rz. 11
aa) Die Vorlage betrifft eine Rechtsfrage. Eine Vorlage ist nur im Falle einer Abweichung bei der Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift, also bei einer Rechtsfrage, zulässig. Zu den Rechtsfragen zählt neben der Klarstellung des Inhalts einer Rechtsnorm auch die Subsumtion eines Tatbestandes unter das Gesetz. Erforderlich ist aber eine Abweichung in einem Rechtssatz. Eine Divergenz bei der abweichenden tatsächlichen Würdigung eines Sachverhalts rechtfertigt die Vorlage dagegen nicht (BGH, Beschl. v. 29.9.2015 - II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 12
Das OLG hat die Sache dem BGH vorgelegt, weil es der Ansicht ist, die Höhe der Abfindung bemesse sich nach dem Barwert der festen Ausgleichszahlungen und diese Vorgehensweise weiche von der Auffassung anderer OLG ab, welche den anteiligen Ertragswert der Gesellschaft für allein maßgeblich hielten.
Rz. 13
Nach § 327 f Satz 2 AktG hat das Gericht im Spruchverfahren die angemessene Barabfindung zu bestimmen, wenn die vom Hauptaktionär festgelegte Barabfindung nicht angemessen ist. Zur Auslegung dieser Vorschrift gehört die rechtliche Bestimmung der Angemessenheit. Ziel dieser Bewertung ist es, den "vollen, wirklichen" Wert der Unternehmensbeteiligung zu ermitteln (vgl. BVerfGE 100, 289, 306).
Rz. 14
Die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode ist keine Rechtsfrage, sondern Teil der Tatsachenfeststellung und beurteilt sich nach der wirtschaftswissenschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie und -praxis. Dagegen ist es eine Rechtsfrage, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen widerspricht (BGH, Beschl. v. 29.9.2015 - II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 Rz. 12).
Rz. 15
Die Entscheidung, ob bei beherrschten Unternehmen für die Barabfindung ausgeschlossener Minderheitsaktionäre allein auf den Barwert der Ausgleichszahlungen abzustellen oder (zumindest auch) der anteilige Unternehmenswert heranzuziehen ist, hängt von der Rechtsfrage ab, ob der Wert der Minderheitsanteile sich auf die mit ihr verbundenen Erträge in Form der Ausgleichszahlungen beschränkt und diese damit den als Bewertungsziel anzusehenden "vollen, wirklichen" Wert zutreffend wiedergeben oder ob die Minderheitsanteile darüber hinaus einen Wert haben (können), der nur im anteiligen Unternehmenswert zutreffend abgebildet werden kann. Diese Rechtsfrage ist höchstrichterlich noch nicht geklärt (vgl. BGH, Beschl. v. 28.6.2011 - II ZR 10/10, AG 2011, 590 Rz. 8).
Rz. 16
bb) Ein Abweichungsfall liegt vor. Der BGH hat zu prüfen, ob in der streitigen Rechtsfrage ein Abweichungsfall vorliegt. Die Abweichung muss zum einen dieselbe Rechtsfrage betreffen, zum anderen muss die Beantwortung der Rechtsfrage für die vom vorlegenden Gericht zu treffende Entscheidung des Falles und für die vorausgegangene Entscheidung, von der das vorlegende OLG abweichen will, erheblich sein. Dabei ist die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage für die vorgelegte Sache auf der Grundlage des im Vorlagebeschluss des OLG mitgeteilten Sachverhalts und der dort zum Ausdruck gebrachten rechtlichen Beurteilung des Falles zu prüfen. Die Entscheidung, von der abgewichen werden soll, muss auf einer anderen Beurteilung der Rechtsfrage beruhen. Hierfür genügt es, wenn die strittige Rechtsfrage in jener Entscheidung erörtert und beantwortet ist und das Ergebnis für die Entscheidung von Einfluss war (BGH, Beschl. v. 29.9.2015 - II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 Rz. 15 m.w.N.).
Rz. 17
Das vorlegende OLG beurteilt die streitige Rechtsfrage anders als die OLG München (OLG München, ZIP 2007, 376) und Düsseldorf (Beschl. v. 29.7.2009 - I-26 W 1/08, juris Rz. 52 und AG 2012, 716) und weicht in diesem Sinn von deren Entscheidungen ab. Die OLG München und Düsseldorf sehen nämlich abweichend vom vorlegenden OLG den Wert der Minderheitsanteile durch die Ausgleichszahlungen nicht zutreffend abgebildet und weichen damit auch im Ergebnis von der Entscheidung des vorlegenden OLG ab.
Rz. 18
2. Aufgrund der zulässigen Vorlage hat der Senat selbst als Beschwerdegericht zu entscheiden. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung der Entscheidung des LG und zur Festsetzung der Abfindung auf den Wert von 323,65 EUR je Aktie.
Rz. 19
a) Für die Angemessenheit der Barabfindung im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären nach §§ 327a, b AktG ist bei Vorliegen eines (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts jedenfalls dann maßgeblich, wenn dieser höher ist als der Barwert der aufgrund des (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags dem Minderheitsaktionär zustehenden Ausgleichszahlungen.
Rz. 20
aa) Dass nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre zu berücksichtigen sind, schließt wegen des damit festgelegten Stichtags allerdings nicht schon dem Wortlaut nach aus, die Abfindung nach dem Barwert der Ausgleichszahlungen zu berechnen (so aber OLG München ZIP 2007, 375, 376; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.7.2009 - I-26 W 1/08, juris Rz. 51 ff.; AG 2012, 716, 718; Schnorbus in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 327b Rz. 6; Singhof in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 327b Rz. 4; Popp, AG 2010, 1, 13). Obwohl der Unternehmensvertrag, auf dem die Ausgleichszahlungen beruhen, zu einem früheren Zeitpunkt abgeschlossen worden ist, gehört er gleichwohl zu den Verhältnissen der Gesellschaft im nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre, wenn er zu diesem Zeitpunkt noch Bestand hat und von seinem Fortbestand auszugehen ist (Leyendecker, NZG 2010, 927, 929; Jüngst, Der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern im Vertragskonzern, 2010, S. 201 f.). Denn der zum Zeitpunkt des Beschlusses über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre bestehende (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrag bestimmt bei anzunehmendem Fortbestand des Vertrags auch darüber hinaus die Erträge des Aktionärs und kann deshalb zu den zum nach § 327b Abs. 1 Satz 1 maßgeblichen Bewertungsstichtag zu berücksichtigenden Gesichtspunkten gehören. Im Übrigen ist als Ausgleichszahlung gem. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG mindestens der Betrag zuzusichern, der nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil an die Aktionäre verteilt werden könnte, so dass die Bemessung der Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG gleichfalls am Wert des Unternehmens unter Berücksichtigung seiner zukünftigen Entwicklung orientiert ist (BGH, Beschl. v. 21.7.2003 - II ZB 17/01, BGHZ 156, 57, 63).
Rz. 21
bb) Verliert der Minderheitsaktionär seine mitgliedschaftliche Stellung, muss er nach der Rechtsprechung des BVerfG für den Verlust seiner Rechtsposition und die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung wirtschaftlich voll entschädigt werden (vgl. BVerfGE 100, 289, 304 f.). Dabei hat die Entschädigung den "wirklichen" oder "wahren" Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln (vgl. BVerfGE 100, 289, 306). Hierfür ist, wenn die Abfindung nicht nach dem Anteilswert bestimmt wird, der in der Regel dem Börsenwert der gehaltenen Aktien zu entnehmen ist, der Anteil des Minderheitsaktionärs am Unternehmenswert zugrunde zu legen, der im Wege einer Schätzung zu ermitteln ist (vgl. § 738 Abs. 2 BGB; BGH, Beschl. v. 29.9.2015 - II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 Rz. 33; Beschl. v. 12.3.2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 116). Zu dieser Schätzung ist bei einem werbenden Unternehmen die Ertragswertmethode eine grundsätzlich geeignete Methode. Das schließt es aber nicht aus, nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles eine andere Methode zur Schätzung des Unternehmenswertes anzuwenden. Entscheidend ist, dass die jeweilige Methode in der Wirtschaftswissenschaft oder Betriebswirtschaftslehre anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist (BGH, Beschl. v. 29.9.2015 - II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 Rz. 33 m.w.N.).
Rz. 22
(1) Bei der Ermittlung des "wahren" Werts des Anteilseigentums handelt es sich in erster Linie um eine Frage des einfachen Rechts, bei der aus verfassungsrechtlichen Gründen allerdings eine im gegebenen Fall geeignete und aussagekräftige Methode gewählt werden muss, die den vollen Ausgleich für den von den Minderheitsaktionären hinzunehmenden Verlust sicherstellt, der jedenfalls nicht unter dem Verkehrswert liegen darf (vgl. BVerfGE 100, 289, 305; BVerfG ZIP 2012, 1408 Rz. 18). Ferner muss ein existierender Börsenkurs bei der Abfindung berücksichtigt werden, weil bei der Bestimmung der angemessenen Barabfindung der ausgeschiedenen Aktionäre nach §§ 327a, b AktG auch darauf abzustellen ist, was sie im Falle einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der unternehmensrechtlichen Maßnahme erhalten hätten (vgl. BVerfGE 100, 289, 306; BVerfG ZIP 2011, 170 Rz. 9; BGH, Beschl. v. 12.3.2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 115 f.). Der Börsenwert bildet dabei regelmäßig die Untergrenze einer zu gewährenden Abfindung (BVerfG ZIP 2011, 1051 Rz. 24; BVerfGE 100, 289, 305 ff.).
Rz. 23
(2) Bei der Bestimmung der Abfindung durch Ermittlung des Unternehmenswerts oder durch Berücksichtigung des Börsenwerts der Aktien handelt es sich nicht um die Wahl zwischen verschiedenen Bewertungsobjekten. Maßgeblich ist immer der "wahre" Wert der Beteiligung des Minderheitsaktionärs, den die Entschädigung für den Verlust des Aktieneigentums aus verfassungsrechtlichen Gründen widerspiegeln muss. Wie dieser Wert ermittelt wird, ist dagegen verfassungsrechtlich nicht festgelegt. Er kann folglich grundsätzlich als quotaler Anteil an dem durch eine geeignete Methode der Unternehmensbewertung ermittelten Wert des Unternehmens (mittelbar) berechnet oder auf andere Weise (unmittelbar) festgestellt werden, insb. unter Rückgriff auf den Börsenwert der Anteile. Die eine oder andere Methode scheidet nur dann aus, wenn sie aufgrund der Umstände des konkreten Falles den "wahren" Wert nicht zutreffend abbildet (BVerfG ZIP 2011, 170 Rz. 12 ff.; ZIP 2011, 1051 Rz. 23 ff.; ZIP 2012, 1408 Rz. 20). Auch bei der zum Schutz der Minderheitsaktionäre gebotenen Berücksichtigung des Börsenwerts wird der Wert eines Anteils aber nicht unabhängig vom Wert des Unternehmens ermittelt. Denn die Berücksichtigung des Börsenwerts beruht auf der Annahme, dass die Marktteilnehmer auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Unternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewerten und sich die Marktbewertung im Börsenkurs der Aktien niederschlägt (vgl. BGH, Beschl. v. 12.3.2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 116). Kann im konkreten Fall von der Möglichkeit einer solchen effektiven Informationsbewertung nicht ausgegangen werden, so dass der Börsenkurs keine verlässliche Aussage über den (mindestens zu gewährenden) Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung erlaubt, ist der Anteilswert aufgrund einer Unternehmensbewertung zu ermitteln (vgl. BVerfG ZIP 2011, 170 Rz. 13 f.; ZIP 2011, 1051 Rz. 25; ZIP 2012, 1408 Rz. 20).
Rz. 24
(3) Dieser Gleichlauf zwischen dem Wert des (einzelnen) Anteils und dem anteiligen Unternehmenswert ist auch dann gegeben, wenn ein (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrag geschlossen wurde. Der Wert des Anteils des (außenstehenden) Minderheitsaktionärs hat sich durch den Unternehmensvertrag nicht vollständig vom Unternehmenswert abgekoppelt (OLG Düsseldorf AG 2012, 716, 718, OLG München ZIP 2007, 375, 376; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 327b Rz. 5; Popp, AG 2010, 1, 13 f.; Riegger, Festschrift Priester, 2007, 661, 668; a.A. KG NZG 2003, 644, 645; OLG Frankfurt NZG 2010, 664, 665; ZIP 2014, 2439, 2440; Leyendecker, NZG 2010, 927, 928; Jüngst, Der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern im Vertragskonzern, 2010, S. 198 f.).
Rz. 25
Das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) vermittelt sowohl die mitgliedschaftliche Stellung des Aktionärs in der Gesellschaft als auch vermögensrechtliche Ansprüche (BVerfG ZIP 2011, 170 Rz. 8 m.w.N.). In vermögensrechtlicher Hinsicht umfasst die Beteiligung an einem Unternehmen nicht nur die Aussicht auf eine Dividende, die vorliegend vorübergehend durch den festen Ausgleichsanspruch ersetzt wird, sondern darüber hinaus den Anteil an der Vermögenssubstanz, auf den bei Auflösung und Liquidation ein Anspruch besteht (BVerfGE 14, 263, 285). Eine mittels der Ausgleichszahlungen berechnete Abfindung deckt deshalb unter Umständen nicht den vollständigen, "wahren" Wert der Beteiligung ab.
Rz. 26
(4) Der Wert des Anteils wird jedenfalls dann nicht zutreffend abgebildet, wenn sich der Unternehmenswert, wie hier, seit dem Stichtag, auf den die angemessenen Ausgleichszahlungen i.S.d. § 304 AktG ermittelt wurden, erhöht hat. Der Gesellschaftsanteil hat sich nämlich durch die Entscheidung des Aktionärs, die Aktien trotz Abschlusses des (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags zu behalten und nicht gegen die nach § 305 AktG zu gewährende Abfindung aus der Gesellschaft auszuscheiden, nicht dahingehend gewandelt, dass sich sein Wert allein noch über die Ausgleichszahlungen bestimmt und der Aktionär am Unternehmenswert im Übrigen nicht mehr teilnimmt (OLG Düsseldorf AG 2012, 716, 718; OLG München ZIP 2007, 375, 376; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl., § 327b AktG Rz. 9; Hölters/Müller-Michaels, AktG, 2. Aufl., § 327b Rz. 7; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 327b Rz. 5; Schnorbus in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 327b Rz. 6; Riegger, Festschrift Priester, 2007, 661, 668; a.A. KG NZG 2003, 644, 645; OLG Frankfurt NZG 2010, 664, 665; ZIP 2014, 2439, 2441; Wilsing in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., § 327b AktG Rz. 4; Leyendecker, NZG 2010, 927, 928; W. Müller, Festschrift Roth, 2011, S. 517, 524 f., 531; Jüngst, Der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern im Vertragskonzern, 2010, S. 198 f.).
Rz. 27
Beim Unternehmensvertrag tritt die gewinnunabhängige, in der Regel festbemessene Ausgleichzahlung nach § 304 AktG an die Stelle der sonst aus dem Bilanzgewinn auszuschüttenden Dividende und stellt wirtschaftlich nichts anderes dar als die Verzinsung der vom Aktionär geleisteten Einlage; die Entgegennahme der Ausgleichszahlung ist Fruchtziehung, während die Barabfindung gem. § 305 AktG den Stamm des Vermögens repräsentiert, der durch die Ausgleichzahlung nicht angerührt wird (BGH, Urt. v. 16.9.2002 - II ZR 284/01, BGHZ 152, 29, 35). Die Ausgleichszahlungen stellen dabei nur einen vorübergehenden pauschalierten Ersatz für die Dividende dar, auf die andernfalls Aussicht bestünde. Auch wenn ein (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen wird und es keine konkreten Anhaltspunkte für seine baldige Beendigung gibt, ist es nicht auszuschließen, dass sich die Verhältnisse in der Zukunft wieder ändern und der Aktionär aufgrund einer Beendigung des Vertrags wieder an den tatsächlichen Erträgen der Gesellschaft beteiligt wird. Die Möglichkeit, dass diese Erträge dann aufgrund der vorangegangenen Beherrschungssituation und dem damit verbundenen Risiko einer Auszehrung des Unternehmens geringer als der vorher gewährte Ausgleich ausfallen können, nimmt der Aktionär hin, wenn er zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrags den Ausgleich wählt und nicht gegen Abfindung aus der Gesellschaft ausscheidet (vgl. Popp, AG 2010, 1, 13; Riegger, Festschrift Priester, 2007, 661, 676). Andererseits kann der (außenstehende) Minderheitsaktionär aber aus der Entscheidung, in der Gesellschaft zu bleiben, auch einen über die Ausgleichszahlung hinausgehenden Nutzen ziehen, wenn sich die abhängige Gesellschaft nach Abschluss des Unternehmensvertrags positiv entwickelt und die Dividende nach einer Beendigung des Unternehmensvertrags deshalb höher als der Ausgleich ausfällt. Diese Chance wird ihm genommen, wenn er während des Bestehens des Unternehmensvertrags nach §§ 327a, 327e Abs. 3 AktG aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Sie kann deshalb bei der Bewertung der Barabfindung i.S.d. § 327b AktG nicht außer Betracht bleiben.
Rz. 28
Dasselbe gilt für die Beteiligungsrechte des Minderheitsaktionärs, die zwar während des (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrags stark eingeschränkt sein können und im Übrigen schon aufgrund seiner Stellung als Minderheitsaktionär nicht sehr weit gehen. Selbst wenn die Beteiligung des Minderheitsaktionärs mehr Kapitalanlage als gesellschaftsrechtliche Mitgliedschaft ist und er regelmäßig keinen relevanten Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen kann, geht seine Beteiligung aber über den rein schuldrechtlichen Anspruch auf Ausgleichszahlungen hinaus. Auch dem Kleinaktionär stehen Rechte zu, deren Wahrnehmung im Einzelfall in einer Art und Weise möglich ist, die den gesellschaftsbezogenen Belangen der übrigen Aktionären nachteilig sein kann, und die er deshalb unter Rücksichtnahme gegenüber den gesellschaftsbezogenen Belangen der Mitgesellschafter auszuüben hat. Zu nennen sind hier u.a. die Wahrnehmung des Rechts auf Teilnahme an der Hauptversammlung, das Auskunftsrecht nach § 131 AktG und das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 243 AktG (BGH, Urt. v. 20.3.1995 - II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 144). Diese Rechte werden durch einen (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrag nicht eingeschränkt. Sie sind nicht ohne Gewicht, was sich schon daran zeigt, dass der Gesetzgeber gerade wegen der Ausübung dieser Rechte durch Minderheitsaktionäre die Einführung der Squeeze-out-Regelung der §§ 327a ff. AktG wegen eines beachtenswerten unternehmerischen Interesses an Konzernierungs- und Strukturmaßnahmen für geboten erachtet hat (vgl. BT-Drucks. 14/7034, 32 f.). Der Verlust dieser Rechte ist daher bei der Bestimmung des "wahren" Werts der Beteiligung ebenfalls zu berücksichtigen.
Rz. 29
cc) In einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem eine Berechnung der Abfindung über die Ausgleichszahlungen zu einem geringeren Wert führt als die Bewertung über die quotale Beteiligung am Unternehmenswert, würde der bei einer Berechnung der Abfindung über den Barwert der Ausgleichszahlungen nicht ausgeglichene Anteil der Beteiligung zudem dem Hauptaktionär anwachsen. Der Hauptaktionär verfügt nach deren Ausschluss über die Anteile der Minderheitsaktionäre und damit über deren Stamm- und Fruchtziehungsrecht. Es entstünde somit in der Person, die den zur Abfindung führenden Sachverhalt im eigenen Interesse herbeigeführt hat, eine Bereicherung, für die es keinen sachlichen Grund gibt. Der Umstand, dass der Ausschluss der Minderheitsaktionäre den (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrag nicht beendet (BGH, Urt. v. 19.4.2011 - II ZR 237/09, BGHZ 189, 261 Rz. 18), ist hierbei unerheblich, da jedenfalls die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zur Ausgleichszahlung entfällt.
Rz. 30
dd) Der Senat hat vorliegend dagegen keinen Anlass zu entscheiden, ob der Barwert der Ausgleichszahlungen ähnlich dem Börsenwert als Mindestwert der angemessenen Abfindung zugrunde zu legen ist, wenn dieser den anteiligen Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre übersteigt (für den Ausgleich als Untergrenze: Tebben, AG 2003, 600, 606; dagegen: OLG München ZIP 2007, 375, 277; Singhof in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 3. Aufl., § 327b Rz. 4; Popp, AG 2010, 1, 9; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., Rz. 103; Riegger, Festschrift Priester, 2007, 661, 672). Davon wäre allerdings zumindest für den Fall auszugehen, dass der Barwert der Ausgleichszahlungen dem Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung entspräche, weil die Abfindung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unter dem Verkehrswert liegen darf (vgl. BVerfGE 100, 289, 305; BVerfG ZIP 2012, 1408 Rz. 18).
Rz. 31
b) Der Unternehmenswert beläuft sich zum Bewertungsstichtag am 5.7.2002 auf 2.712.457.000 EUR. Daraus errechnet sich eine Barabfindung von 323,65 EUR je Aktie. Zur näheren Begründung wird auf die Ausführungen des OLG im Vorlagebeschluss Bezug genommen, denen sich der Senat anschließt und gegen die die Antragstellerin im weiteren Verfahren nichts vorgebracht hat. Die Anwendung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. aus dem Jahr 2005 (IDW S 1 2005) begegnet aus Rechtsgründen keinen Bedenken (BGH, Beschl. v. 29.9.2015 - II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 Rz. 30 ff.).
Rz. 32
3. Die Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren beruht auf § 15 Abs. 4 SpruchG a.F.
Fundstellen
Haufe-Index 9224126 |
BGHZ 2016, 265 |
BB 2016, 1072 |
DB 2016, 6 |
DB 2016, 883 |
DStR 2016, 974 |